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Erzählsprache der Protagonistin

Begonnen von Cailyn, 13. Mai 2016, 06:39:43

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Cailyn

Ich bin gerade lange am hin und her überleben, worauf ich mich einigen soll. Mein Buch ist in der Ich-Perspektive geschrieben.

Meine Figur ist zunächst eine reiche, gebildete, junge Frau (Anfang 19. Jahrhundert). Später aber lebt sie ein wildes, abenteuerliches Leben, vorwiegend mit Menschen aus der Unterschicht. Also wird ihre Sprache mit der Zeit etwas rauer und umgangssprachlicher, was ja nur logisch ist.

Aufgrund dessen, was aus ihr geworden ist, habe ich mich entschieden, das ,,Raue und Wilde" in das Erzählte ebenso  einfliessen zu lassen wie ihre noble und schöne Sprache. Sie erzählt die Geschichte dann trotzdem nicht wie ein versoffener Seemann, aber auch nicht mehr wie eine auf jedes Wort bedachte Tochter aus bestem Hause.

Einerseits gibt mir dies den Vorteil, dass jeder zu Beginn des Buches direkt merkt: Aha, da handelt es sich nicht um einen Jane Austen-Roman, und ich kann dem Leser andeuten, worum es in Wirklichkeit geht. Ich habe mich da auch an das Buch von James Frey erinnert, in dem er sagt, man gehe mit dem Leser am Anfang des Buches einen gewissen Vertrag ein. Die ersten Zeilen oder die ersten zwei Seiten zeigen dem Leser, was das für ein Buch ist (worauf sich der Leser einstellen kann). Also kommt es mir ja sehr entgegen, wenn ich die Erzählsprache zu Beginn nicht den aktuelle beschriebenen Geschehnissen anpasse, sondern auf das, worauf ich letztlich hinaus will.

Andererseits - und da bin ich mir eben nicht sicher -, könnten ein paar eingebaute Flüche oder eine gewisse rebellische (zu kritische) Haltung beim Schreiben merkwürdig anmuten?

Das läuft halt auch darauf hinaus, dass das Buch ohnehin ein wenig zum Anachronismus neigt. Was fast nicht zu vermeiden ist, da ich eine Geschichte über eine Frau schreibe, die in der Regency Era ein selbständiges, unabhängiges Leben führt. Das ist nicht unmöglich und für mich ist ein leichter Anachronismus auch vollkommen ok, da ich es nicht als klassischen Historienroman definiere, sondern als Abenteuerroman. Ich denke, dort finden zu moderne oder unrealistisch heldenhafte Leistungen eher Akzeptanz als wenn man versucht, einen total seriösen Historienroman zu schreiben.

Auf die Sprache bzw. Erzählsprache der Protagonistin bezogen möchte ich aber diesen Anachronismus nicht noch unnötig verstärken, da die Story an sich ohnehin schon knapp am Unrealistischen vorbeisegelt.

Hier noch einen Beispielsatz, wie der Unterschied der Sprachstile aussehen könnte:
Sprache A
Sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte, dass Percival ein Mensch war, dem man so wenig wie nur irgend möglich begegnen wollte.
Sprache B (rauer)
Sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte, dass Percival eine Mistratte war, der wir mit Vergnügen einen Strick um den Hals gebunden hätten.

Was meint ihr dazu?

Klecks

Zitat von: Cailyn am 13. Mai 2016, 06:39:43
Andererseits - und da bin ich mir eben nicht sicher -, könnten ein paar eingebaute Flüche oder eine gewisse rebellische (zu kritische) Haltung beim Schreiben merkwürdig anmuten?

Wenn sie ohnehin ein selbstständiges Leben führt zu einer Zeit, in der Männer dominieren, dann ist eine rebellische Haltung gewissermaßen Voraussetzung, finde ich.  ;D  Gerade deshalb wären einige rebellische, kritische Anmerkungen deiner Prota von Vorteil, bevor ihr Leben wilder und abenteuerlicher wird. Von einer feinen, reichen Dame zu einer wilden und abenteuerlich lebenden Frau zu werden, passiert nicht von jetzt auf nachher.

Du hast eigentlich selbst schon geschrieben, was mir dazu eingefallen ist: Ich hätte sie am Anfang wie in Beispiel A sprechen lassen, sodass man merkt, welchen Stand sie hat und wie sie aufgewachsen ist. Dann, während das Abenteuer seinen Lauf nimmt, würde ich ihre Sprache nach und nach langsam wie in Beispiel B werden lassen, weil sie sich den neuen Gegebenheiten anpasst. Wenn man das entsprechend langsam darstellt, dann entsteht auch kein Anachronismus, sondern man merkt ganz einfach, dass sie jetzt ein neues Leben führt.

Cailyn

Hallo Frühaufsteherin!  ;D

So wie du es vorschlägst, habe ich das erste Kapitel zuerst geschrieben. Doch dann habe ich das Problem, dass der Leser nicht weiss, was das für ein Buch ist. Dann wirkt es eben eher wie Jane Austen als wie ein Abenteuerroman. Und ich kann dem Leser nicht eine Ahnung davon geben, worauf es hinausläuft.

Zudem erzählt sie das ganze ja irgendwann in der Zukunft und blickt sozusagen zurück. Ist es da nicht komisch, dass sie während des Erzählens die Sprache anpasst? Also ich frage nur, um sicher zu gehen.

Klecks

Hallo, Ebenfalls-Frühaufsteherin!  ;D

Da hätte ich eine Idee: Wäre ein Prolog vielleicht die Lösung? Einer, in der sie über die Veränderungen in ihrem Leben nachsinnt, ohne Handlung zu verraten? Wie ein Monolog, in dem dann beide Erzählsprachen vorkommen und somit einen Hinweis darauf geben, dass das Buch weder nur Jane Austen noch nur Abenteuerroman ist. Das würde gerade deshalb passen, wenn sie es erzählt, als würde sie zurückblicken. Ich fände es auch nicht komisch, wenn sie die Sprache da anpasst - sie denkt an den Anfang zurück, als sie eine feine Dame war, dann an die Zeit, in der ihr Leben so wild wurde, und fällt automatisch in die jeweilige Sprache. Das kann man vergleichen mit der Tatsache, dass man in seiner Heimat oder am Telefon mit Verwandten von dort immer in den jeweiligen Dialekt zurück fällt, ohne es zu merken, obwohl man sonst Hochdeutsch spricht.  :D

Cailyn

Das hat was, ja. Ich muss mir einfach noch überlegen, ob ein Prolog sonst passt. Der Prolog gibt einem beim Ich-Erzähler ja immer diesen Touch von der alten Frau, die über ihr Leben spricht. Und das müsste ich dann zu vermeiden versuchen, weil sie erzählt die Geschichte nicht aus dem Lehnsessel, sondern viel früher.

Ich brüte da mal drüber... Danke für deine Überlegungen!  :)

Denamio

#5
Den Erzählstil würde ich gleich von Beginn an rau sein lassen, weil wie schon erwähnt die Figur zu dem Zeitpunkt des erzählens ihre Entwicklung hinter sich hat. Die Veränderung kann man da aber eigentlich sehr konkret in den Text schreiben, denke ich. Zum Beispiel:

"Ja Vater, sehr wohl Vater. Euer Wunsch ist mir Befehl", flötete ich dienstergeben. Für diese brave Anderswelt war ich einst optimal angepasst gewesen. Nicken, lieb sein, bloß nicht auffallen, ein Wesen das für mich heute schon garnicht mehr wahr ist.

Da hast du das brave Element in dem was sie sagt und den Wandel in der Art wie sie es sagt. Im Laufe der Geschichte gleicht es sich dann zunehmend an.

Edit: Rechtschreibfehler sind dem Tablet geschuldet.

Cailyn

Danke auch für deine Präferenz, Denamio.
Die Frage stellte sich dann aber für mich, wie Kommentare wirken, die einen Vergleich auf die Zukunft machen. So wie du geschrieben hast: "Für diese brave Anderswelt war ich eins optimal angepasst gewesen". Geben denn diese "damals so, aber heute so"-Sätze nicht auch wieder eine gewisse Distanz zum Text? Man kriegt ja dann noch viel mehr den Eindruck, dass das Erzählte schon lange her ist und nicht hier und jetzt vor dem inneren Augen des Lesers passiert.

Wenn ich es so machen würde, dann vermutlich nur ganz am Anfang zum Einstieg. So dass man eine Idee davon kriegt, dass es ein Später=Anders gibt. Aber dann würde sie mehr und mehr nur noch die Vergangenheit erzählen, ohne einen Bezug auf die spätere Veränderung zu machen.

Dämmerungshexe

Bei der Ich-Perspektive ist das mit dem Später-Erzählen und der Entwicklung des Protas, die man sprachlich vorweg nimmt, immer so eine Sache. Man muss sich entscheiden, ob man den Leser diese Entwicklung mitmachen lassen will, oder ob man sie ihm als bereits vollendet präsentiert.

In diesem konkreten Fall sehe ich noch die Möglichkeit, dass du deiner Protagonistin am Anfang diese gewählte Sprache zwar in den Mund legst, aber sobald es um Gedankengänge usw. geht, die etwas geehrte Art wählst. Immerhin kann man ja annehmen, dass eine Frau, die sich an das rauere Leben gewöhnen kann, schon eine gewisse Grundtendenz hat, die sie vielleicht nur noch nicht zeigt.

Das Beispiel könnte dann so lauten:
"Sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte, dass Percival ein Mensch war, dem man so wenig wie nur irgend möglich begegnen wollte. Einen Begriff, den sie einmal gehört hatte, und der ihr durchaus passend erschien war 'Mistratte'. So oder so überkam sie bei seinem Anblick der Wunsch, ihm einen Strick um den Hals zu legen, weshalb sie sich im Allgemeinen von ihm fern hielt."
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Evanesca Feuerblut

Hm...
Eine (für mich persönlich) naheliegende Lösung wäre hier, wenn du in Präsens schreibst. Damit wäre es kein Rückblick und du könntest ihre Sprache und ihre Art zu denken graduell anpassen.
Wäre das eine Option für dich? :)

Churke

Zitat von: Cailyn am 13. Mai 2016, 06:39:43
Was meint ihr dazu?

Du nennst es Erzählsprache der Protagonistin, aber eigentlich willst du über die Sprache (Stil) die charakterliche Entwicklung deiner Figur spiegeln.
Dabei wird sich die Protagonistin dennoch immer einer Sprache befleißigen, die ihre Zugehörigkeit zur Oberschicht unterstreicht. Sie wird sich jederzeit durch ausgezeichnete Manieren, Umgangsformen und sicheres Auftreten auszeichnen.

Da hängt die Messlatte verdammt hoch...


Cailyn

Dämmerungshexe
Natürlich will ich die Entwicklung nicht präsentieren, sondern nur andeuten. Man weiss ja nicht, was passieren wird, wie es endet, wer sie wird. Aber man soll und darf wissen, dass sie später in einem anderen Milieu lebt als heute. Das würde ohnehin auch schon auf dem Klappentext stehen, ist also kein Geheimnis.
Das Beispiel, das du gemacht hast, gefällt mir gut. Aber ich schreibe ja in der Ich-Form. Da könnte ich es nicht so schreiben.

Evanesca
Ja, das Präsens würde alles sofort verändern. Aber für einen historischen Abenteuerroman das Präsens zu wählen, käme für mich nicht in Frage. Zudem schreibe ich auch gar nicht gerne im Präsens.

Churke
Nun, nein, ich bin mir nicht so sicher, ob ich über die Sprache die Entwicklung zeigen will. Ich möchte eher damit andeuten, was das für eine Geschichte ist. Du hast Recht. Auch wenn sie später in was-weiss-ich für Unterwelten verkehrt, ihre Herkunft wird immer gleich bleiben. Und sie wird sicherlich auch nie eine einsilbige Fluch-Braut werden. Daher fände ich es am passendsten, beide Sprachstile zu mischen: Schöne Sprache, aber mit ab und an derben Begriffen, wenn es zur Situation passt. Dies allerdings durchgehend im Buch. Ich habe jetzt aber nicht genau verstanden, inwiefern die Messlatte hoch ist, wie du schreibst. Beziehst du das darauf, die Sprache der Entwicklung der Figur anzupassen?

Die Frage ist nach wie vor, was man machen kann/soll/muss/darf, damit es authentisch und logisch wirkt. Würde ich alles in einer "seriösen" Sprache schreiben, die auch jeder Gräfin als Gutenachtgeschichte noch zuträglich wäre, hätte ich ein Problem mit der Kongruenz der Figur. Eine Frau, die sich aus den gesellschaftlichen Konventionen löst und ihr eigenes Ding durchzieht, sich in den Häfen der Welt auskennt und wochenlang in schmutzigen Kleidern auf See überlebt hat, kann oder will ihr Leben später nicht nur in zarten und höflichen Worten wiedergeben. Andererseits wäre es denkbar, dass die Protagonistin bewusst Stilveränderungen einbaut, weil sie den Zuhörern oder Lesern zeigen möchte, dass sie sich zu erlebter Zeit anders ausgedrückt hätte. Aber ehrlich, das finde ich für den Leser irgendwie überfordernd.

Mondfräulein

Wenn ich das richtig verstanden habe, möchtest du das Buch rein sprachlich nicht so gehoben schreiben, wie es für den Stand der Protagonistin angemessen wäre, weil du denkst, man könnte es für einen modernen Jane Austen Roman halten und der Leser von Anfang an wissen sollte, worauf er sich einlässt, wenn er das Buch kauft? Ehrlich gesagt würde ich die Bedenken nicht teilen. Natürlich, wenn ein Leser nicht Jane Austen will und am Anfang denkt, das wäre ein Jane Austen Roman, dann wird er das Buch nicht kaufen. Aber andeuten, um was für einen Roman es sich handelt, kann man auch anders. Auf der anderen Seite: Mir würde es vielleicht so vorkommen, als hätte der Autor einfach nicht recherchiert, wie jemand in so einem Stand sprechen würde und auf Abenteuerroman deutet das auch nicht so sehr hin. Dein zweites Beispiel wäre mir zum Beispiel schon viel zu krass und ich würde es ohne weitere Erklärungen einfach als schlecht recherchiert empfinden, denn warum sollte eine Frau aus so einem Stand so sprechen? Ich bin auch nicht sicher, ob sie ihre Sprache überhaupt so sehr anpassen würde, wie es im zweiten Beispiel beschrieben ist. Solche Gewohnheiten legt man schwer ab.

Meiner Meinung hat Sprache auch nicht so viel damit zu tun, wie gut sich deine Heldin später anpassen und im Abenteuer sprachen kann, wie angepasst sie jetzt schon ist. Sprache hat viel mit Gewohnheit zu tun und wenn sie in einer Umgebung aufwächst, in der sie mit rauer Sprache nicht in Berührung kommt, in der sie nie einen Grund hatte, raue Sprache zu benutzen, warum sollte sie es denn dann tun? Dass sie nicht zimperlich ist, kannst du ja auch irgendwie anders zeigen.

ZitatDie Frage stellte sich dann aber für mich, wie Kommentare wirken, die einen Vergleich auf die Zukunft machen. So wie du geschrieben hast: "Für diese brave Anderswelt war ich eins optimal angepasst gewesen". Geben denn diese "damals so, aber heute so"-Sätze nicht auch wieder eine gewisse Distanz zum Text? Man kriegt ja dann noch viel mehr den Eindruck, dass das Erzählte schon lange her ist und nicht hier und jetzt vor dem inneren Augen des Lesers passiert.

Mir gefällt die Idee mit kleinen Einschüben des Erzähl-Ichs. Dein Einwand ist total berechtigt, aber ich glaube, dass das schon okay ist, solange man es nicht öfter macht. Jonathan Stroud hat das im dritten Band der Loockwood & Co. Reihe gemacht. Wirklich aufgefallen ist es mir im ganzen Buch nur zwei oder drei Mal, aber da war es deutlich und ich fand es auf eine Art ziemlich genial. Die erste Stelle, in der die Erzählerin es tut, ist inhaltlich nicht weiter von Belang, sie erwähnt nur, dass eine bestimmte Ausrüstung damals noch so und so hergestellt wurde - aber ich weiß schonmal, dass es wohl eine zweite Erzählebene gibt. Dadurch wirkt die zweite Stelle dann umso intensiver - sie beschreibt eine bestimmte Figur aus der späteren Erzählebene heraus und die Art und Weise, wie diese Figur beschrieben wird, hat in mir wahnsinnige Panik ausgelöst, dass die Figur ganz bestimmt stirbt und überhaupt, was ist damit gemeint, sie sieht noch so lebendig aus?! Egal, was in den Büchern weiter passiert, ob ich nur paranoid bin, noch traumatisiert von der Bartimäus-Reihe oder ob ich wirklich Recht habe - es hat in mir als Leser Spannung und Erwartung ausgelöst.

Du bräuchtest ja nicht viele solche Einschübe, um anzudeuten, dass später noch etwas Spannendes kommt. Wenn du die ersten Kapitel in dem Stand der Heldin angemessener Sprache schreibt und dann kommt auf einmal der Einschub, in dem die Erzählerin durchschimmert, und da taucht ein Wort auf, das sie eigentlich nicht benutzen würde, fällt dieser noch viel mehr auf. Ich stolpere als Leser darüber, ich wundere mich und wenn du es richtig anstellst, löst das Erwartung, Neugier und Spannung in mir aus. Der Kontrast der Sprache ist da doch die ideale Gelegenheit, so einen Einschub deutlicher zu kennzeichnen. So kannst du auch am Anfang schon andeuten, wo es später hingeht - zum Beispiel, wenn sie erwähnt, dass sie das Herrenhaus vermissen wird, in dem sie wohnt oder so etwas. Das geht sehr subtil, sehr einfach und du kannst ansonsten in der gewohnten Sprache bleiben, damit man ihr das Mädchen aus gutem Hause auch irgendwie abnimmt.

Cailyn

Hallo Mondfräulein!

Besten Dank auch für deine Anregungen. Den Jonathan Stroud kenne ich übrigens noch nicht; muss ich mir wohl mal zu Gemüte führen.  :jau:

Also zur Sprache muss ich noch etwas erwähnen: Obwohl ich recherchiert habe, werde ich die Sprache nicht wirklich stilistisch so anpassen, dass sie genau so ist wie in dieser Zeit. Denn dann wäre das Buch in der heutigen Zeit fast unlesbar. Ich meine, wenn ich ein paar Seiten aus einem Jane Austen Buch lese, habe ich immer das Gefühl, mir brummt der Schädel vor lauter Schachtelsätzen und geschwollener direkter Rede. Das käme für mich nicht in Frage. Allerdings werde ich ganz bestimmt in der direkten Rede die damalige Sprache andeuten. Höflich, blumig, elegant. Aber nicht so wie damals. Das macht ja auch kaum jemand, der heutzutage einen Historienroman schreibt, auch wenn er noch so gut recherchiert hat. Gott sei dank, denn sonst würde ich diese Romane nicht lesen wollen  ;).

Aber jetzt zu deinen Vorschlägen. Ich bin schon auch immer mehr dafür, die raue Sprache wegzulassen. Ich würde sie dann erst später in der direkten Rede einführen, wenn die Protagonistin in die Unterwelt abtaucht und dort auch Menschen trifft, die ihrerseits so reden. Und vielleicht werde ich dann auch das Erzählte ein wenig rauer gestalten, einfach mit der Idee: Wenn sich eine Person an ein nobles Milieu erinnert, schreibt sie vermutlich automatisch auch in nobleren Wörtern, und wenn sie sich dann an Zeiten im Dreck und unter Armen erinnert, greift sie auch automatisch eher zu Wörtern, die dorthin passen. Aber alles im Grunde "light" und nicht brachial, so dass es extrem auffällt.

Als Beispiel: Wenn sich die Prota über jemanden furchtbar aufregt, würde ich im ersten Teil (in der Upperclass) schreiben "Dieser Mistkerl", später (Schauplatz in den unteren Klassen) sagt sie dann "Diese Mistratte". Aber Letzteres dann auch erst überhaupt im zweiten Buch. Es ist ja ein Mehrteiler, und im ersten Buch geht es darum, wie sie überhaupt auf der Strasse landet und flieht. Die Geschichte spielt sich innerhalb eines Jahres ab. In Buch 2 fängt die Geschichte 4 Jahre später an. In den vier Jahren dazwischen lebt die Protagonistin ausschliesslich in den unteren Gesellschaftsschichten, und da finde ich es auch berechtigt, umgangssprachlicher zu schreiben. Und nehmen wir mal an, ihr Erzähltes wären Memoiren, die sie aufgeschrieben hat. Dann könnte es ja durchaus sein, dass sie Buch 1 mal niedergeschrieben hat; Buch 2 dann viel später, nachdem sie wieder einiges erlebt hat. Und wenn man das so betrachtet, wäre es ja nur normal, dass sich ihr Schreibstil ein wenig anpasst und etwas die Noblesse verliert. Klar, du sagst, die Sprache verliert man nicht einfach so. Aber das würde ich so nicht unterschreiben. Bei uns in der Schweiz müssen ja alle jungen Männer ins Militär. Du würdest staunen, wie sich der Wortschatz in diesen wenigen Monaten verändert. Das habe ich schon selber so in Briefen festgestellt (früher hatte man ja noch kein Mobile phone oder I-Pads und schrieb sich noch Briefe  ;D).

Mondfräulein

Ich wollte auch nicht ausdrücken, dass sich die Sprache überhaupt nicht verändert, nur eben nicht so einfach. Es ist natürlich möglich, dass sich die Sprache verändert und anpasst - meine Mutter kommt aus dem Norden, aber jetzt benutzt sie viele Wörter und Ausdrücke, die eindeutig aus dem mitteldeutschen Raum stammen. Aber auch immer mal wieder noch Ausdrücke aus dem norddeutschen Raum. Was ich sagen will: Da muss man ein gutes Mittelmaß finden und sehen, wo sich ihre Sprache anpassen würde und wo nicht. Aber du hast dir da ja offensichtlich schon sehr viele Gedanken gemacht und findest da ganz bestimmt eine gute Lösung. :jau:

Zur "echten" historischen Sprache muss ich dir aber auch echt Recht geben. Ich denke, dass man da einen guten Kompromiss eingehen muss, aber meiner Meinung nach zählt das durchaus, wenn ich die Sprache so wähle, dass sie so wirkt, wie gehobene Sprache damals gewirkt hätte, natürlich ohne Wörter, die es damals eindeutig noch nicht gegeben haben kann, wie zum Beispiel Wörter für Dinge, die es damals noch nicht gab. Ich habe mal ganz früher als Kritik für einen historischen Roman zurück bekommen, dass es die Person stört, wenn Texte 1890 spielen, aber nicht so geschrieben sind, wie man 1890 tatsächlich gesprochen hat - und dachte nur, dass ich alles, was ich aus der Epoche kenne, vom Schreibstil her relativ trocken und dröge fand. Das heißt nicht, dass ich das damals auch so empfunden hätte, meiner Meinung nach reicht es, wenn ich mir als Leser denken kann, was mit der Sprache gemeint ist, auch wenn Leute damals nicht wirklich so gesprochen haben.

Trippelschritt

Zitat von: Cailyn am 13. Mai 2016, 06:39:43

Hier noch einen Beispielsatz, wie der Unterschied der Sprachstile aussehen könnte:
Sprache A
Sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte, dass Percival ein Mensch war, dem man so wenig wie nur irgend möglich begegnen wollte.
Sprache B (rauer)
Sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte, dass Percival eine Mistratte war, der wir mit Vergnügen einen Strick um den Hals gebunden hätten.

Was meint ihr dazu?

Für mich spricht hier der Autor, der uns allerdings zeigt, wie das Fräulein denken könnte. Sinn macht für mich nur der zweite Satz, weil sie keine Schwierigkeiten haben dürfte, den Fall 1 zu formullieren. Aus all deinen Erklärungen (die ich im Zitat gelöscht habe), verstehe ich zwar, worauf du hinauswillst, aber ich befürchte, die Veränderung allein über die Sprache zu packen, wäre etwas kurz gegriffen. Die Sprache sollte aber in jedem Fall dazugehören.

Liebe Grüße
Trippelschritt