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Eine Figur schaffen, um sie sterben zu lassen

Begonnen von Sturmbluth, 10. Mai 2016, 18:22:09

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Sturmbluth

Hallo zusammen,

ich möchte in meinem Roman eine Figur sterben lassen, an der dem Leser etwas liegt. Ich will das machen, da mich das als Leser selbst packt, mich emotional anspricht. Ich denke da z.B. an Boromir im Herrn der Ringe.  :nöö:

Damit der Leser emotional angesprochen wird, muss er die Figur ersteinmal mögen. Was mich zum Knackpunkt bringt: ich scheue mich davor, eine Figur auszuarbeiten, ihr Leben einzuhauchen, ja, sie selbst zu mögen, nur um sie dann sterben zu lassen, sie gar nicht das Ende des Abenteuers erleben zu lassen.

Kennt ihr diese oder ähnliche Situationen?  ???

Shedzyala

Da sprichst du mir aus der Seele, ich fühle mich dabei auch immer unglaublich schlecht. In meiner Geschichte sterben mehrere Nebenfiguren, einige sind tiefer ausgearbeitet, die anderen lediglich ein Name. Und ich muss mich echt zwingen, dass auch einige der ausgearbeiteten unter den Toten sind, aber dann denke ich an ihre Geschichten und Ziele, all die vielen Gedanken zu ihrem Leben und ... na toll, jetzt fühle ich mich schlecht.
Kurzum, wie man das überwindet weiß ich nicht, aber ich fühle mit dir :knuddel:
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Aljana

Ich habe im Stern von Erui einen Helden erschaffen, den Geliebten, den König, späteren Ehemann der Protagonistin und ihn umgebracht. Die Dramaturgie hat es verlangt. Ich habe selbst geheult dabei. Es war notwendig.
Wenn du es nicht mit jedem deiner Charaktere machst sondern es überraschend kommt, dann arbeite ihn ruhig genau aus. Das wird gut.  :jau:

Araluen

Mit Maubel zusammen habe ich schon des öfteren Charaktere beseitigt, ob in unserer Serie oder im Rollenspiel. Es ist immer hart. Man gewinnt den Charakter ja lieb und kennt ihre Geschichte, die dann plötzlich beendet ist. Allerdings hatten wir nie einen Charakter gebaut, damit er stirbt - zumindest nicht als Team. Und ich als einzelner Autor nehme auch davon Abstand. Nicht, weil ich ein Problem damit habe, einen Charakter sterben zu lassen. Ich mag es nur nicht, wenn ein Charakter Mittel zum Zweck ist. Ich kreiere Charaktere, hauche ihnen Leben ein und erlebe mit ihnen die Geschichte, die ich schreibe (und auch wenn es anders klingt, ich plotte, wenn auch nicht zu 100%, und schreibe nicht aus dem Bauch heraus). Tja, und manchmal passiert es eben, dass dabei ein Charakter auf der Strecke bleibt. Es gibt dann immer einen bestimmten Zeitpunkt im Plot, wo es plötzlich Sinn macht und die einzige gefühlte Möglichkeit für den Charakter ist.
Was ich damit sagen will: Konstruiere nicht den Tod eines Charakters. Dann läufst du Gefahr, dass es genauso beim Leser ankommt - konstruiert. Erlebe den Tod deines Charakters. Wenn der Tod sich nicht automatisch ergibt und damit den Plot auf irgendeiner Ebene voran bringt, dann brauchst du ihn auch nicht.

Christopher

Ehrlich gesagt ging es ganz gut mit meinem bisher einzigen, vorausgeplanten Tod. Es hat mich nicht allzu schwer getroffen, da der Tod des Charakters von vornherein eingeplant war, aber das ist ja kein Grund, ihn nicht zu mögen. Im Gegenteil: Der Charakter sollte besonders gemocht werden, sonst ist sein Tod so ein Boromir-Tod ;)

Sei dir einfach von vornherein klar, dass der Charakter sterben wird, lass ihn aber auch genau so leben: Aus den vollen. Dann tut es auch weh und dann wird es auch wichtig.
Be brave, dont tryhard.

Arcor

Ich bin da bei Christopher. Ich finde auch, dass es bedeutend einfacher, eine Figur sterben zu lassen, wenn sie genau dafür in der Geschichte ist und ihr Tod ein wichtiges Rädchen im Konstrukt der Handlung ist. Ich kann sie ausschmücken, sie sympathisch machen, aber ich habe dabei immer den Hintergedanken, dass sie sterben wird. Das macht die Sache einfach.

Problematisch ist es, wenn es sich aus der Handlung plötzlich ergibt, dass eine Figur sterben soll/muss und man fassungslos vor den Trümmern steht und denkt: Der sollte aber eigentlich heiraten und zehn Kinder kriegen.  :gähn:
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Sturmbluth

Zitat von: Christopher am 10. Mai 2016, 18:42:50Der Charakter sollte besonders gemocht werden, sonst ist sein Tod so ein Boromir-Tod ;)
Hm, meinst du damit, dass Boromir ein unsympathischer Charakter war? Ich habe den geliebt und war voll fertig, als er gestorben ist...  :brüll:

Sturmbluth

Zitat von: Arcor am 10. Mai 2016, 18:52:26[...] eine Figur sterben zu lassen, wenn sie genau dafür in der Geschichte ist und ihr Tod ein wichtiges Rädchen im Konstrukt der Handlung ist.
Ich denke, du sprichst da einen wichtigen Punkt an: der Tod muss einen Sinn ergeben, oder die Handlung wenden. Der Tod muss bemerkt werden.

Aljana

Zitat von: Araluen am 10. Mai 2016, 18:35:58
Nicht, weil ich ein Problem damit habe, einen Charakter sterben zu lassen. Ich mag es nur nicht, wenn ein Charakter Mittel zum Zweck ist. Ich kreiere Charaktere, hauche ihnen Leben ein und erlebe mit ihnen die Geschichte, die ich schreibe (und auch wenn es anders klingt, ich plotte, wenn auch nicht zu 100%, und schreibe nicht aus dem Bauch heraus). Tja, und manchmal passiert es eben, dass dabei ein Charakter auf der Strecke bleibt.
:jau:

Ja, sowas kommt bei mir auch selten geplant. Aber wenn es passiert und wenn es sich in dem Moment des Schreibens richtig anfühlt, weil es einfach keinen Ausweg gibt, dann muss man dadurch. ;)

ZitatHm, meinst du damit, dass Boromir ein unsympathischer Charakter war? Ich habe den geliebt und war voll fertig, als er gestorben ist...  :brüll:
Ja, ich hab auch geheult. Aber nicht so sehr wie bei Frodos Tod.

Lothen

Waaaas, es gibt Leute, die lassen einfach so Charaktere sterben?  :o

Nein, okay, Scherz beiseite, ich mach das auch - ähm - manchmal. Ganz selten. *hüstel*

Ich kann deine Bedenken sehr gut verstehen, Sturmbluth, bei meinem aktuellen Werk hadere ich auch immer noch mit mir, ob ich eine Protagonistin sterben lasse oder nicht. Ich muss aber sagen, ich zelebriere auch die Trauer um den Tod - selbst bei mir, wenn ich schreibe. Ich genieße diesen Schauer, der einem über den Rücken läuft, wenn man von der Figur erzählt im Wissen, dass sie das Ende der Geschichte nicht mehr erlebt. Das klingt vielleicht makaber, aber diese Form der Emotion gehört für mich genauso zum Schreiben wie Freude oder Flow.

Zitat von: AraluenWas ich damit sagen will: Konstruiere nicht den Tod eines Charakters. Dann läufst du Gefahr, dass es genauso beim Leser ankommt - konstruiert. Erlebe den Tod deines Charakters. Wenn der Tod sich nicht automatisch ergibt und damit den Plot auf irgendeiner Ebene voran bringt, dann brauchst du ihn auch nicht.
Da gebe ich Araluen recht. Wer weiß, vielleicht macht deine Geschichte eine ungewohnte Wendung und plötzlich ergibt sich der Tod der Figur gar nicht? Ich würde einfach mal drauflos schreiben, den Charakter so entwickeln, wie jeden anderen auch, und dann wirst du schon sehen, wohin es dich führt.

Zitat von: ArcorProblematisch ist es, wenn es sich aus der Handlung plötzlich ergibt, dass eine Figur sterben soll/muss und man fassungslos vor den Trümmern steht und denkt: Der sollte aber eigentlich heiraten und zehn Kinder kriegen.  :gähn:
Ohja, das stimmt, so was erwischt mich auch immer eiskalt.  :seufz:

Sturmbluth

Zitat von: Lothen am 10. Mai 2016, 18:55:43Wer weiß, vielleicht macht deine Geschichte eine ungewohnte Wendung und plötzlich ergibt sich der Tod der Figur gar nicht? Ich würde einfach mal drauflos schreiben, den Charakter so entwickeln, wie jeden anderen auch, und dann wirst du schon sehen, wohin es dich führt.
Hm, ich habe ja echt noch nicht viel geschrieben, aber ich bin vom Typ her eher der, der die Geschichte vom Groben ins Feine durchplottet. D.h. wer wo wann was macht, steht vorher schon fest. Die Details, Dialoge, Umgebungen, etc. lasse ich dann während des Schreibprozesses herausfließen.

Christopher

Zitat von: Lothen am 10. Mai 2016, 18:55:43
Ich genieße diesen Schauer, der einem über den Rücken läuft, wenn man von der Figur erzählt im Wissen, dass sie das Ende der Geschichte nicht mehr erlebt. Das klingt vielleicht makaber, aber diese Form der Emotion gehört für mich genauso zum Schreiben wie Freude oder Flow.

Ein bisschen sadistisch war ich auch dabei. So nach dem Motto: "Sollte ich sie wirklich noch sympathischer machen, obwohl sie sterben wird? ... JA!  :darth: "

@Sturmbluth
Boromir war mir irgendwie völlig egal. Hat mich kein Stück getroffen, vermutlich hab ich damals (ich war ziemlich jung) seine Anwandlungen bezüglich das Rings als recht negativ aufgefasst und die Tiefe und Tragik die da mitspielt nicht wirklich erfassen können.
Be brave, dont tryhard.

Sternsaphir

Also Charaktertode sollten auf alle Fälle sinnvoll sein und nicht künstlich an den Haaren herbeigezogen werden. Also keine Quoten-Toter, nur weil sonst niemand stirbt.
Wenn es sich also richtig anfühlt, diese Person in der Geschichte sterben zu lassen, dann lass sie vorher ordentlich leben und agieren, damit der Tod einen Abschluss darstellt.

Ich tue mir auch schwer mit Charaktertoden. Meistens sind es eher zweitrangige Personen, die dann sterben. Der Leser lernt sie kennen, zwar nicht so richtig, aber gut genug, um sie als Teil der Geschichte wahrzunehmen.
Vielleicht mag ich Charaktertode nicht sonderlich, weil in Büchern und Filmen meist meine Lieblingscharaktere am Ende sterben.  Vielleicht schaffe ich dadurch einen Ausgleich, dass bei mir nicht soviele Protas dran glauben müssen.  :)

Churke

Ich glaube, zu den Schwierigkeiten kommt es dann, wenn man den Plot stark character-driven ausrichtet. Die Odyssee z.B. handelt von den Listen des Odysseus. Die dramatische Logik verbietet einfach, dass der Held stirbt.

Zitat von: Sturmbluth am 10. Mai 2016, 18:22:09
Damit der Leser emotional angesprochen wird, muss er die Figur ersteinmal mögen. Was mich zum Knackpunkt bringt: ich scheue mich davor, eine Figur auszuarbeiten, ihr Leben einzuhauchen, ja, sie selbst zu mögen, nur um sie dann sterben zu lassen, sie gar nicht das Ende des Abenteuers erleben zu lassen.

Lass die Figur ihre Rolle auf der Bühne spielen. Der tragische Tod gehört bei der plot-driven Schreibe zur Rolle. Und immer daran denken: Der Tod ist das ultimative Scheitern. Je stärker du den Leser an den Wünschen, Träumen und Hoffnungen der Figur teilhaben lässt, desto mehr wird der Leser diese Figur mögen und durch ihren Tod berührt werden. 

Maubel

Also, wie Araluen gesagt hatte, habe ich schon viele Figuren, darunter auch geliebte, das Zeitliche segnen lassen. Das gehört wie für Lothen für mich dazu und ist eine ganz wichtige Emotion. Bisher wusste ich von Figuren, dass sie sterben werden von Anfang an, aber ich habe nie eine Figur geplant, um sie sterben zu lassen. D.h. ich entwickel eine Figur und dann stelle ich fest, wo ihre Reise hingeht und manchmal muss er eben sterben, aber ich gehe eine Geschichte nicht an mit ich brauche eine Bezugsperson des Protagonisten, der dann dramatisch vor dem Ende stirbt, damit ich mich nicht von meinen eigentlichen Figuren lösen muss - Das tut (meist) nicht weh und ist leicht. Aber man läuft Gefahr, dass eben auch der Leser nicht davon berührt ist, weil man der Figur nicht alles gegeben hat und seine ganz großen Gefühle zurück gelassen hat - es würde sich ja nicht lohnen bei ihr.
Wenn jemand sterben soll, dann muss das wehtun (friedliches Entschlafen, das einer Erlösung gleich kommen soll, ausgenommen). Der Leser und die anderen Figuren haben etwas zu verlieren mit dem Verlust des Totgeweihten und sei es "nur" einen geliebten Menschen. Deshalb darf man da nicht zurück halten und das geht am Einfachsten, wenn man eine Figur sterben lässt, die mehr als nur diese Funktion hatte, die ein Leben hatte, Wünsche und Träume und das kann sich durchaus auch erst während des Schreibens ergeben.

Bei mir sterben, wie gesagt, häufig welche. Davon sind viele beim Plotten geplant, aber manchmal kommt es auch vor, dass ich erst beim Schreiben das Gefühl habe - oh oh, da kommt er jetzt nicht mehr raus. Diesen Moment fühlt man richtig und man fühlt sich durchaus etwas sadistisch, dass man da jetzt die Guillotine nutzt, aber häufig sind das die Momente, wo man auch beim Leser Gefühle weckt. Übrigens, habe ich auch schon öfter Charaktere begnadigt. Als ich an der Stelle ankam, passte es einfach nicht mehr und sie durften doch heiraten und zehn Kinder haben ;)

Bisher haben mich in der angesprochenen Serie übrigens nur zwei Charaktertode richtig mitgerissen, ich weiß aber definitiv, dass noch ein dritter dazu kommen wird - einer davon bringt mich bei jedem neuen Lesen zum Weinen, aber es ist ein gutes Weinen. Der zweite... hat festgestellt, dass er doch nicht so tot ist, wie gedacht ;) Irgendwie war er für die Geschichte noch wichtig, aber in dem Moment, da musste er sterben. Weiter leben war keine Option.