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Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt

Begonnen von Cailyn, 24. Februar 2016, 09:43:06

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Fianna

Für mich verliert Glokta ganz massiv durch dieses dauernde Gefrage an eigenständiger Persönlichkeit. Es hätte der Figur gut getan, etwas mehr sie selbst zu sein anstatt dass ein überängstlicher Autor/Verleger/Lektor jede Stimmung und Spannung zerstört, indem der Leser dauernd an Gloktas Zweifel erinnert wird.
Beim Lesen seines ersten Kapitels vom ersten Band habe ich das Buch zur Seite geschmissen und "Verdammt, ich hab kein ADHS!" in die Luft gebrüllt.

Churke

Zitat von: Feuertraum am 13. Juli 2016, 20:12:59
Auch das ist für mich nicht nachvollziehbar. Ein Plot ist ein Plot. Eine Figur, egal wie ausgearbeitet sie ist, ändert ihn nicht. Hel

Da möchte ich ganz entschieden widersprechen!
Häufig bilden Plot und Figuren eine Einheit, das lässt sich nicht trennen.
Sonntag brachte 3Sat den 2-Teiler "Der Untergang der Pamir". Der Film ist überwiegend frei erfunden. Die Drehbuchautoren legten ein 08/15*)-Schema über eine Katastrophe und trimmten den Plot auf billigen Mainstream. Damit korrespondierend steretope 08/15-Figuren: Der fesche 1. Offizier mit Charisma & Durchblick als Protagonist und der unsmypathische Käpten Vollpfosten als Antagonist. Irgendeiner muss die Pamir ja auf den Meeresgrund segeln. Und während das innerhalb des Plot-Schemas (Hallo, Schreibratgeber?) absolut konsequent ist, wirkt gerade der Käpten Vollpfosten rundheraus unglaubwürdig, geradezu lächerlich. Aber mit einem richtigen Käpten hätte der Plot nicht mehr funktioniert, da hätten sie sich was anderes einfallen lassen müssen.

*)Zur Schreibweise von 08/15: https://de.wikipedia.org/wiki/MG_08/15

Feuertraum

Zitat von: Churke am 13. Juli 2016, 21:34:30

Da möchte ich ganz entschieden widersprechen!
Häufig bilden Plot und Figuren eine Einheit, das lässt sich nicht trennen.
Sonntag brachte 3Sat den 2-Teiler "Der Untergang der Pamir". Der Film ist überwiegend frei erfunden. Die Drehbuchautoren legten ein 08/15*)-Schema über eine Katastrophe und trimmten den Plot auf billigen Mainstream. Damit korrespondierend steretope 08/15-Figuren: Der fesche 1. Offizier mit Charisma & Durchblick als Protagonist und der unsmypathische Käpten Vollpfosten als Antagonist. Irgendeiner muss die Pamir ja auf den Meeresgrund segeln. Und während das innerhalb des Plot-Schemas (Hallo, Schreibratgeber?) absolut konsequent ist, wirkt gerade der Käpten Vollpfosten rundheraus unglaubwürdig, geradezu lächerlich. Aber mit einem richtigen Käpten hätte der Plot nicht mehr funktioniert, da hätten sie sich was anderes einfallen lassen müssen.

Ich kenne den Film zwar nicht, aber was ändert das Austauschen der dumpfen Volltrottelkapitänfigur gegenüber einer cleveren Kapitänfigur am Plot? Eben: Nichts.

Ich weiß nicht, wo Sie wohnen, Churke, aber spielen wir einfach einmal mit dem Gedanken, Sie wohnen in einer Stadt, die 4 Stunden Bahnfahrt nach Hamburg verlangt. Dummerweise müssen Sie zu einem Gerichtstermin nach Hamburg. Sie lösen also ein Ticket, reservieren sich einen Sitzplatz und steigen in den Zug. Etwas später steigt ein etwa 52jähriger Geschäftsmann in den Zug, der zufällig den Platz neben Ihnen reserviert hat. Es gibt von beiden Personen ein knappes "Guten Tag", dann studieren Sie weiter in Ihren Akten den Fall betreffend, während der Geschäftsmann sich der Tageszeitung widmet.
Nach 4 Stunden heißt es "Hamburg Hauptbahnhof, der Zug endet hier."
So, und nun gehen wir noch mal zurück zum Anfang, tauschen jedoch den Geschäftsmann aus gegen eine Frau, die auf Sie einen sehr sympathischen Eindruck macht, die Sie sozusagen "gut riechen" können. Sie kommen ins Gespräch, es wird richtig entspannend, Sie berichten über Ihre Arbeit als Anwalt und erzählen von Ihren Kenntnissen über Waffen, sie berichtet über ihre Arbeit als Kindergärtnerin, dass sie gerne auf Mittelaltermärkte geht usw. usf.
Kurzum, die 4 Stunden vergehen wie im Flug, bis der Lokführer murmelt: "Hamburg Hauptbahnhof, der Zug endet hier."
Nur, wie kann das sein, wo Sie doch sagen, dass das Austauschen einer Figur etwas am Plot ändert. Rein theoretisch hätte es dann heißen müssen: "Willkommen in Rostock" oder Willkommen in Stuttgart" oder sowas in der Richtung.
Deswegen bleibe ich dabei: Das Austauschen einer Figur ändert nichts am Plot. Der Plot ist - je nach Genre - mehr oder minder immer gleich. Im Krimi passiert ein Verbrechen, der Kommissar befragt Leute, findet Spuren, die ihn wieder zu anderen Leuten führen, die ihm weitere Hinweise/Spuren geben etc. pp.
Im Actiongenre: Die bösen Buben begehen ein Verbrecher, Dolph Lundgren oder Steven Seagal oder Chuck Norris hauen und prügeln und schießen sich durch die Gegend, dass die Kunstblutindustrie ein dickes Plus in die Kassen bekommt. Natürlich ist da noch die obligatorische Verfolgungsjagd und die Bösen schnappen sich die Freundin des Actionhelden, um ihn schlußendlich dranzukriegen, was ihnen aber nie gelingt.
Ich könnte noch ein paar Beispiele mehr bringen, aber mein Bettchen ruft nach mir. Von daher nur kurz: Das Austauschen von Figuren ändert die Geschichte, verändert das Schreiben von Szenen, aber niemals den Plot.
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Araluen

Der Austausch zwischen Frau und Geschäftsmann hat den Plot schon verändert, ncht in seiner groben Sturktur, aber im Szenendetail. Unser Zugfahrer hat nicht nur vier Stunden auf ein Handy oder aus dem Fenster gestarrt, sondern sich unterhalten udn wer weiß, am Ende vielleicht sogar noch Nummern mit der Frau getauscht.
Große Plotstrukturen, der Makrokosmos quasi, ändern sich selten. Da ist eine Geschichte wie die andere im Grunde. Da gibt es im Grunde Baukastenprinzipien (Questreise, Held rettet die Welt, Sie muss sich zwischen zwei Love Interests entscheiden, etc.). Was eine Geschichte erst interessant macht, ist ihr Mikrokosmos, die Szenen und Handlungswendungen. Natürlich wissen wir schon am Anfang, dass Frodo am Ende den Ring zerstört (oder zumdinest, dass der Ring zerstört wird, denn sonst herrscht Sauron). Wir wissen auch, dass Held X am Ende das Artefakt finden und das Böse bannen wird. Wir wissen, dass Sie sich immer erst den Schnösel und dann den ehrlichen aber anfangs schurkisch gezeigten Typen nehmen wird. Wir wissen auch, dass der Komissar am Ende den Mörder schnappt. Was uns eigentlich interessiert sind die 200 bis 600 Seiten oder gern auch mehr dazwischen. Wie kommt es zu all dem? Was passiert genau? Und an diesem Mikrokosmos haben die Figuren einen großen Anteil.

Ich stimme Ihnen zu @Feuertraum, dass die Figur nicht alles ist in einer Geschichte. Aber sie ist genauso wichtig wie der Plot. Beides muss harmonieren, beides geht eine Einheit ein. Wenn ich also viel Wert auf einen guten Plot lege, dann sollte ich auch Wert auf gute Figuren legen. Ebenso verhält es isch anders herum. Mir nützt die faszinierenste Figur nichts, wenn ich keine vernünftige Geschichte mit ihr erzählen kann oder die Geschichte nicht zu ihr passt.
Bisher konnte ich auch zu jedem von Ihnen genannten Beispiel zu Figurschablonen (Conan der Barbar zum Beispiel) auch sagen: ja, ich weiß auch, warum mich das nie interessierte. ;)

Feuertraum

Zitat von: Araluen am 14. Juli 2016, 07:00:49
Große Plotstrukturen, der Makrokosmos quasi, ändern sich selten.
Da ist eine Geschichte wie die andere im Grunde. Da gibt es im Grunde Baukastenprinzipien (Questreise, Held rettet die Welt, Sie muss sich zwischen zwei Love Interests entscheiden, etc.).

Da bin ich mit Ihnen D`Àccord. Darum sage ich ja: Der Austausch von Figuren ändert nichts wirklich am Plot.

ZitatWas eine Geschichte erst interessant macht, ist ihr Mikrokosmos, die Szenen und Handlungswendungen. Natürlich wissen wir schon am Anfang, dass Frodo am Ende den Ring zerstört (oder zumdinest, dass der Ring zerstört wird, denn sonst herrscht Sauron). Wir wissen auch, dass Held X am Ende das Artefakt finden und das Böse bannen wird. Wir wissen, dass Sie sich immer erst den Schnösel und dann den ehrlichen aber anfangs schurkisch gezeigten Typen nehmen wird. Wir wissen auch, dass der Komissar am Ende den Mörder schnappt. Was uns eigentlich interessiert sind die 200 bis 600 Seiten oder gern auch mehr dazwischen. Wie kommt es zu all dem? Was passiert genau? Und an diesem Mikrokosmos haben die Figuren einen großen Anteil.

Auch da bin ich bei Ihnen, wobei ich das eben als die Geschichte selber bezeichne. Und ja, da kann natürlich der Austausch einer Figur schon einiges bewirken. An der Geschichte, an dem, was die Figur wie erlebt.

ZitatIch stimme Ihnen zu @Feuertraum, dass die Figur nicht alles ist in einer Geschichte. Aber sie ist genauso wichtig wie der Plot. Beides muss harmonieren, beides geht eine Einheit ein. Wenn ich also viel Wert auf einen guten Plot lege, dann sollte ich auch Wert auf gute Figuren legen. Ebenso verhält es isch anders herum. Mir nützt die faszinierenste Figur nichts, wenn ich keine vernünftige Geschichte mit ihr erzählen kann oder die Geschichte nicht zu ihr passt.

Auch in diesem Punkt bin ich mit Ihnen konform: Geschichte und Figur sollten Hand in Hand "zusammenarbeiten". Wogegen ich wettere ist die Behauptung, dass der Austausch einer Figur den Plot/den Makrokosmos vollkommen ändert. Und eben gegen die Behauptung, dass die Figur das allerwichtigste ist und die Geschichte nur belangloses Beiwerk, weil ja alles austauschbar und überhaupt schon mal irgendwann gelesen/gehört.

ZitatBisher konnte ich auch zu jedem von Ihnen genannten Beispiel zu Figurschablonen (Conan der Barbar zum Beispiel) auch sagen: ja, ich weiß auch, warum mich das nie interessierte. ;)

Dennoch ist Conan der Barbar Kult ...  ;)

Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Churke

Zitat von: Feuertraum am 14. Juli 2016, 00:00:45
Ich könnte noch ein paar Beispiele mehr bringen, aber mein Bettchen ruft nach mir. Von daher nur kurz: Das Austauschen von Figuren ändert die Geschichte, verändert das Schreiben von Szenen, aber niemals den Plot.

Sie haben in Ihrem Plot eine zufällige Figur durch eine andere zufällige Figur ersetzt. Daher bleibt der Austausch ohne Folgen.
Aber wenn der Plot lautet "Käpten Blödes Arschloch versenkt Viermastbark", dann funktioniert der Plot nicht mehr, wenn Sie das blöde Arschloch durch Käpten Jack Aubrey (Master & Commander) ersetzen. Das Schiff kann immer noch sinken, aber nicht mehr aus den selben Gründen.

Ich will Ihnen ein anderes Beispiel geben. Zuletzt las ich "Die Schlafwander", über den Ausbruch des 1. Weltkriegs. Kein Roman, aber der Autor befasst sich intensiv mit den handelnden Personen. Diese Leute sind teils recht bizarr, und wenn man auch nur eine von ihnen austauscht, wäre das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anderes gewesen. 

Snöblumma

Ich glaube, hier liegt ein grundsätzlich verschiedenes Verständnis von "Plot" vor. Mir kommt es so vor, Feuertraum, dass Sie damit die ganz grundlegende Struktur der Geschichte (A verliebt sich in B, Irrungen und Wirrungen, Happy End; Held findet Queste, zieht los und rettet die Welt; etc.) darunter verstehen. An dieser Grundstruktur, da bin ich ganz bei Ihnen, ändert die Figur nichts.

Aber ich glaube, an der konkreten Geschichte ändert die Figur sehr, sehr viel. Wie genau B auf die Irrungen und Wirrungen reagiert, die der böse Autor ihm auf dem Weg zum Happy End entgegen stellt, hängt ganz maßgeblich von der Figur ab. Nehmen wir Ihr Beispiel mit der Zugfahrt, und bleiben wir bei einem Romance Plot. Hindernis 1 wäre das Ende der Zugfahrt (sprich: man geht normalerweise wieder auseinander).  Eine schüchterne Figur würde vielleicht nie nach der Telefonnummer fragen, sondern vielleicht nur die Adresse des Arbeitgebers des Gegenübers versuchen, zu erspähen. Und dann vor dem Büro herumlungern, in der Hoffnung, den tollen Typen aus dem Zug wieder zu sehen. Eine andere Figur würde nach einem Date fragen. Man würde vielleicht unter einem Vorwand Business cards austauschen. Und und und. In dieser Situation hat eine Figur tausend Möglichkeiten, zu agieren, die von ihrer grundlegenden Charakterstruktur abhängig sind (und dieser Charakter kann eben mehr oder weniger Tiefe haben, eher gewöhnlich sein oder vollkommen ausgeflippt - aber er wird die Geschichte an diesem Punkt ganz maßgeblich prägen). Der grundlegende Plot (A verliebt sich in B, viele Hindernisse, Happy End) ändert sich nicht, auch die Grundstruktur einer Geschichte (3-Akt-Struktur, Turning Points) wird gleich bleiben - aber was konkret passiert, hängt maßgeblich vom Charakter der Figur ab.

Platt wäre für mich in dieser Situation, wenn A und B ganz langweilig Telefonnummern tauschen, doch zu Dates verabreden und nach zweihundert Seiten heiraten. Da fehlt es an Konflikt. Wenn aber A massiv schüchtern ist, niemals seine Telefonnummer einem Fremden geben würde und sich nicht traut, mehr als "Guten Tag"  zu sagen, und gleichzeitig B irgendwie Spaß daran hat, zu flirten, dann ist schon etwas mehr Leben in der Geschichte. Solche Charakterzüge müssen ja auch nicht immer das Ergebnis einer schlimmen Kindheit, Krankheit oder sonstiger Probleme sein - aber je mehr der Autor verstanden hat, warum seine Figuren handeln, wie sie es tun, umso glaubwürdiger wird die Geschichte. Wenn A und B nur Abziehbildchen sind und A die nette blonde Tussi ist und B der Geschäftsmann ohne Eigenschaften, wird es halt schwer, daraus eine Geschichte zu basteln, die über Blabla hinaus geht, meiner Meinung nach.

Mondfräulein

Zitat von: Feuertraum am 14. Juli 2016, 00:00:45
Ich kenne den Film zwar nicht, aber was ändert das Austauschen der dumpfen Volltrottelkapitänfigur gegenüber einer cleveren Kapitänfigur am Plot? Eben: Nichts.

Plot A: Der clevere Kapitän entdeckt beim Angriff durch das feindliche Schiff, dass die Mannschaft an Board eigentlich schon tot ist und weil er so klug ist, weiß er, dass man Untote mit Salz bekämpfen kann. Also stattet er seine Mannschaft mit Wasserpistolen aus und besiegt die feindliche Mannschaft ausgerechnet durch Meerwasser.

Plot B: Der Volltrottel-Kapitän versemmelt alles total, das Schiff geht unter und fünf Mitglieder der verbliebenen Mannschaft müssen sich auf einem kleinen Rettungsboot weiter durch den Ozean schlagen.

Ich glaube, der Knackpunkt ist: Wenn ich meinen Plot habe, bevor ich meine Figuren habe, dann suche ich meine Figuren natürlich so aus, dass der Plot mit ihnen funktioniert. Wenn ich eine Geschichte über eine taffe Auftragsmörderin schreiben will, die sich in einen ihrer Klienten verliebt und mit ihm die Herrschaft über ein Mafiaimperium an sich reißt, dann werde ich eine Figur erschaffen, die da irgendwie drauf passt und kein pazifistisches veganes Hippiemädchen, das nie jemandem ein Leid zufügen würde. Die Geschichte mit der Figur wäre eher die, wie sie überhaupt zur Auftragsmörderin wird. Aber nicht jeder Plot funktioniert mit jeder Figur.

Ich mache das anders herum. Ich habe oft die Figuren im Kopf, bevor ich den Plot habe, weil ich dazu neige, tolle Figuren zu entwerfen, aber nicht so tolle Plots. Da kommt es vor, dass ich eine Figur schon für drei verschiedene Plots vorgesehen hatte, bevor sie endlich den bekommt, der richtig gut ist. Dadurch kann ich meinen Figuren den Plot auf den Leib schneidern. Eine meiner Figuren muss lernen, selbst für sich Entscheidungen zu treffen und die nicht immer von anderen für sich treffen zu lassen, also gebe ich ihm Leute, die Entscheidungen für ihn treffen, die falsch und furchtbar sind, und am Ende die Gelegenheit und Notwendigkeit, für sich selbst eine Entscheidung zu treffen, die durchzusetzen und durchzuziehen. Darum webe ich meinen Fantasy-Plot herum. Aber so verändert jede Figur natürlich massiv den Plot. Ich schreibe eben sehr charakterfokussiert und da funktioniert es nicht anders, da kann ich den Plot nicht ohne den Protagonisten entwerfen. Und da fährt der Zug eben mit der einen Figur nach Hamburg und mit der anderen nach Stuttgart, weil die Figur der Zugführer ist.

Feuertraum

Danke @Snöblumma  :knuddel: Sie bringen genau das auf den Punkt, was ich die ganze Zeit zu vermitteln versuche: Ein Plot, das ist grundsätzlich die Grundstruktur. So habe ich es seinerzeit gelernt, und auch manche Bücher übers Plotten erklären es so.
Der Plot, das ist so etwas wie ein menschliches Skelett, dass erstmal nur so rumsteht, aber eben von Kopf bis Fuß die Struktur hat, wie man einen Menschen nun mal kennt.
Die Geschichte, dass ist sozusagen das, mit dem das Skelett aufgefüllt wird. Ob es blonde Haare und blaue Augen hat, ob der Rumpf kurz oder lang ist, schlank oder dick, ob die Haut weiß oder braun oder gelb ist, dass sind die Szenen, die die Geschichte ausmachen.

Ich sage ja auch, dass eine Figur und eine Geschichte zusammenpassen müssen. Natürlich gibt es Geschichten, da kann man eine Figur nicht so wirklich austauschen. Ein Moby Dick würde ohne einen Käpt`n Ahab nicht funktionieren. Ein Don Quichotte braucht diesen verklärten Romantiker, dessen Fantasie ihm immer wieder "Streiche" spielt. Fairerweise muss ich zugeben, ich bin mir nicht sicher, ob Gulliver aus Gullivers Reisen (ein Buch, das ich auch noch lesen will) austauschbar ist oder Philias Fogg aus "In 80 Tagen um die Welt", neige aber schon dazu, dass man auch andere, nicht zu extreme Figuren an deren Stelle setzen kann.
Es gibt auf jeden Fall Geschichten, da geht der Austausch, ohne dass jemanden ein Wechsel wirklich auffällt.

@ Churke: Wie gesagt, ich kenne nicht den "Untergang der Pamir", und auch mit dem Master & Commander kann ich nichts anfangen (ich habe es nicht so sehr mit dem maritimen).
Aber aufgrund Ihrer Schilderung behaupte ich weiterhin, der Austausch der Figuren ändert nichts am Plot, ändert nichts an der Struktur, fährt der Zug von Ihnen aus nach Hamburg. Durch die Sichtweise der Charaktere mag sich die Geschichte als solches ändern. Aber wenn ich Ihre Beschreibung richtig verstehe, geht es bei der Geschichte darum, dass die BösenTM das Schiff versenken wollen und dass das GuteTM dieses zu verhindern sucht. Und da ist es egal, welche Figur. Es kommt Aktion, Reaktion, auf die wieder eine Reaktion kommt usw.
Und so sehe ich es auch mit dem Buch "Schlafwandler": Der Austausch der Figur kann die Geschichte verändern. Aber der Plot, das von Szene zu Szene hopsen, die Aktion und Reaktion und Reaktion auf die Reaktion, dass dieses passiert, daran ändert der Austausch nichts.
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Trippelschritt

Interessant das zu lesen, denn für mich ist der Plot das, was die Figuren machen und wann und wo sie es machen. Vielleicht nicht alles davon, aber zumindest das, was mit dem Ziel oder dem innersten Kern der Geschichte zu tun hat. Auch diese Ansicht wird gelehrt. Zumindest von denen, die der Meinung sind, dass Plot und Figuren eine Einheit bilden. Die ganze Schneeflockenmethode lebt davon. Kein Wunder also, dass machmal etwas an einender vorbei geredet wird. Aber das macht nichts, solange man zurück zum Problem findet.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Wolkentänzerin

Ich denke, meine Frage bzw. meine Problematik, die eher allgemein gehalten ist, passt ganz gut in dieses Thema, damit ich kein neues eröffnen muss. Falls dies nicht so ist, korrigiert mich bitte!
In vielen Romanen sterben oder verschwinden schon zu Beginn Nebencharaktere mit welchen der Prota eine sehr gute Verbindung hat/hatte, sei es ein Familienmitglied oder der beste Freund. Ich las vor kurzem ein Buch, wo mir wieder aufgefallen ist, wie schwierig es dann ist, den Verlust der Prota als Leser mitzuempfinden. Wir kennen die Person, um welche getrauert wird, ja kaum. Sie kommt oft nur wenige Szenen lang vor, man kann sie schwer kennen lernen. Wie könnte man es schaffen, diesen Nebencharakter in kurzer Zeit so darzustellen, dass er nicht langweilig, platt oder 08/15 klingt?
Natürlich wird man ihn nie so gut kennen, wie den Prota, doch mir wäre es sehr wichtig, dass man schon zu Beginn durch die ersten zwei Kapitel die beste Freundin der Prota kennen lernt, um somit einiges über sie zu wissen und sie vielleicht als Leser auch "mit zu vermissen", auch wenn sie später ausführlicher wiederkehren wird.
Wie macht ihr das? Habt ihr da irgendwelche Tipps, möglichst schnell die wichtigste Facetten der Persönlichkeit aufzuzeigen?

KaPunkt

Wie das geht, weiß ich auch nicht. Ich kann dir aber zwei Beispiele geben, bei denen es bei mir hervorragend funktioniert hat. Früher Tod von Figuren und KaPunkt kann vor lauter Heulen kaum umblättern:
Ein todsicherer Job von Chrisopher Moore
Eine Insel von Terry Pratchett

Vielleicht kannst du daran Feldstudien betreiben.

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Lothen

Ich erinnere mich auch düster, dass wir da mal einen Thread dazu hatten ...  :buch:

Ahh, genau, hier isser: http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,19045.0.html

Vielleicht findest du da ja noch ein paar Anregungen für dein Problem, Wolkentänzerin?

Siara

#103
@Wolkentänzerin: Auf solche Situationen habe ich in anderen Romanen eine Weile geachtet, weil ich mir dieselbe Frage gestellt habe. Oft scheint es zu funktionieren, die Figur tatsächlich nach einem 0815-Schema aufzubauen und dann aktiv damit zu brechen. Beispiel: Der erfolgreichere ältere Bruder, der genervt vom kleinen Geschwisterkind ist und sich überlegen aufführt. Schubst man ihn in eine Situation, in der er versagt und plötzlich seine tiefen Selbstzweifel ans Licht kommen, hat man sich vom Stereotyp bereits losgesagt. Allgemein würde ich immer auf leidenschaftliche Momente zurückgreifen, wenn es darum geht, schnell Identifikationspotential oder Mitgefühl aufzubauen. Tiefste Trauer, brennende Herzenswünsche, etc. Das muss natürlich keine an den Haaren herbeigezogene und konstruierte Situation sein. Anderes Beispiel: Der Leser kennt die beste Freundin seit drei Seiten. Sie ist nett, dann stirbt sie. Das reicht vermutlich nicht für ein starkes Verlustgefühl. Anderes Szenario: Der Leser kennt die Freundin seit drei Seiten, die sie damit verbracht hat, mit Feuereifer an einem wunderschönen Gemälde zu arbeiten, an dem sie schon seit Monaten sitzt. In drei Wochen wird sie endlich von der normalen Schule auf die Kunstakademie wechseln, ein Traum, den sie seit ihrer frühesten Kindheit verfolgt. Es sei denn, ihr stößt zuvor etwas Unvorhergesehenes zu ...

Man darf Charaktere nicht ausschließlich in ihren Rollen sehen, denke ich. Es ist nicht in erster Linie "die beste Freundin", sondern ein Mensch mit eigenen Vorstellungen der Zukunft, mit Hoffnungen und Ängsten. Und an genau denen muss man meiner Meinung nach ansetzen, will man Sympathien schaffen.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Maubel

Ich möchte zu KaPunkts Liste noch die Mangas von Mitsuru Adachi hinzufügen  - noch alter klassischer Stil und viele Sportmangas, aber der Kerl schafft es jedes Mal. In jedem seiner Werke stirbt eine Figur, häufig auch sehr früh und das kann die absolute Nebenfigur sein, ich komme aus dem Heulen nicht raus. Ich sag nur als Beispiel - der Manga geht um Baseball und die Mutter der Freundin stirbt (also Nebencharakter hoch drei) und das geht so an die Nieren. Der Grund dafür ist, wie es die Hauptcharaktere mitnimmt. Die kennt man nämlich und die Tragen diese Last dann teilweise für den Rest der Geschichte rum und durch sie finde ich kann man diesen Schmerz auch für den eigentlich relativ unbekannten, teils sogar stereotypen Nebencharakter mitempfinden. Das wäre damit auch gleich mein Tip - gehe sicher, dass der zu sterbende Charakter eine starke Beziehung zu den überlebenden Charakteren hat und sein Verlust wirklich ein Loch reißt.