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Motivation oder der Kampf gegen Zahlen

Begonnen von Nebeldiener, 22. Dezember 2014, 18:49:14

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Nebeldiener

(Ich habe die Suche bemüht und nichts Spezifisches gefunden, aber falls schon so etwas existieren sollte, bitte verschieben)

Ich habe mir gerade die Beiträge zum T-12 2015 durchgelesen und dabei ist mir eine Frage aufgekommen, die mich nun seither beschäftigt. Einige haben geschrieben, dass sie den Druck und dieses Wörter-Ziel brauchen, damit sie Motivation zum Schreiben haben (ich würde mich auch zu dieser Gruppe zählen) und andere haben gesagt, dass sie genau dies nicht wollen. Sie wollen nicht Wörter zu Papier bringen, sondern Geschichten.

Nun zu meinen Fragen:
1. Gehört ihr zu der Gruppe »Nur noch 2'000, dann habe ich 20'000 geknackt«, oder zur Gruppe »Ich will nur noch diese Kussszene fertig schreiben, dann höre ich auf«?
2. Glaubt ihr, dass Schreiben nach Zahlen die Geschichte negativ beeinflusst? Kann man sich zu stark auf Zahlen konzentrieren und so den Kern des Schreibens aus den Augen verlieren?


Nun zu mir:
1. Ich habe beides. Schreibe ich aktiv an einer Geschichte (wenn das irgendwann vorkommt), brauche ich ein Wörter-Ziel (pro Tag / pro Woche), weil ich sonst vielleicht zwei Tage ganz gut schreiben würde, spätestens aber nach einer Woche mein Schreiben wieder beiseitelegen würde. Schreibe ich aber eine neue Idee auf, bin ich erst vom Computer wegzukriegen, wenn diese Idee zu Papier gebracht wurde, egal wie lange es dauert oder wie viele Wörter ich geschrieben habe.

2. Ich weiss, dass ich es brauche, um irgendetwas zu Papier zu bringen, ich habe mich aber auch schon dabei erwischt, wie ich jede Minute überprüft hatte, wie viel neue Wörter ich jetzt wieder geschrieben habe und wie viele ich noch schreiben muss, um mein Ziel zu erreichen. Im Nachhinein denke ich dann immer, ob es der Geschichte nicht besser getan hätte, wenn ich abgebrochen hätte und später weitergeschrieben hätte, auch wenn ich so mein Ziel nicht erreicht hätte. Wirklich sagen, kann ich es aber nicht.

Wie seht ihr das?

Fynja

#1
Das ist wirklich ein leidiges Thema hier, wage ich mal zu mutmaßen. Gerade im Nano und im T12 haben wir wirklich schon oft erlebt, wie motivierend, aber auch wie demotivierend Wörterzählen sein kann. Ich beantworte mal deine beiden Fragen und schmeiß dann einfach noch einige andere Gedanken hinterher.

1. Das kommt auf die Situation an und auf das Ziel, das ich mir setze. Im Nano erlebe ich immer wieder diesen Höhenflug, wenn die Wörter nur so purzeln und setze mir dann meistens auch eher Wörterziele, bei denen ich mir nachher zusätzlich sagen kann: "Genial, so viele Szenen sind es geworden!". Aber richtig freuen über viele Wörter kann ich mich nur dann, wenn mir das Geschriebene gefällt. Außerhalb des Nanos setze ich mir meistens solche inhaltlichen Ziele, dass ich mir beispielsweise sage "Diese Woche schreibst du jeden Tag eine Szene", allerdings bin ich dann schon so daran gewöhnt, Wörter zu zählen, dass im Hinterkopf das Wortzahlziel hinzukommt und ich kurz überschlage, wie viele Wörter durchschnittlich bei meinen Szenen/ Kapiteln rumkommen und wie weit ich dann bin ... Ich glaub, die Wortzahl brauche ich einfach, um den Fortschritt der Geschichte zu sehen, um das Gefühl zu haben, produktiv zu sein, aber ein Wortziel allein zu knacken reicht mir dann doch nicht.

2. Ja, kann man definitiv. Ich muss da selbst aufpassen, die Balance zu wahren. Das Schreiben nach Zahlen kann meine Geschichte sowohl positiv wie auch negativ beeinflussen, beides ist schon mal vorgenommen. Und für beides ziehe ich mal wieder den Nano als Beispiel heran: Ohne die Wortzahl-Battles und die Fixierung auf die Quantität wären bei mir schöne Szenen oder gute Wendungen gar nicht entstanden, weil es mir nur dann gelingt, meinem inneren Zensor das Maul zu stopfen, wenn ich explizit nur auf die Quantität achte. Dann kann ich freier schreiben und habe auch das Gefühl, kreativer zu sein, weil mich nichts ausbremst. Manchmal habe ich nur wegen eines Wortziels überhaupt geschrieben, und ich wage mal zu behaupten, dass "irgendetwas" zu Papier bringen immer noch besser ist als nichts, nur so hat man etwas, womit man nachher arbeiten kann.
Aber ja, auch die negativen Seiten gibt es. Im Nano 2010 habe ich, nachdem ich die 50k geknackt habe, nochmal einen Endspurt von 20k hingelegt. Das Schreiben hat mir nicht wirklich Spaß gemacht und die Wörter wurden eigentlich wirklich nur der Zahlen wegen geschrieben und nachher allesamt gelöscht.

Und hier meine unstrukturierten weiteren Gedanken dazu:
Es gibt positiven und negativen Stress (Ich glaube, Eustress beziehungsweise Distress waren die Fachbegriffe dazu). Den positiven Eustress brauche ich, um überhaupt etwas zu tun. Leider kann dieser, wenn man sich zu sehr darin reinsteigert, leicht in Distress ausarten, dann bin ich entweder produktiv und unglücklich oder breche zusammen und blockiere total. Das betrifft nicht nur das Schreiben, lässt sich aber sehr gut darauf beziehen, und wie so oft im Leben ist es nicht einfach, die Balance zu wahren. Ich habe irgendwann in diesem Jahr vorgenommen, das mit den Battles und dem Wörterzählen sein zu lassen, weil der Distress ausgeartet ist. Danach war ich zwar entspannter, aber absolut unproduktiv. Irgendeinen Druck brauche ich also. Aber es ist sehr wichtig, mich zügeln zu können, um solch einen Zusammenbruch zu verhindern, weil ich oftmals erst merke, dass ich mich hineinsteigere, wenn es zu spät ist. Mäßige Wortzahlen regelmäßig zu schreiben fällt mir (noch) schwer, ist aber mein Ziel. Unregelmäßige Wortsprints hinlegen kann ich zwar, aber langfristig bringt mir das Distress und über das Jahr gesehen weniger Wörter, als wenn ich es schaffen würde, mir endlich Disziplin anzueignen. Ich bin auch überzeugt davon, dass dies meinen Geschichten selbst mehr bringen würde, und das war der Hauptgrund, weshalb ich mich zum Beispiel für den T12 entschieden habe.

Ayeelah

Hi Nebeldiener,

interessantes Thema.  :)


Zu deinen Fragen:

1. Weder noch.   ;D

1a. Mit Wortzähler kann ich nicht arbeiten, das frustriert mich einfach nur.

Ich schiele auf den Counter und lasse schon mal Murks stehen, den ich normalerweise bereits beim Schreiben wieder ausradieren würde.
Durch den Murks habe ich das (vollkommen richtige) Gefühl, mich selbst zu betrügen.
Die Lust an der Geschichte verfliegt immer mehr.
Ich komme immer mehr in Verzug zu den angepeilten Zahlen.
Letzteres wiederum frustet zusätzlich.
Irgendwann versuche ich eine wilde Aufholjagd, die ich aber kurz vor Erreichen des Ziels aufgebe, weil ich inzwischen gänzlich die Lust an der Geschichte verloren habe.

1b. "Nur noch diese Szene zu Ende schreiben?" Nein, das klappt bei mir auch nicht, weil ich meine Geschichte als eine Art Lebewesen wahrnehme, das kann ich doch nicht in Scheiben schneiden. Spaß beiseite, aber ich denke wirklich nicht in Szenen. :rofl:
Wenn ich im "flow" bin, schreibe ich, und sobald er nachlässt, sollte ich besser aufhören. Das führt dann durchaus dazu, dass ich mitten in der Szene denke: "Keine Ahnung, wohin ich jetzt damit wirklich will, ich muss noch mal drüber nachdenken, ich stoppe einfach mal mittendrin."
Was oft dazu führte, dass ich an die angefangene Szene nicht so recht heranwollte und die Geschichte dann irgendwann in meine "Staubecke" geschoben habe.
Aber eine Szene auf Gedeih und Verderb zu Ende krampfen brachte auch keinen Erfolg.
Denn das war sie dann meist auch: Krampfig. Und ein nahezu garantierter Spaßkiller.

1c. Ohne Druck passierte bei mir allerdings: Null. Kein Druck - kein Output. Druck - ungenügender Output. Dilemma ...
Meine persönliche Lösung bestand darin, mich eines alten Tipps zu entsinnen: Schreiben nach Zeit. Ich habe für mich vorgenommen, jede Woche mindestens zwei, besser drei, noch viel besser noch viel mehr Stunden zu schreiben. Ich gebe zu, es klappt nicht immer, aber es wird besser. Denn ich weiß, dass ich mir drei Stunden freigeschaufelt habe, ich habe diese Zeit definitiv zum Schreiben zur Verfügung. Wenn ich sie nicht nutze, bin ich eben voll plöt und so. :brüll:
Und es klappt immer besser: Ich stelle mir meine Eieruhr, auf eine halbe Stunde meistens, und öffne das Dokument. Ob ich mich erst mal reinfuchse oder gleich losschreibe, ob ich plotte oder mir nur die Haare raufe, kürze oder überarbeite - alles ist in dieser halben Stunde möglich (soweit es mit Schreiben zu tun hat).
Der "Respekt" vor dem Klingeln nötigt mich nahezu, meine Konzentration auf das Schreiben zu richten, denn diese paar Minuten sind wertvoll und viel zu schnell vorbei und ich muss sie unbedingt nutz... Time out!  :seufz:
(Na gut, den angefangenen Satz bringe ich immer noch zu Ende. Und wenn der "Flow" brüllt, hänge ich, wenn möglich, noch eine halbe Stunde ran. :vibes:)
Ohne das Zeitlimit hätte ich das Schreiben vor einigen Monaten endgültig an den Nagel gehängt, und da bin ich mir so sicher, wie ich mir sein kann.
Also denke ich, habe ich meine Motivation gefunden. Ich muss sie jetzt nur noch zu Selbstverständlichkeit machen.  :wolke:

Mein Fazit:
Schreiben nach Zahlen hängt meinen Fokus zu stark weg von der Geschichte hin zu toten Zahlen.
Schreiben nach fertiger Szene krampft im schlimmsten Fall etwas aus mir heraus, das noch nicht bereit für die Tasten ist.
Ein festes Zeitfenster, in dem nur noch das Schreiben gilt, hilft mir, mich zu fokussieren, ohne wenn und aber, und mit eher geringem Druck. So kann ich mich ganz in die Geschichte fallen lassen. Ob die Qualität meiner Schreiberei dadurch besser wird, kann ich allerdings nicht beurteilen.
:versteck:



2. Ich schätze mal, das kommt auf den Schreiber drauf an.
Wer nach Zahlen gut arbeiten kann und sich damit motiviert, der kann bestimmt bei "Schreiben nach Zahlen" gute Geschichten entstehen lassen. Vorausgesetzt, nach dem "SnZ" findet er die Motiviation, ohne Zähler-Motivation die Geschichte zu überarbeiten und den Feinschliff durchzuziehen.
Wen das "SnZ" nicht motiviert, wird wahrscheinlich Gefahr laufen, dass die Geschichte unter dem negativen Stress leidet.
Danke für das Stichwort "positiver und negativer Stress", Fynja.  :)
An dieser Stelle fasse ich mich kurz und stimme vorbehaltlos der Antwort von Fynja zu.


Meine two Cents.

Liebe Grüße,
Ayeelah

Guddy

#3
1. Zweiteres. Ersteres ist mir nur sekundär wichtig.

2. Definitiv kann es so sein. Muss es aber nicht zwingend.


Ich brauche den Druck, um kreativ zu werden. Brauche eine Abgabefrist oder jemanden, der mir im Nacken sitzt, um das Produkt dann püntlich drei Minuten vor Deadline fertig zu haben. Daher könnte ich niemals schreiben, zeichnen, Videos erstellen oder bloggen, wenn niemand da ist, der mich bei Nichteinhalten rüffeln könnte. Darunter zählen hier im Forum zB. die Paten. Ohne Paten kann ich nicht schreiben. Ist leider so. Dann würde ich mir die Ideen und Geschichten cineastisch im Kopf erzählen und vorstellen und gut ist.

Tagesziele was Wörterzahlen angeht sind etwas anderes für mich. Es ist mir relativ egal, ob ich in den roten Zahlen bin oder nicht. Ich habe auch im Nano nur dann und das geschrieben, worauf ich Bock hatte. Aber ich habe geschrieben - weil es die täglichen Schnipsel gab, die mancher ja regelmäßig gelesen hat. Erst am Ende des Nanos hatte ich einen Schub, an dem ich innerhalb von zwei Tagen, ich glaube, 20000 Wörter geschrieben habe? Kann das sein? Auf jeden Fall sehr viel. Warum? Weil ich mir selber im Nacken saß und mir selber beweisen wollte, dass ich überhaupt schreiben kann.

Also nein: Den Druck von Zahlen brauche ich nicht. Ich brauche den Druck generell, am besten von Personen. Nur um der Zahlen Willen möchte ich nicht schreiben. Beim Nano habe ich viel und schnell geschrieben und da das, finde ich, zu Lasten meines Stils ging, habe ich beschlossen, dass ich keine Sklavin der Wortzahlen bin.
(Frei nach meinem Lateinlehrer: "Wir sind keine Sklaven des Gongs!  "  Hach ja ;D

Edit: Beim Tino mache ich trotzdem mit. Eine kleine Challenge kann nicht schaden und das Wortziel ist ja ziemlich moderat und deckt sich ziemlich mit dem, was ich de Paten gesagt habe: Hey, ich schicke euch dann einmal die Woche X Seiten
Zack, hübsch kombiniert  :vibes:

Demm Helder

1. Gehört ihr zu der Gruppe »Nur noch 2'000, dann habe ich 20'000 geknackt«, oder zur Gruppe »Ich will nur noch diese Kussszene fertig schreiben, dann höre ich auf«?
Ich glaube ich gehöre ein wenig zu beiden Gruppen. Zum einen habe ich mich aufgrund meiner echt knappen Zeit dazu verpflichtet 600 Worte am Tag zu schreiben. Mit dieser Pflicht kann ich leben, ohne diese Disziplin würde es nicht funktionieren. Und zum anderen wenn es läuft dann läuft es, oder auch nicht.

2. Glaubt ihr, dass Schreiben nach Zahlen die Geschichte negativ beeinflusst? Kann man sich zu stark auf Zahlen konzentrieren und so den Kern des Schreibens aus den Augen verlieren? 
Wie schon gesagt, wenn es läuft dann läuft es, oder auch nicht. Wenn ich versuche es zu zwingen wird es nichts, dann leidet die Qualität.

Nebeldiener

#5
@Fynja
Ich kann dir beim positiven und negativen Stress vollkommen zustimmen. Ich brauche Stress, damit ich etwas leiste (blöderweise muss der Stress aber von einer anderen Person ausgehen). Das der Grad dazwischen klein ist, habe ich selber gemerkt, denn letztens ist mir aufgefallen, dass ich nur noch geschrieben habe, weil ich mein Wortziel vor Augen hatte und nicht, weil ich die Geschichte voranbringen wollte.

@Ayeelah
Deine Methode klingt interessant. Vielleicht sollte ich auch mal versuchen von den Zahlen wegzukommen und die nach der Pomodoro Methode zu schreiben :jau:

Sternsaphir

1. Da ich mein Schreiben in meine alltäglichen Aufgaben "hineinquetschen" muss, kann ich mir kein festes Ziel im eigentlichen Sinne setzen. Ich schreibe, wenn ich das nötige Gefühl dafür habe und die Zeit da ist. Und wenn eine abschließende Szene partout nicht will, dann mache ich morgen weiter.
Wörter zähle ich nur, um mich zu motivieren und einen Überblick zu haben, wieviel ich schon geschafft habe. ("Schon wieder 500 mehr!"  :vibes:)


2. Mich interessieren Zahlen eigentlich gar nicht. Ob meine Geschichte nun 1000 oder 10000000 Wörter hat, ist vollkommen egal. Es gibt auch schlechte Wälzer und gute Kurzgeschichten. Wichtig ist die Geschichte.
Die Zahlen dienen mir allerhöchstens zur Orientierung, wenn ich zu sehr ausschweife oder ein Kapitel etwas zu kurz halte.

Klecks

Zitat1. Gehört ihr zu der Gruppe »Nur noch 2'000, dann habe ich 20'000 geknackt«, oder zur Gruppe »Ich will nur noch diese Kussszene fertig schreiben, dann höre ich auf«?

Ich kenne beides. Im NaNo habe ich mittendrin aufgehört im Satz, wenn ich meine gesetzte Zahl erreicht hatte, aber NaNo ist auch nochmal was anderes. Außerhalb des NaNos gilt immer: Zahlen sind für mich zweitrangig, auch wenn man das angesichts meiner trotzdem vorhandenen, sehr großen Fixiertheit darauf, wie viele Wörter ich geschrieben habe, nicht denken würde. Und ja, ich spreche dauernd in Zahlen über mein Schreiben, deshalb kommt das für manche vielleicht überraschend. Aber: Schreiben ist neben Kunst und Spaß auch ein Handwerk, das gelernt und vor allem geübt werden will und muss. Ich sehe es also als ständigen Fortschritt, ständige Übung und ständige Möglichkeit zum Verbessern meines eigenen Schreibens, darauf zu achten, wie viel ich schreibe. Jede einzelne Szene, die ich schreibe, ist letzten Endes ein Fortschritt, eine Übung - und eben vielleicht sogar eine Verbesserung meines bisherigen Schreibens. Ich orientiere mich also oft an Ersterem, aber wenn ich versunken bin in dem, was ich schreibe, vergesse ich die Zahlen und denke natürlich weniger an sie, sondern höre entweder nach einer besonders schwierigen Stelle auf, um mich stolz erholen zu können, oder hebe mir eine besonders schöne Szene, auf die ich mich freue, für ein andermal auf.

Zitat2. Glaubt ihr, dass Schreiben nach Zahlen die Geschichte negativ beeinflusst?

Eine negative Beeinflussung ist bei mir absolut nicht eingetreten, ganz und gar im Gegenteil. Ich habe durch das Vielschreiben und das Achten auf meine Wortzahlen sehr, sehr viel dazu gelernt und mich weiter entwickelt. Deshalb bin ich der Meinung, dass es meine Geschichten und mein Schreiben positiv beeinfluss hat.

ZitatKann man sich zu stark auf Zahlen konzentrieren und so den Kern des Schreibens aus den Augen verlieren?

Die Kunst, die ich beim Schreiben mit Zahlenzielen sehe, ist Folgende: Es hinzubekommen, von dem gesetzten Ziel zu profitieren. Beim zahlenorientierten Schreiben verliere ich persönlich nichts aus den Augen, sondern - wieder - ganz und gar im Gegenteil. Ich bin mir meiner Worte und meiner Geschichte umso mehr bewusst. Davon haben meine Texte bisher profitiert, soweit ich das einschätzen kann. Jedenfalls bin ich mit 500.000 Wörtern an den T12 2014 herangegangen, werde ihn wohl knapp schaffen und habe noch nie so viel und so mich-zufrieden-stellend geschrieben wie in diesem letzten Jahr, mit kürzeren Phasen (zum Beispiel dem NaNo) als Ausnahme. Ich habe also eher etwas Neues am Schreiben gefunden und herausgefunden, zu was ich fähig bin, als etwas aus den Augen zu verlieren.  :D

Leann

Das Wörterzählen brauche ich, um überhaupt zu schreiben. Ich muss jedes Mal eine sehr große Starthemmung überwinden (immer noch, obwohl sie manchmal etwas schwächer ist). Darum passen die Fragen bei mir nur bedingt.

1. Wenn ich erst mal schreibe, dann denke ich an die Szene. Das Problem ist, anzufangen. Wenn ich mir vornehmen würde, eine Kuss-Szene zu schreiben, würde ich das nicht schaffen, denn ich weiß, dass ich überhaupt nicht dazu in der Lage bin, Kuss-Szenen zu verfassen, die auch nur halbwegs lesbar sind (das gleiche gilt übrigens für jede Art Szene). Das ist natürlich Quatsch. Aber so denke ich meistens, wenn ich anfangen will zu schreiben. Nicht immer so explizit, aber es führt im Unterbewusstsein zur Schreibhemmung. Also nehme ich mir vor: Ich schreibe 2000 Wörter, egal was, egal wie, Hauptsache geschrieben. Es muss nicht gut sein, es darf ruhig so richtig mies sein. Und dann schreibe ich! Während des Schreibens vergesse ich die Wortzahlen. Oft auch das Essen, Trinken und den Toilettengang. Darum bin ich auch kein guter Chatbattlepartner, da ich immer vergesse, dass ich zwischendurch mal Zahlen durchgeben sollte.

2. Bei mir ist das nicht so. Ohne Zahlen gäbe es überhaupt keine Geschichte.

Wortzahlen haben noch eine andere Bedeutung für mich. Ich neige dazu, meine Leistungen zu vergessen und mir nur die Phasen zu merken, in denen ich nichts geschrieben habe, obwohl sie im Verhältnis zu den Schreibphasen eher kurz waren. Dieses Jahr hätte ich zum Beispiel spontan behauptet, kaum etwas geschrieben zu haben und mich schlecht gefühlt. Die gezählten Wörter zeigen, dass ich doch ganz schön was geschafft habe. Sie sind der handfeste Beweis für eine Leistung. Sie sagen zwar nichts über die Qualität des Geschriebenen aus, aber wenn ich die Zahl vor mir sehe fällt mir auch wieder ein, dass doch auch viele gute Texte dabei waren, mit denen ich zufrieden bin. 

Sunflower

Zu 1.: Das Kampfschreiben und ich haben seit diesem T12 eine seeehr gespaltene Beziehung. Jetzt im T12 hatte ich definitiv das Gefühl, dass mir die ständige Wortzählerei schadet, dass sie vor allem der Qualität meiner Plots schadet. Weil ich einfach nicht die Zeit hatte, alle Ideen sorgfältig durchzuplotten, wie ich es so gern mache. Deshalb (und weil ich das Geschriebene überarbeiten muss) gibt es für mich vorerst mal keinen T12 mehr.
Aber wenn ich einen Plot habe, einen sorgfältigen, dann kann mir ein Monat Kampfschreiben - wie der Nano - ziemlich helfen. Ich schreibe schrecklich gern, aber ich bin auch ziemlich faul und wenn mir niemand im Nacken sitzt, dann tue ich einfach gar nichts. Naja, meistens jedenfalls. Manchmal versperren mir die roten Zahlen auch die Lust am Schreiben, das habe ich jetzt am Ende des Nanos gemerkt. Kaum, dass ich die 50k hatte, habe ich viel schneller und auch befreiter geschrieben als vorher. Andererseits hätte ich ohne den Nano garantiert nicht 56k im November geschrieben. Schon, weil ich eigentlich gar nicht die Zeit dazu hatte - für den Nano habe ich sie mir dann eben genommen. Von meinen Schlafzeiten z.B., was ich ohne den Nano nicht gemacht hätte.
So richtig sicher bin ich mir noch nicht, ob das Kampfschreiben jetzt eher gut oder schlecht für mich ist. Das werde ich 2015 mal sehen, wie es ohne den T12 läuft. Den Nano werde ich wie immer mitschreiben, weil ich ihn liebe.
Zu der "nur noch diese Szene"-Fraktion gehöre ich auch ... so halb. Wenn ich erst einmal schreibe, dann will ich im Normalfall dieses oder jenes Kapitel auch noch zu Ende schreiben, oder diese Szene, weil ich dann den Fortschritt in Scrivener eintrage und mich freue :D Aber ich setze mich damit nicht so unter Druck wie mit Wortzahlen.

2. habe ich jetzt zwar in 1. schon teilweise beantwortet, aber ...: Es gibt solche und solche. Nicht bei jedem schadet das Kampfschreiben der Qualität, bei mir aber definitiv. Meine Plots brauchen Zeit, ich brauche Zeit, weil ich sonst nur Murks schreibe und wieder vor der Auflösung hängen bleibe. Meinen Nano-Roman habe ich während des Nanos erst zu Ende geplottet und wenn ich in die ÜA gehe, dann werde ich mich dafür noch verfluchen. Ich weiß jetzt schon, dass er wirklich viele Löcher hat - es fehlt viel an Recherche, weil ich die Zeit nicht mehr hatte und mir ist aufgefallen, dass ich noch eine ganze zusätzliche Perspektive brauche, um den Roman rund zu machen. Die ÜA wird also wirklich viel Arbeit, die ich so nicht hätte, wenn ich das Ding richtig und in Ruhe geplottet hätte. Man muss dazu sagen, ich habe an der Geschichte schon knapp zwei Monate geplottet, aber es war immer noch nicht genug. Ich brauche wirklich viel Zeit dafür.
Wenn ich mir meinen Nano-Roman von 2012 anschaue - genau das Gleiche. Zu wenig Zeit zum Plotten, im ersten Durchlauf eine grausige Auflösung. Den Roman habe ich mittlerweile noch zweimal angefangen und jetzt habe ich endlich das Gefühl, dass ich weiß, wo die Geschichte hingehen soll. Zwei Jahre später.
Und ja, man kann sich zu sehr auf Zahlen konzentrieren. Ich dachte lange, ich könnte ohne das Wörterzählen gar nicht schreiben und auch für 2015 werde ich mir ein inoffizielles Ziel setzen. Aber kein hohes. Der Nano ist eine Ausnahme, aber ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass Marathon-Kampfschreiben aka T12 nichts für mich ist.
"Why make anything if you don't believe it could be great?"
- Gabrielle Zevin: Tomorrow, and tomorrow, and tomorrow

HauntingWitch

Zitat1. Gehört ihr zu der Gruppe »Nur noch 2'000, dann habe ich 20'000 geknackt«, oder zur Gruppe »Ich will nur noch diese Kussszene fertig schreiben, dann höre ich auf«?

Ich bin definitiv eher Typ 2. Zahlenziele gehen bei mir schief. Einerseits wegen dem Druck, wie mehrere NaNos gezeigt haben, andererseits aber auch, weil da nicht viel Gutes dabei rauskommt, weil ich innerlich immer nur versuche, den Counter zu füllen. Ich orientiere mich eher an Handlungspunkten und Szenen und ich rechne auch in solchen. Eine Zeit lang hatte ich so eine X Wörter pro freier Tag Regel, mittlerweile habe ich das aber wieder abgeschafft und schaue einfach, dass ich wirklich jeden Tag etwas mache.

Ich schaue aber immer, wenn ich eine Schreibsession beende, wie viele Wörter ich geschafft habe. Das brauche ich irgendwie, um den Fortschritt auch "statistisch" sehen zu können (auch wenn mir keine tatsächliche Statistik mache). Ausserdem hilft es mir, mein Schreibtempo besser einzuschätzen und die Dinge somit besser einzuplanen. Wie Sternsaphir muss ich meine Schreibzeit in ein sonst schon recht vollgepacktes Leben einrechnen und bin somit froh, um jeden Überblick, den ich bekommen kann.

Zitat2. Glaubt ihr, dass Schreiben nach Zahlen die Geschichte negativ beeinflusst? Kann man sich zu stark auf Zahlen konzentrieren und so den Kern des Schreibens aus den Augen verlieren?

Ja, ich denke, das kann passieren. Bei mir passiert das. Ich glaube aber, dass das sehr stark vom Charakter abhängt, wie man am besten arbeitet. Einige haben es schon gesagt, sie brauchen den Druck, ein festes, fassbares Ziel, um überhaupt in die Gänge zu kommen. Dann ist es nicht hinderlich denke ich. Für einen Freigeist wie mich, der mal so und mal anders funktioniert, ist es verheerend.

Manche Sequenzen brauchen meiner Meinung nach halt auch einfach ihre Zeit, sich zu entfalten und zu entwickeln. Eine Szene von 500 Wörtern kann anstrengender sein, als eine andere mit 2'000 Wörtern. Wenn ich nun so eine 500-Wort-Szene hinter mir habe und mich zwingen müsste, die 1'500 ersten Wörter der anderen noch zu schreiben, um auf meinen Count zu kommen, wäre 1) ich völlig blockiert und 2) der Inhalt auch nicht halb so gut. Und ich kann eine 500-Wörter-Szene nicht zwingen, 1'000 Wörter zu haben und eine 2'000-Wörter Passage nicht aus Stand auf 500 herunterbrechen (bestenfalls bei der Überarbeitung, aber auch da dürfte es schwer werden). Kurz gesagt: Mich engen Zahlenziele eher ein und nehmen mir die Freiheit, die Szene während dem Schreiben zu entdecken.

Ergo: NaNo, das habe ich jetzt herausgefunden, ist nichts für mich und Kampfschreiben demzufolge auch nicht.

Leann

@Sunflower: Das geht mir auch so mit der arbeitsintensiven Überarbeitung! Wenn ich was schreibe, ist das ein absolut roher Rohentwurf. Allerdings würde ich ohne den Trick mit der Wortzahl überhaupt nichts zum Überarbeiten haben, also dann lieber so.

Damit was halbwegs Vernünftiges rauskommt, muss ich in den Flow kommen, möglichst viel am Stück und recht schnell schreiben, dann ist zwar viel Mist dabei, aber auch einiges Gute. Langsam und gemächlich Satz für Satz aneinanderstoppeln und nach 500 Wörtern erst mal gut sein lassen ist überhaupt nichts für mich. Jedenfalls im Moment nicht. Da ich mich immer noch als blutige Anfängerin betrachte, kann sich mein Schreibverhalten durchaus noch ändern, da warte ich mal ab und probiere auch Unterschiedliches aus. Ideal ist das so bestimmt nicht. 

Übrigens finde ich es total interessant, wie unterschiedlich wir an das Schreiben herangehen und was es doch auch immer wieder für Gemeinsamkeiten gibt  :vibes:

Romy

Zitat von: Nebeldiener am 22. Dezember 2014, 18:49:14
Nun zu meinen Fragen:
1. Gehört ihr zu der Gruppe »Nur noch 2'000, dann habe ich 20'000 geknackt«, oder zur Gruppe »Ich will nur noch diese Kussszene fertig schreiben, dann höre ich auf«?
2. Glaubt ihr, dass Schreiben nach Zahlen die Geschichte negativ beeinflusst? Kann man sich zu stark auf Zahlen konzentrieren und so den Kern des Schreibens aus den Augen verlieren?


Hmm Jain. ::) Bei mir ist es denke ich eine Mischung aus beidem und Phasenweise auch unterschiedlich. Okay, das ist jetzt vermutlich keine sonderlich hilfreiche Antwort.  :d'oh:

1.) Ich setze mir jetzt seit Jahren Jahresziele (auch unabhängig vom T12, an dem ich nun 2010 und 2014 teilgenommen habe und jeweils gescheitert bin) und häufig zwischendurch Monatsziele. So einen kleinen zahlenmäßigen Ansporn kann ich immer brauchen, um mich auch in "schweren Zeiten", wenn es mit einer Geschichte gar nicht weiter gehen will, oder ich mich ein wenig fürchte, eine anspruchsvolle/wichtige/nervenaufreibende Szene überhaupt zu beginnen, zu motivieren, überhaupt etwas zu schreiben und so dran zu bleiben. Oft ist es dann ja auch so, dass man sich zu den ersten 2-10 Sätzen regelrecht zwingen muss (und die dadurch auch eher katastrophal geraten), aber danach kommt man in einen Fluss, die Szene/Geschichte nimmt Fahrt auf, der Spaß kehrt zurück und es wird auch gar nicht so übel, was man da auf das (elektronische) Papier bringt.
Fazit: Zum Großteil überwiegt das "Noch diese Szene fertig schreiben", aber manchmal brauche ich die Wortziele einfach als Mittel zum Zweck, um überhaupt erst Mal anzufangen.

2.) Es gab in den vergangenen Jahren Phasen bei mir, in denen ich komplett den Spaß am Schreiben verloren hatte und ich tatsächlich nur noch geschrieben habe, um irgendwie meine zahlenmäßig gesteckten Ziele zu erreichen. Einerseits waren diese Ziele widerum gut, weil ich in diesen Zeiten ansonsten wohl überhaupt nicht geschrieben hätte - andererseits hat es mich damals komplett unglücklich gemacht, was ich fabriziert habe und ich hatte jeden Spaß verloren und so liest sich auch, was ich in dieser Zeit produziert habe. :P
2010 und 2011 waren ganz schlimme Jahre, Wortzahlenmäßig war 2012 noch schlechter, da habe ich einige Monate am Stück gar nicht geschrieben. Aber das war wohl auch ganz heilsam so, Ende 2012 habe ich den Spaß am Schreiben wieder gefunden und bin seitdem vorsichtiger geworden.
2010 hat mich meine erste T12-Teilnahme in die Krise getrieben, dieses Jahr habe ich dann an einem bestimmten Punkt beschlossen, dass die Zahlen mir nicht so wichtig sind wie meine Geschichten und mein Seelenheil und den leuchtend roten Counter kann man auch gepflegt ignorieren, man stirbt jedenfalls nicht dran. ;D
Wie schon unter 1.) geschrieben nutze ich die Wortziele jetzt als Mittel zum Zweck, die Geschichte voran zu treiben und mich selbst zu motivieren. Aber mittlerweile habe ich auch gelernt zu erkennen, wann es Sinn macht an solch einem Wortziel festzuhalten und wann ich mir selbst und der Geschichte zuliebe alle Wortzahlen zum Teufel schicke. Zumindest meistens. ;D

Tigermöhre

Ich brauche Wortziele. Mich motiviert das ungemein, wenn ich ein bestimmtes Ziel erreichen will. Das Ziel darf nur nicht zu hoch und nicht zu niedrig sein. Zu niedrig nehme ich nicht ernst und zu hoch überfordert mich. Außerdem bin ich interessanter Weise am Motiviertesten, wenn ich mein Ziel geknackt habe und zusehen kann, wieviel Extra ich schon geschrieben habe.
Ich glaube nicht, dass ich mit einem Wortziel schlechter schreibe. Es bringt mich nur dazu, mich endlich mal hinzusetzen und zu schreiben. Denn ohne Druck mache ich so ziemlich gar nichts.

Eleanor

ZitatNun zu meinen Fragen:
1. Gehört ihr zu der Gruppe »Nur noch 2'000, dann habe ich 20'000 geknackt«, oder zur Gruppe »Ich will nur noch diese Kussszene fertig schreiben, dann höre ich auf«?
2. Glaubt ihr, dass Schreiben nach Zahlen die Geschichte negativ beeinflusst? Kann man sich zu stark auf Zahlen konzentrieren und so den Kern des Schreibens aus den Augen verlieren?

1. Ich kann sagen, früher habe ich definitv zur Gruppe "Ich will die 20.000 knacken" gehört, aber inzwischen habe ich festgestellt, dass ich selten mit dem zufrieden bin, was ich schreibe, um eine Wortzahl zu erreichen. Das lag auch an meiner festgefahrenen Vorstellung, dass ein gutes Buch bitte auch ordentlich lang zu sein hat  ::) deshalb war ich natürlich auch bemüht, kein Kapitel unter 4000 Wörter zu schreiben. Jetzt sehe ich das alles nicht mehr so eng und lasse es auch ruhiger angehen mit den Zahlen. Klar, ich bin stolz, wenn ich merke, dass ich an einem Tag 5000 Wörter geschafft habe, doch ich versuche, nichts mehr von mir zu erzwingen.

2. In dieser Hinsicht kann man nicht alle Autoren über einen Kamm scheren. Ich denke, es gibt Fälle, in denen leidet die Qualität des Geschriebenen unter einem Zahlenzwang, aber natürlich kann es auch umgekehrt sein, dass es ein guter Ansporn ist und ein Wortziel nichts am Niveau ändert. Man muss sich selbst kennen und selber merken, ob gesteckte Wortziele eine gute Motivation sind und auch der Geschichte gut tun, oder ob, durch sie die Kreativität auf der Strecke bleibt.