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Trauriges Ende - wenn es für den Helden schlecht ausgeht

Begonnen von Debbie, 20. Dezember 2014, 19:50:44

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Debbie

Hallo ihr Lieben,

seit einer Weile mache ich mir bereits Gedanken darüber, inwieweit das Ende ausschlaggebend für die finale Lesermeinung ist. Wenn man sich die Bestseller der letzten Jahre betrachtet, fällt einem auf, dass die Protagonisten zwar ordentlich leiden müssen, aber am Ende meist mit einer blutigen Nase, einer bleibenden Kriegsverletzung, dem Schrecken und vor allem mit dem Leben davon kommen.

Wenn ich selbst darüber nachdenke, welche Bücher ich immer und immer wieder gelesen habe, fällt mir ebenfalls auf, dass es darin für den Helden und seine Lieben meistens gut ausgeht. Bei Filmen habe ich da eine höhere Toleranzschwelle, aber wenn mein geliebter Held am Ende des Buches stirbt ... Hätte ich da wirklich noch Lust, mir das ein weiteres Mal anzutun?

Auch wenn dieser Thread für sämtliche Fragestellungen zu diesem Thema gedacht ist, habe ich in diesem Zusammenhang doch direkt zwei Fragen, über die ich schon länger nachdenke:

Wie nehmt ihr das traurige Ende als Leser wahr? Lest ihr solche Bücher erneut? Werdet ihr vielleicht sogar wütend auf den Autor, wenn er euren Lieblingshelden über die Klinge springen lässt?

Und wie macht ihr das beim Plotten? Denkt ihr bewusst darüber nach, ob die Geschichte gut oder schlecht für eure/n Prota ausgehen wird? Und falls ja, denkt ihr dabei an die Leserrezeption?



Es hat sich ja eingebürgert, dass man ersatzweise nahestehende Personen der Hauptfigur sterben lässt, um das Ende nicht zu rosarot erscheinen zu lassen und dem Ganzen eine gewisse Dramatik zu verleihen. Das meinte ich aber mit der Frage nicht. Mir geht es direkt um den Tod der Protagonisten.

Siara

Spannende Frage, Debbie!

Für mich ist es absolut kein K.O.-Kriterium, wenn der/die Protagonist/-en das Ende nicht überleben. Wichtig ist mir dabei vor allem, dass es zur Stimmung des Buches passt. Wenn es die ganze Zeit über locker zuging und die Charaktere es eher als Abenteuer gesehen haben (wie dann vermutlich auch der Leser), es am Ende aber tödlich ausgeht, bin ich schon enttäuscht. Das kann im Nachhinein gerade die schönen Momente vermiesen. Ist der Ernst der Sache immer wieder zu spüren, kann der Tod der Protagonisten hingegen sehr passend sein.

Außerdem ist wie immer die Ausführung bedeutsam. Wenn der Protagonist schon stirbt, würde ich das wirklich ungern als grausamen und unehrenhaften Tod lesen, woraufhin er irgendwo verscharrt und vergessen wird. Auch dabei muss Stimmung transportiert werden, und im Nachhinein wäre es (zumindest in meinen Augen) schön zu erfahren, welche Spuren der Held auf der Welt hinterlassen hat. Dann kann man ihm als Leser so nachtrauern, wie er es verdient hat. Hierbei gehe ich natürlich von einem halbwegs sympathischen Helden aus. Wer über einen vollkommen Antihelden in der schmutzigsten aller schmutzigen Welten schreibt, für den gelten andere Regeln. Aber da du dir Sorgen um das Nachtrauern machst, gehe ich mal davon aus, dass diese Art von Protagonist hier nicht gemeint war.

Mein letzter Roman endet für meine Protagonistin tödlich. Manchmal ist es, wie ich auch dort erst festgestellt habe, einfach der einzig richtige Ausgang für eine Geschichte.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Cairiel

Wie bei vielem in der Schreiberei ist auch das in meinen Augen eine Frage der Umsetzung, aber ich finde, zumindest die Bücher, die ich bislang gelesen habe, bei denen der Prota stirbt, waren alle sehr gut gemacht. Das erste, was mir bei deinem Eingangspost durch den Kopf gegangen ist, ist (ein Buch aus dem Incubus-Verlag, und wer die noch lesen will, sollte den Spoiler nicht anklicken):
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

Es ist für mich keine Schande, das zuzugeben: Ich habe Rotz und Wasser geheult, als einer der beiden Protas, nach allem, was sie durchgemacht haben, so lange, wie sie gebraucht haben, um endlich zueinander zu finden und ihre Leben auf die Reihe zu bekommen, am Ende so plötzlich, so unwürdig gestorben ist. Aber es war gut. Es hat mich so sehr berührt, so mitgerissen, dass ich das Buch trotz des in meinen Augen schwachen Mittelteils in meine Top-Favoritenliste aufgenommen habe. Auch wenn ich sehr traurig über den Verlust meines liebgewonnenen Protas war, hat das irgendwie das Buch "gerettet", von einem durchschnittlichen zu einem - meiner Meinung nach, versteht sich - herausragenden Werk gemacht, trotz der Unbefriedigung.

Ein zweites Buch ist "The Crusader King". Da ahnte ich schon, dass der Prota stirbt, immerhin ist es ein historischer Roman und die Figur, um die es geht, ist nunmal in echt jung gestorben, trotzdem habe ich es gelesen und für sehr gut befunden. Da geht die Autorin noch einen Schritt weiter und lässt durchscheinen, dass der "zweite" Prota, also die zweitwichtigste Figur und ebenfalls Perspektiventräger, auch zum Tode verdammt ist. Hat sehr gut gepasst, da war ich ebenfalls beeindruckt.

Mir würde gerade spontan kein Buch einfallen, bei dem der Prota gestorben ist und es mir nicht gefallen hat.  :hmmm:

Aus schreiberischer Sicht stimme ich Siara voll und ganz zu. Manchmal geht es schlichtweg nicht anders. Wobei ich da dafür bin, es auszuprobieren - bei meinem Windkind war ich mir beim Plotten sicher, dass einer meiner beiden Hauptfiguren zum Schluss sterben muss - ich wurde im NaNo überzeugt, ihn nicht sterben zu lassen, und es hat funktioniert, also habe ich ihn natürlich gelassen. Mein Aschekuss jedoch würde nicht funktionieren, würde mein Prota überleben, das gehört einfach zu dem Roman dazu. An die Reaktionen meiner Leser denke ich nur indirekt - wenn sie sich nur mit Mühe die Tränen verdrücken können, habe ich mein Ziel erreicht, und nicht früher ist der Roman fertig. *gg*

Fynja

Die Frage find ich auch spannend, weil meine eigenen Romane auch oft nicht super ausgehen, auch, wenn nicht immer gleich der Protagonist stirbt. Ich picke mir einfach mal die Fragen aus dem Anfangspost heraus, und mache mir einige Gedanken dazu.

Wie nehmt ihr das traurige Ende als Leser wahr?

Dabei kommt es wirklich darauf an, ob es passt oder nicht. Sehr oft empfinde ich traurigere Enden als stimmiger, weil es oft realistischer ist, dass bei den Risiken, die ein Protagonist eingeht, auch mal was schief läuft. Oft finde ich es im Gegenteil seltsamer, wenn alle um den Prota herum der Reihe nach sterben und er nachher immer noch steht. Schlecht finde ich solche Enden also per se nicht, aber dennoch kommt es meist unerwartet und ich bin leicht "schockiert", was aber noch lange kein Grund ist, mir ein anderes Ende zu wünschen. Eine Trilogie, deren Titel ich wegen Spoilergefahr nicht nenne, endet auch mit dem Tod des Protas. Bei dieser Trilogie hat mir nahezu das gesamte Ende nicht gefallen, aber gerade dieses unerwartete, aber nur realistische Ereignis, hat mich positiv überrascht.
Natürlich fühlt man da mit und fühlt sich nicht gut dabei, aber es darf auf jeden Fall auch mal traurig enden.

Lest ihr solche Bücher erneut?

Ich lese nur sehr wenige Bücher erneut, deshalb ist es schwierig, diese Frage zu beantworten. Aber im Grunde mache ich das nicht davon abhängig, weil es für mich bei einem Roman um vieles mehr geht als um die Frage, ob die Protas überleben. Und bei einem richtig guten Buch fiebert man immer noch mit und hofft wider besseren Wissens, dass es doch noch anders ausgeht ... ;D

Werdet ihr vielleicht sogar wütend auf den Autor, wenn er euren Lieblingshelden über die Klinge springen lässt?

Kann sein. Aber das ist dann eher ein Kompliment für den Autor, denn wenn ich wütend werde, heißt es, dass mir die Figur ans Herz gewachsen ist und der Autor es geschafft hat, intensive Emotionen bei mir auszulösen.

Und wie macht ihr das beim Plotten? Denkt ihr bewusst darüber nach, ob die Geschichte gut oder schlecht für eure/n Prota ausgehen wird? Und falls ja, denkt ihr dabei an die Leserrezeption?

Eigentlich denke ich darüber nicht bewusst nach. Entweder, ich plotte ohnehin nur Anfang und Mittelteil zuerst und lasse mir das Ende erst mal offen, oder es steht einfach von Anfang an fest, wie es für wen ausgehen wird. Ja, bei mir ist das wirklich ein Entweder-Oder: Entweder, es ergibt sich so, dass der Prota halt stirbt, oder ich weiß es von Anfang an, ohne darüber nachzudenken.
Dementsprechend denke ich beim Plotten auch noch gar nicht an irgendwelche Leserrezeptionen. Erst, wenn es zu spät ist. ;D

Leann

Ob der Prota am Ende stirbt oder nicht, wird nicht als alleiniges Merkmal meine Lesermeinung beeinflussen. Wie bereits gesagt wurde, kommt es darauf an, ob dieser Tod zum Rest des Buches passt. Allerdings bin ich ein großer Fan von Happy Ends und lese lieber Romane, die gut ausgehen. Trotzdem kann mir ein Roman auch gut gefallen, in dem es nicht so ist.

Allerdings finde ich es schade, wenn der Prota nur sterben muss, um überhaupt Gefühle im Leser hervorzurufen, also wenn die "Holzhammermethode" zum Zuge kommt, weil es auf andere Art nicht gelingt, den Leser emotional zu beteiligen. Wenn ein Buch mich also ansonsten nicht beeindruckt, ich aber den Prota doch ganz gerne mochte, dann hinterlässt sein Tod den bitteren Beigeschmack, als hätte der Autor nur zu dem Mittel gegriffen, um doch noch mit dem Roman in Erinnerung zu bleiben. Cairiels Ausführungen zu dem Roman finde ich daher zwar verständlich, aber ich hätte jetzt keine große Lust mehr, den Roman zu lesen, der nur durch den Tod des Protas von Durchschnittlichkeit in etwas Besonderes rutscht. Das ist eine Nutzung der "emotionalen Keule", die ich überhaupt nicht mag und in mir den Eindruck hervorruft, als hätte der Autor gedacht "So, dieser Roman mag zwar nicht der Knüller sein, aber jetzt gebe ich euch noch mal ordentlich was zum Leiden, damit ihr ihn doch nicht so schnell vergesst".

Das richtet sich jetzt nicht gegen den Roman, den ich nicht kenne! Ich habe allerdings Romane gelesen, die dieses Gefühl bei mir hervorgerufen haben und daran hat mich Cairiels Bemerkung erinnert. Beim Schreiben würde ich daher darüber nachdenken, ob ich jetzt auch aus diesem Grund den Prota sterben lasse, denn dann würde ich es lassen. Bisher musste allerdings noch kein Prota dran glauben, das hätte einfach nicht zu den Geschichten gepasst. Für die Zukunft schließe ich es aber nicht aus.   


Cairiel

Zitat von: Leann am 20. Dezember 2014, 20:37:24
Cairiels Ausführungen zu dem Roman finde ich daher zwar verständlich, aber ich hätte jetzt keine große Lust mehr, den Roman zu lesen, der nur durch den Tod des Protas von Durchschnittlichkeit in etwas Besonderes rutscht. Das ist eine Nutzung der "emotionalen Keule", die ich überhaupt nicht mag und in mir den Eindruck hervorruft, als hätte der Autor gedacht "So, dieser Roman mag zwar nicht der Knüller sein, aber jetzt gebe ich euch noch mal ordentlich was zum Leiden, damit ihr ihn doch nicht so schnell vergesst".

Das richtet sich jetzt nicht gegen den Roman, den ich nicht kenne! Ich habe allerdings Romane gelesen, die dieses Gefühl bei mir hervorgerufen haben und daran hat mich Cairiels Bemerkung erinnert. Beim Schreiben würde ich daher darüber nachdenken, ob ich jetzt auch aus diesem Grund den Prota sterben lasse, denn dann würde ich es lassen. Bisher musste allerdings noch kein Prota dran glauben, das hätte einfach nicht zu den Geschichten gepasst. Für die Zukunft schließe ich es aber nicht aus.
Ich verstehe vollkommen, was du meinst, und sehe das genauso wie du, allerdings möchte ich hinzufügen, dass es bei dem Roman, den ich meine, keineswegs so wirkt, als wäre der Tod künstlich verwendet worden, nur um das Buch noch "zu retten". Ich glaube nicht, dass die Autorin beim Schreiben an den Leser und die Wirkung auf ihn gedacht hat, sondern es für sie einfach das richtige Ende zum Buch war. Dass es das Buch für mich deutlich verbessert, konnte sie ja vorher nicht wissen. Ich denke da nur mal an mich als Autor: Vielleicht macht der Tod meines Protas meinen Roman "Aschekuss" für einen Leser zu einem besseren Buch, als es sonst mit den durschnittlichen Szenen davor wäre. Das ist genau dasselbe Prinzip und im Grunde genommen könnte mir ein Leser genau das vorwerfen, weil es auf ihn so wirken könnte, während ich als Autor eher das Gefühl habe, dass der ganze Rest meines Buches hauptsächlich aus dem Grund existiert, um meinen Prota dorthin zu führen, wo er am Ende stirbt. Ich weiß nicht, wie die Autorin meines Beispielbuches geplottet hat, aber es fühlt sich schon so an, als würde die Geschichte genau auf diesen Todeszeitpunkt zulaufen, auch wenn er völlig unerwartet kommt. Da kann ich nicht glauben, dass das - in dem Fall - einfach nur als Stimittel verwendet worden ist.
Aber wie gesagt, generell stimme ich dir zu - den Tod als Stilmittel zu missbrauchen, fände ich auch ziemlich mies.

Veldrys

#6
Im Allgemeinen mag ich Bücher, bei denen der Protagonist stirbt, nicht besonders, weil ich beim Lesen mit dem Protagonisten mitlebe. Aber wenn das Buch wirklich gut ist, und wenn die Stimmung passt, wenn sich der Tod des Protagonisten schon irgendwie abgezeichnet hat, ist es für mich okay. Es muss ein stimmiges Ganzes ergeben. Der Tod muss Sinn machen. Gar nicht mag ich Bücher, bei denen die Protagonisten fröhlich in den Tag hineinleben und ihre Abenteuer leben, sodass ihr Tod den Leser wie aus heiterem Himmel trifft.

Wütend war ich auf einen Autor noch nie, weil er einen Protagonisten hat sterben lassen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich noch nicht sehr viele Bücher gelesen habe, bei denen wichtige Figuren sterben. Ohne groß nachzudenken, fällt mir gerade nur ,,Das Lied von Eis und Feuer" ein. Bei dieser Romanreihe wäre ich eher sogar enttäuscht, wenn einmal niemanden das Zeitliche segnet. Und der eine oder andere Zombieroman, aber dort erwartet man auch, dass Protagonisten sterben.

Beim Plotten denke ich überhaupt nicht nach, ob die Geschichte für meinen Protagonisten gut oder schlecht ausgehen wird. In den meisten Fällen lasse ich das Ende bis zuletzt offen (nur bei zwei meiner Geschichten habe ich das Ende zuerst geschrieben). Es muss zum Rest der Geschichte passen. Über die Leserrezeption mache ich mir beim Schreiben auch keine Gedanken. Das kommt, wenn überhaupt, frühestens, wenn der Roman in die Überarbeitung geht.

Ich muss aber zugeben, bis jetzt ist noch keiner meiner Protagonisten richtig gestorben. Ich hatte nur einen Protagonisten, der in einen Dämon verwandelt wurde, was der Auslöschung seiner Persönlichkeit gleichkam, dem Ende, dessen, was ihn als Mensch ausmachte - und ein paar Protagonisten, die krank oder verstümmelt endeten. Für die Zukunft schließe ich den Tod eines Protagonisten jedoch nicht aus.

Cairiel

@Veldrys (und alle anderen, die seine Meinung teilen): Hast du denn konkrete Beispiele für Romane, bei denen der Prota gestorben ist und du das schlecht fandest?
Ich habe meinen Beitrag auch erst ähnlich geschrieben wie du. Die Vorstellung, der Prota stirbt am Ende, ist für mich sehr abschreckend. Aber als ich dann über die Bücher nachgedacht habe, bei denen das der Fall war, ist mir aufgefallen, dass ich kein einziges von ihnen schlecht gefunden habe. Überall, bei jedem einzelnen von ihnen, hat es gepasst. Aus diesem Grund würde mich jetzt wirklich mal ein Beispiel interessieren, bei dem das (nach dem persönlichen Geschmack des Lesers, versteht sich) tatsächlich nicht so war.

Veldrys

Von den wenigen Romanen, bei denen ein oder mehrere Protagonisten sterben, die ich gelesen habe, habe ich keinen einzigen schlecht gefunden.

Was mich doch einigermaßen erstaunt, weil die Vorstellung an sich, wie du geschrieben hast, eine abschreckende ist, und mein erster Gedanke war: "Nein, so etwas mag ich nicht, und so etwas will ich nicht lesen!"

Maja

Wenn ein Protagonist am Ende des Romans stirbt, nehme ich das dem Autor weniger übel, als wenn es auf Seite 60 passiert - dann weiß ich, ich habe meine Zeit mit der Figur gehabt, und es war eine schöne Zeit, aber das Buch ist am Ende, so oder so, und wenn es dann eine logische Folge ist, dass der Held oder die Heldin stirbt, dann bin ich traurig, aber ich kann damit leben.

Wütend werde ich nur dann, wenn mir ein Autor früh im Buch eine Figur, mit der ich gerne den Rest des Buches verbracht hätte, wegnimmt. Das krasseste Beispiel war im ersten Band eines Mehrteilers, der mit einer größeren Heldengruppe anfing, ausgerechnet meine Lieblingsfigur auf Seite 60 oder so sterben zu lassen, und das aus keinem anderen Grund, als zu verdeutlichen, dass es da echt gefährlich ist. Ergebnis: Ich habe das Buch in die Ecke gepfeffert, nie zuende gelesen und auch auf die restlichen Bände der Reihe verzichtet.

Passiert der Todesfall erst am Ende, ist es eine Frage, wie er präsentiert wird und auch, wie ich als Leserin die Sinnhaftigkeit des Todes wahrnehme - ob mir der Autor das Gefühl vermittelt, nur für den Effekt zu töten, um die Leser zum Schluss nochmal richtig zu schocken, oder ob er sich schwerestn Herzens von der Figur verabschiedet hat, weil sie ihm keine andere Wahl mehr gelassen hat. Es muss nicht der Heldentod in der Schlacht sein oder das dramatische Selbstopfer, aber es muss zur Figur passen und darf nicht wie ein überflüssiges Anhängsel erscheinen.

Bei meinen eigenen Romanen hat es sich nicht bewährt, zu früh zu wissen, dass eine Figur sterben muss. Ich habe meinen Erstling, »Eine Flöte aus Eis« praktisch ruiniert mit der Erkenntnis, dass die verbitterte Jägerin am Ende sterben muss, und weil ich noch so traumatisiert war von dem oben beschriebenen Erlebnis, meine Lieblingsfigur zu verlieren, dass ich mir sogar mal geschworen hatte, niemals eine Hauptfirgur zu töten, führte es dazu, dass ich das ganze Buch über so distanziert war und so bemüht, Schwinge ja nicht zu sehr zu lieben, damit es mir nicht schwer fällt, sie zu töten, dass sie nicht nur auf Knopfdruck stirbt - sondern bis dahin nie wirklich gelebt hat. Seitdem habe ich aus meinen Fehlern gelernt. Ich konzipiere meine Figuren grundsätzlich lebendig, und solten sie sterben müssen, ergibt sich das meist kurzfristig und lässt mich Rotz und Wasser heulen, wie sich das gehört.

Ich stehe jetzt vor der Situation, dass ich eine Trilogie schreibe, im zweiten Band bin, und gemerkt habe, dass ein befriedigendes Ende den Tod einer der beiden wichtigsten Figuren erfordert - sonst ist die Geschichte unrund, und wenn er einfach weiterleben darf trotz all seiner Verbrechen, wird das die Leser mehr ärgern, als dass sie mir seinen Tod übelnehmen werden. Das ist viel Vorlauf, bis es wirklich so weit kommen wird, und ich hoffe, dass es meinen Schreibprozess nicht negativ beeinflussen wird, zu früh Abschied zu nehmen. Aber ich bin schon so eng mit dieser Figur zusammengewachsen, dass er sehr selbständig und lebendig ist, auch in den Szenen, die ich seit der Erkenntnis geschrieben habe, und ich denke, in den bald 18 Jahren seit der »Flöte aus Eis« habe ich dann doch einiges dazugelernt.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Churke

In einer guten tragischen Geschichte drücken sich im schlussendlichen Tod der Hauptfigur deren Leben und Charakter aus.
Man könnte auch sagen: "Er starb, wie er gelebt hatte."
Ohne den Tod wäre die Geschichte nicht zu Ende erzählt. Es ist dann halt notwendigerweise eine traurige Geschichte - und ich behaupte, dass man sich als Autor bei traurigen Geschichten ein bisschen mehr anstrengen muss, damit sie funktionieren.

Debbie

#11
Ich finde eure Meinungen wirklich ausgesprochen interessant und spannend. Wie die meisten hier, bin ich ebenfalls der Meinung, dass der Tod eines Protas sich irgendwie schon beinahe "zwangsläufig" aus der Geschichte ergeben und auch zum Stil passen muss.

Einzig die Tatsache, dass ich diesen Punkt als Leser und Autor völlig unterschiedlich betrachte, irritiert mich. Als sich meine eigene Geschichte allmählich zusammengesetzt hat, das Thema stand und die Welt Gestalt annahm, habe ich mir über das Ende als solches keine Gedanken gemacht. Als dann aber die Figuren da waren, war sofort klar, es würde nicht gut enden. Nur lesen will ich sowas nicht wirklich. Deshalb habe ich mich in letzter Zeit immer wieder gefragt, ob ich das Ende abschwächen muss, um dem Leser zu geben, worauf er hofft; um ihn mit einem guten Gefühl zurückzulassen. Doch mein Autoren-Ich reagiert sehr gereizt auf diese Überlegung  :darth:

Ich kann mich erinnern, wie es war, als ich das Ende von Harry Potter gelesen habe. Mein Leser-Ich hat sehr gelitten - unter Dobbys Tod, Freds Tod, Collins Tod, etc. - und war dann am Ende einfach nur froh, dass alle "wichtigen" Personen überlebt haben. Mein Autoren-Ich war irgendwie unzufrieden und wurde das Gefühl nicht los, dass das Ende anders geplant war, dass man es so nicht enden lassen kann und es nur deshalb so enden "musste" weil es ein Kinderbuch ist.

Bei Twilight war ich sogar stinksauer. Ein epischer Kampf am Ende, der keiner ist, und keiner stirbt? Im Ernst? Mein Autoren-Ich hätte das Buch am liebsten gegen die Wand gepfeffert. Was für ein Anfängerfehler! Wie feige von der Autorin! Mein Leser-Ich war vom Happy End besänftigt, aber mein innerer Autor weigert sich das Buch jemals wieder in die Hand zu nehmen.

Am Ende werde ich es einfach nicht schaffen, zu schreiben, was die Leser vielleicht lieber mögen. Die Geschichte ist was sie ist. Auch ein Autor hat keine uneingeschränkte Macht über seine Geschichte und die Figuren. Auch der Autor kann aus einem Apfel keine Tomate machen. Dennoch bleibt ein wenig Wehmut zurück, wenn ich daran denke, dass Leser die Geschichte wegen ihrem Ende vielleicht lesen und durchleiden, aber danach nie wieder zur Hand nehmen ... Damit muss man wohl einfach leben  :seufz:

FeeamPC

Wenn der Held am Ende stirbt, ist das vollkommen in Ordnung- vorausgesetzt, er hat vorher alle seine "Hausaufgabern" erledigen können, und zwar so, dass der Leser mit dem Ergebnis zufrieden ist. Dann verknust der Leser auch den Tod seines Lieblings, natürlich nicht einfach so aus heiterem Himmel, sondern als logische Entwicklung aus der vorherigen Handlung.
Manchmal ist der Tod sogar die Krone der ganzen Handlung, wenn nämlich ohne den Tod des Helden der Ausgang der Geschichte sehr viel düsterer wäre.

Kashi

So wie Viele hier, finde ich es überhaupt nicht schlimm, wenn der Protagonist am Ende stirbt - es muss jedoch zur Geschichte und vor allem zum Charakter passen. Hat er sich in der Story so weit entwickelt, dass er am Ende bereit ist, zu sterben? Anders herum geht es aber auch: Hat er sich so weit entwickelt, dass alle anderen zu dem Schluss kommen, dass er eine Gefahr für die Welt ist? (Ich kenne ja die Umstände nicht, warum "es nicht gut enden wird").

Beim Plotten plane ich daher schon im Voraus, wer sterben wird und wer überlebt, damit es nicht ganz so überraschend kommt.

Was ich absolut nicht leiden kann ist, wenn nahe stehende Personen "ersatzweise" abgemurkst werden, nur um "Dramatik" zu erreichen. Das finde ich wiederum irgendwie verantwortungslos gegenüber diesen Charakteren.


Churke

Das scheint mir doch etwas eng zu sein. Es gibt nun mal Situationen, in denen die dramatische Logik den Tod des Helden erzwingt. Als Richard III. den König ermordet, kommt er aus der Nummer nicht mehr raus.
Okay, Richard ist ein Tyrann und muss gestürzt werden, aber beim Spiel der Throne wird immer hoch gepokert. Bei den alten Römern galt die Regel: "Entweder du ist Kaiser oder du bist tot."