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Platz für etwas Neues?

Begonnen von Korahan, 21. Oktober 2014, 05:15:23

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Korahan

Huhu,

ich frage mich in letzter Zeit öfter, ob denn Platz für etwas Neues ist, etwas, wofür es noch keine Genreschubladen gibt.

Ich höre Subgenres X und Y sind gerade in Mode, beim Subgenre Z sollte man lieber auf bessere Zeiten warten.

Aber was, wenn man eine ungewöhnliche, neue Idee hat - kann die überhaupt jemand haben/lesen wollen? Ist sie verkäuflich, wenn es beispielsweise noch keinen Bestseller gibt, mit dem man sie vergleichen könnte. In der Regel wird man doch immer besser fahren, wenn man bekannte Themen neu und besser aufarbeitet, vielleicht mit einem besonderen Kniff versieht, oder täusche ich mich?

Ist es vielleicht im Gegenteil so, dass nach neuen, unverbrauchten Themen und Szenarien gesucht wird?

Oder bin ich schon insofern auf dem Holzweg, weil es gar nicht mehr möglich ist, etwas Neues zu erdenken? Ist schon jeder nennenswerte Stoff in irgendeiner Form aufbereitet worden und wer das nicht weiß, hat einfach noch zu wenig gelesen?

Liegt es schon in der Natur der Fantasy, dass jeder einzelne Roman einzigartig, neu und innovativ ist?

Ich komme zu keiner vernünftigen Einschätzung.

Liebe Grüße,
Korahan

Klecks

#1
Dazu gibt es schon ein bisschen was im "Hopping on the trend train"-Thread, aber das hier ist ja nochmal was anderes. Deshalb: Ich interesse mich sehr für neue Themen, die noch nicht viele Leute lesen, sowohl als Leserin, als auch als Autorin. Es ist auch eher mein Ziel, mit etwas Neuem aufzufallen als mit dem tausendsten So-und-so-Roman, wobei ich im weiter oben erwähnten Thread schon geschrieben habe, dass das eigentlich auch nicht schlimm ist, solange man mit Herzblut an die Sache heran geht und etwas Eigenes schreibt.

Was die Frage betrifft, ob etwas ganz Neues Platz hat oder ob danach gesucht wird: Genau das glaube ich eben leider nicht. Leser suchen meistens etwas Vertrautes, Neu umgesetztes. Bei etwas ganz Neuem (wobei sich da wieder im Sinne der Erfindung des Rads diskutieren lässt, wie neu etwas wirklich ist) kann niemand wissen - weder du, noch der Verlag -, ob es läuft oder nicht. Dieses Risiko einzugehen, ist eine Chance, die angesichts des hart umkämpften Buchmarkts nicht jeder Verlag bereit ist zu geben. Entsprechend werden auch die Agenturen eher kein Projekt vertreten wollen, von dem sie befürchten, dass sie es dann nicht an den Verlag bringen können. Es sei denn, sie finden die Geschichte so richtig umwerfend. Verlag und Agentur wollen ja auch ihr Geld, und wenn man nicht wenigstens ein bisschen abschätzen kann, ob ein Buch Erfolg haben könnte, zögern sie da sicherlich länger.

Ich hoffe natürlich, dass mehr Verlage und Agenturen bereit sind, Neuem eine Chance zu geben, und wer weiß, wenn sich der Buchmarkt mal wieder entspannt, wird das vielleicht auch passieren. Und die Möglichkeit, dass gerade der eigene Roman der Roman ist, bei dem jemand das Risiko eingeht, weil er an den Erfolg der Geschiche glaubt, gibt es natürlich auch.  ;D

Coppelia

#2
Ich bin da etwas zwiegespalten. Erstmal glaube ich tatsächlich nicht, dass es möglich ist, etwas Neues zu entdecken, aber das ist eher eine philosophische Diskussion als eine schriftstellerische. Dann ist sehr subjektiv, was als originell empfunden wird. Was der eine für unglaublich originell hält, hält der nächste für eine platte Klau-Orgie, völlig egal, was nun dahinter steckt. Ich habe von Lesern beide Rückmeldungen bekommen, und von Verlagen wird das Urteil auch nicht anders ausfallen. :P

ZitatIst es vielleicht im Gegenteil so, dass nach neuen, unverbrauchten Themen und Szenarien gesucht wird?
Meiner Erfahrung nach nicht. Erwünscht sind Stoffe, von denen die Verlage vorher wissen, dass sie sich gut verkaufen, und das sind Stoffe, die sich auch schon vorher gut verkauft haben. Leser möchten durch Bücher ja auch vor allem unterhalten werden, und je origineller und anspruchsvoller ein Text ist, desto schwerer ist er auch zugänglich, und desto schwieriger ist es, damit viele Leser zu erreichen und zu unterhalten. Bewährte Rezepte dagegen bieten weniger wirtschaftliches Risiko. Allerdings gibt es auch Leser, die durch Originalität und Anspruch unterhalten werden. Und mit Glück trifft man auch mal auf einen Lektor, der eine Idee deswegen besonders gern mag, weil sie originell ist. Eigentlich kann ich mir schwer vorstellen, dass nicht sogar Lektoren den Einheitsbrei irgendwann leid sind. Ich denke also, dass es die Chance gibt, mit einer originellen Idee auf den eigenen Text aufmerksam zu machen.

Ich statte meine eher originellen Texte immer mit einer großen Portion bekannter und beliebter Elemente aus, eine  Liebesgeschichte, eine klassische Heldenreise, Leidenschaft, Gewalt, Intrigen. :P Ob sich das letzten Endes bezahlt macht, keine Ahnung. Aber ich glaube auch nicht, dass es den Texten schadet. Der Unterhaltungswert steigt dadurch ziemlich.

Es gibt hier im Tintenzirkel ja zwei "Lager", die verschiedene Ansichten vertreten, ob man extra für den Markt schreiben sollte oder nicht. Ich bin eine Vertreterin der letztgenannten Position. Letzten Endes läuft es hier wahrscheinlich wieder auf diese Diskussion hinaus. Insgesamt denke ich schon: je origineller, je weniger Mainstream, desto geringer die Chancen auf großes Publikum und auch auf den Verkauf. Aber ob das das Maß der Dinge ist, ist für mich zweifelhaft. Und Veröffentlichen ist letzten Endes auch nicht unbedingt der große Traum, sondern viel Stress, viel Frust und eher eine Art Bonus, jedenfalls solange du kein hauptberuflicher Schriftsteller bist. Wer das Glück hat, etwas Verkäufliches gern zu schreiben, sollte das tun. Wer das "Pech" hat, etwas nicht Verkäufliches gern zu schreiben, sollte das auch tun. Letzten Endes ist es nämlich kein Pech, und das Glück kommt zuerst einmal aus der Kreativität selbst. Aber das ist nur meine Meinung, und ich bin nicht das Maß der Dinge.

ZitatLiegt es schon in der Natur der Fantasy, dass jeder einzelne Roman einzigartig, neu und innovativ ist?
Nach meiner bescheidenen Ansicht: hundertprozentig nein.

Cairiel

Ich habe ein fast fertiges Manuskript in der Schublade, das sehr, sehr speziell ist. Höchstens bei den Anime und Manga findet man noch Vergleichbares, aber ein ähnliches Buch ist mir auf dem deutschen Markt noch nicht untergekommen. Mit dem Manuskript bin ich sogar bei den Kleinverlagen, bei denen ich es bislang damit versucht habe, abgeblitzt, weil es zu speziell ist.  ::)

Ich sehe es so, dass man mit einem etwas innovativ aufgemotzten "Bestsellerthema" vermutlich mehr Erfolg hat als mit etwas, das sich in keinem seiner Elemente bislang auf unserem Buchmarkt bewährt hat - also so, wie Coppi es macht. Trotzdem liebe ich mein Manuskript und bereue nicht, es geschrieben zu haben (bzw. immer noch zu schreiben), weil es mir riesengroßen Spaß gemacht hat und eine Veröffentlichung zwar schön wäre, aber für mich nicht das Maß aller Dinge ist. Und im "schlimmsten" Fall kann ich es ja immer noch selbst herausbringen. *gg*

Guddy

#4
Wenn man nicht gerade über Kaugummi schreibt, der sich in eine Schuhsohle verliebt, sich an sie heftet und sich daraufhin mit jedem Menschenschritt näher dem körperlichen Zerfall begibt(wobei sich das wieder an Roman XY anlehnen kann etc., also eigentlich das was Coppelia schreibt), glaube ich nicht, dass es wirklich noch wirklich innovative Ideen gibt. Ich glaube, dass fast alles schon mal da gewesen ist.
Oder ist sogar "Liebe" schon ein Trendthema? Das würde ich nicht unterstreichen. Sonst - wenn jeglicher Inhalt, der irgendwo schon thematisiert wurde ob Liebe, Krieg, Fernweh etc.pp. - müsste man 400 Seite über ein trockenes Toastbrot schreiben, das faul in der Sonne liegt und vor sich hin schimmelt. Kann als Kurzgeschichte allerdings auch ganz nett sein.

Ich persönlich weiß gar nicht mal, was im Buchmarkt und bei den Lesern angesagt ist. Aber wenn eine Idee gut ausgeführt  ist (und zu unterhalten weiß) dann kann man damit durchaus Erfolg haben(Schafskrimi?) . Die innovativste Idee ist natürlich für die Katz, wenn es nicht gut geschrieben wurde. Oder, sagen wir: Wenn das Geschriebene nicht dem vorherrschenden Geschmack entspricht. Das ist allerdings schriftstellerischer, statt inhaltlicher Natur.

HauntingWitch

Ich denke nicht, dass das wirklich Neue, Spezielle tatsächlich gesucht wird, denn wie meine Vorredner schon sagten, stellt es für Verlage ein unberechenbares Risiko dar. Aber ich glaube, dass man dennoch versuchen kann, so etwas unterzubringen. Grundsätzlich finde ich, dass man das schreiben sollte, was einem am Herzen liegt und was man schreiben möchte, zunächst einmal unabhängig vom Trend (sofern man nicht auf Verkaufszahlen angewiesen ist). Ich glaube, dass das Spezielle nur dann eine Chance hat, wenn es auch wirklich echt wirkt und das tut es nicht, wenn man auf Teufel komm' raus versucht, etwas Spezielles zu machen, um einen Hit zu landen damit. ;) Letztlich muss jeder selbst entscheiden, aber für mich wäre es nichts.

Wenn man allerdings nun diese spezielle Idee auf dem Herzen hat, kann man es durchaus versuchen damit. Vielleicht nicht mit allzu grossem Erfolg rechnen, aber wenn man es nicht versucht, hat man noch weniger Chancen. Ich dachte auch, mein Genre-Mix von Erstling sei zu speziell, zu wenig gut einzuordnen, zu gewichtige Themen und überhaupt und sowieso. Aber ich bekomme jetzt meine Chance. Da sehe ich es also wie Coppelia, es ist auch sehr subjektiv.

Ob es möglich ist, etwas wirklich Neues zu erschaffen? Hm, ich schätze, es kommt darauf an, wie man ,,neu" definiert. Der Mensch hat halt nun einmal eine gewisse Bandbreite an Emotionen und Erfahrungen, aus denen er schöpfen (Autor) und die er nachvollziehen (Leser) kann. Die emotionalen und zwischenmenschlichen Themen wiederholen sich daher automatisch, denke ich. Das Innovative besteht darin, wie das alles aufgezogen wird; In Setting, Charakteren und Details. Daher stellt sich die Frage, wie neu und speziell etwas wirklich ist oder ob es sich nicht doch ,,nur" um eine ungewohnte Herangehensweise (nicht aber ein unbekanntes Thema) handelt.

Und jetzt drehe ich mich im Kreis, denn da wären wir wieder bei der Subjektivität. Also, Korahan, wenn du diese spezielle Idee hast und sie schreiben möchtest, tu es. Es kann sein, dass du überall abblitzt, aber es kann genauso gut sein, dass du Glück hast. Aber wenn du es nicht tust, wirst du das nie erfahren. ;)

Thaliope

Ich glaube, dass man Neues meist nur mit einem Anknüpfungspunkt an Bekanntes verkaufen kann. Der Marketingtipp, nicht nur für Taxifahrer lautet: Die Leute da abholen, wo sie stehen. Und von da aus kann man sie meiner Meinung nach so ziemlich überallhin mitnehmen.
Die Kunst sehe ich darin, den schmalen Grat zwischen Konvention und Innovation zu finden ...

Churke

Im Guerilla Fimmaker's Handbook gibt's ein extra Kapitel, wie man erfolgreich abschreibt.
Da steht auch drin, wie man etwas "Neues" macht: Man nimmt 2 Genres und fabriziert daraus ein Crossover.

Ich schätze, dass der Buchmarkt ähnlich funktioniert. Und - Hand aufs Herz - es wird schon einen Grund geben, dass Titel selten als "neu" beworben werden...

Korahan

#8
Ihr seht das alle recht ähnlich. Ich denke, ich kann mich da getrost anschließen.

Nur in einem Punkt bin ich mir nicht sicher. Dass man etwas  "Neues" nur schaffen kann, indem man ein Genrecrossover fabriziert oder über Belangloses schreibt, kann ich nicht glauben. Ich finde das zynisch. Es war jedes Genre einmal "neu". Sind wir denn wirklich schon am Ende der Fahnenstange angelangt?

Klecks

Zitat von: Korahan am 22. Oktober 2014, 02:00:57
Nur in einem Punkt bin ich mir nicht sicher. Dass man etwas  "Neues" nur schaffen kann, indem man ein Genrecrossover fabriziert oder über Belangloses schreibt, kann ich nicht glauben.

Da wäre man bei der spannenden (teils vermutlich philosophischen, teils psycholgischen und teils unergründlichen) Frage angekommen, wie wir auf unsere Ideen kommen. Du hast Recht, irgendwann ist alles neu gewesen. Irgendjemand war der erste, der über Thema A, Thema B oder Thema C geschrieben hat. Das Problem ist, dass mittlerweile über fast alles schon mal ein Buch geschrieben wurde. Es ist eher die Herausforderung, heutzutage noch eine Nische zu entdecken. Auch einfach deshalb, weil es extrem viele Autoren gibt.

Ich bin auch nicht der Meinung, dass etwas Neues nur aus Crossovern entstehen kann. Trotzdem kann ich genauso wenig sagen, wie etwas Neues entsteht, denn wie ich schon im Absatz weiter oben geschrieben habe, wäre das auch die Frage danach, wie wir auf unsere Ideen kommen. Einer der wichtigsten Faktoren auf dem Buchmarkt - und einer, den man kaum berechnen und kaum bewusst erkennen, daher aber auch kaum für sich nutzen kann, weil er immer stimmen muss - ist das Timing. Der Agent muss genau jetzt dein Exposé gut finden. Der Verleger muss genau jetzt davon überzeugt sein, dass es sich verkaufen lässt. Und die Leser müssen genau jetzt bereit für dieses Neue sein und es gerne lesen wollen. Mit etwas Glück schafft man es, diesen Zeitpunkt zu erwischen, egal, wie gut dein Buch bei Textkritikerin wirklich ankommt. Siehe: Das Teenager-Bedürfnis nach ewiger, romantischer Liebe bei "Twilight", der Wunsch der Frauen nach offen ausgelebter, offener thematisierter Sexualität und sexuellen Abenteuern bei "Shades of Grey" (wobei dort BDSM ziemlich vefälscht wird in die Richtung "Ich stehe da nur drauf, weil ich eine schwierige Vergangenheit habe", was nicht zwangsläufig der Fall ist bei Doms und Subs), und der Wunsch bei Teenagern nach einem abenteuerlichen Unterbrechen des Alltags/einer heldenhaften weiblichen Identifikationsfigur für weibliche Teenager in "Die Tribute von Panem".

Man sieht also: Entweder der Verlag traut dem Roman einen Erfolg zu oder nicht. Und wenn nicht, dann wird der Roman auch nicht veröffentlicht. Natürlich kommen da noch andere Faktoren hinzu, eine Absage bedeutet nicht, dass man sich von einem Roman keinen Erfolg verspricht, aber es ist ein Faktor. Und wie man es schafft, zum richtigen Zeitpunkt ein passendes Projekt anzubieten - abgesehen davon, den Markt aufmerksam zu beobachten - wird leider ein Mysterium bleiben, schätze ich.  :hmmm:

Coppelia

#10
Ich vermute, es gab schon nichts Neues mehr zu erzählen, als die Menschen die Schrift entdeckten. Vorher gab es ja auch schon Geschichten, wer weiß, wie viele. Alles, was wir erzählen, beruht auf einer unendlich langen Tradition, deren Anfänge uns  unbekannt sind. Da wir unsere Epoche gern für das Maß der Dinge halten, vergessen wir das gern. Natürlich sind die Arten, wie man erzählt, Veränderungen unterworfen, und hier halte ich eher noch Innovationen für möglich als beim Thema, z. B. indem man bestimmte Aspekte stärker betont. Aber auch die vermeintlich moderneren Entwicklungen und Erzählarten, die vor 100 - 200 Jahren als revolutionär galten, findet man schon in antiken Texten. Kurz, ich fände es eher anmaßend zu sagen "hey, seht her, was ich schreibe, ist komplett neu, nie da gewesen!" ;)

Wenn etwas als neu empfunden wird, heißt das vermutlich, dass das Thema gerade jetzt nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, oder dass die Kombination aus mehreren Themen als ungewohnt empfunden wird, wie andere hier schon gesagt haben. Klecks hat ja ein paar Beispiele für Bücher genannt, die irgendwie als neu und ungewöhnlich empfunden wurden, aber wenn man sie näher ansieht, sind sie es nicht. All ihre Bestandteile hat es bereits vorher gegeben. Ich würde mich da Klecks anschließen, dass diese Bücher ihren Erfolg dem Zeitgeist verdanken. Aber wir Menschen sind immer noch dieselben Idioten, die wir schon vor Millionen Jahren waren. Uns werden immer dieselben Themen ansprechen, solange wir existieren.

Ich weiß, es ist schmeichelhaft zu hören, man sei innovativ. Aber die wahre Kreativität besteht meiner Meinung nach darin, gekonnt mit der Tradition umzugehen.

HauntingWitch

Zitat von: Korahan am 22. Oktober 2014, 02:00:57
Nur in einem Punkt bin ich mir nicht sicher. Dass man etwas  "Neues" nur schaffen kann, indem man ein Genrecrossover fabriziert oder über Belangloses schreibt, kann ich nicht glauben. Ich finde das zynisch. Es war jedes Genre einmal "neu". Sind wir denn wirklich schon am Ende der Fahnenstange angelangt?

Ich glaube, da hast du mich falsch verstanden. Ich glaube nicht, dass es nicht möglich ist, ein neues Genre zu erschaffen oder ein völlig neuartiges Setting. Das war das, was ich meinte mit "wie man es aufzieht". Ich denke, da ist noch ganz viel Spielraum. Aber auch innerhalb dieses neuen Territoriums gibt es gewisse zwischenmenschliche Themen, die sich zwangsläufig wiederholen werden, z.B. Liebe, Macht oder Freundschaft. Das sind Dinge, die so tief in uns verankert sind, wir können sie gar nicht aus unseren Geschichten heraushalten. Selbst wenn du eine ganz neue Spezies erfindest, bei der das alles keine Rolle spielt, müsstest du dir ausdenken, was denen wichtig ist. Und früher oder später landet man da wieder bei Dingen, die man kennt oder sich zumindest vorstellen kann. Das dreht sich immer ein bisschen im Kreis, aber daran ist ja auch nichts Schlimmes.

Korahan

Ein bisschen dreht sich diese Diskussion nun auch darum, wie "neu" etwas wirklich sein muss, um dieses Prädikat zu verdienen. Wo beginnt wahre Innovation?

Natürlich kann man die meisten Geschichten auf die menschlichen Grundmotivationen herunterbrechen. Aber genauso gut könnte man sagen, alle Geschichten wären gleich, weil es immer darum geht, dass Leute irgendetwas machen. Ich verstehe, dass das im Gedankenspiel der letzte Schritt sein muss, aber er hat keinen Einfluss auf das tatsächliche Empfinden von Geschichten.

Empfindungen, Gefühle - das ist für mich der Maßstab. In meinen Augen geht es bei allen Geschichten in allen Medien um den Transport von Emotionen. Und hier bekommen zumindest für mich all die Genres und Subgenres ihre Berechtigung. Vielleicht erzählt eine Cyberpunk-Geschichte wieder nur von Liebe und Verrat, aber dieses Genre transportiert mir auch ein absolut einzigartiges Lesegefühl. Eines, das ich ohne dieses Genre nie erleben hätte können. Und dieses Beispiel habe ich auch gewählt, weil das relativ junge Subgenre Cyberpunk in der Antike eben noch nicht hätte erdacht werden können. (Obwohl sich Cyberpunkt gern auf die Antike bezieht.)
Oder betrachtet den Steampunk, der sogar Lifestyle-Charakter annimmt - das kommt nicht von ungefähr.

Und das ist die Innovation, über die ich sprechen möchte - das Erschließen neuer emotionaler Welten und Spielräume.

Entschuldigt, wenn ich etwas ins Abstrakte abgerutscht bin.

Liebe Grüße,
Korahan

Churke

Die Crossover-Anleitung steht ja nicht zu letzt im Abschreib-Kapitel.
Die Rechnung ist einfach die: Nimm 2 Dinge, die funktionieren, und mach daraus etwas Drittes, und es wird wahrscheinlich auch funktionieren.

Zitat von: Coppelia am 22. Oktober 2014, 06:37:13
Aber auch die vermeintlich moderneren Entwicklungen und Erzählarten, die vor 100 - 200 Jahren als revolutionär galten, findet man schon in antiken Texten.
Hm. Gibt es eine Entsprechung zum Naturalismus des 19. Jahrhunderts?
Ich meine nicht.
Das große Thema des Naturalismus ist die soziale Frage. Die hatte vorher niemanden interessiert. Und auch neue Genres entstehen durch die Gesellschaft: Western gibt es seit dem Wilden Westen.
Das ist aber alles nichts, was ein einzelner Autor monokausal erfinden könnte. "Ich schreibe ein naturalistisches Sklavendrama" - dafür wäre man im alten Rom ausgelacht worden.

Coppelia

#14
Naja, dass man keine Texte über Cyberkriminalität schreiben kann, bevor das Internet erfunden wurde, ist schon irgendwie klar.  Wenn durch geschichtliche Entwicklungen neue Genres entstehen, sind die tatsächlich in gewisser Weise neu, aber thematisch knüpfen sie meiner Meinung nach trotzdem an schon Bestehendes an.
Ein romanhafter Text mit dem Fokus auf sozialer Ungerechtigkeit und ungünstigen gesellschaftlichen Entwicklungen und möglichen Lösungsansätzen  ist z. B. Sallusts Iugurtha. Natürlich gehört es nicht zur Gattung Naturalismus. Aber dass derartige Fragestellungen - wenn auch vielleicht nicht dieselben - vor dem 19. Jh niemanden interessiert hätten, kann man nicht behaupten. Edit: Zurecht lässt sich einwenden, dass bei Sallust keine Personen aus der untersten Gesellschaftsschicht im Mittelpunkt stehen.

Aber natürlich neige ich auch verstärkt dazu, alles in antiker Tradition zu sehen. *g* Was ich speziell meinte, war allerdings nicht das Genre, sondern die Erzähltechnik. Z. B. innerer Monolog, perspektivisches Erzählen u. ä. hat es natürlich schon in der Antike gegeben. Die "moderne" Literaturtheorie bestreitet das gerne mal, ist mir schon häufig untergekommen.

Aber das ist zu speziell, meine Perspektive ist sicher zu speziell, ich halte mich hier lieber mal zurück. :)