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Hat Betalesen einen Einfluss auf euer Leseerleben?

Begonnen von Sanjani, 26. September 2014, 18:03:29

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Sanjani

Hallo ihr Lieben,

diese Frage richtet sich v. a. an Betaleser, die das auch recht regelmäßig machen. Ich wüsste gerne, ob das Betalesen einen Einfluss darauf hat, wie ihr Literatur wahrnehmt. Gerade ist mir das mal wieder passiert. Ich habe etwas gelesen, und mir gingen Sachen durch den Kopf, die ich vorher nie im Kopf hatte. Beispiel: Das Wort würde ich umstellen. - Ah, hier ist Info über die Welt, könnte man die auch noch geschickter unterbringen? - Ah, gut gelöst. Und so weiter. Das ist manchmal ein bisschen komisch, vor allem bei Büchern, die ich nicht so gut finde, passiert mir das öfter, dass ich sozusagen in einen "Betalesemodus" wechsle. Das wiederum trägt nicht dazu bei, dass ich das eher nicht so gute Buch noch besser finden könnte :)

Ich wüsste gerne, ob ihr das auch kennt, und wenn ja, wie ihr damit umgeht. Oder kennt ihr das gar nicht und ich bin einfach nur bescheuert? :) Oder kennt ihr es und habt noch keinen richtigen Ausweg aus dem Betalesemodus gefunden oder seid ihr gerade dabei?

Viele Grüße

Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Siara

#1
Hallo Sanjani,

nein, damit bist du absolut nicht allein. Besonders schlimm ist es bei mir unmittelbar, nachdem ich als Betaleser am Text gesessen habe. Aber allgemein nehme ich durch das Betalesen, das eigene Korrekturlesen (und vermutlich auch durch das Schreiben allgemein) Bücher vollkommen anders wahr. Gerade was das Unterbringen von Infos angeht, ebenso aber auch klischeehafte Stellen, bin ich sehr empfindlich geworden. Bei einigen Stellen denke ich auch wirklich darüber nach, ob der Autor wohl lange an einer Stelle gerätselt hat und ob er gewisse Sätze erst im Nachhinein zur Erklärung eingeschoben hat. Vielleicht irre ich mich auch, aber inzwischen glaube ich, dass mir hin und wieder sogar auffällt, was überarbeitet und nachträglich hinzugefügt wurde. Oder jetzt bin ich die, die bescheuert ist. Aber auch bei besonders gelungenen Textstellen stellt sich die Frage, was man selbst daraus ziehen kann und was genau es so genial macht. Also hebt sich auch bei mir Gutes deutlicher hervor.

Auf jeden Fall achte ich beim Lesen ungewollt sehr auf allen möglichen Kleinkram und beurteile ihn. Einerseits fördert das sicher das Lernen, andererseits macht es das Lesen aber auch wirklich anstrengender. Manchmal ist es - zugegebener Maßen - trotzdem einfach schön, sich mal denken zu können: "Ja, diese Info hätte man eleganter verpacken können. Aber egal, das Buch ist gedruckt, also genieß' es einfach." Mich zusammenzureißen und ein wenig stumpfsinniger zu lesen, schaffe ich inzwischen ganz gut. ;D
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Sprotte

Das hat bei mir weniger mit Betalesen als auch mit dem eigenen Schreiben zu tun. Ich achte beim Tippen schon auf Bezugsfehler und Wortwiederholungen (hab da eine sehr strenge Betaleserin, bei der ich eben so streng lese, und wir lernen ständig voneinander), also achte ich auch beim Privatlesen darauf.
Meine persönliche Spezialität sind "Paladine", Dinge, die ich unbedingt alle paar Seiten erwähnen muß, falls ein blinder Leser sie bei den ersten paar Malen übersehen haben könnte. Genau solche Sachen merke ich beim Privatlesen extrem. Überhaupt stolpere ich über vieles, was ich selbst auch gerne mal falsch mache.
Ich denke also, daß unser eigenes Schreiben, Arbeiten am Text, auch Betalesen uns empfindlicher macht für handwerkliche Unsauberkeiten, über die wir beim Privatlesen stolpern.

Als bestes Beispiel möchte ich einen englischen Selfpublisher erwähnen, dessen Roman bei einem deutschen Kleinverlag sehr gut übersetzt und veröffentlicht wurde. Klappentext und das sehr schöne Cover hatten mich angesprochen. Aber im fertigen Werk wimmelte es von Paladinen, und ich war einige Male kurz davor, in die Tischkante zu beißen. Ehrlich, wenn noch einmal ein sechster Sinn angesprochen wird, sehe ich rot. Dazu ein klischeehaftes Weibchen als Loveinterest des sehr makelfreien Helden und Infodump über sechs Seiten (nicht einmal geschickt verpackt, obwohl ich merkte, daß der Autor sich Mühe gab, das irgendwie zu verpacken). Ob mir das ohne eigenes Schreiben und Betalesen aufgefallen wäre - sehr wahrscheinlich, aber so war es noch viel schlimmer.

Franziska

Das kenne ich sehr gut. Besonders schlimm war es einmal, als ich erst auf dem ebook-Reader betagelesen habe. Danach habe ich so ein Buch drauf gelesen und wollte ständig was markieren um es zur Änderung vorzuschlagen. ::)
Ich weiß nicht, ob man was dagegen machen kann, dass man kritischer liest, wenn man sich viel mit dem Handwerk des Schreibens auseinandersetzt. Ich versuche einfach bessere Bücher zu lesen und breche alle Bücher ab, wo ich ständig was anmerken möchte.

Sascha

Jo, bei mir ist das auch inzwischen schlimm. Ich les grad die Bibliothek der Schatten, eigentlich gut, aber mir fallen jetzt andauernd Wortdoppler usw. auf. Schlimm ist das, man kann gar nicht mehr einfach vor sich hin lesen.

Serafina

Mir geht es genauso. Da ich eine Zeit lang Rezensionen verfasst habe, bin ich sowieso schon eine eher kritische Leserin gewesen, aber seit ich regelmäßig selbst schreibe und betalese, hat das echt noch mal ganz andere Ausmaße angenommen. Manchmal komme ich mir dabei schon ziemlich ungnädig vor. Ich weiß ja schließlich, dass ich selbst auch viele Fehler mache.
Einmal habe ich sogar tatsächlich bei einem Buch (von einem Selfpublisher) den Rotstift angesetzt, ohne groß darüber nachzudenken. Das war schon recht dämlich, aber ich hatte einfach das Bedürfnis. :-[

Zitat von: Franziska am 26. September 2014, 18:24:16
Ich weiß nicht, ob man was dagegen machen kann, dass man kritischer liest, wenn man sich viel mit dem Handwerk des Schreibens auseinandersetzt. Ich versuche einfach bessere Bücher zu lesen und breche alle Bücher ab, wo ich ständig was anmerken möchte.
Abschalten kann ich das eigentlich nur manchmal, wenn ich einen nicht professionell veröffentlichten Text lese (z.B. Fanfiction - da gehe ich mit ganz anderer Erwartung dran) oder wenn mich die Geschichte so umhaut, dass ich völlig in die Handlung eintauche und nicht mehr auf eventuelle "Fehler" achte.
Obwohl ich das früher nie getan hätte, ist meine Abbruchquote inzwischen auch ziemlich hoch. Aber ich lese schließlich, um abzuschalten und unterhalten zu werden, da kann ich es nicht gebrauchen, mich alle paar Sätze über eine unglückliche Formulierung oder ähnliches aufzuregen.

Tinnue

Ojeee, da falle ich wohl wieder komplett aus der Reihe, was? Ehrlich gesagt, ist mir mir Betalesen - Lektorat/Korrektorat - Genusslesen (so weit möglich) immer getrennt. Ich hatte es noch nie, dass ich, selbst nach Tagen des Lektorierens, an einen normalen Text so drangesetzt habe. Mit dem Umswitchen habe ich irgendwie nie Probleme. Job ist Job, Gefallen (für Autoren) ist Gefallen, und der Rest des Lesens gehört mir in meinem Tempo und meiner Art.
Was ich allerdings kenne - aber das dürfte ein andres Thema sein- ist, dass ich nicht mehr als "normaler Leser" an einen Text herangehen kann. Das geht aber schon nicht, seit ich schreibe oder mit dem Gedanken schreibe, das auch professionell machen zu wollen. Ich kann dann auch nie schnell durchlesen, vor allem nicht bei einem Buch, das mir gefällt. Dann frage ich mich immer: Wie erzeugt sie/er diese Bilddichte? Was gefällt mir hieran? Wie ließe sich das auf mein Projekt übertragen? Warum wirkt es gerade hier gerade so so gut?

Miezekatzemaus

Zitat von: Serafina am 26. September 2014, 19:22:09
[...] oder wenn mich die Geschichte so umhaut, dass ich völlig in die Handlung eintauche und nicht mehr auf eventuelle "Fehler" achte.
Das sind die einzigen Geschichten, die ich entspannt lesen kann. Ich habe mit meinem Erstling angefangen, etwas kritischer zu lesen, dann, nach meinem Zweitling und während dessen Schreibphase, wurde es schlimmer. Seit meinem Drittling hat es Ausmaße angenommen, die ich ohne das Schreiben nie gekannt hätte.
Tatsächlich scheint es aber am Schreiben zu liegen (bei mir) und nicht am Betalesen, denn obwohl ich betalese, hat das meistens nur zwei bis drei Tage Auswirkungen, danach ist alles wieder so, wie es vorher auch war. Ich muss allerdings zugeben, dass ich eine 25k-am-Stück-dann-Pause Betaleserin bin, sodass ich die Auswirkungen des Betalesens ziemlich einschränke.

Debbie

Bei mir ist das extrem schlimm. Von "show, don't tell" bis Wortwiederholungen, Inkonsistenz in der Figurensprache und disharmonischen Wortanordnungen (Satzstellungen) fällt mir wirklich jeder Mist auf  :wums:

Ich bin daher, glaube ich, als Betaleser auch nur bedingt geeignet, da bei mir (wenn der Text noch nicht durch andere Hände gegangen ist) hinterher oft die halbe Seite rot (oder bunt) leuchtet, was für den Verfasser ziemlich frustrierend sein kann. Es hilft mir allerdings bei der Überarbeitung meiner Übersetzungen und eigenen Texte, da ich die auch immer gnadenlos "zerreiße". Dagegen kann ich auch nichts tun, das ist beinahe schon zwanghaft ...

Bei wirklich guten Büchern, die nahezu perfekt übersetzt/lektoriert (z. B. HP) oder wahnsinnig spannend sind, kann ich aber durchaus auch mal abschalten. Und wenn ich erst mal abgeschalten hab, schaltet sich mein innerer Kritiker normalerweise auch nicht mehr ein. Das Problem ist nur, dass es leider zu viele "mittelmäßige" und unspektakuläre Bücher und zu wenig richtig gute gibt!  ;)

Serafina

Wenn ich so darüber nachdenke, ist das wohl auch einer der Gründe, warum ich inzwischen so viele englische Bücher lese. Ich kann die Texte zwar im Regelfall problemlos verstehen, mein Sprachgefühl hat allerdings noch nicht diesen "Feinschliff". Mir fallen dann zwar immer noch Sachen auf, allerdings schon weniger als bei deutschen Büchern - zumindest, was das Sprachliche betrifft.

Miezekatzemaus

Zitat von: Serafina am 26. September 2014, 20:38:30
Wenn ich so darüber nachdenke, ist das wohl auch einer der Gründe, warum ich inzwischen so viele englische Bücher lese. Ich kann die Texte zwar im Regelfall problemlos verstehen, mein Sprachgefühl hat allerdings noch nicht diesen "Feinschliff". Mir fallen dann zwar immer noch Sachen auf, allerdings schon weniger als bei deutschen Büchern - zumindest, was das Sprachliche betrifft.
Stimmt. Oder Bücher, die älter sind - als Beispiel die Novelle "Kleider machen Leute". Ich lese sie gerade und finde sie nicht zu kompliziert zum Lesen, aber kompliziert genug um meine innere Betaleserin auszuschalten. :)

Christopher

Ich hab da zwei Sichten. Einmal gedruckte Bücher und einmal die, die ich auf dem Kindle lese. Bei den gedruckten bin ich unheimlich gönnerisch, da fallen mir nur Dinge auf, wenn ich daran denke, gezielt danach zu suchen (wie schreibt er seine Dialoge? Wie viel Atmosphäre bringt er rein?). Beim Kindle hingegen fällt mir sofort alles auf, was ich als irgendwie negativ empfinde. Zu viele Adjektive. Kein Blocksatz. Keine vernünftige Textstruktur. Unklare Dialoge. Es fällt mir unheimlich schwer, ein Buch auf dem Kindle zu genießen. Vielleicht weil ich ihn zu 90% zum Betalesen nutze und es daher gewohnt bin ;)
Be brave, dont tryhard.

Sanjani

Hallo noch mal,

schön, dass ich nicht allein mit dem Thema bin. Sicher hat es auch mit dem eigenen Schreiben zu tun, das denke ich auch. Zur Zeit bin ich z. B. am Überarbeiten, und deshalb sind mir bei dem heute gelesenen Text wahrscheinlich eher Wort- und Satzstellungen und so etwas aufgefallen :)

@Christopher: Interessanter Aspekt. Bei mir spielt sich Betalesen ja am Computer ab, und dort lese ich auch die meisten Bücher. Vor kurzem habe ich aber seit langem mal wieder ein richtiges, echtes Punktschriftbuch ausgeliehen und gelesen. Und tja, was soll ich sagen, es war ein Jugendbuch, und da war ich dann v. a. bei den benutzten Metaphern dauernd am Grübeln, ob ich die jetzt passend finde oder nicht und ob sie zu der Sicht des Jungen passen usw. Echt nervig :wums:

Ich kenne es aber natürlich auch, dass mich eine Geschichte richtig umhaut. Das kenne ich übrigens auch bei Betaleseprojekten, wo ich dann manchmal aus dem Betalesemodus rausgehe, weil es einfach so toll ist :) Aber das umgekehrte ist mir manchmal wirklich lästig. Ich finde, es war doch irgendwie auch gnädig auf eine Weise, dass man Literatur genossen hat, ohne derart kritisch zu sein. :(

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Waldkatze

Im Grunde kann ich euch nur zustimmen. Ich kenne das auch - bis hin zum Klassiker, mit dem Rotstift die Speisekarte zu verbessern  :versteck: 

Mir fällt allerdings die Trennung zwischen "Lektüre zum Entspannen" und "Korrekturlesen" weniger schwer, als die Trennung zwischen "Korrekturlesen für andere Schreiberlinge" und "Schülerarbeiten korrigieren". Gerade Letzteres ist oft wahnsinnig frustrierend.

Insgesamt hilft mir eigentlich nur, das Lesetempo zu erhöhen. Dann kann ich über Fehler quasi hinweglesen und komme nicht in Versuchung, etwas ausbessern zu wollen.


Alana

#14
Ich glaube, das liegt nicht nur am Betalesen, sondern auch einfach am Schreiben, da überlegt man ja auch ständig, ob der Satz so richtig sitzt, ob man nicht was umstellt und so weiter. Ich kann bestimmte stilistische Schwächen, die mir früher überhaupt nicht aufgefallen sind, beim Lesen gar nicht mehr ertragen. Ganz schlimm finde ich Perspektivfehler bis hin zum Kopfhüpfen, da lege ich das Buch dann meist gleich weg. Auch Fehler im Szenenaufbau finde ich ganz schrecklich, wenn zum Beispiel lauter unwichtiges Zeug dasteht oder eine interessante Stelle nacherzählt statt szenenhaft dargestellt wird.
Alhambrana