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Charakterfragebogen

Begonnen von Immortal, 21. März 2007, 20:02:38

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Tasman

Wollen wir der trockenen Theorie Praxis folgen lassen? Mich würden der Moment der "Offenbarung" interessieren, der Augenblick in dem wirklich das erste Mal etwas über die Figur erzählt wird, außer Haarfarbe, Körpergröße und Art des Mundgeruchs. Wie stellt ihr das an?

Ich mach' auch gleich mal den Anfang und biete einen sehr wortkargen und bärbeißigen Magier, über den man bis zu diesem Moment nur weiß, dass er es noch nicht bis zum Meister geschafft hat und eine besonder Affinität zu Feuer bsitzt. Vorausgegangen ist ein kurzer small talk über die Fortschritte des aufstrebenden Magiers, nachdem er seine Meisterin nach Jahren ohne Kontakt, wiedergesehen hat:

Er wollte antworten, dass er den Moment bereute, in dem er zum ersten Mal das Feuer fühlte, damals in der Schmiede, als er sich einfach auf die lodernden Flammen konzentrierte und sie bis unter die Decke trieb, den rotglühende Stahl nur durch die Kraft seines Willens verformte. Dass er den Moment verfluchte, als Aniél gekommen war, angelockt von den übertriebenen Erzählungen der Dorfbewohner, wie sie ihn mitgenommen hatte, ihn, den Schmiedelehrling, der seine Familie ausgerechnet in einem Feuer verloren hatte, auf den die Leute zeigten und sich gegenseitig zuflüsterten, er sei ein Verdammter, ein Besessener, er selbst habe mit seinen ungezügelten Kräften den Hof der Eltern abgebrannt. Er wollte Aniél vorwerfen, dass sie ihn eingeweiht hatte, in die Art zu denken, in die Art zu leben, wie es einem Menschen mit seinen Gaben vorherbestimmt war, Magier zu werden, die Kräfte zu erforschen, die in allem lagen, die das Leben hervorbrachten und auch die Götter selbst. Er wollte sie anklagen, dass sie es war, die Schuld daran trug, dass er nun hier war, in einer Stadt, die er nicht mochte, zusammen mit Menschen, die ihn nicht verstanden und Dinge tat, die er nicht tun wollte.
All das wollte Hogard hinausschreien, aber er konnte es nicht. Er war einfach viel zu glücklich, Aniél endlich wiederzusehen. So fiel er ihr einfach in die Arme und begann bitterlich zu weinen. Sie umschlung ihn, hielt ihn fest und tröstete ihn. Magie brauchte sie dafür nicht.


Lange Rede, kurzer Sinn, ich verpacke "notwendige Lebensgeschichte" immer in emotionale Momente. Wie sind eure Erfahrungen damit?

THDuana

@ MarkOh
Zitat von: MarkOh am 02. April 2007, 00:55:36
Die Charaktere in meinen Büchern entwickeln sich beim Schreiben wie die Geschichte selbst. Für mich klingt das Ganze schon ein wenig nach "Checkliste" beim Tüv. Viele Dinge, die den Leser gar nicht so sehr interessieren würden, noch mehr Dinge die kaum einen Einfluss auf die Geschichte an sich haben werden...
Ich habe ja nicht gesagt, dass der Fragebogen hilfreich für die Geschichte ist. Oft weiß man sowieso mehr über den Charakter, als der Leser je erfahren wird, aber wenn man etwas besser über den Protagonisten Bescheid weiß, kann man ihn meiner Meinung nach besser agieren lassen.
Aber das sieht jeder anders und das ist auch gut so.

Zitat von: Elena am 02. April 2007, 01:06:40
Was mir dabei noch gefehlt hat, wäre eine Frage, die in die Richtung von "Was tut dein Charakter den ganzen Tag?" geht. Womit verdient er sein Geld? So etwas ... Geht er gene einen trinken, bleibt er lieber zu Hause, hat er überhaupt Freizeit? Seine Prioritäten im Alltag, sozusagen. :)
Werde ich einfügen (dann wird der ja noch länger...), danke für den Tipp!


Duana

Rei

Zitat von: Tasman am 02. April 2007, 11:13:53
Lange Rede, kurzer Sinn, ich verpacke "notwendige Lebensgeschichte" immer in emotionale Momente. Wie sind eure Erfahrungen damit?
Hmm, es kommt darauf an. In Andromeda's Globular arbeite ich mit Rückblenden, immer wenn einem Charakter was passiert, was ihn an früher erinnert, wird eine Rückblende eingeschoben, damit man die Reaktion des Charakters besser nachvollziehen kann. Na ja, immer ist zu hart, so oft passiert das nicht. Da ich kein Freund von "Ich fasse dreißig Jahre Leben mal kurz in zwei Sätzen zusammen" bin, lasse ich mir auch für die Hintergrundgeschichte entsprechend Zeit, um sie zu erzählen. Ich als Leser will ja auch immer ziemlich viel über einen Charakter wissen, damit ich ihn verstehen und auch nachvollziehen kann, wie er in diese oder jene Situation geraten konnte.

Möchtegernautorin


Greetings auch :)

Also, das mit den Fragebögen finde ich klasse. Dürfte bei mir vor allem dann helfen, wenn ich da Charaktere habe, mit denen ich schon lange nichts mehr geschrieben habe und in die ich erst wieder hineinfinden muss.

Besonders schön finde ich jetzt, was die beiden Fragenkomplexe für einen Unterschied machen.
Duanas habe ich bereits ausprobiert und das ganze aus meiner Sicht und meinem Wissensstand beantwortet.
Warlocks werde ich demnächst ausprobieren, allerdings wirklich als Interview mit dem entsprechenden Charakter. Da dürften andere Aspekte im Vordergrund stehen und andere Antworten zustande kommen, denn vieles weiß der Charakter selbst noch nicht, will es nicht einsehen oder lügt an manchen Stellen doch lieber.
Auch interessant dabei finde ich, das ein Interview bei dem Hauptcharakter des Buches, an dem ich gerade schreibe, nicht viel bringen würde. Er würde spärlich bis gar nicht antworten ;)

Demnach vielen Dank auf jeden Fall <die Fragen wirklich gut gefallen>

Her plants and flowers, they're never the same - Blue and silver, it's all her gain
flying dragons, an enchanted would - She decides, she creates
It's her reality
Within Temptation - "World of Make Believe"

Warlock

Tja. Mein Hauptcharakter würde auf einige Fragen wohl auch lautstark bis aggressiv reagieren...

Hr. Kürbis

Hihi, ich hab jetzt zwar nicht nach Charakterfragebogen gearbeitet, aber meine Protag mußte auch schon auf den heißen Stuhl. Ist echt interessant was da zu Tage tritt, wenn man ein bisserl nachbohrt.

Vincent

Hallo Schreiblinge,

solche Fragen lese ich in vielen, "sehr" vielen Foren wo der Autor oder Spieler versucht seinen Helden zu organisieren. Früher habe ich nach diesen Fragen gesucht, nachdem mir jedoch bewusst wurde, dass ich viel mehr über ihn selbst wusste und, einige Fragen keinen Sinn auf sein Dasein hatten, beschloß ich ihn so zu lassen, wie ich ihn geschmiedet und gezeichnet hatte.

Es ist jedem selbst überlassen wie er an seinen Charakteren arbeitet. Später wird der Autor jedoch nur auf kurze Skizzen oder Notizen zurückgreifen und all diese Fragen im Dunkeln lassen.


Gruß,
Vincent

THDuana

Hallo Vincent,

es ist kein Muss.

Auf alle Fragen wirst du nie zurückgreifen, das ist aber auch nicht der Sinn des Fragebogens. Genauso wenig ist es seine Aufgabe, dem Leser alle Einzelheiten des Charakters nahezubringen.

Das einzige, dass ein solcher Fragebogen soll, ist, dem Autor die Figur näher bringen und plastischer machen. Wenn du so viel weißt, kannst du unter Umständen schneller, leichter und besser in die Figur hineinschlüpfen und sie autentischer agieren, sprechen und denken lassen.
Muss nicht, kann aber.

Ich wundere mich nur, warum viele denken, dass alle Fragen, die zu beantworten sind, auch als Element in der Geschichte vorkommen müssen.


Duana

Emeraldknight

Hi!
Da Elania mich nach meiner Vorgehensweise betreffend Charakterentwicklung gefragt hat und Grey uns hierhin verwiesen hat, folgt die Antwort halt hier, hoffe das ist recht so  ??? Habe die Threads kurz überflogen und finde vor allem die beiden Fragebögen sehr hilfreich, werde ich das nächste Mal als Ergänzung für meinen Steckbrief gebrauchen.

Ich mache für die wichtigsten Charaktere einen kurzen Steckbrief. Die Vorlage dafür habe ich aus einem Buch. Bin mir nicht mehr ganz sicher, ob es eines von James Frey ist (wie schreibe ich einen verdammt guten Roman) oder aus Lajos Egris Schreibbücher. Ich denke nicht, dass ich den Steckbrief hier veröffentlichen darf aber über PN wenn Interesse besteht, sollte es, denke ich, kein Problem sein.
Ich überlege mir dann vor allem bei allen Charakteren mind. ein einschneidendes Erlebnis, das den Charakter prägt / geprägt hat und meist auch etwas was ihn Äusserlich etwas vom Normalo abhebt. Dies wird ebenfalls alles im Steckbrief vermerkt.

Das wars fürs Erste auch schon.
Cheers
Emeraldknight

Lavendel

Ich komme ganz ohne diese Fragebögen aus. In so einer 'künstlich' erzeugten Interview-Situation sind die Charaktere für mich nicht mehr die, die sie in ihrer Welt sind (aber das ist mein persönliches Empfinden).

Für mich ist es wichtig zu wissen, was einen Charakter prägt. Radikale Wenepunkte, meist Enttäuschungen oder das Zertrümmern von Überzeugungen und alten Wahrheiten, das sind im Prinzip Initiationsmomente. Daraus entsteht das, was einem Charakter Tiefe verleiht. Konflikt.
(Schönes Beispiel: Luke Skywalker. Als er erfährt, dass er vom imperialistischen Henkersknecht Darth Vader abstammt (wobei das idealisierte Bild seines Vaters zerstört wird, für das Obi Wan in Lukes Kopf gesorgt hat), als er vor die Entscheidung gestellt wird, seine Ideale weiterzuverfolgen oder das verlockende Angebot anzunehmen Herrscher über die Galaxis zu werden, was macht er da? Er sagt weder, hey, super Idee, Papi, noch Ich werde dich bis zum letzten Blutstropfen bekämpfen. Nein, er springt in den bodenlosen Schacht der Wolkenstadt. Und plötzlich geht es in Star Wars nicht mehr nur noch um einen elementaren Kampf zwischen Gut und Böse, sondern auch um ein Familiendrama und um einen jungen Mann, der an sich selbst zweifelt.)

Was ich damit sagen will: Charaktere entwickeln sich, wenn sie leiden und zweifeln. Das muss nicht unbedingt immer sehr pathetisch sein, auch wenn sich das so anhört. Charaktere mit Tiefe sind die mit einem inneren Konflikt. Wegen sowas fühlt man mit ihnen mit. So ein Charakter ist, glaube ich, schon die Hälfte dessen, was ein gutes Buch ausmacht.

Coppelia

Lavendel, du hast mir gerade sehr geholfen! Das nur so am Rand. Mir ist gerade etwas über einen Charakter klar geworden und vielleicht auch, warum etwas anderes nicht funktioniert hat. Das könnte mir entscheidend nützen.

Lavendel

Ui, schön! Das freut mich jetzt aber. Dann ist Literaturwissenschaft ja doch für was gut ;).

Grey

Wie, das hast du dir gar nicht selbst ausgedacht? Jetzt bin ich aber ein bisschen enttäuscht ... ;)

Churke

Charaktersteckbrief? Ich mache es *einfach* so, dass ich die Verhaltensmuster realer, bevorzugt vorbestrafter  :o Personen oder auch literarischer Archetpyen ("der tumbe Tor"; "der strahlende Ritter") imitiere und mich in sie hinein versetze.

Coppelia

 Weil ich ja eh nicht wirklich zum Schreiben komme, hab ich dann zumindest mal Charaktersteckbriefausfüllen für eine meiner wichtigsten Personen gemacht mit Duanas Bogen. Es hilft, den Blick etwas zu schärfen. Trotzdem gehört diese Figur nicht zu meinen besten. *seufz* Zumindest weiß ich jetzt, was mit ihr geschehen wird und wo der innere Konflikt herkommt, vielleicht wird sie dann im Lauf der Handlung interessanter. Da hatte ich schon einige Ideen.
Jedenfalls eine gute Identifikationsfigur. ;D