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Schon mitten drin - und jetzt ein neuer Perspektivträger?

Begonnen von Ilva, 15. August 2014, 16:49:21

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Cailyn

Ich sehe das wie Judith. Man kann zwar signalisieren, dass der Ich-Erzähler allwissend ist (so nach dem Märchen-Motto, wo eine Oma aus ihrem Nähkästchen plaudert), aber man muss nicht. Man kann jegliche Hinweise auf Allwissen weglassen, was ich oft auch bevorzuge.

Felsenkatze,
Ich kenne das Buch von Eschbach nicht. Hört sich aber clever an mit der verschleierten Er-Perspektive.
Mich stört übrigens nicht, dass der Ich-Erzähler in Action-Szenen verräterisch rüberkommt, weil man ja weiss, dass er überlebt. Ich frage mich dann halt immer, wie er es schaffen wird, wenn die Situation auswegslos erscheint.

Ilva,
Das mit dem Buckelwal kann ich dir leider nicht sagen. Ich werde Archibald bei der nächsten Gelegenheit fragen  :P.

Sanjani

Hallo zusammen,

ich kenne kein Buch, wo ein sehr spät eingeführter Perspektivträger mich noch hätte begeistern können. Ich mag es nicht und finde imm Allgemeinen, dass es schlechter Stil ist. Vor allem, wenn kurz vor Schluss noch mal jemand eingeführt wird, weil ansonsten die Geschichte nicht zu Ende erzählt werden kann oder der Handlungsschwerpunkt verlagert wird - damit kann man mich jagen. Beispiel dafür Die Prophezeiung von Sven Bötscher (oder so ähnlich).  Was für mich noch einigermaßen geht, ist, wenn der Charakter schon vorher regelmäßig dabei war, aber eben noch keine Stimme besaß. Aber oft gibt es ja auch das Phänomen, dass kurz vor Schluss noch völlig neue Leute eingeführt werden, und so etwas kann ich dann überhaupt nicht ab. Aber das ist auch Geschmacksache, und ich mag solche Bücher einfach nicht, wo auf Seite 600 von 800 noch ein neuer Handlungsstrang eingeführt wird. Ich bin auch kein großer Eis und Feuer Fan deswegen. Die ersten zwei oder drei Bände fand ich noch ok, aber danach hörte es für mich dann definitiv auf.

Witzigerweise stehe ich in einem meiner Projekte vor einem ähnlichen Problem: Die eine Perspektivträgerin ist ausgeknockt und die andere befindet sich auf einer anderen Ebene. Und ich krieg die Geschichte nicht erzählt bis zu dem Punkt, wo POV 1 wieder aus dem Koma erwacht :) Da werd ich dann wohl meine eigene Regel brechen und noch eine dritte Perspektive einführen.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Cailyn

Sanjani,
Schlimm finde och das vor allem in einem Thriller oder Krimi, bei dem der Schurke plötzlich aus dem Nichts auftritt.

Ilva

Zitat von: Sanjani am 11. September 2014, 13:33:51
Witzigerweise stehe ich in einem meiner Projekte vor einem ähnlichen Problem: Die eine Perspektivträgerin ist ausgeknockt und die andere befindet sich auf einer anderen Ebene. Und ich krieg die Geschichte nicht erzählt bis zu dem Punkt, wo POV 1 wieder aus dem Koma erwacht :) Da werd ich dann wohl meine eigene Regel brechen und noch eine dritte Perspektive einführen.
Vielen Dank für dein Votum! Ich bin auch hin- und hergerissen, ob das eine gute Idee ist.
Konntest du dein Problem mittlerweile auf eine andere Art lösen oder bleibt es beim Regelbruch?

Sanjani

Hallo Ilva,

nee, ich konnte es noch nicht lösen, allerdings ruht das Projekt auch gerade. Ich habe auch noch sehr viele Plotlöcher und vieles ist noch offen. Deshalb überlege ich, ob ich die Perspektive nicht schon früher einführen kann. Die Figur ist ja in der Geschichte schon etabliert. Aber ich möchte natürlich auch nicht, dass es künstlich wirkt.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Carolina

@Ilva: Ich habe jetzt nicht den ganzen Thread gelesen, sondern nur den Anfang und das Ende. Generell sagt man, dass der Perspektivträger möglichst schon im ersten Satz Erwähnung finden sollte. Leser gehen ja mit Erwartungen an ein Buch ran, und das wäre ein schwerer Vertrauensmissbrauch dem Leser gegenüber, wenn er mehr über Person A lernen will und du überraschend zu Person B wechselst.

Was man überlegen könnte, ist das Buch in zwei oder drei Teile zu splitten, und diese Trennung mit neuer Seite und auch schon vorn im Inhaltsverzeichnis ganz, ganz deutlich zu machen. Spontan fällt mir nur der letzte Band von Twilight ein, wo das so gemacht wurde, da gab es einen Teil aus der Perspektive von Jakob.
A – B – A wäre da also ein mögliches Muster, falls du dich für einen solchen Weg entscheiden würdest.

Was ich schon gemacht habe, ist im Buch für ein Kapitel die Perspektive zu wechseln. Das wird von Lesern im Allgemeinen als erfrischend empfunden, so lange es danach mit den liebgewonnenen Charakteren weitergeht. Wichtig ist dabei, die Geduld des Lesers nicht zu sehr zu strapazieren.

Toi, toi, toi für den Plot!

Klecks

Zitat von: Carolina am 04. Oktober 2014, 08:42:45
Generell sagt man, dass der Perspektivträger möglichst schon im ersten Satz Erwähnung finden sollte. Leser gehen ja mit Erwartungen an ein Buch ran, und das wäre ein schwerer Vertrauensmissbrauch dem Leser gegenüber, wenn er mehr über Person A lernen will und du überraschend zu Person B wechselst.

Nach allem, was ich über Game of Thrones weiß (das ich nie gelesen habe), dürfte das dieser "Generell sagt man"-Theorie nach niemals den Erfolg gehabt haben, den es letztendlich hat, nämlich deshalb, weil die Leser enttäuscht waren.  :hmmm:  Ganz ehrlich, das sind Regeln, die ich für Gerüchte halte. Die wenigstens Bücher, so ist mir aufgefallen, haben einen einzigen Perspektivträger. Und dass nicht alle beide, alle drei, alle soundsoviele Perspektivträger im ersten Satz erwähnt werden können, ist ja klar.

Ich finde es viel wichtiger, dass die Perspektivträger notwendig sind, sprich uns einen Bereich der Geschichte durch ihre Augen zeigen, der für die Geschichte auch wichtig ist. Bevor ich einen Perspektivträger einführe, frage ich mich immer, ob seine Sichtweise dem Leser etwas zu sehen gibt, das für das Verständnis - oder für die Geschichte ganz allgemein - von Bedeutung ist. Wenn nicht, kann betreffende Figur eine ganz tolle, spannende Nebenfigur oder gar Hauptfigur sein, aber als Perspektivträger wäre sie trotzdem nicht geeignet, weil damit eben ein Effekt entstehen würde, der hier auch schon angesprochen wurde: Es wirkt künstlich.

Klar kommt man manchmal nicht drum herum, eine neue Perspektive einzuführen, um ein Plotloch zu stopfen. Aber wenn das in einem meiner Projekte die einzige Möglichkeit zum Stopfen dieses Lochs wäre, würde ich mir gründlich überlegen, inwiefern dieser neue Perspektivträger noch eine wichtige Rolle spielen und über fünf, sechs Kapitel hinauskommen könnte. In einem meiner Fantasy-Projekte habe ich einen halben Roman lang einen Perspektivträger, der in der letzten Hälfte des Romans nicht mehr Perspektivträger ist, einfach, weil er dem Leser das gezeigt hat, was der Leser wissen musste, aber durch keine andere Figur hätte gezeigt werden können. Wenn es mir nicht gelingt, eine Perspektive auszuweiten, dann verzichte ich darauf, diese neue Perspektive einzuführen, und suche nach einer anderen Lösung, weil jemand, der einmal auftaucht auf fünf Seiten und dann wieder weg ist, tatsächlich Frustration im Leser auslösen kann.

Wobei, was ich schon mal geschrieben habe (sogar hier, glaube ich), es ja auch klassisch für viele Krimis und Thriller ist, den Prolog, das erste Kapitel oder gar "nur" die erste Szene aus der Sicht des Opfers zu beschreiben. Wenn betreffende Person dann ermordet wurde, ist seine Perspektive auch "plötzlich weg", aber der Leser ist nicht überrascht - er kennt das schließlich von anderen Krimis und Thrillern.  ;)

Wave

Hallo zusammen  :vibes:,

früher hätte ich auch hier rigoros gesagt: Um Himmels willen – das geht gar nicht!
Und meistens hat mich ein solcher Wechsel als Leser auch rausgeworfen. Endgültig.
Meistens, nicht immer.

Es gibt ja auch verschiedene Möglichkeiten, einen Perspektivträger zu wechseln. Man kann den eigentlichen Perspektivträger allmählich verabschieden, während nach und nach ein neuer, der vielleicht bisher sogar im Hintergrund irgendwo blass herumgeweilt hat, nach vorne rückt und mehr und mehr deutlicher und schärfer an den Leser herangeführt wird; und während der erste allmählich verblasst, gewinnt der nächste an Farbe und Kontur.

Oder eben krass und plötzlich; hierbei halte ich es für ungleich schwieriger, den Leser bei der Stange zu halten, denn dann muss ich als Autor/in schon einen unglaublich guten Grund finden, diesen Wechsel erstens glaubwürdig und zweitens mitreißend hinzubekommen.
Und da meine ich eben, dass dem nächsten Perspektivträger irgendetwas anhaften muss, was ihm dem Leser möglichst spontan sehr sympathisch (nicht zwangsläufig im Sinne von mögen, sondern im Sinne von Spannung, Interesse) macht.
Ich glaube, bei einem ersten Perspektivträger kann man sich einfach mehr Zeit und Raum lassen für die Entwicklung, man kann den Leser nach und nach heranführen, ihn seine Erlebnisse, Erkenntnisse, Erfahrungen miterleben lassen, während ein plötzlicher Wechsel zu einem völlig anderen Perspektivträger dies alles m. E. schon in sich erledigt haben muss und bereits als starke Figur ankommen muss – oder/und einen starken Bezug zum bisherigen Perspektivträger aufweisen muss, damit ich bei einem solchen Wechsel bei der Stange bleibe.

Denn zumindest ich habe, wenn ich da eine interessante, spannende Person vorfinde, deren Erlebnis- und Entwicklungswelt ich mitdurchlebt und mitgefühlt habe, zu der ich eine Beziehung aufgebaut habe, ganz bestimmt kein gutes Gefühl, wenn diese Beziehung ratzfatz plötzlich durchgeschnitten wird – und ein neuer Charakter erst wieder von vorne aufgebaut wird. Dann fühle ich mich als Leser verloren, weil das stärkste Band, das mich mit der Geschichte verband einfach – Schnippschnapp.


Aber grundsätzlich halte ich einen Wechsel des Perspektivträgers schon – auch mittendrin – für zwar u. U. heikel und herausfordernd, aber nicht für zwangsläufig unmöglich.

Liebe Grüße

Wave



Sanjani

Zitat von: Klecks am 04. Oktober 2014, 10:06:01
Nach allem, was ich über Game of Thrones weiß (das ich nie gelesen habe), dürfte das dieser "Generell sagt man"-Theorie nach niemals den Erfolg gehabt haben, den es letztendlich hat, nämlich deshalb, weil die Leser enttäuscht waren.

Na ja, so dogmatisch darf man das sicher nicht sehen. Es ist, finde ich, ganz oft so, dass man als Leser manches billigend in Kauf nimmt, weil das Buch überwiegend eben doch gefällt. Und gerade bei einem so langen Werk wie dem Lied von Eis und Feuer geht das sicher auch gut, weil es eben einige Charaktere gibt, die einen total fesseln. Und je länger ein Werk ist, desto dichter und besser und interessanter können solche Charaktere sein, weil man ja sehr viel Zeit mit ihnen verbringt. Ich fand z. B., dass es da einige Perspektivträger gab, die mich nicht interessierten oder sogar langweilten, aber ich habe das eben in Kauf genommen, weil ich immer die Hoffnung hatte, dass nach dem nächsten Kapitel wieder eins kommt, das mich mehr interessiert. So hab ich es bis Band 4 gemacht, danach war dann Schluss, weil es mir gereicht hat :)
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)