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Schon mitten drin - und jetzt ein neuer Perspektivträger?

Begonnen von Ilva, 15. August 2014, 16:49:21

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Churke

Zitat von: Ilva am 02. September 2014, 08:42:32
Also auf ein Buch bezogen, sollte man nicht die Perspektive wählen, die passt? Also die, welche mehr Atmosphäre bringt / den Plot vorwärts treibt o.Ä.?
Was ich mit dem Bild zu verdeutlichen versuchte: Die Urlaubsreise ist wie der Roman ein Gesamtpaket. Das Auto ist komfortabel, aber das Motorrad ist Freiheit und Abenteuer. Packt man das Motorrad auf den Hänger, ist es nicht so, dass man deshalb beides hat.

Zitat von: Cailyn am 02. September 2014, 14:04:22
Aber warum denn überhaupt? Es ist doch so, dass ich mich als Leserin auf die jeweilige Textpassage bzw. auf das jeweilige Kapitel einstelle.
Bist du dir da sicher? Wenn ich einen Roman kapitelweise lese, ist er schlecht. Es geht nicht um Kapitel, sondern um Geschichten. Einen guten Roman liest man als Ganzes. Man lässt sich in die Handlung hineinziehen und identifiziert sich mit den Figuren. Der Ich-Erzähler ist darauf ganz besonders angelegt.
Wenn du wie dargestellt 3 Kapitel in der Ich-Form schreibst, schaffst du mit dem Wechsel in Kapitel 4 auf jeden Fall eine Zäsur. Du schreibst ja selbst, dass du "Distanz" schaffen willst. Der Preis, den du dafür bezahlst, ist der, dass du den Leser aus der Geschichte herausreißt. Obendrein zeigst du bereits durch die Gewichtung, dass der Er-Erzähler nur die zweite Geige spielen soll. Das kann man alles machen - aber ob man sich bzw. dem Leser damit immer einen Gefallen tut, ist eine andere Frage.

Zitat
Die personale Erzählweise diente mir in diesem Fall, um Erzählstränge zu beleuchten, die sonst vielleicht im Dunklen blieben. 
Und hier die ketzerische Frage: Wem nützt das? Es gehört zum Wesen des Ich-Erzählers, dass er mit einem gewissen Allwissen ausgestattet ist. Achte bitte mal darauf, welche elegischen Ausführungen der Ich-Erzähler bei "Alatriste" über den Niedergang Spaniens verliert. Sie halte für den Grund, dass Perez-Reverte diese Perspektive eingeführt hat. Es ist wohl auch kein Zufall, dass sich der Ich-Erzähler überwiegend aus der Handlung heraushält.

Zitat
Aber Churke, vielleicht kannst du ja nochmals genauer erklären, was genau denn für dich die Vorteile der Perspektiven sind.

Ich sag's mal so: Der Ich-Erzähler erzählt mehr und der Er-Erzähler erlebt eher. Der Ich-Erzähler kann ein unbegrenztes Wissen haben, er kann Dinge wissen, die sich nicht aus der Handlung ergeben, er kann Zusammenhänge kommentieren, von deren Existenz der POV nicht einmal weiß. Er ist als absolute Identifikationsfigur des Lesers angelegt.

Die (!) Er-Erzähler reizen dagegen mit einem beschränkten Wissen, mit wechselnden POVs, mit show don't tell. Sie haben auch mehr Potential bei der Charakterentwicklung. Ich sehe diese Erzählform änlich wie beim Film, wo die Handelnden auch in jeder Szene wechseln können. Es ist eben eine andere Art, eine Geschichte zu erzählen.

Siara

@Churke: Vielleicht liegt es an mir, aber ich habe glaube ich ein anderes Verständnis von Perspektive und Erzählweise als du.

Für mich unterscheiden sich personale und auktoriale Perspektive. Allerdings kann beides sowohl in der Ich- als auch in der Er/Sie-Form geschrieben sein. Oder irre ich da gerade komplett?
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Churke

Zitat von: Siara am 02. September 2014, 16:36:12
Für mich unterscheiden sich personale und auktoriale Perspektive. Allerdings kann beides sowohl in der Ich- als auch in der Er/Sie-Form geschrieben sein. Oder irre ich da gerade komplett?

Nein, tust du nicht.
Theoretisch hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Theoretisch. Da der Ich-Erzähler mit der Figur identisch ist, hat die Figur aber selbst einen Wissensvorsprung. Sie kennt das Ende der Geschichte und kann Dinge wissen, die sie erst zu einem späteren Zeitpunkt erfährt. Beim Er-Erzähler kann zwar der Erzähler selbst auktoriales Wissen haben, die Figur selbst aber nicht. Und das hat Folgen.

Ich will das mal verdeutlichen: Nehmen wir den Untergang der Titanic.
Wenn der Ich-Erzähler an Bord geht, weiß er schon, dass die Titanic untergehen wird. Er kennt alle Einzelheiten der Katastrophe und wird alles auf dem Schiff vor dem Hintergrund dieses Wissens beschreiben. Er nimmt damit automatisch die Perspektive des Lesers ein. Der Leser wird sich mit ihm sofort und vollständig identifizieren.

Beim Er-Erzähler ist das anders. Selbst bei auktorialem Erzählen (dessen Sinnhaftigkeit ich hier offen lassen möchte) weiß die Figur selbst nicht, was ihr bevorsteht. Sie wird sich also auch keine Gedanken darüber machen, dass 20 Rettungsboote vielleicht nicht ausreichen könnten. Wenn sie aus der Oberschicht stammt, wird sie die Fahrt als eine einzige Riesenparty wahrnehmen, die dann irgendwann ganz schrecklich schief läuft.
Hier laufen Ich- und Er-Erzähler vollkommen auseinander, obwohl sie auf dem selbem Schiff sind.

Natürlich gibt es Kniffe, wie der Autor mit einiger Anstrengung seine Infos trotzdem an den Mann bringt.
Vielleicht will der Autor aber auch eine ganz andere Geschichte erzählen: Nicht über das Schiff, sondern über die Gesellschaft, die untergeht. Dann braucht er mehrere POVs, deren begrenztes Wissen (die 1. Klasse weiß nicht, was in der 3. abgeht und es kümmert sie auch einen Dreck) die Geschichte überhaupt erst möglich macht.

Man könnte jetzt beides verbinden wollen, mit mehrere POVs und einem Ich-Erzählstrang. Ich glaube allerdings nicht, dass das funktioniert. Das ist wie Schnitzel mit Kabeljau.

Das ist jetzt nur ein Beispiel, um meine Ansicht zu verdeutlichen. Die Wahl der Erzählform kann dramatische Folgen haben. Wenn sich der Autor richtig entscheidet, wird es ihn durch die Geschichte führen. Entscheidet er sich falsch, handelt er sich jede Menge Schwierigkeiten ein.

Judith

Zitat von: Churke am 02. September 2014, 15:45:32
Wenn ich einen Roman kapitelweise lese, ist er schlecht. Es geht nicht um Kapitel, sondern um Geschichten. Einen guten Roman liest man als Ganzes. Man lässt sich in die Handlung hineinziehen und identifiziert sich mit den Figuren. Der Ich-Erzähler ist darauf ganz besonders angelegt.
Wenn du wie dargestellt 3 Kapitel in der Ich-Form schreibst, schaffst du mit dem Wechsel in Kapitel 4 auf jeden Fall eine Zäsur.
Ich weiß nicht recht, inwiefern ein Wechsel z.B. zwischen einem personalen Erzähler in der 3. Person und einem Ich-Erzähler mehr Zäsur schafft als ein Wechsel zwischen zwei komplett unterschiedlichen Perspektiventrägern, die beide personal in der 3. Person geschrieben sind.
Ich würde z.B. auch behaupten, dass man das Lied von Eis und Feuer eher "kapitelweise" liest, wenn man von Daenerys im Osten zu Tyrion in King's Landing und dann zu Jon jenseits der Mauer springt. Es hat von ihnen ja auch jeder eine eigene Erzählstimme. Wenn von einem/r davon die Erzählstimme nun in der Ich-Perspektive wäre, würde das für mich auch nicht mehr Zäsur schaffen als der Wechsel zwischen den Personen an sich.

Cailyn

ZitatWenn ich einen Roman kapitelweise lese, ist er schlecht. Es geht nicht um Kapitel, sondern um Geschichten. Einen guten Roman liest man als Ganzes.

Da muss ich nun wirklich intervenieren. Natürlich lese ich ein Buch als Ganzes. Aber ich (und sicherlich auch viele andere Leser) haben doch die Fähigkeit, sich ganz von selbst, also quasi automatisch auf eine neue Perspektive einzustellen. Das ist so ähnlich, wie wenn man von einer Sprache in eine andere wechselt, wenn man beide beherrscht.
Mit den Kapiteln hat das an sich nichts zu tun. Theoretisch könnte man ja auch innerhalb eines gleichen Kapitels die Perspektive wechseln. Es geht mehr um die Flexibilität des Lesers, die - meiner Meinung nach - fast jeder Leser von Natur aus hat. Das ist ja nicht anstrengend, sondern geschieht natürlich. Ich muss mich dann nicht krampfhaft auf eine andere Perspektive einstellen, wenn eine neue Figur im Zentrum steht bzw. die Perspektive gewechselt wird.

Was für mich aber die Bedingung wäre für zwei verschiedene Perspektiven: Die Ich-Erzählerin hat vor dem personalen Erzähler immer Vorrang. Wenn also in einer Szene beide vorkommen, dann immer aus der Ich-Perspektiven-Figur, denn sonst (da gebe ich Churke recht) verliert die Ich-Perspektive irgendwie ihren Sinn und Zweck.

Churke

Es gibt da das bekannte Phänomen, dass man als Leser bei mehrere POVs einen bestimmten Erzählstrang (bzw. Erzähler) bevorzugt und aufstöhnt, wenn schon wieder ein Kapitel mit dem echt lästigen POV2 kommt.
Die Ursachen dieses Problems liegen zwar tiefer als der Wechsel von POV1 zu POV2, aber der Wechsel begünstigt es eben.

Das meinte ich mit "kapitelweise" lesen.


Judith

Ich verstehe, was du meinst, aber das ist für mich dann völlig unabhängig von der Erzählperspektive an sich, sondern hat mehr damit zu tun, ob ich mit bestimmten Figuren einfach nicht "kann". Ob das nun alles personale Erzähler sind oder sogar ein auktorialer Erzähler, der eben zwischen Handlungsstränge springt oder einmal ein Ich- und einmal ein personaler Erzähler, ist da für dieses Phänomen meiner Meinung nach völlig unwichtig.

Um noch einmal das Eis und Feuer-Bsp. zu bemühen: In den ersten Bänden ist mir das trotz all der Wechsel dort nie passiert, aber in Band 5 habe ich jedes Mal aufgestöhnt, wenn ich "Daenerys" las, weil sie mich zu dem Zeitpunkt genervt hat und ich ihren Handlungsstrang anstrengend fand. Dabei hat sich aber an den Sprüngen und der Erzählweise an sich ja nichts geändert seit Band 1.

Cailyn

Ja das ist mir auch schon passiert. Zum Beispiel in GOT, wenn wieder mal ein 20-seitiges Kapitel aus Cerceis Sicht kam... :happs:

Damit der Leser das Kapitel mit dem anderen Prota unbedingt lesen will, muss natürlich etwas darin vorkommen, ohne welches die Story sonst nicht weitergehen könnte oder was man unbedingt wissen möchte. Zum Beispiel die Erklärung, warum der Mörder.... und warum der verlassene Ehemann... oder wo der gekaute Schatz am Ende...  ;)

Also mal ein Beispiel: Eine Prinzessin (Ich-Perspektive) wrid entführt. Sie wird in einem Turm festgehalten, kämpft um ihre Freilassung, wird aber stattdessen auch noch gefoltert. Schliesslich wird sie von ihrem Kammerdiener Archibald gerettet. Als er auftaucht, ist er spitternackt und trägt das Tattoo eines Buckelwals.

Schön und gut soweit. Aber wäre es nicht interessant zu wissen, warum ihr Diener - der sonst nie nackt ist - sie ausgerechnet im Adamskostüm rettet? Natürlich könnte er es ihr erzählen. Aber wesentlich lebendiger wäre es doch, wenn der Leser die Rettung der Prinzessin direkt liest und nicht nur erzählt bekommt. Und ich ahne jetzt, was du (Churke) wohl dazu sagen würdest: "Warum denn nicht nur die Personale?". Ja, das wäre auch eine Möglichkeit. Aber als Ich-Erzählerin wirken das Leid und die Folter nun mal sehr intensiver als aus der Personalen.

Klecks

Zitat von: Cailyn am 05. September 2014, 19:38:55
Aber als Ich-Erzählerin wirken das Leid und die Folter nun mal sehr intensiver als aus der Personalen.

Das muss nicht sein. Es ist unter anderem die Kunst des Schreibens, in den Lesern Gefühle auszulösen, und das kann man mit jeder Art der Perspektive und/oder Erzählweise erreichen. Jede für sich hat nur verschiedene Herausforderungen und vielleicht ist die eine schwerer zu schreiben als die andere, aber deshalb muss es die Intensität des Gefühls nicht mildern.  :)

Judith

#54
Zitat von: Cailyn am 05. September 2014, 19:38:55
Ja das ist mir auch schon passiert. Zum Beispiel in GOT, wenn wieder mal ein 20-seitiges Kapitel aus Cerceis Sicht kam... :happs:
Völlig OT, aber: Wah, Cersei, eine meiner liebsten Perspektiventrägerinnen! Was für ein Fest, live in ihrem Kopf mitzuerleben, wie sie mit all ihrer Paranoia untergeht!  :snicker:

EDIT: Um auch noch etwas zum Thema beizutragen: Ich sehe es wie Klecks. Leid und Folter können nicht nur in der personalen Perspektive ebenso intensiv wirken wie in der Ich-Perspektive, sondern selbst, wenn es auktorial geschildert wird. Das kommt ganz auf die Art und Weise an, wie es geschrieben wird.

canis lupus niger

#55
Zitat von: Churke am 05. September 2014, 16:58:45
Es gibt da das bekannte Phänomen, dass man als Leser bei mehrere POVs einen bestimmten Erzählstrang (bzw. Erzähler) bevorzugt und aufstöhnt, wenn schon wieder ein Kapitel mit dem echt lästigen POV2 kommt.

Das geht mir beim Lesen ganz oft so. In meinem Drachenprojekt habe ich versucht, diesen Effekt dadurch zu vermeiden, dass ich den Handlungsfaden nicht unterbrochen habe, sondern praktisch immer von einem Charakter dem nächsten habe zuwerfen lassen. So, wie Cailyn das schon treffend formuliert hat:
ZitatDamit der Leser das Kapitel mit dem anderen Prota unbedingt lesen will, muss natürlich etwas darin vorkommen, ohne welches die Story sonst nicht weitergehen könnte oder was man unbedingt wissen möchte.
Die Geschichte wird direkt weitererzählt, nur eben mit einer anderen Stimme. Na ja, zumindest war das der Plan. Mal sehen, ob ich es hingekriegt habe.

Das Problem ist dabei: Der Leser weiß ja nicht unbedingt, dass in diesem Kapitel mit der anderen Perspektive etwas erzählt wird, das ein wichtiger Schlüssel für den Fortgang der Geschichte ist. Und manchmal erfährt er das nicht einmal im Lauf des Kapitels. Das kann einen Roman extrem hintergründig machen. Der Leser muss im Grunde jedes Detail, von dem er erfährt, im Hinterkopf behalten, um der Geschichte folgen und die Aufschlüsselung am Ende verstehen zu können. Einige der besten Romane, die ich kenne, sind so aufgebaut. Aber bei GOT hat Martin dieses Stilmittel, wie ich finde überreizt. Als Leser muss man SO viele Details aus so vielen Perspektiven betrachtet über so viele Buchseiten und einen so langen Zeitraum im Blick behalten, ...  dafür bin ich persönlich offenbar zu dumm. Jedenfalls geht es mir wie manchem anderen Leser auch, dass ich ein dumpfes Stöhnen nicht unterdrücken kann, wenn wieder einmal ein Perspektivträger zu Wort kommt, von dem ich mir keine neuen wichtigen Informationen und auch nur wenig Unterhaltung erhoffe.     

Ilva

Zitat von: Churke am 05. September 2014, 11:07:50
Ich will das mal verdeutlichen: Nehmen wir den Untergang der Titanic.
Wenn der Ich-Erzähler an Bord geht, weiß er schon, dass die Titanic untergehen wird. Er kennt alle Einzelheiten der Katastrophe und wird alles auf dem Schiff vor dem Hintergrund dieses Wissens beschreiben. Er nimmt damit automatisch die Perspektive des Lesers ein. Der Leser wird sich mit ihm sofort und vollständig identifizieren.
Auch wenn die Perspektive und Zeitform anscheinend verpönt ist - wenn man im Präsens schreibt, ist der Ich-Erzähler nicht unbedingt allwissend. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass auch ein Roman in der Vergangenheit nicht unbedingt einen allwissenden Ich-Erzähler haben muss. Die beliebten Sätze wie "ich wusste nicht, dass ich heute elendiglich ersaufen und/ oder erfrieren würde" sollten meiner Meinung nach spärlich gesetzt sein. Mir gefällt es besser, wenn der Ich-Erzähler alles unmittelbar erlebt.
Und wenn ich von mir selbst als Ich-Erzähler ausgehe, bin ich auch nicht allwissend. Ich kann auch in einen Konflikt hineingeraten, den ich überhaupt nicht verstehe.

Zitat von: Cailyn am 05. September 2014, 19:38:55
Also mal ein Beispiel: Eine Prinzessin (Ich-Perspektive) wrid entführt. Sie wird in einem Turm festgehalten, kämpft um ihre Freilassung, wird aber stattdessen auch noch gefoltert. Schliesslich wird sie von ihrem Kammerdiener Archibald gerettet. Als er auftaucht, ist er spitternackt und trägt das Tattoo eines Buckelwals.

Schön und gut soweit. Aber wäre es nicht interessant zu wissen, warum ihr Diener - der sonst nie nackt ist - sie ausgerechnet im Adamskostüm rettet? Natürlich könnte er es ihr erzählen. Aber wesentlich lebendiger wäre es doch, wenn der Leser die Rettung der Prinzessin direkt liest und nicht nur erzählt bekommt. Und ich ahne jetzt, was du (Churke) wohl dazu sagen würdest: "Warum denn nicht nur die Personale?". Ja, das wäre auch eine Möglichkeit. Aber als Ich-Erzählerin wirken das Leid und die Folter nun mal sehr intensiver als aus der Personalen.

Ich sehe das auch so. Tolles Beispiel übrigens! ;) OT: Jetzt würde ich wissen wollen, wofür der Buckelwal steht... :D
Die Rettung der Prinzessin wäre meiner Meinung nach spannender zu lesen, wenn man quasi live mit Archibald unterwegs ist, als wenn er danach bei einer heissen Schokolade am Kaminfeuer nacherzählt, weshalb er sich seiner Kleidung entledigen musste, um die Prinzessin zu retten.
Obwohl dadurch ein Bruch in der Perspektive und somit in der Geschichte entsteht, würde mich die erste Version besser unterhalten, zumal der Ausgang bei der zweiten Version ja eh klar ist.

Siara

Zitat von: Ilva am 09. September 2014, 19:58:20Auch wenn die Perspektive und Zeitform anscheinend verpönt ist - wenn man im Präsens schreibt, ist der Ich-Erzähler nicht unbedingt allwissend. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass auch ein Roman in der Vergangenheit nicht unbedingt einen allwissenden Ich-Erzähler haben muss.
Das sehe ich genauso. Rein der Logik nach müsste ein Ich-Erzähler, der im Präteritum spricht, über den weiteren Handlungsverlauf bescheid wissen. Allerdings gibt es viele Bücher, in denen er dennoch nur das Wissen des Handlungszeitpunktes besitzt und darüber hat sich (meines Wissens nach) noch niemand beschwert. Wenn es der Spannung und der Geschichte zugute kommt, kann die Logik da in meinen Augen auch mal links liegen gelassen werden - unter der Bedingung, dass dieses dann konstant durchgezogen wird. Siehe:

Zitat von: Ilva am 09. September 2014, 19:58:20
Die beliebten Sätze wie "ich wusste nicht, dass ich heute elendiglich ersaufen und/ oder erfrieren würde" sollten meiner Meinung nach spärlich gesetzt sein.
Diese Sätze stören mich dann, wenn der Autor sich dafür entschieden hat, den Ich-Erzähler nicht allwissend sein zu lassen. Denn dann sind diese Aussagen ganz klar out-of-character und zerstören in meinen Augen alle Illusion und Spannung.

Ob Ich-Erzähler oder Personal, entscheide ich in der Regel aus dem Bauch heraus. Beides kann intensiv oder auch entfremdet wirken, das kommt ganz auf die Umsetzung an. Aber: Wenn ein Ich-Erzähler gesetzt wird und später weitere Perspektviträger in in der dritten Person dazukommen, wird der Leser dazu animiert, sich in den Ich-Erzähler einzufinden. Für mich jedenfalls stehen die Sorgen, Wünsche und Absichten dieses Ich-Erzählers dann im Fokus.

Genauso ist es bei mir, wenn es nur Erzähler der dritten Person gibt und diese nacheinander eingeführt werden: Derjenige, der als erste eine eigene Stimme bekam, bleibt für mich der Hauptcharakter, auf den ich mich konzentriere. Aber das ist vermutlich vollkommen persönliches Empfinden. ;)
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Felsenkatze

Ein Buch, in dem sowohl nach einem langen Teil der Erzählung der Perspektivträger gewechselt wird, als auch zwischen 3. Person und 1. Person gewechselt, ist übrigens "Der Nobelpreis" von Andreas Eschbach. Man mag von dem Buch halten, was man will, viele fanden es zu langatmig, aber der Wechsel ist gut gemacht und fällt auch nicht unangenehm auf. Er ist mit ein klein wenig Tricksen verbunden - es stellt sich raus, dass die "er"-Perspektive im Grunde eine lange Erzählung des Ich-Erzählers war, und deswegen NICHT objektiv zu sehen ist, aber es beweist meiner Meinung nach, dass es machbar ist, UND dass es durchaus seinen Sinn haben kann.

Es ist natürlich nur ein Buch, und sicher auch eine Frage des Könnens, ob man so einen Stunt machen kann, aber grundsätzlich ist das Meiste im Unterhaltungsroman auch machbar. ;)

Allwissende Ich-Erzähler stören mich übrigens oft mehr als die unwissenden. Allerdings stehe ich manchmal auf dem Kriegsfuß mit Actionszenen mit Ich-Erzähler im Präteritum. Wenn mir der Autor sagen möchte, wie lebensgefährlich das alles gerade ist, stört mich das, weil ich "weiß", dass der Erzähler überleben wird, sonst könnte er nicht erzählen. Dabei ist es meinem Hirn leider egal, dass auch die wenigsten Erzähler in der dritten Person in so einer Situation sterben werden, es fühlt sich für mich schon anders an. Bei den Dresden-Files ist mir das immer wieder unangenehm aufgefallen.

Judith

Ich betrachte das Präteritum auch beim Ich-Erzähler einfach als die fiktionale Erzählzeit (das "epische Präteritum" gewissermaßen) und nicht zwingend als ein Zeichen dafür, dass der Ich-Erzähler rückblickend erzählt (außer, das wird durch bestimmte Äußerungen deutlich gemacht).
Daher hätte ich auch kein Problem mit dem Tod eines Ich-Erzählers im Präteritum.