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Schon mitten drin - und jetzt ein neuer Perspektivträger?

Begonnen von Ilva, 15. August 2014, 16:49:21

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Schwarzhand

Zitat von: Churke am 19. August 2014, 15:02:16
Jaime Lannister habe ich nie gehasst. Aber Joffrey, dieses Früchtchen, ist mir sofort negativ aufgefallen, und ich glaube nicht, dass da noch viel positives Entwicklungspotential besteht.  ;D

Ganz anders ist da seine Mutter, Cersei, die zwar dem Leser sofort als Antagonistin erscheint, aber in Wirklichkeit mit einer moralisch vertretbaren Motivation im Hinterkopf handelt: Ihre Kinder zu schützen(
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
). Insofern kann man vorsichtig sagen, dass man einem Antagonisten ein nachvollziehbares Motiv in die Hand drücken muss und voilà: Die Sympathien sind mit dem Bösewicht. Natürlich kann man dies nicht als Regel aufstellen sondern nur als grobe Zusammenfassung nehmen( Bestes Beispiel ist der Bombenleger).
Grüße Daljien.

Ilva

Zitat von: Churke am 19. August 2014, 15:02:16
Hassfiguren haben Motive. Je edler ihre Motive sind, desto eher fühlen sie sich moralisch berechtigt, über Leichen zu gehen. Der Weg zur Hölle ist mit lauter guten Vorsätzen gepflastert. Und der Hass auf sie wird umso größer, wenn sie damit durchkommen und man ihnen Denkmäler errichtet.
Bitte entschuldige, ich habe mich unklar ausgedrückt.
Für mich liegt der Unterschied zwischen einer Hassfigur und einem "normalen Antagonisten" darin, dass der "Normalo" menschlich nachvollziehbare Motive hat. Bei der Hassfigur sehe ich auch Motiv, dieses kann auch quasi ein Vorwand sein, aber es hat für mich weniger einen moralischen Aspekt. Zudem gehört zu einer Hassfigur meiner Meinung nach noch eine ordentliche Portion Bosheit.

Als Beispiel für eine Hassfigur mit vordergründigem Motiv sehe ich Lord Voldemort. Er strebt nach der Reinheit des magischen Blutes, aber eigentlich ist er auch einfach ziemlich machtgierig. Natürlich könnte man seine Taten auch mit einer traumatischen Kindheit im Waisenhaus der Muggel erklären, aber das steht wirklich nicht im Vordergrund.
Ich kann auch seine Motivation weniger nachvollziehen als die von anderen Antagonisten, Cersei wurde hier ja schon genannt.

Vic

Also ich finde ein Perspektivenwechsel zwischendurch kann doch richtig spannend sein.  :jau:
Gerade wenn man z.b. immer nur eine Seite erlebt und dadurch die andere Seite richtig hassen gelernt hat und auf einmal in deren Köpfen drinsteckt und man denkt hoppla - ich kann das irgendwie nachvollziehen, was sie denken.
Ich finde eigentlich einen gelegentlichen Perspektivenwechsel ganz schön - aber mir wird es schnell zu viel. Also ich würde mich auf einen oder maximal zwei Erzähler pro "Seite" beschränken. Bücher, wo es zwanzig Erzähler gibt und man wild hin und herspringt finde ich schnell anstrengend ...

Schwarzhand

Zitat von: Vic am 21. August 2014, 19:20:17
Also ich finde ein Perspektivenwechsel zwischendurch kann doch richtig spannend sein.  :jau:

Hallo Vic!
Natürlich kann er das, doch wenn man kurz vor dem Ende des Werkes steht und sich der Leser mit dem Prota/Antagonisten vertraut gemacht hat, ist es vermutlich eher verwirrend, einen Perspektivwechsel einzubauen. Ich selbst habe dies noch nie gemacht und weiss daher nicht, wie sich solche ein Wechsel auf den Leser auswirkt. Deshalb sind diese Thesen alles nur Vermutungen ;).
Grüße Daljien.

canis lupus niger

Wenn man in einer Geschichte mehrere Perspektivwechsel hat, dann kann man meiner Meinung nach auch kurz vor Schluss noch einen einbauen. Besonders unproblematisch ist das, wenn die Perspektive zwischen mehreren Charakteren immer hin und her wechselt. Eine ganz neue Perspektive eignet sich dagegen eher für so etwas wie einen Epilog (Irgend ein Nachfahr, Museumsführer oder eine ehemalige Nebenfigur erzählt irgendwelchen Neugierigen wie die Geschichte ausgegangen ist, und warum sie so ausgegangen ist, obwohl niemand damit gerechnet hätte). Das gibt es in Buch und Film ja oft genug. Aber wenn die ganze Geschichte bis dahin aus ein und derselben Perspektive erzählt wurde, und auf einmal, so nach 90 % wird die Geschichte von jemand ganz anderem weiter erlebt, das fände ich irgendwie unglücklich.

Es ist auch ein beliebter Trick, dass zum Beispiel Leute im höheren Alter zusammentreffen, die den Anfang einer Geschichte zusammen erlebt haben. Einer von beiden ist der erste Perspektivträger und erzählt "Weißt du noch ...?" Über das, was passiert ist, gibt dieser dem anderen dann Informationen zum Beispiel in Form eines Tagebuches eines dritten Charakters, somit in einer zweiten Erzählperspektive. Das lässt dann die Ereignisse aktuell miterleben, sozusagen erntefrisch eingefroren. Zum Abschluss reden die beiden Alten dann wieder rückblickend über das, was später noch passiert ist, und was der Tagebuchschreiber nicht mehr berichten konnte (zum Beispiel, weil er bereits gestorben ist), also wieder die erste, oder eine dritte Erzählperspektive. Hab gerade den bezaubernden Film "Die Kinder des Monsieur Mathieu" gesehen, der nach diesem Schema aufgebaut ist.   

Da ist allerhand möglich, aber es muss eben stimmig aufgebaut sein.


Churke

Ich finde, dass ein Perspektivträger immer (s)eine Geschichte erzählt. Deshalb identifiziert sich der Leser mit ihm und bleibt bei der Stange.
Nach diesem Muster sind auch Geschichten mit mehreren Perspektivträgern aufgebaut. Das wird leider viel zu oft vergessen, und deshab funktionieren Romane mit 10 Perspektivträgern auf 300 Seiten (alles schon gelesen...) meistens nicht. Dem Autor gelingt es einfach nicht, die Romanhandlung in fesselnde POV-Geschichten aufzulösen.
Perspektivträger und Perspektivwechsel wollen also wohl überlegt sein. Ich würde mich da auch nicht unnötig verzetteln, weil ich mit einem neuen POV auch eine neue Handlung einführen muss, sonst muss ich damit rechnen, dass die Spannungskurve abflacht. 

Vic

Zitat von: Daljien am 21. August 2014, 21:15:13
Hallo Vic!
Natürlich kann er das, doch wenn man kurz vor dem Ende des Werkes steht und sich der Leser mit dem Prota/Antagonisten vertraut gemacht hat, ist es vermutlich eher verwirrend, einen Perspektivwechsel einzubauen. Ich selbst habe dies noch nie gemacht und weiss daher nicht, wie sich solche ein Wechsel auf den Leser auswirkt. Deshalb sind diese Thesen alles nur Vermutungen ;).
Grüße Daljien.

Das stimmt natürlich, aber so wie ich den Originalpost verstanden habe, soll doch der Antagonist a.) schon die ganze Zeit auftauchen, also ist es ja per se kein neuer Chara und soll b.) ab dem Zeitpunkt die Story noch mal aus seiner Perspektive erzählen.
Ich denke das könnte schon funktionieren.
Die Frage ist eher was das eigentliche Ziel ist.

Also wenn es nur darum geht, dass der Antagonist sich erklären kann, würde man das mMn auch aus Sicht des Protagonisten schaffen, in dem der Antagonist sich ihm erklärt, bzw eine andere Seite von sich zeigt?

Ilva

Zitat von: Vic am 27. August 2014, 18:46:02
Also wenn es nur darum geht, dass der Antagonist sich erklären kann, würde man das mMn auch aus Sicht des Protagonisten schaffen, in dem der Antagonist sich ihm erklärt, bzw eine andere Seite von sich zeigt?
Ich halte den erklärenden Monolog des Antagonisten für sehr schwierig. Es gibt meiner Meinung nach keinen guten Zeitpunkt dafür, weil dieser die Handlung während des Showdowns plötzlich unterbricht. Weshalb sollte der Antagonist seine Pläne und Gründe auch erklären? Er ist ja bei einem Aufeinandertreffen auch immer in Gefahr, nicht?
Zudem mag ich Gespräche weder lesen noch schreiben. (Ich habe immer das Gefühl, statt ordentliches Hochdeutsch Dialekt zu schreiben, den ich wortwörtlich ins Schriftdeutsche übersetze) :)

Das Zeigen gefällt mir gut, es wurde ja schon ein Beispiel genannt. Ich glaube, die Schwierigkeit dabei ist, dass es sehr subtil sein sollte.
Bei mir funktioniert das leider nicht so gut, da Prota und Anta nicht so oft aufeinandertreffen, als dass man das ausarbeiten könnte, deshalb habe ich beschlossen, dem Anta eine eigene Stimme zu geben.

Churke

So Dialoge in der Art:

ZitatSchurke:
"Du und ich, wir sind gar nicht so verschieden!"

Held:
"Da liegst du falsch! Wir haben nichts gemeinsam!"

Schurke:
"Ich war früher Polizist wie du! Aber dann wurde meine Familie von einem SWAT-Team erschossen!"

Held:
"Das gibt dir nicht das Recht, unschuldige SWAT-Teams zu ermorden."

Schurke:
"Falsche Antwort. Du hättest mich töten sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest."

Der SCHURKE drückt ab. Der HELD wirft sich vom Dach des Hochhauses und bekommt einem Fahnenhalter mit einer amerikanischen Flagge zu fassen. Der Fahnenhalter biegt sich durch und droht zu brechen.

Nein, bitte nicht. Wenn man es gut macht, werden die Motive deutlich, ohne dass der POV je ein Wort darüber verloren hat. Sie ergeben sich einfach aus der Handlung und dem, was der POV tut oder nicht tut. 

Cailyn

Ich grüble jetzt die ganze Zeit darüber nach, warum ein Buch nicht aus zwei Perspektiven (Ich und Personal) geschrieben werden darf/soll, wie Christopher es angemerkt hat. Wenn man erreichen will, dass eine Figur näher und intimer erlebt wird als eine andere, auch wichtige Figur, dann würde es sich doch geradezu anerbieten, diese beiden Perspektiven zu wählen. Dies würde doch vor allem helfen, komplexe Erzählstränge effizienter zu erzählen. Aus einer reinen Ich-Perspektive gelangt man oft rasch an Grenzen, wenn auf mehreren Bühnen was passiert. Oder wie seht ihr das? Sorry, ich hoffe, das weicht nicht zu sehr vom Thema ab.

Fynja

Zitat von: Cailyn am 29. August 2014, 16:44:10
Ich grüble jetzt die ganze Zeit darüber nach, warum ein Buch nicht aus zwei Perspektiven (Ich und Personal) geschrieben werden darf/soll, wie Christopher es angemerkt hat. Wenn man erreichen will, dass eine Figur näher und intimer erlebt wird als eine andere, auch wichtige Figur, dann würde es sich doch geradezu anerbieten, diese beiden Perspektiven zu wählen. Dies würde doch vor allem helfen, komplexe Erzählstränge effizienter zu erzählen. Aus einer reinen Ich-Perspektive gelangt man oft rasch an Grenzen, wenn auf mehreren Bühnen was passiert. Oder wie seht ihr das? Sorry, ich hoffe, das weicht nicht zu sehr vom Thema ab.

Huch, das hab ich ganz überlesen, die Gründe dafür würden mich dann auch interessieren. Sowohl in einem meiner älteren Projekte als auch in meinem aktuellen mache ich es, ehrlich gesagt, genau so, weil die Ich-Perspektive bei meiner Hauptprota einfach am passendsten ist, es aber nicht ohne eine zweite Perspektive funktioniert, da ich persönlich aber nicht mehrere Ich-Erzähler in einem Roman haben will, habe ich mich für diese Lösung entschieden.

Churke

Zitat von: Fynja am 29. August 2014, 18:12:01
Huch, das hab ich ganz überlesen, die Gründe dafür würden mich dann auch interessieren.

Es gibt Leute, die fahren mit dem Auto in den Urlaub.
Es gibt andere Leute, die fahren mit dem Motorrad in den Urlaub.
Und dann gibt es solche Leute, die fahren im Auto und haben das Motorrad auf den Anhänger geschnallt.

Mit der Erzählperspektive ist das genauso. Man nimmt entweder die eine oder die andere. Fährt man zweigleisig, ruiniert man sich die größten Vorteile beider Perspektiven.
Man kann es natürlich trotzdem machen, z.B. Arturo-Pérez-Reverte in "Alatriste". Der Autor hat dafür einen spezifischen Grund und die ich-Passagen sind auch in einem völlig anderen, auktorialen Stil geschrieben (das muss man erst mal können...)
Anderes Beispiel: Adam Roberts in "Sternennebel". Das Buch ist aus 2 Perspektiven geschrieben: Der Er-Erzähler ist Anarchist und der Ich-Erzähler ist so ein Typ wie George W. Bush. Der Kontrast zwischen bei den Figuren wie Perspektiven ist extrem und mit ein Grund dafür, dass man mit keinem Erzähler richtig warm wird. Meiner Meinung nach wäre das Buch wesentlich besser und auch lesbarer, wenn sich Roberts auf den Ich-Erzähler beschränkt hätte.

Man macht sich damit immer eine Menge kaputt und muss sich überlegen, ob es das wert ist.

Ilva

Zitat von: Churke am 29. August 2014, 21:08:24
Es gibt Leute, die fahren mit dem Auto in den Urlaub.
Es gibt andere Leute, die fahren mit dem Motorrad in den Urlaub.
Und dann gibt es solche Leute, die fahren im Auto und haben das Motorrad auf den Anhänger geschnallt.

Mit der Erzählperspektive ist das genauso.
Das verstehe ich jetzt ehrlich gesagt nicht ganz. Ist es nicht besser, das Fahrzeug zu nehmen, das am Besten zur geplanten Strecke passt, um bei der Metapher zu bleiben? Eine tolle Passstrasse würde ja mit dem Motorrad vermutlich mehr Spass machen und für einen langen Tunnel nimmt man lieber das Auto.

Solange einem klar ist, ob man gerade Auto oder Motorrad fährt, sollte es doch eigentlich gehen, wenn man beides mitnimmt?

Also auf ein Buch bezogen, sollte man nicht die Perspektive wählen, die passt? Also die, welche mehr Atmosphäre bringt / den Plot vorwärts treibt o.Ä.?

Mir ist eben noch nie so ein Roman untergekommen, der beides mischt - oder ich habe es nicht bewusst wahrgenommen, deshalb sind das nur theoretische Überlegungen.

Cailyn

Zitat von: Churke am 29. August 2014, 21:08:24
...Fährt man zweigleisig, ruiniert man sich die größten Vorteile beider Perspektiven.

Aber warum denn überhaupt? Es ist doch so, dass ich mich als Leserin auf die jeweilige Textpassage bzw. auf das jeweilige Kapitel einstelle. Wenn z.B. Kapitel 1-3 in Ich-Form geschrieben ist, dann identifiziere ich mich unter Umständen stärker mit dem Protagonisten (was dann auch beabsichtigt wäre). Und Kapitel 4 wäre dann aus der Perspektive eines anderes Protas in personaler Erzählform geschrieben. Dieses Kapitel würde ich eher aus einer gewissen Distanz lesen, was auch beabsichtigt wäre. Die personale Erzählweise diente mir in diesem Fall, um Erzählstränge zu beleuchten, die sonst vielleicht im Dunklen blieben. 

Also würde sich diese Mischform doch anerbieten, um:
a) Geheimnisse zu lüften, die man unbedingt lüften möchte;
b) Logik-Löcher zu flicken, damit er Leser hinterher die Zusammenhänge begreift und
c) um die ganze Geschichte mehrschichtiger zu gestalten, auch wenn der personale Erzählstrang weitaus weniger prägnant sein soll wie derjenige mit dem Ich-Erzähler

Alatriste kenne ich. Da ich Arturo Perez-Reverte ohnehin sehr gerne mag, bin ich viel zu unkritisch ihm gegenüber. Gestört habem mich deshalb die Erzählperspektiven nicht.

Auch im Bestseller "The Outlander" wechselt die Autorin immer wieder von Ich-Perspektive zu personaler Erzählweise. Und ich fand es dort absolut notwendig, weil sonst einfach zu viele Nebenerzählstränge auf Eis liegen würden. Das wäre dann echt schade.

Aber Churke, vielleicht kannst du ja nochmals genauer erklären, was genau denn für dich die Vorteile der Perspektiven sind.

Siara

Zitat von: Churke am 29. August 2014, 21:08:24
Fährt man zweigleisig, ruiniert man sich die größten Vorteile beider Perspektiven.
Das sehe ich auch ein wenig anders. Sind zwei POVs gleichermaßen beteiligt und einer von diesen wird aus der dritten, der andere aus der ersten Person geschrieben, würde mir das schon seltsam vorkommen. Dann fehlt ganz einfach der Bezugspunkt und es bleibt die Frage, warum der Autor sich einmal so und einmal anders entscheidet. Sind beide Figuren gleich wichtig, stimme ich Churke zu. Das kann für Verwirrung sorgen, weil der Leser sich auf nichts ganz einstellen kann.

Wenn es aber eine Hauptfigur gibt, die aus der ersten Person erzählt, und hier und da Nebenfiguren aus der dritten sprechen, ist es etwas Anderes. Dann gibt es einen Bezugspunkt, auf den man sich als Leser konzentrieren kann. Das Gewicht der Ich-Perspektive liegt dann ganz klar auf einem Charakter. Die Nebenfiguren, die aus der dritten Person sprechen, können durchaus Einblicke in ihre Gedanken und Leben geben, aber sie bleiben eben das: Nebenperspektivträger.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.