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Schon mitten drin - und jetzt ein neuer Perspektivträger?

Begonnen von Ilva, 15. August 2014, 16:49:21

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Tinnue

Danke! Es ist immer wieder Wahnsinn, wie schnell sich ein Problem in Luft auflöst, wenn man nur darüber spricht. Blockade im Hirn. Was bin ich froh. Da kann ich doch bald wieder einsteigen.

Ilva

Vielen Dank für die Antworten. Es ist beruhigend, zu hören, dass man nicht als einzige mit etwas hadert.  :knuddel:
Jetzt sehe ich auch schon viel klarer, worauf ich achten sollte, wenn ich wechsle.
Vermutlich schreibe ich den Ablauf so, wie ich es mir überlegt habe mit all den interessanten Punkten und schaue mal, was für eine Wirkung das erzielt. Falls es nicht klappt, kann ich es ja als Übung verbuchen... :)

Ich fasse für mich mal zusammen und füge weitere Punkte für mich hinzu, korrigiert mich bitte, wenn ich etwas falsch verstanden haben sollte.

- es ist möglich und kommt auch vor
- wenn von Anfang an mehrere Perspektiven zu Wort kommen, wird es auch akzeptiert
- bei Ich-Erzählern ist es einiges schwieriger, weniger gern gesehen und falls doch, sollten die Erzählstimmen sich deutlich unterscheiden
- ein Problem beim Wechsel auf den eigentlichen Antagonisten ist, dass man vielleicht Spannung verliert, weil er ja nicht so böse ist wie gedacht; man fiebert weniger mit den Protagonisten mit
- einen Antagonisten, der doch nicht so fies ist, durch einen noch böseren zu ersetzen, ist eher schwierig, vor allem wenn es mehrmals vorkommt, hier sollte man besser den Anta1 ausarbeiten als ersetzen
- es könnte den Erzählfluss unterbrechen und einen aus der Geschichte herausreissen
- man sollte sich überlegen, ob man mit der neuen Perspektive etwas erreichen will, indem sie vielleicht mehr Tiefe ins Geschehen bringt o.Ä., oder ob man es sich nur einfacher machen will; im ersten Fall ja zur neuen, im zweiten eher nein

canis lupus niger

#17
Eine gewisse Gefahr sehe ich darin, dass ein spät eingeführter Hauptcharakter oder ein spät als 'eigentlich nicht so böse, wie immer alle dachten' dargestellter Antagonist einen deus-ex-machina-Eindruck erwecken könnte.

Ebenso unglücklich fände ich es, wenn der GoT-Effekt einträte, wenn ein neuer Hauptcharekter/Perspektivträger aufträte, und der Leser sich während des ganzen Kapitels (und vielleicht noch während vieler anderer) fragen müsste: Wer, zum Teufel ist das, und warum, zum Teufel, muss ich das lesen, was dieser Typ alles erlebt und denkt?

Wenn urplötzlich alles ganz anders weitergeht, als gedacht, dann muss das sehr gut (und für meinen Geschmack ziemlich subtil) vorbereitet sein. Zum Beispiel könnten spät auftretende neue Perspektivträger schon einmal zuvor aus einer anderen Perspektive erwähnt worden sein. Jemand, von dem beiläufig  irgendwas  Plotrelevantes erzählt wird, oder ein im Nachhinein nachvollziehbar werdender Antagonist, von dem zuvor mal erwähnt wurde, dass ja alle wissen, was er für ein Schuft ist.


Ilva

Vielen Dank, canis lupus niger (phu langer Name... ;) )

Das sind noch zwei gute Punkte für meine imaginäre Liste: Deus ex machina vermeiden, Person schon vorher erwähnen und schauen, dass man die Gründe für deren Auftreten nicht zu lange im Dunkeln lässt.

Ist es eigentlich ein Problem, wenn der Antagonist plötzlich erklärbare Motive hat, weil man ihn dann nicht mehr hassen kann?

canis lupus niger

#19
Zitat von: Ilva am 17. August 2014, 16:23:29
Ist es eigentlich ein Problem, wenn der Antagonist plötzlich erklärbare Motive hat, weil man ihn dann nicht mehr hassen kann?

Dass man einen Antagonisten nicht mehr hassen kann, wenn man beginnt, ihn verstehen und sein Handeln nachzuvollziehen zu können, das finde ich eher positiv. Die Jahrzehnte, in denen krasse Schwarz-Weiß-Malerei ein notwendiges Element der Fantasy war, sind glücklicherweise vorbei. Sympatische Mistkerle als Antihelden sind ebenso gefragt, wie Antaqgonisten, die gute Gründe für ihr Handeln haben. Man kann es andererseits auch übertreiben mit der schwierigen Kindheit und so. Ein Problem würde ich wie oben schon erwähnt, nur im 'Plötzlichen' der erklärbaren Motive sehen. Wie gesagt, für meinen persönlichen Geschmack (der natürlich nicht allgemeingültig ist) müsste der neue Point of View subtil vorbereitet sein. Subtil, weil ich (persönlich  ;D) auch keinen Wink mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl mag. Da reicht es schon, wenn der Anta zum Beispiel beim Erringen eines vorübergehenden Vorteils nicht in das Triumphgeschrei seiner Mitläufer einstimmt, sondern dass er statt dessen dem besiegten Prota stumm nachsieht. Irgendwas macht ihm in diesem Moment den vorläufigen Sieg bitter, ahnt der Leser, ohne aber zu wissen, warum sich der Mistkerl denn jetzt nicht freut. So was halt ...

Churke

Zitat von: Ilva am 17. August 2014, 16:23:29
Ist es eigentlich ein Problem, wenn der Antagonist plötzlich erklärbare Motive hat, weil man ihn dann nicht mehr hassen kann?
Ich finde das Junktim etwas simpel. Eine Bombe in der U-Bahn ist immer eine Bombe in der U-Bahn. Und der Bombenleger ist ein Mörder.

canis lupus niger

Und wenn der Bombenleger ein Otto Normalnachbar ist, der die Bomben nur gelegt hat, weil eine Gruppe Terroristen seine Frau und Kinder als Geseln genommen hat? Vielleicht wusste er nichtmal, dass er eine Bombe legt, weil die A****löcher ihm gesagt haben, dass er "nur" eine Tasche mit Drogen oder gestohlenen Dokumenten übergeben soll.

Schwarzhand

Zitat von: canis lupus niger am 18. August 2014, 02:56:10
Und wenn der Bombenleger ein Otto Normalnachbar ist, der die Bomben nur gelegt hat, weil eine Gruppe Terroristen seine Frau und Kinder als Geseln genommen hat? Vielleicht wusste er nichtmal, dass er eine Bombe legt, weil die A****löcher ihm gesagt haben, dass er "nur" eine Tasche mit Drogen oder gestohlenen Dokumenten übergeben soll.

Dann befinden wir uns in einem Teufelskreis in dem man  erst mit Churkes Auffassung argumentieren, und diese dann mit deinem Beitrag  aushebeln könnte. Danach würden wieder Churkes  Sätze folgen und das ganze wiederholt sich.
Grüße Daljien.

canis lupus niger

Ja, der Mörder wäre im ersten Fall immer noch ein Mörder, aber trotzdem könnte er die Smpathie des Lesers gewonnen haben, weil dieser weiß: Der Mörder ist selber ein Opfer. Im zweiten Fall träfe den Mörder nicht einmal Schuld am Mord, weil Schuld Wissen und Wollen oder zumindest Inkaufnehmen der Folgen (der Handlung) vorausssetzt. So gesehen hätten Churke und ich beide Recht.   :) 

Churke

Ich hatte die Frage so verstanden, dass es darum geht, dass man durch zuviele Sympathiepunkte den Antagonisten kaputt macht. Der nun aufgeführte Bombenleger ist aber nur ein Handlanger und nicht der Superschurke. Es mag sein, dass man ihn für einige Zeit dafür hält - aber sobald der Schleier gelüftet wird, richtet sich der Zorn sofort gegen den soeben eingeführten Big Boss im Hintergrund.

canis lupus niger

#25
Einen Antagonisten richtig lieb zu haben, geht tatsächlich nicht. Aber was ist zum Beispiel mit dem Loki aus den Marvel-Realverfilmungen? Viele Zuschauer mögen ihn lieber, als die eigentlichen Protagonisten. Ich finde, bei aller objektiver Notwendigkeit, den Antagonisten konsequent zu bekämpfen, kann es in einem gut geschriebenen Roman auch möglich sein, für den Antagonisten bis zu einem gewissen Grad Sympathie zu empfinden, bzw. zu vermitteln.

Der Superschurke, der die Welt aus Prinzip, bzw. reiner angeborener Schlechtigkeit (immerhin ist er Russe oder ein anderer Erzfeind) vernichten will, ist doch irgendwie ein Relikt der 70er-Jahre. Heutzutage sind die Antagonisten gefragter, deren Methoden zwar unmenschlich und hassenswert, deren Motive aber nachvollziehbar sind. Und wenn der Antagonist auch nur einen einzigen netten Zug hätte (er könnte seine alte Mutter sehr gern haben und ihr deshalb sein gesetzloses Tun verheimlichen), kann der Leser oder Zuschauer ihm schon manches verzeihen. 

Zitat von: Churke am 18. August 2014, 12:24:44
Der nun aufgeführte Bombenleger ist aber nur ein Handlanger und nicht der Superschurke. Es mag sein, dass man ihn für einige Zeit dafür hält - aber sobald der Schleier gelüftet wird, richtet sich der Zorn sofort gegen den soeben eingeführten Big Boss im Hintergrund.
Das wäre dann genau der Wendepunkt durch die zusätzliche Information/neue Perspektive, von der Ilva schrieb. So etwas kann meiner Meinung nach ganz gut gehen, wenn es geschickt gemacht wird.

Churke

Loki ist zwar Antagonist, aber nicht als Hassobjekt aufgebaut. Auch Thor hasst ihn ja nicht, sondern will ihn nur "aufhalten".

Echte Hassfiguren sind, entgegen landläufiger Vorstellungen, nicht leicht zu erschaffen. Es reicht ja nicht, ihnen Verbrechen anzudichten, muss das gut motivieren und in ein entsprechendes Ökosystem einbetten.
Ein solcher Antagonist ist wertvoll, viel kostbarer als ein Protagonist, und deshalb würde ich ihn nicht vorschnell über den Plot-Jordan schicken.

canis lupus niger

#27
Darin kann ich Dir nur uneingeschränkt Recht geben. Kein HdR-Leser wird jemals für Sauron Zuneigung entwickeln.

Allerdings kann es auch Spaß machen, den Leser emotional in die Irre zu führen, ihn dazu zu bringen dass er eine Figur hasst (oder mag), und ihm später vor Augen zu halten, dass er sich darin geirrt hat, dass diese Figur noch ganz andere Persönlichkeitsaspekte besitzt, die er noch nicht kennt, und anhand dessen er seine Meinung unbedingt ändern muss. In einem meiner unfertigen Projekte habe ich das versucht und schon von mehreren Betalesern befriedigend starke Rückmeldungen erhalten.  =D Auf tausendmal professionellere Weise hat GRRM das  ja auch mit Jaime Lennister so gemacht. Allerdings gibt es in der Reihe bekanntermaßen auch nicht DEN Protagonisten und DEN Antagonisten. Je besser man Jaime kennen lernt, desto mehr stellt man die eigene anfängliche Meinung über ihn in Frage. Ich finde so etwas klasse.

Ilva

Hui, da habe ich eine spannende Diskussion losgetreten. :) Vielen Dank, die wird mir bei meinem momentanen Projekt sicher helfen und auch für die Zukunft habe ich interessante und inspirierende Punkte gelesen.

Ich glaube nicht, dass man, wenn ein Antagonist zu Wort kommt, unbedingt einen Superschurken haben muss.
Bei mir privat zum Beispiel entsteht Streit nicht, weil jemand abgrundtief böse ist, sondern weil jeder die Wirklichkeit subjektiv betrachtet und anders mit gewissen Dingen umgeht. Es hat ja jeder auch seine eigene Vorgeschichte. Ich könnte mir auch einen Konflikt aus solch einer Begebenheit vorstellen.
Zudem könnte ja auch eine nicht personifizierte Bedrohung im Raum stehen, die den Antagonisten zum Handeln zwingt. Ein Naturkatastrophe lässt sich schlecht hassen.

Das Erschaffen einer richtigen Hassfigur habe ich noch nie versucht. Im Moment reizt es mich mehr, wenn Motive vorhanden sind. Aber vielleicht wäre es mal ein spannendes Experiment.

@canis lupus niger: Mir gefällt dein Beispiel, wie man die geschickte Irreführung andeutet, richtig gut. Ich sehe es gerade vor mir. :)

Churke

Jaime Lannister habe ich nie gehasst. Aber Joffrey, dieses Früchtchen, ist mir sofort negativ aufgefallen, und ich glaube nicht, dass da noch viel positives Entwicklungspotential besteht.  ;D


Zitat von: Ilva am 19. August 2014, 14:10:51
Das Erschaffen einer richtigen Hassfigur habe ich noch nie versucht. Im Moment reizt es mich mehr, wenn Motive vorhanden sind. Aber vielleicht wäre es mal ein spannendes Experiment.

Hassfiguren haben Motive. Je edler ihre Motive sind, desto eher fühlen sie sich moralisch berechtigt, über Leichen zu gehen. Der Weg zur Hölle ist mit lauter guten Vorsätzen gepflastert. Und der Hass auf sie wird umso größer, wenn sie damit durchkommen und man ihnen Denkmäler errichtet.