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Geheimnisse, Rätsel und Lügen

Begonnen von Siara, 23. Mai 2014, 15:05:10

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Siara

Hallo zusammen.

Da ich zum Thema Rätsel, Lügen und Geheimnisse noch keinen Thread gefunden habe, mache ich einfach mal einen auf. ;D

Zunächst einmal den Unterschied, nur um Klarheit der Definition zu schaffen:

Geheimnisse sind Umstände oder Wissen, die einer oder mehrerer Personen absichtlich vorenthalten werden. Zum Beispiel:
- jemand ist nicht, wer er zu sein vorgibt
- jemand weiß mehr über etwas, als er zugibt
- eine unerwartete/dunkle Vorgeschichte einer Person
- in der Vergangenheit ist etwas passiert, das daraufhin verschleiert wurde

Bei Rätseln werde ich von den absichtlich zum Lösen gestellten einmal absehen (also keine Reimrätsel, Rechenrätsel, etc.). Es geht mir um jene, die mit der Zeit mehr oder weniger selbstständig aufkommen. Es handelt sich um Umstände oder Wissen, das weitere Fragen aufwirft. Zum Beispiel:
- eine dunkle Gestalt taucht immer wieder auf. Warum? Und wer ist es?
- ein Gegenstand verschwindet. Wie? Und wohin?
- jemand weiß außergewöhnlich viel über ein Gebiet. Woher?
- In der Vergangenheit fand ein ganzes Volk seinen Untergang und niemand weiß, warum.
Hierbei ist anzumerken, dass Rätsel meistens auch Geheimnisse sind. Nämlich immer dann, wenn einer oder mehrere die Antwort kennen oder kannten und sie absichtlich für sich behielten. Ausnahmen bilden Rätsel, die nicht von einer denkenden Macht aktiv als Geheimnisse gehalten wurden. Die Frage, was hinter den Grenzen des Universums liegt, ist damit ein Rätsel, aber kein Geheimnis, da (vermutlich :snicker: ) niemand uns dies absichtlich vorenthält.

Lügen sind wissentlich gegebene Fehlinformationen. Hier muss stark zu dem Sprechen der Unwahrheit abgegrenzt werden. Eine Lüge ist nur, was absichtlich entgegen dem eigenen Wissenstand ausgesprochen wird. Zum Beispiel:
- jemand behauptet, ein Anderer zu sein, als er tatsächlich ist.
- jemand behauptet, etwas nicht zu wissen, über das er Kenntnis hat.
- jemand antwortet auf eine Frage entgegen seinem Wissen/seiner Meinung.
- jemand gibt ungefragt Fehlinformation, um Verwirrung zu stiften und falsche Fährten zu legen.
- auch Körpersprache kann (wenn sie absichtlich verfälscht wird) als Lüge bezeichnet werden. Eine Überraschung, auf die die Person mit überschwänglicher Freude reagiert, während er stattdessen ganz anders fühlt, ist absichtlich vorenthaltenes Wissen und damit eine Lüge.
Nach dieser Definition gehen Lügen immer mit Geheimnissen Hand in Hand. Das falsche Wissen wird gegeben und das richtige als Geheimnis bewahrt.

Zur Anwendung und Funktion:
Alle drei können verwendet werden, um den Leser/die Charaktere auf eine falsche Fährte zu locken, sie in Unverständnis zu lassen und neugierig zu machen. Außerdem kann die Wahrheit hinter all diesen an einer oder mehreren Stellen das Mächteverhältnis umkippen - sowohl zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Helden. Sie sorgen dafür, dass die Handlung weniger voraussehbar ist, und genau hierin liegt ihr Reiz. Zudem ist es möglich, hinter der Haupthandlung eine weitere Geschichte oder tief wurzelnde Ursachen zu verbergen, die dem Leser vorenthalten werden. Die Geheimnisse und Lügen bilden in diesem Fall die sichtbaren Auswüchse dieses verborgenen (Vor-)Geschehens. Besonders bewährt hat sich dies, um am Ende dafür zu sorgen, dass sich alle Puzzleteile zu einem Bild fügen. Durch diese fortlaufende Hintergrundhandlung erhält der Roman außerdem zusätzliche Stabilität.

In die Geschichte einfließen lassen:
Geheimnisse können vom Leser oder Charakter nur erahnt werden. Durch ein Gefühl, durch sehr ungenaue Beobachtungen oder durch die Erkenntnis, dass irgendetwas "nicht stimmt".
Rätsel sind sehr viel konkreter. Etwas passiert, das sich nicht einfach erklären lässt. Der Leser weiß damit, dass es eine Antwort auf die entstandene Frage geben muss, und er kann sie selbst suchen. Auch die Charaktere werden in der Regel daran interessiert sein, das Rätsel zu lösen, und erhalten so eine neue Motivation. Vielleicht brauchen sie die Antwort auch, um ihr bereits gesetztes Ziel zu erreichen. Oder sie wissen zwar, dass es eine Antwort geben muss, kümmern sich aber nicht darum, da sie Wichtigeres zu tun haben. So oder so sollte die Auflösung eine Rolle in der Handlung spielen und dem Protagonisten entweder seinem Ziel näher bringen oder es ihm entfernen.
Lügen werden in der Regel erzählt. Es kann als es als Antwort auf eine Frage oder ungefragt geschehen. Entweder dies wird ohne Vorbehalte geglaubt oder es kommen Zweifel auf. Ebenso möglich ist es, dass der Charakter nichts ahnt, dem Leser aber sehr wohl Ansätze gegeben werden, sodass er Verdacht schöpft. Der Reiz liegt in diesem Fall darin, dass er Schlimmes befürchtet, während der Protagonist in die Falle tappt. Wenn es zu eindeutig wird, kann der Protagonist allerdings auch schnell als etwas beschränkt empfunden werden.

Hegen und pflegen:
Die zwei Möglichkeiten lauten, die Sache fallen zu lassen und den Leser abzulenken, oder sie immer wieder anzudeuten. Ersteres ist gerade dann angebracht, wenn die Auflösung eine unerwartete Wendung bringen soll, die alles noch einmal umkrempelt und die Chancen auf Erreichen des Ziels verändert. Der Leser, der eigentlich hätte wissen müssen, dass da noch ein Geheimnis wartet, wird so gemeinsam mit den Protagonisten überrascht.
Die zweite Möglichkeit ist ein Weg, um das Interesse des Lesers zu wahren. Immer wieder etwas locken, ihn daran erinnern, dass noch etwas wartet, das er nicht weiß. Auch hier sollte allerdings nicht übertrieben werden, da es auf Dauer irgendwann auf die Nerven schlagen kann. Gerade wenn es immer und immer wieder angesprochen wird, muss die Auflösung natürlich besonders gut sein, damit die gesteigerten Erwartungen am Ende auch erfüllt werden.

Auflösen:
Die Auflösung kann durch den Protagonisten oder durch eine äußere Kraft geschehen. Entweder die Auflösung wird von einer anderen Person erzählt, sie wird als Ganzes irgendwo gefunden oder es taucht nur das letzte fehlende Teil auf, sodass Leser und Protagonist die Zusammenhänge selbst erkennen.
Bei Geheimnissen kommt die Auflösung plötzlich und unerwartet, da die Frage, die nun beantwortet wird, noch gar nicht gestellt wurde. Dafür sind der Umschwung und die geänderte Situation reizvoll, an die die Charaktere sich anpassen müssen.
Bei Rätseln wird oft schon lange auf die Auflösung hingefiebert. Falls das Rätsel, wie oben beschrieben, erst einmal unter den Tisch gefallen ist, kann es auch den "Ach ja!"- Moment auslösen.
Lügen werden entweder durch den Lügner selbst oder ohne dessen Willen aufgedeckt.
Ebenso ist es möglich, die Auflösung mit einem neuen Rätsel/Geheimnis zu verbinden. Werden kurz vor der Entschlüsselung eines gestellten Rätseln bereits neue gegeben, wird dies den Leser willens machen, auch die Antworten auf die neuen Fragen zu finden. Oder aber die Lösung eines Geheimnisses ist selbst nur eine neue Frage. Auf diese Weise wirkt die Auflösung wie ein Schritt auf dem Weg zum Ziel, und auch dies spornt zur Neugierde an.
Wovon (auch hier im Forum, wie ich gelesen habe) immer wieder abgeraten wird, ist, den gesamten Roman über die Geheimnisse nur aufzubauen. So geht schnell der Überblick verloren und es wirkt ermüdend, nie einen Schritt voranzukommen. Außerdem bedeutete dies, dem Leser die gesamten Auflösungen beim Showdown geballt vor die Füße zu werden. Gerade wenn es um komplexe Zusammenhänge geht, kommt hier schnell das trotzige Gefühl von "Das hätte ich ja auch gar nicht ahnen können." auf. Daher ist es wichtig, auch während der Geschichte immer wieder Auflösungen oder wenigstens die Schritte zur Auflösung einfließen zu lassen. Der Leser wie der Protagonist machen Fortschritte und werden so ehrgeiziger und neugieriger.
Aus eigener Erfahrung (und eigener Meinung) möchte ich anmerken, dass kapitellange klärende Gespräche als Auflösung keine gute Variante sind. Es bedeutet Infodumping, nimmt die Spannung aus dem erwarteten Showdown oder (falls es erst nach dem Showdown stattfindet) lässt weder einen Ausklang noch ein abruptes Ende zu. Stattdessen wirkt der Abschluss der Geschichte gebläht und trocken.

Meinungen:

Ziemlich kontrovers sind die Ansichten darüber, wie viel Geheimnis/Rätsel/Lüge eine Geschichte verträgt. Einige behaupten, zu viel würde die Übersicht nehmen, den Leser verwirren und durch ein Überangebot auch schlicht den Reitz aus der Sache nehmen. Andere meinen, je mehr, desto besser.

Meine persönliche Meinung tendiert eher zu Letzterem, wobei es natürlich hier sehr stark auf die Umsetzung ankommt. Tatsächlich kann es schnell zu vollkommenem Orientierungsverlust innerhalb der Geschichte kommen und die Zusammenhänge werden so komplex, dass die gut verständliche, nachvollziehbare Lösung sehr schwer zu erreichen ist. Als Beispiel, dass es dennoch funktionieren kann, möchte ich Brandon Sandersons "Mistborn"- Reihe (Die Kinder des Nebels und folgende Bände) geben. Selbst im Buch wird immer wieder das Versprechen gegeben "There's always another secret."  ("Es gibt immer noch ein weiteres Geheimnis."), das meiner Meinung nach gut gehalten wurde.

Falls irgendetwas unverständlich geblieben ist, fehlt oder so nicht richtig ist, ändere ich es natürlich nachträglich. Da ich ein großer Fan von Geheimnissen und ihrem Platz in Geschichten bin, wollte ich es einmal zusammengefasst haben. Über alle Ergänzungen und Gedanken würde ich mich freuen.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Klecks

Siara, die Liste ist ja total klasse! Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast!  :vibes:

Feuertraum

Ein sehr erfolgreiches Konzept bei Geheimnissen ist, ein Geheiminis  zu haben und entweder noch 1 - 2 weitere zu haben, und einzuführen, kurz bevor das erste Geheimnis gelüftet wird oder  ein Geheimnis zu lüften, aber dabei gleich neue Fragen aufwerfen.
Dies hat sich gerade bei den drei Fragezeichen sehr bewährt.
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Windfeuer

Danke das du dir so viel Mühe gemacht hast, Siara.  :knuddel: Der Thread wird mir auf jeden Fall sehr hilfreich sein. Ich muss rasch weiter Plotten gehen.  :gähn: *flitzt davon*

Siara

Freut mich sehr, wenn etwas Hilfreiches dabei ist. :vibes:

Feuertraums Ergänzung habe ich nun endlich mit aufgenommen (danke! :) ) und außerdem einige eingeschlichene Fehler verbessert. ::)
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