• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Welche Szenen haben eine Daseinsberechtigung?

Begonnen von Guddy, 06. März 2014, 23:27:57

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

canis lupus niger

Zitat von: Vibulanius am 12. März 2014, 15:43:37
Ich denke, es gibt noch eine weitere Perspektive neben der reinen Betrachtung, im Sinne von "Brauch ich das jetzt für den Plot?" Das ist nämlich die eine Seite der Medaille, die wir Schreiberlinge einnehmen, die andere wäre die der Leser. Letztlich muss der Leser irgendwas von der Szene haben. Natürlich lesen viele Leute Bücher um der Geschichte oder der Figuren willens. Aber das ist nicht das einzige was sie begeistert.

Ach, was bin ich erleichtert, dass das noch jemand so sieht! Ich hatte schon das Gefühl, allein auf einsamer Flur zu stehen, weil ich so gerne Szenen schreibe, die nicht unbedingt plotrelevant sind, aber Spaß machen.
Stimmungen zu erleben, Personen kennenzulernen, teilzunehmen, Spaß zu haben, zu genießen, das ist mir beim Lesen beinahe so wichtig wie die Spannung. Ich bin ein Genussleser, der Geschichten, Charakter und ihre Welten auch um ihrer Selbst willen mag. Und ich gehe davon aus, dass es von meiner Sorte noch mehr gibt. Pratchett schrieb einmal über den Herrn der Ringe, dass die Hauptperson in Mittelerde die Mittelerde selber ist. Das kennzeichnet in meinen Augen tatsächlich das, was diesen ausschweifenden Roman trotz seiner Längen zum Kultroman gemacht hat.

Tinnue

Da habt ihr, Canis und Vibulanius, einen wirklich guten Punkt gebracht. Manchmal habe ich das Gefühl, das wird bei all dem Plot-Geschrei unter. Ich denke, es ist wie bei so vielen Dingen: Es sollte irgendwo die Mitte gehalten werden. Natürlich sollten Szenen den Plot voranbringen. Zuviel Rumgeeiere dazwischen kann störend sein. Umgekehrt nervt es mich persönlich, wenn ich beim Lesen das Gefühl habe, das sowohl ich als auch die Figuren vom Autor "abgefertigt werden".

Vibulanius

Zitat von: canis lupus niger am 12. März 2014, 15:55:19
Ach, was bin ich erleichtert, dass das noch jemand so sieht! Ich hatte schon das Gefühl, allein auf einsamer Flur zu stehen, weil ich so gerne Szenen schreibe, die nicht unbedingt plotrelevant sind, aber Spaß machen.

Da bist du ganz sicher nicht alleine mit. Wie Tinnue schon meinte, bei dieser Fixierung auf den Plot fühlt man sich oft doch schon arg abgefertigt, es sei denn der Autor schafft es eher subtil den Plot in einigen Szenen voranzubringen. Ansonsten entsteht schnell ein Effekt, das man sich durch die Geschichte mehr geschleift als geführt fühlt. Man könnte auch sagen, solche abgespeckten Büchern kranken in Härtefällen teils an Magersucht ;-) Wobei ich nicht verneinen will, dass es da auch wunderbare Romane gibt. Da muss man glaub ich auch für sich rausfinden, was einem selbst eher liegt als Autor und auch als Leser. Muss ja gestehen, dass ich es am liebsten Lese, wenn ein Autor solche Szenen bringt, die am Anfang sehr fluffig wirken, sich aber dann deutlich später als kritisch plotrelavant zeigen. Hat auch den Vorteil, dass der Leser beides genießen kann, das bedient meinen inneren Fluff-Liebhaber und gleichzeitig den Hunger nach Geschichten.

Fianna

Zitat von: canis lupus niger am 12. März 2014, 15:55:19
Ach, was bin ich erleichtert, dass das noch jemand so sieht! Ich hatte schon das Gefühl, allein auf einsamer Flur zu stehen, weil ich so gerne Szenen schreibe, die nicht unbedingt plotrelevant sind, aber Spaß machen.
Stimmungen zu erleben, Personen kennenzulernen, teilzunehmen, Spaß zu haben, zu genießen, das ist mir beim Lesen beinahe so wichtig wie die Spannung.
Diese Aussagen irritieren mich, denn wir haben doch schon mehrfach festgestellt, dass man nicht von einem Höhepunkt oder Plotpunkt zum Nächsten hetzt, sondern auch Szenen "relevant" sind, die Atmosphäre und Welt nahe bringen (und somit kleine Informationen enthalten).

Sanjani

Ich kann mir eigentlich kaum vorstellen, dass es Szenen geben kann, die so gar nichts zur Story beitragen. Denn sobald sich zwei Charaktere darin befinden, haben wir doch zumindest schon mal eine weitere Charakterisierung und einen Beziehungsaufbau oder Beziehungspflege. Es sei denn, man schreibt einfach irgendwas mit zwei fremden Charakteren zwischen rein, was so gar nix mit der Story zu tun hat, aber das ist ja hier nicht gemeint.

Ich halte mich da einfach an den Grundsatz, dass ich das schreibe, was ich selber gerne lesen würde :)
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Pandorah

Zitat von: Sanjani am 13. März 2014, 08:07:42
Ich halte mich da einfach an den Grundsatz, dass ich das schreibe, was ich selber gerne lesen würde :)

An den Grundsatz halte ich mich mittlerweile auch. Denn die Geschmäcker gehen ja so unendlich weit auseinander, dass - wie ja auch schon erwähnt - der eine eine Szene abgöttisch liebt, die eine andere überflüssig und langweilig findet. Schreiben ist halt nicht nur reines Handwerk, das man anhand von starren Regeln abhaken kann, sondern auch Gefühl. Sprachgefühl, Schreibgefühl, Stilgefühl, Plotgefühl, Charaktergefühl, Szenengefühl.. :vibes: Wahrscheinlich würden wir uns sonst auch langweilen.

canis lupus niger

#21
Zitat von: Fianna am 12. März 2014, 22:53:31
Diese Aussagen irritieren mich, denn wir haben doch schon mehrfach festgestellt, dass man nicht von einem Höhepunkt oder Plotpunkt zum Nächsten hetzt, sondern auch Szenen "relevant" sind, die Atmosphäre und Welt nahe bringen (und somit kleine Informationen enthalten).

Und trotzdem wurde auch hier in dieser Diskussion immer wieder argumentiert, dass ein Buch nicht mit Szenen belastet werden sollte, die den Plot nicht voranbringen. Daher mein Statement, dass ich persönlich auf solche Szenen eben auch Wert lege. Es ist ja keine Entweder-Oder-Frage, sondern eher eine Frage des richtigen Maßes, denke ich. Unnützes Herumschwafeln kann kaum jemandem gefallen und pumpt die Seitenzahl eines Romans sinnlos auf, was auch einen Verlag wenig freuen dürfte. Allzu "nackiges" Plotverfolgen nähert sich andererseits im Stil beinahe einem Bericht. Irgendwo dazwischen hat jeder Leser und jeder lesende Autor seinen eigenen Wohlfühlbereich. Ganz aktuell habe ich selber erfahren, wie verschieden der bei verschiedenen Lesern gelagert sein kann.

Welches Maß muss ein Autor also zugrunde legen? Das kommt meiner Meinung nach darauf an, wem die Geschichte gefallen soll. Dem Eingangslektorat einer Agentur oder eines Verlages? Einem Actionliebhaber? Einer romantischen Seele? Einem Liebhaber fantastischer Landschaften und Kulturen, wie Tolkien sie entworfen hat? Reicht es, dass die Geschichte dem Autor selber gefällt? Wenn man zehn Leser fragt, bekommt man - abhängig von deren aktueller Stimmung - vermutlich elf verschiedenen Meinungen. Das ist wirklich nicht einfach.   

FeeamPC

Ich würde die Szenen immer erst einmal drinlassen. Wer weiß, ob sie nicht am Ende doch noch plotrelevant werden. Manchmal überraschen uns ja unsere eigenen Geschichten und Protas.
Und wenn nicht, abwarten, was die Beta-Leser sagen. Wenn die nicht meckern, würde ich sie ebenfalls weiter drinlassen.

Christian Svensson

Die Dosis macht das Gift, sagt man in der Medizin und das gilt nicht nur dort. Dieses "den Plot voranbringen" ist in meinen Augen eine Missinterpretation des "Creative Writing", wie es in den USA gelehrt wird. Natürlich macht es das für den Verlag und den Lektor einfach. Szene bringt den Plot nicht voran, also raus damit.
Das führt in meinen Augen zu Plotklischees, wie ich sie nicht nur in der Buchhandlung von renommierten Verlagen sehe, sondern auch in deutschen Krimis und vor allem im Popcornkino. Was meine ich damit?
Zwei Männer lieben eine Frau. Sie bekämpfen sich, am Ende wird es einen Showdown geben und der Held bekommt seine Liebste. Das ist dröge, millionenmal erzählt. Die Schreibratgeber sagen jetzt, dass unserem Held auf dem Weg zu seinem Sieg alles nur Denkbare zustoßen muss, damit er sich als Held erweisen kann. Das führt dann zu unglaublich vorhersagbaren Szenen, in denen nur noch Gähnen bleibt. Held geht nach Hause, hinter einer dunklen Ecke kommt ein Junkie mit einem Messer hervor und will Geld. Held sthet vor der Haustür, ihm fällt ein Blumenkübel fast auf den Kopf, usw., etc. ,pp. Aber - die Szenen treiben den Plot voran, da ist Action, Kampf, Konflikt. Eine ruhige Szene, in der unser Held darüber nachdenkt, warum er die Frau so unbedingt will und ob er wirklich mit dem Nebenbuhler kämpfen muss, ist unerwünscht. Passiert ja nichts ...
Ich habe es einmal sehr schematisiert geschrieben, aber ich denke, Ihr versteht, was ich meine.

Coppelia

#24
Plot ist nicht = Action. Actionszenen, die nur um der Action willen da sind, sind ein hervorragendes Beispiel für Szenen, die den Plot nicht voranbringen und für mich ein Beispiel für besonders nervige Szenen.
Wenn sich der Held durch die Action wirklich beweist, das heißt äußerlich vorankommt oder sich innerlich weiter entwickelt, ist es natürlich etwas anderes. Aber wenn der Held einfach nur so überfallen wird, ist das noch nicht unbedingt gegeben.

Dass viele Leute Actionszenen gern lesen, steht auf einem anderen Blatt.

Christian Svensson

Deswegen hatte ich auch von "schematisiert" gesprochen  ;)
Aber ich versuche es einmal anders. Es gibt Bücher, da überblätter ich Seiten und bin froh, wenn ich das Ende erreiche. Es gibt Bücher, da ärgere ich mich, das es schon vorbei ist. Bei Letzteren ist dann oft ein leises Bedauern da, obwohl ich wusste, dass es gut geschrieben war, nichts Überflüssiges, straff durch, super. Nur die leise Frage im Hinterkopf - so ein, zwei, drei mehr Kapitel mit dem/der Protagonistin wären schön gewesen. Einfach nur sie zu erleben.
Das führt dann auch dazu, dass es bei Mehrteilern und großen Serien immer wieder Bücher gibt, die nichts mit dem eigentlichen Handlungsstrang zu tun haben, aber die Helden in der Vorgeschichte oder einem Seitenstrang zeigen. Auch das gibt es.

Siara

#26
Es ist ja (um es mal gesagt zu haben) nicht so, dass eine Szene in eine Geschichte hinein "verpackt" wird wie in einen Karton, der unabhängig vom Inhalt existiert. Sondern die Geschichte wird aus den einzelnen Szenen gebildet. Jede Szene, die enthalten ist, verändert das Buch als Ganzes. Die einzige Frage, die man sich als Autor stellen kann, ist vielleicht: "Macht diese Szene die Geschichte besser?"

Es ist ein wenig wie beim Kochen: Viele Zutaten ergeben ein großes Ganzes. Und dabei ist nicht die Frage, ob nun Paprika, Tomate oder Pfeffer unbedingt notwendig sind. Weglassen könnte man sie sicher - aber sie verbessern vielleicht den Geschmack, und das ist doch das, worum es geht. Nicht alle Gewürze passen zu jeden Gericht und manches sollte man besser nicht kombinieren. Wie man kochen lernen kann, kann man wohl auch beim Schreiben lernen, was zur Qualität des eigenen Werks beiträgt. Zum Glück gibt es dafür Testesser- Ähhm... Betaleser  ;D

Jaja, ich bin gerade ein wenig zu metaphorisch geworden - das passiert mir gerne mal  ::) Ich hoffe, was ich sagen wollte, ist unter dem ganzen Gemüse-Geschwafel nicht untergegangen.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Klecks

Das mit dem Kochen ist eine tolle Metapher, Siara.  :jau:

Exilfranke

#28
Eine wirklich schwierige Frage, dich ich mir auch schon öfters gestellt habe. Generell versuche ich immer plot-driven zu schreiben, heißt, dass jede Szene die Geschichte voranbringen muss. Da ich meine Kurzgeschichten auf max. 25 Word-Seiten limitiere, ist ein solches Vorgehen auch ratsam. Ich habe versucht, mir selbst folgende Richtlinie aufzuerlegen.

Eine Szene hat Berechtigung, wenn sie

a) Die Handlung vorantreibt
b) etwas über einen Protagonisten enthüllt
c) der Atmosphäre dient
d) dem Leser die Welt nahebring

Dabei besitzt a) höchste, d) niedrigste Priorität. Meist können c) und d) sinnig in a) und b) integriert werden und müssen nicht allein stehend den Text aufblähen. Aber da ist natürlich nur Theorie. Walter Moers schreibt beispielsweise in seinen Zamonien-Romanen kapitelweise Fluff oder schildert seitenlang Kochrezepte und es klappt trotzdem. Warum? Moers kann seine bizarren Ideen derart genial in Sprache verpacken, dass selbst der profanste Nebensatz zum Lesevergnügen wird. Kann aber nicht jeder.

Fianna

#29
Ich bin ein großer Anhänger von show don't tell (soweit vernünftig). Zum Beispiel würde ich jederzeit einen Prolog wegkürzen wenn ich stattdessen die Informationen alle nach und nach häppchenweise verteilt einbringen oder idealerweise "showen" kann. Eigentlich habe ich niemals einen Prolog, Ausnahme bildet evt die Unterstützung eines Riddles-Plots (dann werden aber eigentlich kaum Informationen gegeben, sondern Fragen aufgeworfen).

Auch sonst habe ich so viele wichtige Informationen zu dem Hintergrund des Protagonisten, der Hintergrundgeschichte des Konfliktes (der verschiedenen beteiligten Gruppierungen) oder der Welt (Informationen, die plotrelevant sind bzw. wichtig für die Logik), dass jede Szene bei mir wichtig ist, weil sie wichtige Informationen enthält.
Jede primär atmosphärische oder welten-zeigende Szene wird als Transportmittel für eine oder mehrere Informationen genommen - dafür gibts keinen Prolog und tell eigentlich nur, wenn show unvernünftig ist.


Deswegen bin ich bei solchen Fragen etwas hin und her gerissen, denn bei mir gibt es niemals "Kategorie d", und man kann keine Szene wegkürzen ohne dass etwas zum Verständnis fehlt.


EDIT:
Das kommt aber auch stark aufs Genre an. Bei High Fantasy oder Romantic Fantasy kann ich mir rein atmosphärische Szenen eher vorstellen, bei meinem eigenen Geschreibsel (Low Fantasy/S&S, Fantasy Krimi, Historisches) will das irgendwie nicht reinpassen.