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"Der Kreis schliesst sich" oder doch eher "Alles kommt ganz anders"?

Begonnen von Cailyn, 14. Dezember 2013, 16:47:00

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Cailyn

Liebe Plotter und Worttüftler und Geschichtenspinner,

Mich beschäftigt wieder mal eine ganz grundsätzliche Frage bezüglich plotten. 

Wenn ich meine Plots durchdenke, komme ich sehr oft an den Punkt, wo ich mich entscheiden muss: entweder für eine logische und harmonische Abfolge, die dann aber ohne grosse Überraschungen funktioniert, oder aber für eine Geschichte mit ziemlich heftigen Brüchen, die zwar dadurch spannend wird und Überraschungen bereit hält, aber in sich selbst nicht so "vollendet" wirkt. Damit meine ich aber nicht, dass es in der "harmonischen" Geschichte keine unerwarteten Handlungen oder Geschehnisse gibt, sondern eher, dass die grossen Spannungsbögen, die zu Beginn gesponnen wurden, beibehalten werden und die Prämisse damit erfüllt. Bei der eher überraschenden Variante wären dann die Brüche so stark oder das Weltbild würde sich so stark verdrehen, dass sich am Ende der ganze Quest komplett verändern würde. Beide Varianten sind mir zu extrem. Aber ich finde auch selten einen guten Mittelweg.

Somit bin ich dann oft hin und her geworfen zwischen einer glaubwürdigen Logik und einem Kreis, der sich am Ende der Handlung schliesst, und der teuflischen Versuchung, alles komplett über den Haufen zu werfen und die Perspektive auf das Ganze neu zu machen.

Meine Hauptfragen dazu:
Wie viele Brüche verträgt eine Geschichte? Wie viele müssen sogar sein, damit die Story nicht langweilig wird?
Was wiederum sollte eher harmonisch daherkommen? Wo sollte sich der Kreis schliessen?

Gibt es Bücher, die eine geniale Mischung von Harmonie und Brüchen hergeben? Wenn ja, welche sind das?

Und allerletzte Frage:
Wie löst ihr diese Herausforderung (falls es denn für euch überhaupt herausfordernd ist)?

Bislang habe ich bislang häufig versucht, eher in den Figuren Brüche zu erzeugen oder mit Überraschungen aufzuwarten, aber nicht wirklich bei der Handlung. 

Es grüsst,
Cailyn

Churke

Zitat von: Cailyn am 14. Dezember 2013, 16:47:00
Meine Hauptfragen dazu:
Wie viele Brüche verträgt eine Geschichte? Wie viele müssen sogar sein, damit die Story nicht langweilig wird?

Das kann man nicht allgemein sagen, das kommt ganz auf die Story an. Im Herrn der Ringe ist die Handlung klar vorgezeichnet, da kann Frodo nicht irgendwann entdecken, dass Sauron ein dufter Typ und Gandalf der wahre Schurke im Spiel ist. Ebenso gibt sich Saruman sofort als Diener Saurons zu erkennen - er hätte ja aus dramaturgischen Gründen noch warten können. Aber das wäre halt Unfug gewesen, der nicht zur Geschichte passt.

Ich selbst arbeite sehr viel mit Brüchen, lege Plot und Figuren aber immer von Anfang an auf das Endergebnis an. Das heißt, es ist weniger ein Bruch als vielmehr eine intendierte Täuschung des Lesers (bzw. Protagonisten). Aber wenn ich die Wahl hätte zwischen Glaubwürdigkeit und Spannung, würde ich mich immer für die Glaubwürdigkeit entscheiden. Vielleicht auch, weil Unglaubwürdiges nicht wirklich spannend sein kann. (imho)

Klecks

Wie viele Brüche verträgt eine Geschichte? Wie viele müssen sogar sein, damit die Story nicht langweilig wird?

Ich finde, das kommt auf die Länge der Geschichte an. Wenn ich auf 300 Seiten alle zwei, drei Kapitel mit einer neuen, weitreichenden Wendung überrascht werde, bin ich als Leser irgendwann komplett frustriert, verliere das Mitfieber-Vergnügen und "traue" dem Autor bzw. der Geschichte nicht mehr über den Weg.


Was wiederum sollte eher harmonisch daherkommen? Wo sollte sich der Kreis schliessen?

Du hast einen Quest erwähnt - das ist zum Beispiel etwas, das für mich harmonisch bleiben müsste, sowohl beim Lesen, als auch beim Schreiben. Das ist der rote Faden eines Romans, in dem ein Quest vorkommen soll.


Gibt es Bücher, die eine geniale Mischung von Harmonie und Brüchen hergeben? Wenn ja, welche sind das?

Es scheint in der Tat recht schwer zu sein, das hinzubekommen. Mir ist bisher kein Buch untergekommen, das den Mittelweg gewählt hat. Entweder alles war Einheitsbrei oder es gab so viel Hin und Her, so viele Überraschungen, so viele Wendungen, dass es irgendwann keinen Spaß mehr gemacht hat, zu lesen. Beispiel dafür wäre City of Bones und die Folgebände von Cassandra Clare. Da geht es hin und her, das fand ich schade, weil ich die Bücher an sich toll finde. (Spoiler) Zuerst sind sie zum Beispiel einfach ein Junge und ein Mädchen, dann sind sie plötzlich Geschwister, woraus eine Menge Drama entsteht, und auf den letzten Seiten der ersten Trilogie erfährt man dann plötzlich, dass sie doch nicht verwandt sind. (Spoiler Ende) Das ist unnötig. Der Umfang, die Tragweite und die Komplexität des Bruchs spielt also immer auch eine Rolle. Nicht zu unterschätzen ist auch die Art und Weise, wie man den Knoten platzen lässt. Da stellen sich mir einige Fragen: Wie viel Information gebe ich auf einmal Preis? Kommt der Bruch abrupt und plötzlich oder ist es eher ein schleichender Prozess, möglicherweise nur ein Splittern?

Meine Lösung: Natürlich gibt es in meinen Büchern Wendungen und Überraschungen, es soll ja schließlich mitreißen, aber wirklich große Brüche setzte ich gleich an den Beginn von Folgebänden. Dann geht die eigentliche Atmosphäre des Weltbilds, der Protas, der Geschichte an sich im ersten Band nicht verloren. Das passiert dann nur teilweise und erst im nächsten Band, wenn man als Leser zwar eine Welt erwartet, aber sich beim Lesebeginn doch noch umstellen kann und das nicht mittendrin machen muss, wenn man die handelnden Personen und die Welt noch nicht einmal richtig kennengelernt hat. Bei Einzelromanen setzte ich sozusagen kleine Hinweise zwischen die Zeilen, die zwar nichts verraten, aber den Leser auf einen Umbruch vorbereiten sollen, ohne vorwegzunehmen, was oder wem etwas wie, wo und wann passiert.

Bisher hat das bei meinen Romanen immer geklappt. Es war ein Bruch, aber er war an einer Stelle, die das Lesevergnügen nicht geraubt hat, sondern dem betreffenden Roman eine andere Atmosphäre verliehen und Interesse, Erstaunen und neugierige Fassungslosigkeit geweckt hat.  :lehrer:

Coehoorn

Ich denke, sowas hängt immer ganz von der Geschichte ab. Ein paar Brüche sind sicherlich nötig, damit die Geschichte nicht langweilig wird aber zu viele rauben die Glaubhaftigkeit und frustrieren mich als Leser einfach nur. Mir ist wichtig, dass ein Bruch auch einen Sinn hat und nicht vom Autor herbeigeführt wird, weil ihm nichts besseres Einfällt. Ein Bruch aus heiterem Himmel passt einfach nicht. Wenn aber auf einen Bruch hingearbeitet wurde und sich lose Fäden plötzlich durch diesen Bruch verknüpfen, dann gibt das so einen gedanklichen "Ist doch logisch, wieso hab ich das nicht gesehen?"-Effekt bei mir.
Außerdem finde ich, sollten Brüche nicht zu unnötigem Kitsch führen. Auf den letzten drei Seiten plötzlich einzuführen, dass sie eben doch keine Geschwister sind und in Liebe zusammenbleiben können, bis dass der Tod sie scheidet ist für mich genauso unnötiger Kitsch, wie der Böse der auf der letzten Seite seine Rolle mit dem Guten tauscht und dann von aller Welt geliebt wird. Brüche dieser Art mag ich nicht.
Hingegen wäre ein Bruch, dass der Böse eigentlich was gutes wollte, es halt nur mit den falschen Mitteln versucht hat zu erzwingen, schon wesentlich mehr mein Fall.

FeeamPC

Game of Thrones ist für mich ein klassischer Plot, der jede Menge Brüche hat (es kommt immer anders, als man denkt, und die Protagenten sterben weg wie die Fliegen), aber der übergeordnete Handlungsbogen (Winter is coming) geht vom ersten bis zum (bisher) letzten Buch durch.

Coehoorn

Wobei es in meinen Augen bei Game of Thrones einfach nur übertrieben ist.
Es macht einfach irgendwann keinen Spaß mehr, wenn alle Figuren die man toll findet nacheinander verrecken. Da bringt es auch nicht viel, das ständig neue Figuren kommen, denn bei einer neuen Figur ist mein erster Gedanke immer "ist eh demnächst tot"

Christopher

Zitat von: Coehoorn am 15. Dezember 2013, 12:45:40
Wobei es in meinen Augen bei Game of Thrones einfach nur übertrieben ist.
Es macht einfach irgendwann keinen Spaß mehr, wenn alle Figuren die man toll findet nacheinander verrecken. Da bringt es auch nicht viel, das ständig neue Figuren kommen, denn bei einer neuen Figur ist mein erster Gedanke immer "ist eh demnächst tot"

Arya (mein persönlicher Liebling :P ) hält aber noch durch ;D

Brüche sind ok müssen aber, wie bereits erwähnt wurde, langwierig vorbereitet sein. Wenn die Handlung plötzlich in eine völlig unerwartete Richtung geht und ich im selben Moment denke: Ach, verdammt! Da war ja was! Dann läuft das richtig und ist in Ordnung. Wenn ich aber denke: "Was soll das denn jetzt? Hä? Wieso...." ist das Müll.
Das mittem im Showdown plötzlich irgendeine vorher nie aufgetretene oder erwähnte Person um die Ecke springt und dem Protagonisten hilft, den Kampf doch noch für sich zu entscheiden ist Schrott. Wenn diese Person im Verlauf des Buches immer wieder andeutungsweise erwähnt wurde und ihr auftauchen gerade zum rechten Zeitpunkt logisch und nachvollziehbar ist, ist das toll.

Aber mal zu den konkreten Fragen:
Wie viele Brüche verträgt eine Geschichte?

So viele, wie der Autor gut vorbereitet hat. Gute Vorbereitung braucht aber Zeit. Je größer die Auswirkungen des Bruchs, desto mehr Zeit.

Wie viele müssen sogar sein, damit die Story nicht langweilig wird?

Sein müssen? Keine. Wenn die Story erst durch solche Brüche interessant wird, stimmt mit der Story an sich was nicht. Und nicht mit den fehlenden Brüchen.

Was wiederum sollte eher harmonisch daherkommen? Wo sollte sich der Kreis schliessen?

Die erste Frage kann ich so konkret gar nicht beantworten. Was meinst du? Das ist ein zu weites Feld, um darauf pauschal zu antworten ;D
Und wann und wo sich der Kreis schließt ist nicht wichtig meiner Meinung nach. Hauptsache er tut es bevor er in Vergessenheit gerät oder beim schließen ruft man es dem Leser noch mal in Erinnerung.
Bestes Beispiel für den längsten von mir bisher gelesenen "Kreis": Tad Williams Drachenbeinthron Reihe.
Spoiler:
Die Tatsache, dass das Gedicht von Nisses völlig falsch interpretiert wurde und Simon und co. quasi die ganze Zeit ihren Feinden in die Hände gespielt haben wird erst ganz zum Schluss aufgelöst. Passt aber, da es essenziell war und die ganze Reihe über stets in Erinnerung gehalten wurde. Dazu während seiner Träume ständig thematisiert, stets mit einem recht bedrohlichen/unangenehmen Unterton... da fügten sich am Ende die Puzzlestücke wunderbar zusammen. Ganz großes Tennis.



Wie löst ihr diese Herausforderung (falls es denn für euch überhaupt herausfordernd ist)?
Puh, einfach so nebenher würde ich sagen. Ich weiss, was ich als große Erkenntnisse (in Bezug auf den Plot) am Ende beim Leser haben will und lass die Geschichte so laufen, dass dem nichts widerspricht. Dazu versuche ich stets mehrere Interpretationsmöglichkeiten offen zu lassen, wenn die Sprache auf dieses Thema kommt. Der Leser sollte sich fragen "Irgendwie ist das nicht ganz stimmig..." ohne, dass er das was ich da geschehen lasse, klar als "unrund" erkennen kann. Die zweite (falsche) Interpretationsmöglichkeit muss naheliegender sein, als die erste (richtige). Aber wenn es dann aufgelöst wird, muss er merken, dass sein Bild was er bisher hatte falsch war :P

Be brave, dont tryhard.

Cailyn

Churke,
Ich glaube, ich handhabe das ziemlich ähnlich wie du.
Trotzdem denke ich, dass Spannung durch Brüche nicht unbedingt unglaubwürdig sein müssen. Wenn zum Beispiel ein Ziel erreicht werden soll, und im letzten Moment macht jemand dem Protagonisten einen gehörigen Strich durch die Rechnung, dann ist das ja nicht unglaubwürdig, trägt aber wohl zu einer erhöhten Spannung bei. Und wenn dann dieser Jemand auch noch ein Verräter ist, der vorher gut zu sein schien, ist es immer noch glaubwürdig, solange man das zweite Gesicht dieses Jemand vorher ganz dezent angedeutet hat. Aber ich denke, das ist dann eben das Schwierige. Man muss dem Leser Gelegenheit geben, Brüche im Nachhinein als Aha-Erlebnis zu sehen und nicht als Unlogik.

Klecks,
Ja, das mit den Hinweisen ist eben genau diese Kunst. Den Leser indirekt hinzuführen, zum Bruch. Aber diese Dosis - wie viel muss/darf/soll der Leser wissen? - ist enorm schwierig zu treffen.

Coehoorn,
Ja, ich finde es auch viel spannender, überraschend andere Seiten eines Charakters zu bringen (der aber trotz Gegensatz auf ihn passt) und so den Leser zu überraschen als einfach Schicksale mehrmals umzukrempeln, so dass es dann zu einem kitschigen Ende führt. Das wirkt dann eher marktorieniert, so nach dem Motto: Bescheren wir dem Leser ein schönes Ende, damit er sich auf der letzten Seite des Buches besser fühlt.

Christopher,
Das mit dem Showdown, wo plötzlich jemand Fremdes hinzukommt, ist wirklich ein arger Fehler. Das habe ich auch schon in sehr schlecht gemachten Krimifilmen gesehen, wo plötzlich erst in den letzten 10 Minuten jemand auftaucht, der dann am Ende der Mörder ist. Sowas ist einfach eine Veräppelung des Zuschauers (oder Lesenden.)
ZitatDer Leser sollte sich fragen "Irgendwie ist das nicht ganz stimmig..." ohne, dass er das was ich da geschehen lasse, klar als "unrund" erkennen kann. Die zweite (falsche) Interpretationsmöglichkeit muss naheliegender sein, als die erste (richtige). Aber wenn es dann aufgelöst wird, muss er merken, dass sein Bild was er bisher hatte falsch war
Bin nicht sicher, ob ich dich das richtig verstehe. Kannst du ein Beispiel machen?

Klecks

Zitat von: Cailyn am 15. Dezember 2013, 16:03:14Ja, ich finde es auch viel spannender, überraschend andere Seiten eines Charakters zu bringen (der aber trotz Gegensatz auf ihn passt) und so den Leser zu überraschen als einfach Schicksale mehrmals umzukrempeln, so dass es dann zu einem kitschigen Ende führt.

So geht es mir auch. Besonders gut geeignet für solche leserüberraschenden Charakterzüge sind meines Erachtens Extremsituationen, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen, die für den Rest der Handlung bedeutsam sind. Das vollständige Umkrempeln von Schicksalen ist so ein heftiger Bruch, dass ich ihn zum Beispiel nur im Folgeband eines Mehrteilers oder eines wirklich dicken Wälzers würde lesen wollen - weshalb ich ihn als Autorin auch nur dort platziere. :buch:

Christopher

Zitat von: Cailyn am 15. Dezember 2013, 16:03:14
Bin nicht sicher, ob ich dich das richtig verstehe. Kannst du ein Beispiel machen?

Wie oben geschrieben: Tad Williams "Drachenbeinthron" Reihe macht das so ;)

Be brave, dont tryhard.