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Eine Figur zu quälen

Begonnen von HauntingWitch, 29. Oktober 2013, 15:14:28

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Lucien

@funkelsinlas: Eine richtige Vergewaltigung habe ich bisher noch nicht geschrieben und ich denke auch nicht, dass ich das so bald tun werde. Da kann ich dir also nicht mit Erfahrung dienen.
Was Folter im Allgemeinen angeht habe ich in meinem aktuellen Projekt beides: Folter aus Sicht des Opfers und des Täters mit jeweils unterschiedlichen Motivationen. Die Folter durch den Antagonisten schreibe ich aus der Sicht des Opfers, da er einer der Protagonisten ist und sich die Perspektive dadurch von selbst ergibt. Die Folter ist sowohl physischer als auch psychischer Natur und soll das Opfer brechen. Die Folterszenen, die ich aus der Sicht der Täter schreibe, sind rein physischer Natur und sollen konkrete Informationen liefern.
Beide Varianten finde ich sowohl spannend bis vergnüglich zu schreiben als auch zu lesen.
Um jetzt wieder auf die Vergewaltigung zu kommen: Da bin ich mir nicht so sicher, wie ich persönlich es anstellen würde. Das ist etwas, was mir grundsätzlich nicht so behagt, weder beim Lesen noch beim Schreiben. In einem angefangenen Roman schreibe ich aus der Sicht des Bösen. Mein Prota genießt es mit Frauen zu spielen, allerdings nimmt er sich nur welche, die sich ihm mehr oder weniger freiwillig (ob nun aus Angst oder Faszination) fügen. Vergewaltigungen gibt es also auch da nicht. (Wobei sich an dieser Stelle natürlich darüber diskutieren ließe, ab wann man überhaupt von einer Vergewaltigung sprechen kann.)
Eine ganz eindeutige Vergewaltigung könnte und wollte ich vermutlich - sowohl aus Sicht des Opfers als auch aus Sicht des Täters - nur andeutungsweise Schreiben und würde mich darum bemühen, es nicht in irgendeiner Form zu glorifizieren. (Was aus Tätersicht vermutlich schwierig wäre, aber auch da gibt es sicher Mittel und Wege, um dem Leser klar zu machen, dass man Vergewaltigung grundsätzlich nicht gut findet. Auf der anderen Seite hoffe ich doch, dass die Leser genug Grips haben, um das auch so zu wissen.)

Was die Effekthascherei angeht, halte ich es wie Guddy: So lange es mir noch nicht zum Hals heraushängt eine Figur zu quälen und ich noch genug Einfälle habe, um für Abwechslung zu sorgen, schreibe ich es auch. Einer meiner Protas leidet quasi schon seit Beginn von Band 1 durchgehend und verbringt den größten Teil von Band 2 in den Fängen des Antas. Dabei hat sein Leid zahlreiche Facetten von profanem Liebeskummer bis hin zur tatsächlichen Folter - und ich bin es immer noch nicht leid. Es ist plotrelevant und die Entwicklung der Figur ist einfach zu spannend.

Zit

#61
Hm. (Ausgeschriebene) Vergewaltigungen sind für mich etwas, das in einem Unterhaltungsroman nichts zu suchen hat. Die erste Vergewaltigung, die mir in einem Unterhaltungsmedium begegnete, war der Missbrauch des Großvaters am Enkel bei Schöne Verhältnisse von Edward St. Aubyn. Er schildert das Vorgehen so, dass es aus der Sicht des Jungen geschrieben ist, der im Moment des Missbrauchs eher mit dem Gecko an der Zimmerdecke beschäftigt ist als mit seinem Großvater. Nach der Szene hätte ich aber trotzdem kotzen und den Großvater zu Brei schlagen können ... Die zweite Vergewaltigung, die mir begegnete, war bei Valhalla Rising, die an sich nochmal eine Spur schlimmer war, weil mir viel früher klar war, was passieren würde und die Filmemacher dann das haben auch ausspielen lassen. Danach war ich ziemlich verstört und habe Tage gebraucht, die Bilder aus meinem Kopf zu verbannen.
Vergewaltigungen sind für mich also ganz allgemein etwas, das imho weder ausgeschrieben noch ausgespielt gehört. Ich schaue ja auch nicht dabei zu wie jemand einen Menschen genüsslich ausweidet und seziert.

@Vergewaltigungsfantasien: Kann ich, ehrlich gesagt, auch nicht nachvollziehen. Klar darf der oder die Partner/in auch gerne mal bestimmend sein, aber trotzdem ist das doch alles recht gleichberechtigt. Vor einer Weile hatte ich einen Erotikroman angelesen, der mit einer Gartenparty begann und wo der Typ die Frau abgeschleppt hat wie ein Neandertaler (über die Schulter gelegt), sie Zeter und Mordio schrie und alle anderen Anwesenden nur wissend grinsten. Da habe ich als Leser nur'n Hass gekriegt. Zum einen, weil ein Stopp nicht als Stopp aufgefasst wurde (und die Szenen waren aus Sicht der Frau geschrieben, deren Gedanken eindeutig zeigten, dass sie es wirklich nicht will und nicht nur so tut) und zum anderen wegen der ganzen Idioten, die noch dummfeixend daneben standen. (Und nur weil die Gäste zu 99,99% aus der SM-Szene kommen, heißt das noch lange nicht, dass solches Zeter nur gespielt ist.)

ZitatIch will im nächsten Projekt nämlich eine Vergewaltigung aus der Sicht des Opfers schreiben und würde mich wenn gerne über ein paar Erfahrungen oder Meinungen dazu freuen.

Erfahrungen dazu freuen finde ich richtig, richtig falsch formuliert. Das klang für mich beim ersten Lesen so als würdest du erwarten, dass jemand von uns vergewaltigt wurde und jetzt bittedanke mal seine "Erfahrungen" mit uns teilen soll. :no: Ansonsten stimme ich Tina zu, was die Formulierung sonst angeht.
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Cherubim

Ich finde die ursprüngliche Frage sehr interessant. Ich denke momentan über ein sehr ähnliches / gleiches Thema nach. Wann leidet der Held zu viel bzw. kann der Held überhaupt zu viel leiden? Kann man das überhaupt irgendwie eingrenzen oder empfindet das nicht jeder anders?

Bei mir hat sich das im Laufe der Zeit, besonders die letzten 2 – 3 Jahre sehr verändert. Früher ist es mir sehr schwer gefallen, meine Charaktere leiden zu lassen. Einfach, weil ich selbst zu sehr mitgelitten haben bzw. ich meine Lieblinge einfach glücklich sehen wollte. Aber leider ist eine Geschichte, wo immer alles nur schön ist, auf die Dauer stinke langweilig. Mittlerweile macht mir sogar eine gewisse Freude, mir negative Dinge auszudenken, weil ich die Charaktere so an ihre Grenzen bringen kann. Gefühle zeigen und schreiben kann und die Geschichte so hoffentlich noch intensiver und emotionaler wird.

Soviel zur Theorie. Diese Ideen dann auch in einer Szene umzusetzen ist wieder etwas ganz anderes. Da kommt es dann wirklich darauf an, wie schlimm ich persönlich etwas finde. Manchmal reizt mich so eine Szene, aber es gibt auch dramatische Szene vor denen ich riesen Respekt habe. Erfahrungsgemäß ist es aber dann gar nicht so schlimm sie zu schreiben. Wenn es eine ganz ,,schlimme" Szene ist, versuche ich mich etwas davon zu distanzieren und sie eher von außen betrachtet zu schreiben. An zwei Ideen kann ich mich erinnern, die mich aus Grund persönlicher Dinge so belastet hätten, dass ich sie gelassen haben.

Mir hilft es auch, wenn ich meine Helden sehr leiden lassen, mir vor Augen zu führen, was sie am Ende alles dafür erhalten. Ich finde eine Balance ist wichtig. Mich als Leser stört es total, wenn ein Charakter nur leidet. Ab und zu soll er auch mal wieder zu Atem kommen dürfen und was Schönes erleben. Dann schlägt eine neue Katastrophe auch wieder viel besser ein.

Es kommt auch immer darauf an, wieso ein Charakter leiden muss. Bringt es den Plot voran oder will man damit etwas verdeutlichen... Für mich muss es sowohl für den Charakter, als auch für die Geschichte einen tieferen Sinn machen, nur der Dramatik wegen geht für mich gar nicht.

Coppelias Einwand finde ich auch gut. Man darf auf keinen Fall die Auswirkungen des Leids auf den Charakter außer Acht lassen. Wer gerade etwas richtig Schlimmes erlebt hat oder seine halbe Familie verloren hat, wird nicht freudestrahlend auf eine Party gehen. Auch nicht, wenn es ,,schon" fünf Tage her ist.

Ich finde es wichtig, richtig richtig wichtig Handlungen wie z. B. Krieg usw. auch als Schlimm und mit Leid verbunden dazustellen. Und auf keinen Fall zu verharmlosen.

Ich denke, die große Kunst ist es sich selbst etwas zu distanzieren, um nicht wirklich richtig mitleiden zu müssen, aber ohne Gefühl geht es für mich auch nicht. Also ein bisschen leiden muss man als Autor wohl in Kauf nehmen.

Und jetzt speziell zu funkelsinlas Frage.
Aus welcher Szene schreibe ich eine Folterszene. Aus der Sicht der wichtigeren Figur. Heißt aus der Sicht der Protagonisten. Das ist meistens die Sicht des Opfers, einfach weil ich selten Helden haben, die foltern. Es kann aber schon vorkommen, dass auch die ,,guten" Protagonisten weniger gute Dinge machen und dann ist die Szene aus der Sicht des ,,Folterers"

Ein konkretes Beispiel. Meine aktuelle Protagonistin sitzt momentan im Kerker und hat gerade die Bekanntschaft eines schlagwütigen Geweihten und eines Offiziers gemacht, der das Abtasten sehr genau nimmt. Die Szene ist aus ihrer Sicht und sie klar in der Rolle des Opfers. (Wobei es noch weit von einer Vergewaltigung und richtiger Folter entfernt ist. Noch.)
Einige Szenen vorher ist auf ihre Anweisung hin eine junge Frau auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Meine Protagonistin hat mehr oder weniger unbewusst eine Hexenjagt entflammt und das war eben die Konsequenz daraus. Die Szene ist auch aus ihrer Sicht und sie ist in diesem Fall ganz klar die ,,Böse". Aber gerade das hatte für mich den Reiz. Sie wollte es so, aber aus ihrer Gedankenwelt geht klar heraus, wie entsetzt sie darüber ist.

Ich muss mich leider auch der Meinung von Churke anschließen, gerade bei Vergewaltigungsszene denke ich mir manchmal, nicht schon wieder und das finde ich fruchtbar, da das ein sehr ernstes Thema ist und durch die Leichtfertigkeit, mit dem damit oft umgegangen wird, das ganze fast verharmlost wirkt. Das ist natürlich nicht immer so und ich will auch niemanden etwas unterstellen. Ich finde nur, man sollte gut darüber nachdenken, was man für eine Qual / Folter man seinem Charakter antut und was das wirklich für Auswirkungen auf ihn hat. Und auf die Leser.
Prinzipiell bin ich, gerade bei ziemlich krassen Szenen ein Fan von weniger – ist – mehr und würde dazu tendieren ab einen bestimmten Zeitpunkt auszublenden. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung.

funkelsinlas

Hey,
das hab ich vielleicht etwas falsch formuliert. Bei mir stapeln sich gerade die psychiatrischen Abhandlungen zu diesem Thema und ich hab auch schon einen Bericht von einem Opfer gehört! Das wird weder glorifiziert, noch groß direkt beschrieben. Es geht eher um die Gefühlswelt. Das eigentlich wird nur angedeutet, dann bekommt man ihren Ekel, ihre Angst und Scham mit und wie sie sich an Bilder klammert, nur um gleich darauf zu finden, dass sie zu "schmutzig" für diese reinen Erinnerungen ist!
Alle Beschreibungen, die auch nur ansatzweise in Richtung einer Sexszene gehen finde ich einfach nur krank!
Die Szene ist allerdings für meinen Roman wichtig, besonders der Wechsel in ihrer Gefühlswelt. FIndet ihr das in dieser Art ok oder würdet ihr sagen man blendet besser aus?

Norrive

Es kommt darauf an.
Wenn die Szene wichtig ist, gehört sie rein. Jetzt stellt sich die Frage nach dem Wie. Wenn dein Roman sowieso ziemlich direkt Gewalt und Folter beschreibt, dann kann das Ausschreiben dieser Szene durchaus passend sein. Andererseits muss ich mich den Vorpostern anschließen, die sagen, dass das Angedeutete eigentlich schon reicht beziehungsweise auch schlimmer sein kann.
Mir fallen eigentlich gerade zwei gute Beispiele für beide Varianten ein, allerdings aus Filmen. Ich spoilere das mal, sowohl als Triggerwarnung als auch für Leute, die Verblendung oder Gran Torino noch schauen wollen.

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


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Vielleicht hilft es dir ja bei der Entscheidung, wenn du die Szenen einmal anschaust.
Bei den psychologischen Folgen ist eigentlich jedes Opfer anders, aber es stößt vielen, vielen Menschen sauer auf, wenn der Charakter das 'einfach so' weg steckt. Ich finde es gut, dass du dich scheinbar intensiv mit der Materie auseinander setzt. Es gibt schon zu viele Filme und Bücher, in denen das quasi keine Rolle spielt (zB Prota wird vergewaltigt, tötet den Täter und alles ist wieder gut. So läuft es nicht.).
Mir macht es normalerweise eigentlich wenig aus, wenn ein Buch oder Film relativ unsensibel mit Gewalt umgeht, aber in manchen Fällen erfordert es das Thema (sexuelle Gewalt, Gewalt gegen Kinder, Kriegsverbrechen...) an sich einen sehr vorsichtigen Umgang. Gerade, wenn die Sache den/die Prota betrifft und nicht nur abstrakt benutzt wird, um die Schrecklichkeit der Welt oder des Antas darzustellen.

Zit

Die Veränderung des Charakters lässt sich auch im Nachhinein zeigen, wenn er/ sie vom Täter zurück gelassen wird. Mein mit krimineller Energie angefixtes Hirn spuckt mir bspw. eine Szene aus, in der der Täter das Opfer bei lebendigem Leibe vergräbt, das Opfer sich aber nicht bewegen kann und zwischen der nackten Überlebensangst, dem Willen, sich zu bewegen und wegzulaufen, und aufblitzenden Erinnerungen an die Vergewaltigung schwankt. Das wäre spannend. Eine reine Vergewaltigung ist aber kein Spannungselement, und ich denke, dass der Schock und die Charakterveränderung (das eigtl. Drama also) erst im Nachhinein eintreten, wenn die Psyche versucht, die Sache zu verarbeiten (oder es eben auch nicht schafft).
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Lothen

Zitat von: Zitkalasa am 30. August 2015, 15:27:27Eine reine Vergewaltigung ist aber kein Spannungselement.
Das würde ich nicht sagen, auch währenddessen kann man Spannung aufbauen. Wie weit wird der Täter gehen? Wie viel Gewalt wendet er an? Kann sich das Opfer vielleicht befreien und fliehen? Wie versucht das Opfer im Moment der Tat damit umzugehen, wie erlebt es die Tat? Sicher ist die Entwicklung im Nachhinein entscheidender für den Fortgang der Handlung und die Entwicklung der Figur als die Tat selbst, aber dass sie irrelevant wäre, denke ich nicht.

In meinem Fall leidet die Prota später noch häufig an Flashbacks, die Szenen, Sätze oder Empfindungen während der Tat enthalten. Das funktioniert aber nur, wenn der Leser weiß, was es damit auf sich hat. Wird kurz vorher ausgeblendet, kann ich mich ja später nicht mehr darauf beziehen. Gut, kann ich schon, aber dann verlieren die Rückblenden vermutlich an Macht.

Zit

#67
Ich denke nicht, dass der Leser die Vergewaltigung miterlebt haben muss, um solche Szenen deuten zu können. Das kommt darauf an wie du die Rückblenden beschreibst. Anderseits könnten man ja auch überhaupt keine Rückblenden verwenden, wenn immer vorausgesetzt werden muss, dass der Leser die eigentliche Handlung "live" miterlebt hat, um dann die Rückblende einordnen zu können.

ZitatWie weit wird der Täter gehen? Wie viel Gewalt wendet er an? Kann sich das Opfer vielleicht befreien und fliehen? Wie versucht das Opfer im Moment der Tat damit umzugehen, wie erlebt es die Tat?

Das klingt für mich als würde sich jemand* am Leid des Opfers laben und schiebt die Szene als solche in eine ganz menschenverachtende Ecke.

* Ich meine nicht dich persönlich. Es sind nur Fragen, die ich mir nicht stelle, weil ich die Antwort darauf gar nicht wissen will.
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Siara

#68
Zitat von: Lothen am 30. August 2015, 15:45:39
In meinem Fall leidet die Prota später noch häufig an Flashbacks, die Szenen, Sätze oder Empfindungen während der Tat enthalten. Das funktioniert aber nur, wenn der Leser weiß, was es damit auf sich hat. Wird kurz vorher ausgeblendet, kann ich mich ja später nicht mehr darauf beziehen. Gut, kann ich schon, aber dann verlieren die Rückblenden vermutlich an Macht.
Glaube ich gar nicht unbedingt. Vielleicht können Rückblenden dann auf eine andere Art ebenso viel Macht haben. Wie Zit sagte, wird das Opfer vieles erst im Nachhinein realisieren und verarbeiten, indessen - und das ist nur eine Vermutung - während der Tat das meiste sofort verdrängt wird oder im Schock verzerrt. Wenn man also als Autor ausblendet und die Figur in diesem Moment allein lässt, kann man das Erlebte in Bruchstücken und Fetzen an Erinnerung zeigen, wenn es zum ersten Mal vom Opfer verarbeitet wird. Gut gemacht stelle ich mir das eindrucksvoll vor, und vor allem extrem nah am Perspektivträger.

Edit nach Zits Beitrag: Das ist eine Sache der Ansicht, finde ich. Es geht beim Lesen und Schreiben schließlich oft darum, die Figur in schrecklichen Augenblicken zu begleiten, mit ihr zu fühlen oder sie zu beobachten. Vergewaltigungen sind ein viel empfindlicheres Thema als das meiste, worüber wir schreiben. Aber eine Vergewaltigung auch im Detail in die Handlung aufzunehmen, kann zum einen den Leser näher ans Geschehen bringen (denn die Figur erlebt das alles schließlich tatsächlich mit den Fragen, die Lothen gestellt hat) und zum anderen auch helfen, die Entwicklung der Figur im Nachhinein besser zu verstehen, denke ich.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Sprotte

Ich stimme Siara zu. Ich habe einen Romanhelden, der wirklich sehr knapp einer Vergewaltigung entgeht. Der Täter wird sofort vom Retter erschlagen, die Leiche später verbrannt, was mein Held beobachtet, um sich vermeintlich von den Erinnerungen zu befreien (und wohl auch, um wirklich sicher zu gehen, dass von dem Täter keine Gefahr mehr droht). Es fallen vorher nur zwei, drei Sätze zwischen ihm und dem Täter, aber diese verfolgen ihn ebenso wie ein bestimmter Geruch den Rest des Romans.

Zit

Sprotte, meinst du nach oder vor Siaras Edit? (Ich denke eher vor, aber ich bin mir nicht sicher.)
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Sprotte

Vor dem Edit, genau! Danke für's Nachfragen und Aufmerksammachen.

Mithras

#72
Zitat von: Cherubim am 27. August 2015, 23:05:20Mir hilft es auch, wenn ich meine Helden sehr leiden lassen, mir vor Augen zu führen, was sie am Ende alles dafür erhalten. Ich finde eine Balance ist wichtig. Mich als Leser stört es total, wenn ein Charakter nur leidet. Ab und zu soll er auch mal wieder zu Atem kommen dürfen und was Schönes erleben. Dann schlägt eine neue Katastrophe auch wieder viel besser ein.
Ganz meine Meinung. Ich habe mittlerweile schon meine Erfahrungen mit Charakteren gesammelt, die sich nur durch ihr Leid definieren, weil der Autor entweder Mitleid für sie erregen wollte, da sie daran (fast) zerbrechen, oder weil er sie als überlegen darstellen wollte, da sie ihr Schicksal mit ach-so-bewundernswerter Leichtigkeit wegstecken. Das wird rasch sehr oberflächlich, denn kein Charakter besteht nur aus Leid. Es mag ein dominierender Teil seines Lebens sein, doch es ist eben nur ein Teil, und vor allem sollte man nicht ignorieren, in welcher Form und welchem Ausmaß dieses Leid den Charakter dan prägt.

Ich oute mich hier als Sadist, allerdings nicht im engeren, sexuell konnotierten Wortsinn, da ich auf Vergewaltigungen gezielt verzichte. Ist einfach nicht mein Fall. Ich stehe eher auf psychologische Spielchen und füge meinen Charakteren mehr seelisches als körperliches Leid zu, zumindest nach allem, was geplant ist. Einer meiner Protagonisten ist ein skrupelloser Emporkömmling, der sich bald als einflussreicher Politiker etabliert (Vorbild: Octavian/Augustus) und Freude daran empfindet, seine Macht zu demonstrieren. Dabei muss er gar nicht zu physischer Gewalt greifen - er liebt es einfach, seine politischen Gegner mit deren bestgehüteten Geheimnissen zu erpressen und sie vor eine abscheuliche Wahl zu stellen. Damit das schriftstellerisch funktioniert, beleuchte ich natürlich auch die andere Seite, nämlich die der Opfer, in Form meiner Perspektivträger, zumindest ist das geplant. Eines dieser Opfer bringt er auf Schafott, das andere nimmt sich vor Verzweiflung selbst das Leben, und nur einer kommt heil aus der Sache heraus. Ich denke, das liegt einfach daran, dass ich düstere Szenarien und Schockerlebnisse á la Schorsch Martin liebe.

Gut geklappt hat das Quälen jüngst in meiner Kurzgeschichte, in der ich den Protagonisten Schritt für Schritt die Hoffnung und den Verstand verlieren lasse, bis er sich selbst von einer Klippe stürzt. Der Schlüssel zu seinem Leid ist seine Mitschuld, da er sich in einem Krieg unbeabsichtigt von einer dritten Partei instrumentalisieren ließ, die die beiden Kriegsparteien gegegeneinander ausgespielt hat, was zu Folge hatte, dass seine Heimatstadt belagert und gezielt ausgehungert und entvölkert wurde (Vorbild: Leningrader Blockade). Er selbst war nicht unter den Eingeschlossenen, seine Tochter hingegen verhungerte wohl im Zuge der Belagerung, doch ihre Spur verliert sich. Da es gegen Ende hin zu Kannibalismus kam, rechnet er natürlich mit dem Schlimmsten, und der Gedanke, dass er durch seinen Verrat dafür verantwortlich ist, ist ihm unerträglich. So demontiere ich ihn dann allmählich, bis er es selbst nicht mehr aushält.
Was ich nicht erwähne: Er überlebt den Sturz und kommt zur Besinnung, woraufhin er beschließt, seine Verzweiflung und seinen Hass zu kanalisieren ubd fortan Jagd auf seinen "Manipulator" zu machen. Klassischer Fall von Rachegelüsten, um sich von der eigenen Schuld freizukaufen.

Ich muss sagen, dass ich diese Spielchen mit Schuld und Verantwortung ungemein reizvoll finde. Man darf natürlich nicht übertreiben und aus Selbstvorwürfen Selbstmitleiden werden lassen, in dem der Charakter ertrinkt. Eben deshalb wurde es bei mir auch nur eine Kurzgeschichte, denn viel länger als 10k hätte ich diese Quäulerei - zumindest in dieser Intensität - nicht durchgestanden. Nicht aus Empathie, sondern aus Genervtheit.

Nachtblick

Während ich meine literarischen Figuren gern physisch und psychisch quäle und auch gern Ähnliches lese, finde ich Vergewaltigungen immer extrem heikel.
In der zweiten Staffel von True Detective hatten gleich mehrere weibliche Figuren eine Hintergrundgeschichte, die Missbrauch und Vergewaltigung beinhaltete, und in einem Fall ist die Vergewaltigung der Frau durch einen Fremden, aus der ein Kind entsteht, die dramatische Geschichte ihres Ehemannes und nicht etwa ihre eigene. In der letzten Staffel von Game of Thrones
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Vergewaltigung ist ein billiges Mittel, den Antagonisten glasklar als abgrundtief böse zu charakterisieren und, im Großteil der Fälle, nicht nur der Frau Schmerz zuzufügen, sondern ihrem Mann, der dann einen Grund hat, Rache zu nehmen und damit als Held hervorzutreten, oder sogar als Retter, wenn er die Vergewaltigung verhindert (z.B. Sandor Clegane in Game of Thrones, aber auch The Book of Eli, Watchmen, Twilight). In 28 Days Later sind die zwei Frauenfiguren dafür da, eingesperrt und mit Vergewaltigung bedroht zu werden, vor der der männliche Held sie retten kann. In Game of Thrones wird Jaimes Vergewaltigung von Cersei als einvernehmlicher Sex behauptet, obwohl sie ihm widerspricht und sich gegen ihn wehrt.
Wenn eine Frau einen tragischen Hintergrund hat, dann ist sie höchstwahrscheinlich missbraucht worden. Wenn ein Mann einen tragischen Hintergrund hat, könnte er u.U. gefoltert oder zusammengeschlagen worden sein, oder aber seine Frau (oder sogar Tochter) wurde ermordet oder vergewaltigt. Das kommt so häufig vor, dass es mich inzwischen schon überrascht, einer Frauenfigur in tragischen Umständen und mit tragischer Vergangenheit zu begegnen, die nicht sexuell missbraucht wurde.
Die Vergewaltigung von Männern oder Jungen erscheint umso monströser und unglaublicher. Fast immer sind die Täter auch Männer. In Skyfall wird James Bond vom männlichen Antagonisten sexuell belästigt, in Outlander vergewaltigt Jack Randall sowohl Frauen als auch Männer, darunter den Helden.
Ich habe es satt, Vergewaltigungen on screen zu sehen und zu lesen. Keine Ahnung, wo es ,,gut gemacht" ist, obwohl mir sicher das ein oder andere Beispiel einfallen würde. Aber die schiere Masse an Vergewaltigungen in Fiktion, immerzu und überall, ist für mich als Frau wahnsinnig unangenehm und erdrückend, gerade wenn die Leute darauf bestehen, das sei so eben realistisch und ,,damals so gewesen" (mein Lieblingsargument, wenn wir von Fantasywelten sprechen).
Ja, ich habe Figuren, die vergewaltigt wurden oder vergewaltigt haben. Aber ich versuche, mich da extrem zurückzuhalten. Das ist für mich etwas ganz anderes als eine Prügelei oder sogar eine Folterszene. Den Anfang meines nächsten längeren Projekts habe ich bereits geschrieben, es geht um eine Gruppe von Soldaten und Soldatinnen, die in einem postapokalyptischen Szenario einer Gruppe von Banditen, Männern und Frauen, in die Hände fallen. Bei dem Überfall sterben alle, nur ein Mann und ein 8-jähriges Mädchen (aus dessen Perspektive erzählt wird) entkommen. Er wird schwer verletzt und gibt ihr daraufhin seine Pistole mit der Anweisung, sie solle sich erschießen, wenn sie sie fänden. Während die Banditen das Dickicht nach dem verschwundenen Mädchen absuchen, streiten sie sich völlig beiläufig und unaufgeregt darüber streiten, wie sie ihre ,,Beute" aufteilen wollen. Alles, was tatsächlich passiert, passiert im Off, das Mädchen entkommt. Ich habe lange hin und her überlegt, ob das Gespräch nötig ist oder nur reißerisch, billig und furchtbar und ob die Implikation, was passieren wird, nicht absolut reicht.

Lothen

Ach Mist. Jetzt hatte ich gerade einen Post geschrieben und der TiZi hat mich ausgeloggt. Also, neuer Versuch. ;)

Zitat von: NachtblickVergewaltigung ist ein billiges Mittel, den Antagonisten glasklar als abgrundtief böse zu charakterisieren
Hm. Wieso genau empfindest du das als billig? Ich denke, es macht schon einen qualitativen Unterschied, ob der Anta den/die Prota verprügelt, foltert oder vergewaltigt. Es trifft eine ganz andere Aussage bezüglich der Motivation des Antas, seines Charakters, seines Anspruchsdenkens oder seiner Einstellung zu Frauen/Männern. Es verändert auch das Leben des Opfers in einer ganz anderen Art und Weise. Insofern ist das schon eine relevante Entscheidung, was genau der/dem Prota widerfährt.

Zitat von: Nachtblickgerade wenn die Leute darauf bestehen, das sei so eben realistisch und ,,damals so gewesen" (mein Lieblingsargument, wenn wir von Fantasywelten sprechen).
Okay, zugegeben, das ist ein typisches Totschlag-Argument. Aber es ist letztlich nicht von der Hand zu weisen. Wenn ein Autor einen mittelalterlichen Krieg in seinen ganzen grausamen Facetten darstellt (inklusive Folter, Kriegshandlungen, Notoperationen etc.), sexuelle Gewalt aber ausspart, käme mir das nicht richtig vor. Da würde ich mich fragen, warum er sich nicht traut, dieses Thema anzusprechen. Natürlich muss es zum Ton der Geschichte passen, das ist selbstverständlich, und man muss wirklich nicht Auf-Teufel-komm-raus jede Vergewaltigung beschreiben. Aber wenn man sich entscheidet, solche Themen anzuschneiden, sollte man auch keine Angst davor haben. Dann lieber ganz darauf verzichten.

Hm. Irgendwie macht mich diese Diskussion echt nachdenklich. Ich glaube, ich denke noch mal intensiv darüber nach, ob ich meine Vergewaltigungsszenen nicht doch rauskürze. Ich fühle mich gerade in der Verteidigungsrolle gar nicht wohl.  :zensur: