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"Und" am Satzanfang

Begonnen von Shin, 03. Juli 2013, 16:35:05

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Shin

Heyho ihr Lieben,

über dieses Thema zerbreche ich mir ja nun doch seit einiger Zeit den Kopf.
Ich verwende ziemlich oft "Und" am Satzanfang. Sei es nun in meinen Texten oder in einem Forumspost. Ich haue mir schon selbst dafür auf die Finger, "und" ist schließlich ein Bindewort, aber wirklich abstellen kann ich es nicht. Es hat nichts damit zu tun, dass ich das "und" unbedingt da vorne haben will, es hat viel mehr mit Klang und Wirkung zu tun. Eine Pause, für die ein Gedankenstrich nicht reicht, eben weil es ein neuer Abschnitt sein soll. Eine neue Offenbarung. Ein Geschehen, dass den vorherigen Satz wieder umwirft. Ein Widerspruch. Eine unerwartete Wendung. Je nachdem, was gerade passiert. Ich habe auch ein wenig mit dem Semikolon experimentiert, so ganz überzeugt hat mich das jedoch auch nicht.

Ist ein "Und" am Satzanfang schlechter Stil und unverzeihbar oder kann man die Regeln ein wenig biegen, wenn es zum Fluss passt?

lg
Shin
"The universe works in mysterious ways
But I'm starting to think it ain't working for me."

- AJR
"It's OK, I wouldn't remember me either."        
- Crywank          

Thaliope

Also, in der Unterhaltungsliteratur kommt das ja durchaus öfter vor. Ab und an kann man das schon machen, denke ich. Es sollte nur, wie bei jeder stilistischen "Eigenwilligkeit" wohldosiert sein. Und ich denke, dass man sehr darauf achten sollte, ob es sich zur Manie, zu einem Tick ausweitet, und dann sehen, ob sich Alternativen bieten. (Im Fall des vorangeganenen Satzes könnte man beispielswiese "außerdem" oder "allerdings" einsetzen, je nachdem, welche Aussage intendiert ist.) Darüber hinaus sollte man sich der Wirkung bewusst sein, es hat etwas Unmittelbares, finde ich, einen Anklang von gesprochener Sprache, fast schon Umgangssprache. Da muss man sich darüber klar sein, ob man diese Wirkung erzeugen will.

LG
Thali

Arcor

Eine gute Frage, die du da stellst, Shin. Ich stelle mir die Frage nämlich häufig ebenfalls und bin auch noch zu keiner schlüssigen Antwort gekommen.  ???
Generell glaube ich, zählt es als schlechter Stil. Ich kann mich persönlich an kein Buch erinnern, das ich in den letzten Monaten gelesen habe, in dem ein Satz mit einem "und" begänne. Aber genau wie du kann ich mich nicht dagegen wehren, immer wieder Sätze so zu beginnen, gerade weil ich eine Verbindung zum vorherigen Satz haben möchte.

Ich könnte mir vorstellen, dass es in wörtlicher Rede vielleicht nicht so eng gesehen wird wie außerhalb. Da schätze ich, dass es - außer sehr selten vielleicht als bewusstes Stilmittel - eher ein NoGo ist.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Angela

Ich benutze es ebenfall, wenn auch eher selten. Für mich bedeutet es eben auch ein ganz schwaches 'aber', 'zusätzlich', 'jetzt', also in der Position schon mehr als nur ein nacktes 'und'. Vielleicht ist es auch eine Art Modeerscheinung, wie das 'like', das ich nun auch in amerikanischen Jugendbüchern eingestreut finde.

Ryadne

Ich benutze ab und zu das "und" am Satzanfang, aber nur für bestimmte Situationen und vor allem in der Ich-Perspektive. Beispielsweise wenn etwas ironisch oder emotional betont werden soll wie bei "Und dann sagte er es mir auch noch ins Gesicht!" oder auch wenn mehrere Fragen hintereinander kommen - "Welchen Sinn hatte das? Warum war er nicht einfach weitergegangen? Und wozu hatte er die Waffe gebraucht?"

Mich stört es nicht, wenn ein Autor darauf zurückgreift, solange er es eben - wie bei allem - nicht zu oft tut und es an den richtigen Stellen verwendet.

In irgendeinem Film, es könnte "Forrester" gewesen sein, wurde mal gesagt, vor der Postmoderne sei das ein absolutes No-Go gewesen, aber inzwischen habe es sich etabliert.

Serafina

Ich muss mich auch oft davon abhalten, meine Sätze mit "und" zu beginnen. Wenn es allerdings an einer passenden Stelle ist, lasse ich es manchmal auch einfach so stehen. Zwar achte ich darauf, dass das nicht allzu häufig vorkommt, aber meine Sätze wollen machmal einfach mit "und" anfangen und ich möchte mich auch nicht total verbiegen, nur weil manche das als schlechten Stil ansehen.  :omn:

Wenn ich das in fremden Texten lese, stört es mich meistens auch nicht, eben nur, wenn gefühlt jeder zweite Satz so beginnt, oder der Schreibstil an sich mich einfach nicht anspricht.

Maja

Ich habe in der Grundschule gelernt, dass man beim Schreiben einen Satz nicht mit "Und dann" anfangen lassen darf. Das war so ziemlich das einzige zum Thema "Stil", das wir das gelernt haben: Wenn du Geschichten schreibst, darfst du deine Sätze nicht mit "Und" anfangen lassen, und noch weniger mit "Und dann".

Aber ich sage: Ich darf alles. Sprache ist frei. Macht mit ihr, was ihr wollt. Und wenn ihr eure Sätze mit "Und" anfangen lassen wollt, dann lasst eure Sätze mit "und" anfangen. Macht es, aber macht es gut. Das gilt für alles, was mit Stil zu tun hat. Lasst euch nicht von irgendjemandem reinreden, der sagt "Man macht aber dieses, man macht aber jenes". Was uns begrenzt, sind Rechtschreibung und Grammatik. Aber nichts in der Grammatik verbietet uns, einen Satz mit "Und anfangen zu lassen. Sich künstlich zu beschränken, sich auf die Finger zu klopfen, wenn man so eine "böse" Formulierung verwendet, kann doch nicht die Lösung sein - schreibt, wie es euch gefällt, so es euch gefällt, dass es euch gefällt.

Ich persönlich arbeite gerne mit "Und" am Satzanfang. Ich benutze sogar das oft gescholtene "Und das", meistens in Momenten, in denen die Erzählstimme dem Leser einmal kurz zuzwinkert und dann mit einer neuen Wendung, einer erwarteten oder unerwarteten Auflösung, oder sonst einem neuen Element aufwartet. Man muss sich im Klaren sein, dass ein "Und" am Satzanfang ein Erzählerisches Element ist, in dem Sinne, dass der Autor in diesem Moment den Leser direkt anspricht, sich der Text also der Anwesenheit von sowohl Leser als auch Erzähler bewusst ist. Das funktioniert nicht mit jedem Text, und mit jeder Art Stil.

Handelt es sich um eine Ich-Erzählung, ist das gar kein Problem. Fangt so viele Sätze mit "Und" an, wie ihr lusitg seid, niemand wird euch einen Strick daraus drehen. Bei einer personalen Erzählhaltung hingegen wird es problematischer. Sätze, die mit "und" anfangen, laufen in Gefahr, die Perspektive zu sprengen - eben weil hier kein Erzähler vorgesehen ist, sondern der Leser entweder durch die Augen einer handelnden Person blickt, ohne dass diese sich der Beobachtung bewusst ist, oder ganz neutral aus der Vogelperspektive allen Figuren folgt: Ein Satz, der mit "Und" beginnt, durchbricht dieses System für einen Moment, schaltet eine Stimme aus dem Off hinzu, die sonst nicht da ist.

Es ist ein Eingeständnis daran, dass etwas ein Plotelement ist, eine Wendung, die in Relation zu anderen Wendungen steht. Das "und" stellt zwei Dinge, in diesem Fall Sätze, zueinander in Beziehung, und um dies zu tun, ist ein Bewusstsein notwendig - etwas, das eine neutrale Erzählstimme nicht hat, und auch nicht ein an der Handlung beteiligter, dem zu dem Zeitpunkt der Abstand fehlt, um so weit zu abstrahieren. Das soll niemanden davon abhalten, dieses Stilmittel zu verwenden, aber seid euch bewusst, dass es ein Stilmittel ist und nicht nur ein Bindewort. So eine sprachliche Zäsur kann reizvoll sein, aber nutzt sie, wie alles, was mit Sprache zu tun hat, bewusst und mit Bedacht.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Coppelia

#7
Jetzt hab ich mal meine Texte durchsucht. Meine Güte, hab ich häufig Sätze mit "Und" angefangen ... ;D Das könnte ich mal ein bisschen reduzieren.

Beim ersten Teil stimme ich Maja absolut zu! :jau: Aber den zweiten Teil kann ich nicht nachvollziehen. Du meinst, Maja, dass "Und" am Satzanfang eher aus der Perspektive des Erzählers gesprochen ist als aus der der Figur? Das verstehe ich nicht. Aber ich bin eine eifrige Sucherin von Wörtern, die auf einen Wechsel der Perspektive zwischen Figur und Erzähler schließen lassen.
Und stehen nicht alle Sätze zueinander in Beziehung? Was ist dann z. B. mit "Aber" am Satzanfang? :hmmm:

Maja

Ich meine damit, dass ein "und" am Satzanfang von einem Erzähler gesprochen wird, der sich des Erzählens bewusst ist - und das eben nicht auf jede Art von Perspektive zutrifft. Mit dem "Aber" verhält es sich in meinen Augen genauso - es ist wertend, kommentierend und stellt zwei Sätze/Ereignisse in einen Zusammenhang. Es ist etwas, das man eigentlich nur retrospektiv festlegen kann, wenn man das Gesamtbild kennt und genug Abstand hat, um die Zusammenhänge zu erkennen und zu beurteilen. Wer jedoch als eine erlebende Figur gerade mitten in einer Geschichte steckt, dem fehlt diese Distanz (noch).

Deswegen ist es bei Ich-Erzählungen deutlich üblicher - gerade wenn sie in der Tradition der "Had I but known!"-Schule stehen, nicht in der Chandler'schen "Ich erzähle die Geschichte, während sie passiert"-Schule, in der die Dinge umittelbarer passieren. Aber bei einer Perspektive in der Dritten Person machen Einschnitte wie "Und", "Aber", "Doch" eine neutrale Erzähllstimme zu einer persönlichen.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Coppelia

#9
Das sehe ich anders. :hmmm: Ich würde zustimmen, dass "aber" ausdrückt, dass ein Gegensatz zwischen einem Satz/Textabschnitt vorher und dem folgenden besteht (Bei "und" sehe ich das nicht). Ich finde allerdings, eine Figur kann sehr wohl die Distanz (oder die intellektuelle Fähigkeit) haben, zwischen zwei Dingen, die sie wahrnimmt oder denkt, eine Verbindung (die ich durch "und" gegeben sehe) oder einen Gegensatz zu bemerken, was man dann durch entsprechende Satzanfänge kennzeichnen kann. Ein bewusstes Erzählen drückt das für mich nicht aus, sondern es kann sehr gut Bestandteil der Figurenperspektive sein.

Es ist allerdings auch möglich, den Erzähler in Erscheinung treten zu lassen, sicher. Wenn das passiert, sehe ich es auch so: Dann ist man aus der Figurenperspektive "raus". Da würde ein "und" oder "aber" am Satzanfang für mich aber noch nicht genügen.

Merwyn

Ich halte das ganz einfach: Und, aber, doch, dann am Satzanfang gibt's bei mir (bewusst zumindest) nur, wenn die Wörtchen als Stilmittel, zur Hervorhebung des Satzes etc. dienen sollen.
Alles andere gefällt mir persönlich beim Lesen nicht so sehr und ich streiche die Verwendung am Satzanfang beim Betalesen auch immer an, wenn sie mir zu häufig und/oder unwillkürlich erscheint.
Einzige Ausnahme wäre da unter Umständen noch ein Ich-Erzähler, der eben einfach so redet. Wobei ich so ein Buch dann wohl nicht lange lesen könnte ;)

Snöblumma

Ich habe mir genau darüber in der letzten Zeit auch Gedanken gemacht. Zwar habe ich das Problem weniger in den erzählten Passagen, als vielmehr innerhalb der Dialoge. In meinem aktuellen Projekt habe ich einen Charakter, der jeden zweiten Satz mit "Und jetzt" beginnt. Ich versuche alles, um es ihm abzutrainieren, aber dann kommt er wieder durch die Hintertür mit seinem "Und jetzt". Langsam nervt mich das selbst, und das ist kein gutes Zeichen.

Ganz generell halte ich ein "und" am Satzanfang auch nicht unbedingt für schlechten Stil. Es kommt natürlich immer darauf an, ob es zur Erzählsituation passt. Für mich haben Aufzählungen, die nur mit "und" verbunden sind, etwas atemloses, kurzes an sich. Oder sie drücken, wie oben schob gesagt wurde, eine Art Wende aus, die für ein "aber" nicht ganz reicht. Dass man damit die Erzählstimme eines personalen Erzählers verlässt, leuchtet mir gerade aber noch nicht wirklich ein. Oder verstehe ich das gerade nur falsch?

Nycra

Ich habe ja jetzt schon einige Bücher beta gelesen und muss sagen, ich kann mit dem Und am Satzanfang leben. Wenn es wohldosiert erfolgt. Auf einer Normseite in jedem zweiten Absatz einen Satz zu finden, der mit Und anfängt, empfinde ich persönlich als unschön. Ich will nicht gleich von schlechtem Stil sprechen. Jeder hat da seine eigenen Vorlieben. Aber ich gehöre zu jenen Betas, die das rigoros anstreichen würden.

Früher habe ich es, wie in der Schule gelernt und von Maja schon angemerkt, gehalten und vollkommen darauf verzichtet. Mittlerweile setze ich es auch als Stilmittel ein. Aber wie gesagt: wohl dosiert.

Alaun

Ich liebe das "Und" am Satzanfang. Ich verwende es gerne, achte aber darauf, dass es nicht zu häufig wird - wobei es wahrscheinlich doch häufig ist, im Vergleich mit anderen ;) Aber das ist mein Stil und dazu stehe ich. Ich wüsste nicht, was ich daran ändern sollte, solange es auch zu der Geschichte passt, die ich erzählen möchte.

Naudiz

Ich arbeite recht gerne mit dem "Und" am Satzanfang, meist, wie von Maja angesprochen, wenn ein neues Plotelement dazukommt, v.a. Wendungen. Allerdings bemühe ich mich darum, das Ganze nicht ausarten zu lassen - niemand will ein Buch lesen, in dem jeder zweite Satz mit einem "Und" beginnt. Dann nenne ich es sehr wohl schlechten Stil. Aber ansonsten stört es mich weder beim Lesen noch beim selbst schreiben, und meine Betas haben mir meine "Und"s bisher auch noch kein einziges Mal angestrichen.

Von daher sage ich jetzt einfach mal: Jeder nach seiner Fasson, solange es nicht überhand nimmt.