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Problem mit dem Tempus

Begonnen von pink_paulchen, 24. März 2013, 20:42:32

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pink_paulchen

Ich habe glaube ich gerade ein Brett vorm Kopf. Ich habe eine Kurzgeschichte angefangen, sie fühlt sich auch vom Schreiben her ganz gut an - ich habe aber das Gefühl ich vermurkse gerade völlig die Zeitformen.
Bevor ich nun hinterher alles mühselig umschreiben muss (und es sich im schlimmsten Fall dann gar nicht mehr gut liest), frage ich euch mal:
Mein Protagonist fährt mit einer Kutsche durch das Jahr 1556. Diesen Teil beschreibe ich im Präsens. Während der Fahrt sieht er aus dem Fenster und fühlt sich erinnert an Ereignisse seiner Kindheit. Diese Teile schreibe ich im Perfekt.
Ich hüpfe nun lustig zwischen den Erinnerungen und der Kutschfahrt hin und her, dabei kommt es allerdings zu eigentümlichen Konstruktionen.
ZitatSie brachte Vater gegen ihn auf. Er würde ihr nie verzeihen können, was sie ihm genommen hatte (damals in der Kindheit), doch innerlich schmerzt ihn seine Unversöhnlichkeit (jetzt in der Kutsche).
Kommt euch das auch komisch vor? Oder ist das total normal? Oder müsste ich Präteritum und Plusquamperfekt machen? Aber die halbe Story mit war und hatte? Das ist ja auch nicht schön...

Coppelia

#1
Streng genommen müsste es sein, wie du sagst: Wenn du im Präsens schreibst und etwas beschreibst, was vorher war mit Auswirkung auf das "Jetzt" der Geschichte, müsstest du Perfekt benutzen. Aber in dem Beispiel hast du Präteritum und Plusquamperfekt benutzt.
Demzufolge müsste es so heißen:
ZitatSie hat Vater gegen ihn aufgebracht. Er würde ihr nie verzeihen können, was sie ihm genommen hat (damals in der Kindheit), doch innerlich schmerzt ihn seine Unversöhnlichkeit (jetzt in der Kutsche).

Allerdings ist Perfekt manchmal ein bisschen plump, weil wir im Deutschen nur Ersatzformen dafür haben. Daher wird es manchmal gern vermieden. Vielleicht kannst du Präteritum als Ersatz nehmen, vielleicht auch nicht. Ich würde es nicht tun, aber ich bin auch von der strengen Zeitverhältnis-Verwendung in Latein verseucht. ;)

pink_paulchen

Ich hatte gehofft du meldest dich. Bei sowas helfen Lateiner immer... ich glaube dann muss ich es komplett umbauen. So dass er die Bilder der Vergangenheit in einer Art Vision vor sich hin monologiert.
Alles mit "war" und "hatte" ist keine Lösung - ich hab zwei Absätze so gelesen und das ist total unzumutbar. Es ist halt nicht nur hier und da ein Sätzchen, sondern macht große und wichtige Teile der Geschichte aus.

Churke

Genau wie Coppelia sagte. Plusquamperfekt ist Vorvergangenheit. Mit "was sie ihm genommen hatte" springst du in der Zeit vor "Sie hat Vater gegen ihn aufgebracht" zurück.
Deshalb las ich vom Sprachgefühl her ständig "schmerzte" statt "schmerzt", weil das Präterium die korrekte Anschlusszeit wäre. 

Worüber ich mir auch Gedanken mache, ist der Konjunktiv Futur "würde". Man hat ja mit den Zeiten durchaus einige Spielräume:

ZitatSie brachte Vater gegen ihn auf. Er wird ihr nie verzeihen können, was sie ihm genommen hat, doch innerlich schmerzt ihn seine Unversöhnlichkeit.

Die "Unversöhnlichkeit" klingt m.E. auch etwas komisch, weil der Begriff in der Luft hängt.

Debbie

#4
ZitatSie brachte (Imperfekt) Vater gegen ihn auf. Er würde ihr nie verzeihen können (Konditional), was sie ihm genommen hatte (Plusquamperfekt) (damals in der Kindheit), doch innerlich schmerzt (Präsens) ihn seine Unversöhnlichkeit (jetzt in der Kutsche).

So, mal kurz auseinandergedröselt. Du schreibst also im Präsens, damit wäre "schmerzt" korrekt. Das Imperfekt im ersten Satz ist ebenfalls korrekt, genauso wie das Konditional - aber das Plusquamperfekt ... Hat sie ihm denn irgendwas genommen, bevor sie den Vater gegen ihn aufgebracht hat?? Passiert das nicht zeitgleich, oder wenn, dann müsste das "Aufbringen" theoretisch zuerst passiert sein (rein logisch). Insofern hab ich Probleme mit dem Plusquamperfekt und würde es ins Imperfekt umwandeln.

In einer Geschichte, die im Präsens verfasst ist, braucht man das PQP sehr selten - und nur dann, wenn man eine Vorvergangenheitszeitangabe macht ("Sie brachte Vater gegen ihn auf, nachdem er ihr die Meinung gesagt hatte"). Oder um deutlich anzuzeigen, dass etwas noch vor der Vergangenheit geschehen ist ("Sie brachte Vater gegen ihn auf. Seine Vorfahren hatten niemals etwas auf die Meinungen ihrer Frauen gegeben."). Die Beispiele sind jetzt nicht der Renner, aber hoffentlich verständlich  :-\

Hier nochmal eine knappe Übersicht:
http://de.wikipedia.org/wiki/Tempus#Das_Tempus_als_zeitlicher_Bezug_zum_Sprechzeitpunkt


Das Problem mit dem häufigen PQP stellt sich eigentlich hauptsächlich bei Texten die im Imperfekt erzählt werden, und da v. a. bei Rückblenden. Es gibt da zum Wechsel Imperfekt -> PQP -> Imperfekt keine allgemeine Regelung. Nach strengen grammatikalischen Regeln, müsste natürlich alles was vor dem Imperfekt passiert ist, im PQP stehen - wegen des gestörten Leseflusses, wird das aber so gut wie nie gemacht. Einzelne Sätze unterliegen natürlich den üblichen Grammatikregeln. Diskussion hierzu bei Montsegur:

http://autorenforum.montsegur.de/cgi-bin/yabb/YaBB.pl?num=1129753188#

Ich persönlich bevorzug die Variante, in der die Rückblende mit ein, zwei Sätzen PQP eingeleitet und mit mindestens einem Satz PQP wieder ins Imperfekt übergeleitet wird. Dazwischen wird, zur besseren Lesbarkeit, Imperfekt benutzt.


Edit: Ich finde weder die Variante mit dem Perfekt noch dem Imperfekt wirklich schön ... Imperfekt und PQP wären mir da allemal lieber. Übrigens, sollte der Vater noch am Leben sein, würde ich wahrscheinlich (auch wenn es sich nicht schön anhört) tatsächlich das Perfekt benutzen.

Verwirrter Geist

Zitat von: pink_paulchen am 24. März 2013, 20:42:32
Bevor ich nun hinterher alles mühselig umschreiben muss (und es sich im schlimmsten Fall dann gar nicht mehr gut liest), frage ich euch mal:
Mein Protagonist fährt mit einer Kutsche durch das Jahr 1556. Diesen Teil beschreibe ich im Präsens. Während der Fahrt sieht er aus dem Fenster und fühlt sich erinnert an Ereignisse seiner Kindheit. Diese Teile schreibe ich im Perfekt.
Ich hüpfe nun lustig zwischen den Erinnerungen und der Kutschfahrt hin und her, dabei kommt es allerdings zu eigentümlichen Konstruktionen.Kommt euch das auch komisch vor? Oder ist das total normal? Oder müsste ich Präteritum und Plusquamperfekt machen? Aber die halbe Story mit war und hatte? Das ist ja auch nicht schön...

An sich ist das richtig, aber besonders schön liest es sich wirklich nicht. Bleibt diese Erinnerungsflut einmalig, oder kommt das an anderer Stelle erneut vor?
Wenn nein: Würde ich versuchen wenigstens die Sätze in sich konsequent in einem Tempus zu gestalten.
"Er würde ihr nie verzeihen können, was sie ihm genommen hatte (damals in der Kindheit), doch innerlich schmerzt ihn seine Unversöhnlichkeit (jetzt in der Kutsche)." -> "Er würde ihr nie verzeihen können, was sie ihm genommen hatte. Doch innerlich schmerzt ihn seine Unversöhnlichkeit."

Wenn ja: Schwierig. Hat die Verwendung des Präsenz eigentlich einen konkreten Grund? Es liest sich sehr Ungewohnt und dadurch stolpert man auch über Dinge, die grammatisch durchaus richtig sind.

pink_paulchen

@Churke: das ist beruhigend, weil auch ich immer schmerzte lesen wollte und deshalb überhaupt erst diesen Thread aufgemacht habe. (Die Unversöhnlichkeit ist ein Platzhalter - das ist erstmal alles unüberarbeitet und unrund)
@Debbie: Genau, das mit dem Überleitungsteil mache ich auch so - aber hier ist es irgendwie anders, weil ja der Satz beide Komponenten beinhalten würde. Also die Erinnerung und die Gegenwart. Der Link hat geholfen. Vor allem deine Erklärungen. Ich schreibe den Kindheitserinnerungsteil komplett aus. Ist auch lebendiger. Vor allem weil @Verwirrter Geist - die Teile so umfassend sind. Eigentlich sind sie die Geschichte, die ich erzählen möchte.
Ich schreibe also die Kutschfahrzeit in Präteritum (Seine Unversöhnlichkeit schmerzte ihn noch immer) und die Kindheit in Plusquamperfekt (Sie hatte ihm alles genommen).
Wenn ich lange Kindheits-Szenen habe, schwenke ich heimlich ins Präteritum und zurück... Schluss mit dem Gegenwart-Quatsch, was man nicht kann, das lässt man am Besten ;)

Dazu noch kurz die Frage - Coppelia hatte ja "Sie hat (eben nicht hatte) ihm alles genommen" geschrieben. Warum?

Debbie

ZitatDazu noch kurz die Frage - Coppelia hatte ja "Sie hat (eben nicht hatte) ihm alles genommen" geschrieben. Warum?

Perfekt statt PQP - PQP zeigt Vorvergangenheit an, Perfekt in diesem Fall die Vergangenheit; etwas das beendet ist, aber noch Auswirkungen auf die Gegenwart hat (im Gegensatz zu "was vergangen ist und keine Auswirkungen mehr auf die Gegenwart hat" -> Imperfekt)

pink_paulchen

Ah... die Auswirkungen - ich erinnere mich düster. Dufte, ihr seid super.

Coppelia

#9
ZitatDazu noch kurz die Frage - Coppelia hatte ja "Sie hat (eben nicht hatte) ihm alles genommen" geschrieben. Warum?
Generell ist es so: Auch im Deutschen wird Vorzeitigkeit zu Präsens durch Perfekt ausgedrückt. Damit wird nicht der zeitliche Abstand ausgedrückt, sondern nur, dass etwas vor etwas anderem passiert ist. Vorzeitigkeit zu Präsens kann daher nicht durch Plusquamperfekt ausgedrückt werden, denn Plusquamperfekt ist das Tempus, das Vorzeitigkeit zu einem Vergangenheitstempus ausdrückt.
Das gilt vor allem dann, wenn der Hauptsatz im Präsens steht und der Nebensatz vorzeitig zum Geschehen im Hauptsatz ist - einen Fall, den wir hier nicht gerade in seiner klassischen Ausführung haben, denn der Hauptsatz steht nicht im Präsens. ;D
Wahrscheinlich greift hier tatsächlich der Fall mit der Auswirkung auf die Gegenwart, wie Debbie sagt. Ich denke zu lateinisch. :d'oh:

@ Debbie
Was verstehst du unter Konditional? ???

Debbie

#10
ZitatWahrscheinlich greift hier tatsächlich der Fall mit der Auswirkung auf die Gegenwart, wie Debbie sagt. Ich denke zu lateinisch. :d'oh:

@ Debbie
Was verstehst du unter Konditional? ???

Und ich denke wohl zu englisch  ;) - Ich meinte natürlich den Konjunktiv (engl. Conditional)...

Ja, ich denke es handelt sich hier um das Präsensperfekt - wobei ich dass nur so sehen würde, wenn der Vater noch lebt, weil der Verlust ja sonst effektiv in die Vergangenheit gehören würde (und beendet wäre).

Feuertraum

Ich hoffe einfach einmal, dass man diesen Thread im Allgemeinen für Probleme mit dem Tempus nehmen kann. Ich habe nämlich auch gerade ein Verständnisproblem und hoffe, man kann mir das ganze verständlich erklären (also für Dummies halt).

Ich schreibe in der einfachen Vergangenheit: "Er ritt", "er schwebte" "er sah"...

Nun aber stehe ich vor dem Problem, dass ich nicht weiß, ob und wenn warum dieser Satz falsch ist:

"[...] versuchte, die Bilder zurückzudrängen, doch sie überfluteten seinen Kopf, machten ihm klar, was in 9 Tagen passieren wird, wenn sich keine Lösung finden läßt."

Mir wurde gesagt, dass es heißen müsse: "Was in 9 Tagen pässieren würde, wenn sich keine Lösung finden ließe."
Das "Warum" wurde mit "Kann ich nicht erklären, sagt mein Sprachgefühl" erklärt.

Was stimmt jetzt und warum?

Lieben Gruß und Danke im Voraus
Feuertraum
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Churke

Zitat von: Feuertraum am 28. März 2013, 08:51:00
Mir wurde gesagt, dass es heißen müsse: "Was in 9 Tagen pässieren würde, wenn sich keine Lösung finden ließe."
Das "Warum" wurde mit "Kann ich nicht erklären, sagt mein Sprachgefühl" erklärt.

"Würde" ist Konjunktiv Futur, also irreal, und damit muss auch die "Lösung" in den Konjunktiv.

Während hier:
Zitat"[...] versuchte, die Bilder zurückzudrängen, doch sie überfluteten seinen Kopf, machten ihm klar, was in 9 Tagen passieren wird, wenn sich keine Lösung finden läßt."

"Was in 9 Tagen passieren wird" ließe ich noch gelten, um den Determinismus zu betonen. "Wenn sich keine Lösung finden läßt" kann so aber nicht bleiben. Das muss zumindest in die Erzählzeit (hier: Präterium), ggf. in den Konjunktiv.

Coppelia

#13
Gibt es wirklich einen Konjunktiv Futur im Deutschen? ???

Deutsche Konjunktivbildungen mit "würde" sind außerdem nicht zwangsläufig irreal. Normal sind solche Bildungen zwar tatsächlich für Konjunktiv 2, der Irrealität ausdrücken kann, aber da Konjunktiv 1 von Konjunktiv 2 ersetzt werden kann, wenn Indikativ und Konjunktiv 1 identisch sind, kann "würde" auch in nicht irrealen Sätzen stehen. ;) Aber das gilt ohnehin nur für Konjunktive, und ich glaube, hier haben wir keinen.

Der Satz ist meiner Meinung nach nicht irreal. Die Möglichkeit, dass in 9 Tagen etwas passiert, wenn man keine Lösung gefunden hat, existiert ja. Ich muss wirklich mal genauer recherchieren, wie dieses Zukunft ausdrückende "würde" in der deutschen Erzählung eigentlich für ein Tempus und Modus ist. Meiner Meinung nach ist das hier ein "indefiniter" Bedingungssatz. Der steht im Deutschen ganz normal im Indikativ.
Daher würde ich schreiben: "... was in 9 Tagen passieren würde (auf die Zukunft bezogen), wenn sich keine Lösung finden ließ (normale Erzählzeit Präteritum)."
Bei einer Erzählung im Präsens: "Ich bin verängstigt. Ich frage mich, was in 9 Tagen passieren wird, wenn sich keine Lösung finden lässt." (zweimal Indikativ)

Das "würde" muss eine Art sein, in einem Erzähltext im Präteritum Nachzeitigkeit auszudrücken. Wenn man einen ganz normalen Erzähltext hat, sieht man es:

Fritz stand am Strand und blickte auf das Meer. Er erinnerte sich an den Abschied von seiner Geliebten. Bei seiner Rückkehr würde er ihr einen Heiratsantrag machen. (Das könnte aus der Sicht von Fritz geschrieben sein, aber es geht auch ohne das):

Fritz stand am Strand und blickte auf das Meer. Er erinnerte sich an den Abschied von seiner Geliebten. Armer Fritz! Was er nicht wusste: In zwei Tagen würde Anna tot sein.

Das interessiert mich, ich versuch es mal rauszufinden. :) Wahrscheinlich hat es irgendwie mit unserer Futurbildung mit "werden" zu tun.

Churke

Zitat von: Coppelia am 28. März 2013, 10:50:01
Gibt es wirklich einen Konjunktiv Futur im Deutschen? ???

Da komme ich mal mit meinem Wikipedia-Halbwissen:
"Konjunktiv-Form mit ,,würde" (Ersatzform des Konjunktiv II)
(...)
Bei genauerer Betrachtung handelt es sich dabei um die ursprünglichen Futurformen des Konjunktivs II, die ihre Funktion verändert haben, da die Zukunft im Deutschen immer mehr mit den Präsensformen + Lexik (morgen, übermorgen, in zwei Jahren u. ä.) ausgedrückt wird (s. a. Konditionalis):"
https://de.wikipedia.org/wiki/Konjunktiv

Ob nun zutreffend oder nicht: Ich nehm's als wertvolle Entscheidungshilfe.