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Perfekte Vergangenheit im Präsens...

Begonnen von Kaipi, 17. Februar 2013, 10:50:23

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Kaipi

Hallo Tintenzirkler,

der Termin meines eBook-Releases rückt bedrohlich näher. Nun habe ich schon viel an meinem Kinderbuch-Text gearbeitet und stilistisch verbessert. Überlange Sätze wurden gespalten, unzählige Wortwiederholungen wurden durch passende Synonyme ausgetauscht u.a.
Aber jetzt sind mir die Zeiten aufgefallen. Ich schreibe im Präsens und verwende einige Rückblenden, die ich aus Gewohnheit noch im Plusquamperfekt geschrieben hatte. Jetzt habe ich das korrigiert und die Standard-Vergangenheit ist das Perfekt (laut Recherche ist das wohl so...).
Freudig übergab ich die neue Fassung einem Testleser und der meckert nun, dass er die Formulierungen doof findet. So redet doch keiner...

Ein Beispiel:

»Seine Eltern haben einen Unfall gehabt ...«, antwortet er und stockt. »Wir sind dann noch einmal nach Berlin gefahren. Ich habe ihm eine Freude machen wollen. Und plötzlich ...«
»Ja?« Michael zappelt immer nervöser hin und her.
»... ist er weggelaufen und nie wieder zurück gekehrt.«

Kann ich das nicht doch so schreiben?

»Seine Eltern hatten einen Unfall ...«, antwortet er und stockt. »Wir sind dann noch einmal nach Berlin gefahren. Ich wollte ihm eine Freude machen. Und plötzlich ...«
»Ja?« Michael zappelt immer nervöser hin und her.
»... ist er weggelaufen und nie wieder zurück gekehrt.«

Dieser Satz hat meinem Testleser auch Kopfschmerzen verursacht:

Außerdem ist er schon gestern mit seiner Tante hier gewesen, um den Schulausflug anzumelden. Letzte Nacht hat man wohl vergessen, die Lautsprecher abzustellen, überlegt er. Das Brüllen der Dinos ist so laut gewesen, dass er kein Auge zugemacht hat.

Gewesen wird hier als Wortwiederholung empfunden. Was tun? Auch einfach das Perfekt nehmen?

Außerdem war er schon gestern mit seiner Tante hier, um den Schulausflug anzumelden. Letzte Nacht hat man wohl vergessen, die Lautsprecher abzustellen, überlegt er. Das Brüllen der Dinos war so laut, dass er kein Auge zugemacht hat.

Ist das wirklich korrekt? Kann ich einfach das Präteritum/Imperfekt nehmen? Deutsch ist sooo lange her.. und wenn es falsch ist und Kinder lesen mein Buch, dann bin ich schuld, wenn sie kein richtiges Deutsch lernen! :-)

Rynn

#1
Zitat von: Kaipi am 17. Februar 2013, 10:50:23
»Seine Eltern haben einen Unfall gehabt ...«, antwortet er und stockt. »Wir sind dann noch einmal nach Berlin gefahren. Ich habe ihm eine Freude machen wollen. Und plötzlich ...«
»Ja?« Michael zappelt immer nervöser hin und her.
»... ist er weggelaufen und nie wieder zurück gekehrt.«

Kann ich das nicht doch so schreiben?

»Seine Eltern hatten einen Unfall ...«, antwortet er und stockt. »Wir sind dann noch einmal nach Berlin gefahren. Ich wollte ihm eine Freude machen. Und plötzlich ...«
»Ja?« Michael zappelt immer nervöser hin und her.
»... ist er weggelaufen und nie wieder zurück gekehrt.«
Ich glaube, hier hast du dir ein Problem geschaffen, das gar nicht da ist. Denn hier geht es doch um Dialog, das hat doch überhaupt nichts mit der Zeitform deines Textes zu tun. Deine Figuren reden eben, wie sie reden, die scheren sich nicht darum, in welcher Zeitform dein Text geschrieben ist. ;) Heißt übersetzt: Nimm die Zeitform, die in deinen Ohren wie ein natürliches Gespräch klingt.

Zitat
Außerdem ist er schon gestern mit seiner Tante hier gewesen, um den Schulausflug anzumelden. Letzte Nacht hat man wohl vergessen, die Lautsprecher abzustellen, überlegt er. Das Brüllen der Dinos ist so laut gewesen, dass er kein Auge zugemacht hat.
Ich muss gestehen, ich verstehe nicht, ob die drei Sätze in irgendeinem zeitlichen Zusammenhang stehen. Sie wirken ohne Kontext etwas zusammenhangslos, das macht die Beantwortung etwas schwerer. Unter Umständen müsstest du also die Vorvergangenheit berücksichtigen (falls das Vergessen des Abstellens der Lautsprecher zeitlich vor der Anmeldung lag, dann müsste das berücksichtigt werden – "letzte Nacht hatte man wohl vergessen"?), ansonsten kannst du aber einfach frei zwischen Präteritum und Perfekt wählen, was immer besser passt. Da sind die Verwendungsregeln in einem literarischen Text nicht sehr streng.

Edit:
Was ich noch ergänzen würde, weil ich noch einmal darüber nachgedacht habe – "Perfekt" drückt eigentlich aus, dass eine Handlung in der Vergangenheit noch nicht abgeschlossen ist oder bis in die Gegenwart nachwirkt. Diese Unterscheidung wird heutzutage vor allem im Sprachgebrauch kaum noch beachtet. Aber das ist vielleicht auch der Grund, weshalb dein Sprachgefühl dir an dieser Stelle rät, lieber zum Präteritum zu greifen: eben weil das Brüllen jetzt ja vorbei ist. Deshalb würde ich mich wohl auch für Präteritum entscheiden.
»Dude, suckin' at something is the first step to being sorta good at something.« – Jake The Dog

Kaipi

Zitat von: Rynn am 17. Februar 2013, 11:04:00
Ich glaube, hier hast du dir ein Problem geschaffen, das gar nicht da ist. Denn hier geht es doch um Dialog, das hat doch überhaupt nichts mit der Zeitform deines Textes zu tun. Deine Figuren reden eben, wie sie reden, die scheren sich nicht darum, in welcher Zeitform dein Text geschrieben ist. ;) Heißt übersetzt: Nimm die Zeitform, die in deinen Ohren wie ein natürliches Gespräch klingt.

Probleme schaffen, die es nicht gibt? Ja, das passiert mir gelegentlich :-)
Aber wenn es in meinen Ohren gut klingt, z.B. weil ich grottenschlechtes Deutsch spreche, dann ist das für den Leser ja auch nicht optimal, oder?

Zitat von: Rynn am 17. Februar 2013, 11:04:00
Ich muss gestehen, ich verstehe nicht, ob die drei Sätze in irgendeinem zeitlichen Zusammenhang stehen. Sie wirken ohne Kontext etwas zusammenhangslos, das macht die Beantwortung etwas schwerer. Unter Umständen müsstest du also die Vorvergangenheit berücksichtigen (falls das Vergessen des Abstellens der Lautsprecher zeitlich vor der Anmeldung lag, dann müsste das berücksichtigt werden – "letzte Nacht hatte man wohl vergessen"?), ansonsten kannst du aber einfach frei zwischen Präteritum und Perfekt wählen, was immer besser passt. Da sind die Verwendungsregeln in einem literarischen Text nicht sehr streng.

Der Junge war am Tag im Dino-Park für die Anmeldung. Danach hat man am Abend vergessen die Lautsprecher abzustellen. Danach wollte er nachts schlafen und konnte es nicht.

Ich nehme mal mit, dass die mündliche Rede frei ist. Aber Beschreibungen des Autors müssen sich doch an die Regeln halten, oder? Ich "darf" also einfach das Imperfekt benutzen und mich wird kein Deutschlehrer in einer Amazon-Rezension für schlechten Stil abstrafen?

Wenn wir schon bei den Zeiten sind - ein kleiner Elf in meiner Geschichte will mal Zauberer werden. Zuerst sagte er:
"Ich werde auch mal Zauberer!" (wie sein Vater)

Dann habe ich alles Nicht-Gegenwärtige unter die Lupe genommen und es wurde daraus (vermutlich grammatikalisch korrekt):

"Ich werde auch mal Zauberer werden!"

Das verursacht nicht nur meinem Testleser Kopfschmerzen. Was ist mit der Alternative:

"Ich will auch mal Zauberer werden!"

Sein Vater ist aber schon Zauberer und muss es gar nicht mehr werden wollen...

Kaipi

Zitat von: Rynn am 17. Februar 2013, 11:04:00
Edit:
Was ich noch ergänzen würde, weil ich noch einmal darüber nachgedacht habe – "Perfekt" drückt eigentlich aus, dass eine Handlung in der Vergangenheit noch nicht abgeschlossen ist oder bis in die Gegenwart nachwirkt. Diese Unterscheidung wird heutzutage vor allem im Sprachgebrauch kaum noch beachtet. Aber das ist vielleicht auch der Grund, weshalb dein Sprachgefühl dir an dieser Stelle rät, lieber zum Präteritum zu greifen: eben weil das Brüllen jetzt ja vorbei ist. Deshalb würde ich mich wohl auch für Präteritum entscheiden.
Wenn es nicht irgendwo eine Literatur-Bibel gibt, in der das Perfekt zwingend angeordnet wird, dann ist mir das Präteritum lieber. :buch:

Rynn

#4
Zitat von: Kaipi am 17. Februar 2013, 11:22:29
Probleme schaffen, die es nicht gibt? Ja, das passiert mir gelegentlich :-)
Aber wenn es in meinen Ohren gut klingt, z.B. weil ich grottenschlechtes Deutsch spreche, dann ist das für den Leser ja auch nicht optimal, oder?
Es ist aber kein grottenschlechtes Deutsch, sondern ein natürlicher Dialog. Stell dir vor, du erzählst einem Bekannten das, was deine Figur jetzt sagt: Welche Zeitform nutzt du dann? Du sagst: "Seinen Eltern hatten einen Unfall." Wieso? Weil es in der Vergangenheit liegt und weil es abgeschlossen ist. Der Unfall ist vorbei. Das willst du ausdrücken. Präteritum ist hier also richtig.
Gerade im natürlich Sprachgebrauch ist aber völlig okay, auch zum Perfekt zu greifen: "Ich bin gestern im Kino gewesen." Das ist abgeschlossen und das wirkt nicht mehr nach, wieso also kein Präteritum? Weil der Sprachgebrauch eben so ist, das Präteritum wird im alltäglichen Gespräch immer seltener. Du kannst es eben so sagen, es hat sich einfach eingebürgert. Das heißt, ich sage definitiv nicht, dass du alle Regeln über Bord werfen sollst und deine Figuren Sachen wie "Hier werden Sie geholfen" sagen lassen sollst. :-X Aber du solltest ihre Sprache durchaus natürlich wirken lassen.

Zitat
Wenn wir schon bei den Zeiten sind - ein kleiner Elf in meiner Geschichte will mal Zauberer werden. Zuerst sagte er:
"Ich werde auch mal Zauberer!" (wie sein Vater)
"Ich werde auch mal Zauberer werden!"
Aber das ist doch auch wieder ein Dialog. Jeder Leser weiß, was dein Elf meint, wenn er sagt "Ich werde auch mal Zauberer". Sagst du zu deinen Freunden "Ich werde heute Abend ins Kino gehen" oder nicht doch eher "Ich gehe heute Abend ins Kino"? Es ist absolut in Ordnung, etwas Zukünftiges durch Präsens auszudrücken, das macht man so.

Und deshalb: Als Autor solltest du bemüht sein, etwas Echtes zu erschaffen, deine Figuren zum Leben zu erwecken, in allererster Linie durch natürlich klingende Dialoge. Das hat also nichts mit schlechtem Stil zu tun, sondern damit, dass du einen natürlichen Dialog entwickelst, bei dem deine Leser den Eindruck haben, dass sie über echte Menschen lesen und nicht bloß über stocksteife Figürchen, die vorgefertigten Text runterrattern. Wenn du wirklich anfängst, jeden Dialog auf Zeitformen zu überprüfen, dann würde ich mir mehr Sorgen darum machen, dass dir Rezensenten hölzerne Dialoge vorwerfen als schlechtes Deutsch, wenn du das eben nicht tust. Wirklich, in Dialogen fängt niemand an, Erbsen zu zählen und zu sagen "Das muss doch aber Futur I sein, also wirklich!". :)
»Dude, suckin' at something is the first step to being sorta good at something.« – Jake The Dog

Grey

#5
Hallo Kaipi,

Zitat von: Kaipi am 17. Februar 2013, 10:50:23
»Seine Eltern haben einen Unfall gehabt ...«, antwortet er und stockt. »Wir sind dann noch einmal nach Berlin gefahren. Ich habe ihm eine Freude machen wollen. Und plötzlich ...«
»Ja?« Michael zappelt immer nervöser hin und her.
»... ist er weggelaufen und nie wieder zurück gekehrt.«

Also, das ist erstmal keine Rückblende, sondern ein Bericht in wörtlicher Rede, und Rynn hat recht, wenn sie sagt, dass die sich nicht nach der Erzählform des restlichen Textes richten muss, sondern in ihrem eigenen Kontext die korrekte grammatikalische Zeitform haben muss. Außerdem ...

Zitat von: Kaipi am 17. Februar 2013, 10:50:23
Kann ich das nicht doch so schreiben?

»Seine Eltern hatten einen Unfall ...«, antwortet er und stockt. »Wir sind dann noch einmal nach Berlin gefahren. Ich wollte ihm eine Freude machen. Und plötzlich ...«
»Ja?« Michael zappelt immer nervöser hin und her.
»... ist er weggelaufen und nie wieder zurück gekehrt.«

... sehe ich hier nirgends ein Plusquamperfekt. Plusquamperfekt wäre: "Seine Eltern hatten einen Unfall gehabt ..." Und das wäre tatsächlich falsch. Deine Version steht im Imperfekt, und da es einen Vorgang beschreibt, der bereits abgeschlossen ist, ist das natürlich völlig korrekt. Also, ja. Du kannst es auf jeden Fall so schreiben.

Zitat von: Kaipi am 17. Februar 2013, 10:50:23
Dieser Satz hat meinem Testleser auch Kopfschmerzen verursacht:

Außerdem ist er schon gestern mit seiner Tante hier gewesen, um den Schulausflug anzumelden. Letzte Nacht hat man wohl vergessen, die Lautsprecher abzustellen, überlegt er. Das Brüllen der Dinos ist so laut gewesen, dass er kein Auge zugemacht hat.

Gewesen wird hier als Wortwiederholung empfunden. Was tun? Auch einfach das Perfekt nehmen?

Außerdem war er schon gestern mit seiner Tante hier, um den Schulausflug anzumelden. Letzte Nacht hat man wohl vergessen, die Lautsprecher abzustellen, überlegt er. Das Brüllen der Dinos war so laut, dass er kein Auge zugemacht hat.

Bei diesem Beispiel fällt es mir schwer. Wie Rynn habe ich nicht den Eindruck, dass der erste Satz mit den beiden anderen in Verbindung steht. Aber grundsätzlich kann man vermutlich auch das Imperfekt benutzen.

Zitat von: Kaipi am 17. Februar 2013, 10:50:23
Ist das wirklich korrekt? Kann ich einfach das Präteritum/Imperfekt nehmen? Deutsch ist sooo lange her.. und wenn es falsch ist und Kinder lesen mein Buch, dann bin ich schuld, wenn sie kein richtiges Deutsch lernen! :-)

Ich habe den Eindruck, dass du Imperfekt und Perfekt und Plusquamperfekt fröhlich in einen Topf schmeißt und die Zuordnung dir nicht so ganz leicht fällt? Ich kann dir jedenfalls nicht so recht folgen, wann du nun meinst, welche Zeitform benutzt zu haben ... ???

Kaipi

Zitat von: Grey am 17. Februar 2013, 12:01:19
Ich habe den Eindruck, dass du Imperfekt und Perfekt und Plusquamperfekt fröhlich in einen Topf schmeißt und die Zuordnung dir nicht so ganz leicht fällt? Ich kann dir jedenfalls nicht so recht folgen, wann du nun meinst, welche Zeitform benutzt zu haben ... ???

Danke für die Tipps. Erklärung: Ich bin es gewohnt, im Imperfekt zu schreiben und als Vergangenheitsform das Plusquamperfekt zu nutzen. Für die Kinderbücher bin ich mühsam (und zuerst mit vielen Rückfällen) ins Präsens gewechselt. Als Vergangenheitsform hatte ich da noch Plusquamperfekt verwendet - aus Gewohnheit. Das habe ich aber schon berichtigt und kommt in meinen Beispielen gar nicht mehr vor.
Bei der Gelegenheit habe ich allerdings eine Hexenjagd auf das noch vorkommende Imperfekt (besonders in Dialogen) veranstaltet. Da bin ich beim Überarbeiten übers Ziel hinausgeschossen, denn nicht nur meine Testleser haben beim Lesen Kopfschmerzen bekommen, die hatte ich schon beim Überarbeiten. :wums:
Fazit für mich ist jetzt, dass ich in den Dialogen einfach "natürlich" bleibe. :)

Übrigens habe ich bei dem unverständlichen Beispiel jetzt einen Absatz eingebaut. Der erste Satz gehörte inhaltlich (durch das außerdem) zu einem anderen Thema.