• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Sind Fantasy-Autoren Autoren 2. Klasse?

Begonnen von Luciel, 29. Januar 2013, 20:33:20

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Aphelion

Zitat von: Ludovica am 29. Januar 2013, 22:20:30
Die deutsche Literaturszene ist einfach arrogant und ignorant, der Meinung bin ich schon, seit ich in meiner ersten Literaturwissenschaftsvorlesung über die Höhenkammliteratur lernen durfte.
Ich würde nicht alle über einen Kamm scheren:

a) gehörst du selbst auch zur Literaturszene (wie alle hier);

b) gibt es auch an Universitäten (und im "erweiterten" Kreis der Literaturwissenschaft) auch durchaus andere Kaliber. :)

Allgemein würde ich mich nicht über so etwas aufregen. Schade ist es, ja. Aber was soll's? Genauso viele Leute hacken auf der "Hochliteratur" rum. (Sogar hier... ;)) Alles eine Frage der Bezugsgruppe, alles eine Frage der Mode. :)

Ludovica

In den allermeisten Fällen werden Klassiker allerdings von der Nachwelt dazu gemacht ;) Die Leiden des Jungen Werther sind ein Beispiel, das ich immer wieder gerne aufgreife, wenn es um das Thema geht - was für ein Skandal das damals war! Oder auch Jane Austens frühe Bücher - dumme Romantikromane für dumme Fräulein des niedrigen Adels.

Der deutsche Literaturbegriff ist unglaublich eng. Ja, es gibt heute sehr anspruchsvolle Bücher, die auch wirklich gut sind und zum Nachdenken anregen.

Aber Klassiker werden nicht von Literaturkritikern gemacht. Selbst dann nicht, wenn sie noch so auf 'minderwertigen' Genres herumhacken.

(Und mit 'deutsche Literaturszene' meine ich die Höhenkammszene ;) Und ich weiß schon, dass es auch anderes gibt; aber in Einführungsveranstaltungen wird einem leider immer und immer wieder dassebe erzählt)

Zit

Ich stimme dem allgemeinen Tenor auch zu. :)
Dennoch sticht es trotzdem, wenn die eigene Klassenlehrerin, eine Krimileserin, in der Buchhandelsschule in Leipzig, sagt, dass Fantasy nicht ihr Ding ist, weil ihr die Lösung zu einfach(!) wäre, wenn der Mörder durch die Wand geschwebt wäre. Ich habe dann auch nichts zu gesagt, nur mir gedacht wie wunderbar genial man einen Mord im geschlossenen Raum konstruieren kann, gerade wenn man die Welt so anlegt, dass es Geister nicht völlig offensichtlich gibt, sich die handelnden Figuren aber im Klaren ist, dass es sie durchaus geben kann. ;D Marke Mystery eben.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Snöblumma

#18
Ach ja, was will man dazu schon sagen, außer: Kenn ich doch, solche Aussagen.

Ich habe zufällig am Donnerstag Tolkiens wundervolles Essay "On Fairy Stories" gelesen. Darin: Argumentation gegen Kritiker, die behaupten, Fantasy wäre doch gar keine Literatur, wäre nur etwas für Kinder, außerdem eskapistisch und würde überhaupt nichts dazu beitragen, die aktuellen Probleme zu bearbeiten. Keine Wiedergabe der Realität, sondern Wunschtraum, der zudem rückwärtsgewandt wäre und außerdem niemals gar nie nicht an die Qualität echter Literatur herankommen würde. Nun ja. Tolkien hat es in diesem Essay sehr schön beantwortet. Traurig, dass wir in all der Zeit dazwischen irgendwie nicht weitergekommen sind.

Ich hoffe ja immer noch darauf, dass Fantasy eines Tages genau das passiert wie dem Krimi auch: Der Aufstieg in die Feuilletons. Ich frage mich nämlich regelmäßig, wenn ich in FAZ und Co eine Rezension zu einem Krimi lese, wieso die Realität nur in Krimis bearbeitet werden kann. Nur weil ich von Monstern und fremden Welten schreibe, heißt es nicht, dass ich keine Aussage über unser Dasein hier treffe. Muss natürlich nicht sein (muss ja auch in einem Krimi nicht sein), kann aber. Aussagen sind unabhängig vom Genre, literarische Qualität ist unabhängig vom Genre, aber gut. Sollen Literaturkritiker doch denken, was sie wollen. Ich mag meinen eskapistischen, kindischen, unliterarischen Unsinn.

Oder, um Tolkiens Worte zu gebrauchen: Die richtige Literatur beschäftigt sich mit der Realität, aber es ist eine Realität wie unter einem Glasdach. Fantasy mag zwar von Monstern und unglaublichen Wesen hoch im Himmel und tief im Meer erzählen, aber wenigstens erkennt sie an, dass es Himmel und Meer gibt. ;D

Edit: Ich habe mal noch die Originalworte herausgesucht aus diesem Essay: "Much that he (I must suppose) [Anmerkung: Der Kritiker] and others (certainly) would call "serious" literature is no more than play under a glass roof by the side of a municipal swimming-bath. Fairy-stories may invent monsters that fly the air or dwell in the deep, but at least they do not try to escape from heaven or the sea."

Ryadne

Die niedrige Wertschätzung der phantastischen Literatur ist kein rein deutsches Phänomen. Es gibt dazu beispielsweise auch Essays von Tolkien (siehe Snöblumma ;)) und  Terry Pratchett, in denen sie sich darüber auslassen. Dabei zeigt ja gerade Pratchett, dass Fantasy mehr sein kann als Eskapismus und reine Unterhaltung. Klar gibt es viel Schund in der Fantasy, aber ich finde es schon auch schade, dass das mediale Bild ignorant in eine nicht mal direkt negative, sondern einfach nur völlig vernachlässigende, belächelnde Richtung geht. Und wenn Fantasy mal einen positiven Beiklang in den öffentlichen Medien erhält, dann wird selbst da das Genre häufig nur auf Eskapismus und High Fantasy runtergebrochen (jedenfalls, wenn es nicht um reine Jugendfantasy geht); ich denke da an die Scheck-Diskussion, die hier mal aufgekommen ist.

Aber letztlich geht es so ja vielen subkulturellen Szenen; als ich noch aktiv in der Metalszene unterwegs war, hat es mich auch genervt, wie einseitig die Musik in vielen Medien behandelt wurde. Andererseits stört es mich aber nicht, wenn Schlagerstars in den Medien niedergemacht werden, obwohl sicher auch da Vorurteile eine große Rolle spielen.

Zitat von: Cypher am 29. Januar 2013, 22:03:47
Ich könnte jedes Mal austicken, wenn ich im Buchladen nach Fantasy frage und in die Kinderbuchabteilung geschickt werde. Und wenn ich mit neuen Bekannten auf das Thema zu sprechen komme, kommt zwar meist Anerkennung fürs Schreiben aber auch eine Spitze à la: "Schon ein bisschen kindisch, nicht? // Na, was machen die Elfen?"

Das kenne ich nur zu gut. Wenn ich Leuten von Veröffentlichungen erzähle, kommt meistens zuerst mal Anerkennung - und dann die Frage danach, was ich denn so schreibe. Ja, dann war's das mit der Anerkennung.
Und das regt mich durchaus auf. Ja, ich schreibe Fantasy für Leute, die Fantasy mögen; aber ich will auch, dass andere Leute, zumindest innerhalb meines Bekanntenkreises, Verständnis dafür aufbringen. Inzwischen suche ich ja schon selbst nach euphemistischen Umschreibungen für das Wort "Fantasy".  ::)

Zitat von: Aphelion am 29. Januar 2013, 22:40:48
b) gibt es auch an Universitäten (und im "erweiterten" Kreis der Literaturwissenschaft) auch durchaus andere Kaliber. :)

Stimmt. Selbst hier an meiner kleinen Uni gibt es eine Dozentin, die sich auf Jugendfantasy spezialisiert hat und sieh dir nur mal an, wie viele Professoren und Co. sich in der Gesellschaft für Phantastikforschung finden. Einige Fantasyautoren sind sogar selbst Dozenten (auf Anhieb fällt mir allerdings nur Oliver Plaschka ein).

Zitat von: Leann am 29. Januar 2013, 21:27:41
Wenn man dann mal nachhakt, was sie sich unter einem Fantasyroman denn so vorstellen, kommen die merkwürdigsten Antworten, wie z.B. "Ach, da kämpfen doch immer welche gegen Drachen und es gibt Elfen und Zwerge und so." oder ähnliches.

Seltsamerweise höre ich diese Definition auch oft von Leuten, die Fantasy lesen, was mich noch viel mehr ärgert und mir ziemlich zu denken gibt.  ::)

FeeamPC

Wenn das wirklich so schlimm ist, dann gebt den Leuten doch eine neue Definition eurer Tätigkeit. Sagt nicht mehr:
"Ich schreibe Fantasy",
sondern:
"Ich schreibe eine coming-of-age-story / einen Entwicklungsroman / einen fiktiven Historienroman / ein Psychoportrait  (oder was sonst auch immer), eingebunden in eine spannende Rahmen-Handlung, unter Zuhilfenahme psychologischer Archetypen aus verschiedenen Kulturen der Menschheit."
Bei der Definition belächelt euch keiner.  ;D

Fianna

Es geht auch anders, die Anglisten haben teilweise tolle Kurse dazu gehabt.
Leider habe ich ein anderes Fach studiert und hatte zeitgleich immer Pflichtkurse.


Ich habe vor 2-3 Monaten.in einem sehr guten Vortrag über Tolkien an der VHS gesessen - leider sagte der Vortragende "Das ist 'Sword and Sorcery', also 'Schwertkämpfer und Magier".
Als glühender Low Fantasy Liebhaber hat mich diese Aussage (und mögliche Subtexte, die in der ursprünglichen Meinung mitschwingen, die für die VHS zu diesem Satz verkürzt wurden) etwas abgelenkt, und ich musste mich im Fragenteil in eine Diskussion mit dem Mann stürzen.
Ha, ihr glaubt nicht, wie die Leute geschaut haben, als wäre ich so ein 18jähriger dummer Computerdauernspielender Nerd.
Liebes Publikum, 1.) ich werde dieses Jahr 30, vielen Dank, 2.) wir Nerds sind nicht dumm und Fantasy ist durchaus KOMPLEX, 3.) ich komm kaum mit der Steuerung zurecht, und überhaupt wird Fantasy mehr gelesen und siehe Punkt 2, 4.) ich habe mch damit ganz unnetdig und literaturwissenschaftlich auseinander gesetzt, 5. [zensiert].

Da ich aber gut erzogen bin, den sympathischen, und ansonsten kompetenten Vortragenden nicht vorführen wolle und einen Generalvortrag über Fantass für verschwendet hielt, habe ich den Mund gehalten.

*seufz*

Ja, ich habe den Heimweg damit verbracht, im Flüsterton den nicht mehr anwesenden komischen Leuten die Fantasy-Gattungsgrenzen zu erklären... Aber solange es nicht um Fans (="fanatic", ~ interested by heart) geht sondern um hochelitäre Kritiker, kann.ich das gut ignorieren. :)

Angela

Mein Mann hat sich im Sommer sowas von aufgeregt, als im Feuilleton des Deutschlandfunkes irgendso ein wichtiger Schreiber zu seinem letzten Buch befragt wurde. Mein Mann meinte, die vorgelesenen Stellen wären reine Fantasy gewesen, der Redakteur teilte diese Ansicht, aber der Autor sei völlig beleidigt gewesen.
Er schreibe doch keine Fantasy.
Nöö, bei ihm muss es natürlich die pure Kunst sein, klar.

Kaeptn

Ernshaft: Who cares?

Lesen Fantasy-Fans Feuilletons? Überwiegend wohl nicht. Wen juckt also das dumme Geschwätz, so lange der Markt sich nicht darum schert? Vor allem wo der Markt gerade den Zeitungen zeigt, dass ihr Geschreibsel sowieso immer weniger Leute interessiert.

Churke

Ich sehe das ganz entspannt. Fantasy ist das älteste Genre der Literatur. Wer Kritiker sein will und das nicht weiß, offenbar nur Wissens- und Bildungslücken.

Arcor

Gut, solche Aussagen gibt es ja immer wieder. Ich muss da jedes Mal an Frau Heidenreich denken, die im Fernsehen in einer Show, wo es um die beliebtesten Bücher der Deutschen ging, zum HdR sagte, dass sie nicht auf kleine Leute mit haarigen Füßen steht. Das war ihr einziger Kommentar, als Literaturkritikerin wohlgemerkt. :d'oh:

Es ist aber schon interessant, dass die Literaturszene (der Unterhaltungsliteratur wohlgemerkt) auf das Fantasygenre so herabschaut, denn die Universitäts- und Wissenschaftsszene schaut wiederum auf die gesamte Belletristik herab, dass doch alles nur schnöde Machwerke und nichts wirklich Wichtiges dabeisei. Da ist mir jedes Mal in der Uni die Galle hochgekommen. Denn prinzipiell ist wohl alles außer Sachbüchern Unterhaltungsliteratur. Zur "wichtigen" Literatur machen es dann doch nur irgendwelche Nasen, die das behaupten und sonstwas darin sehen. (Das soll jetzt kein negatives Urteil über die hohe Literatur sein, davon kann man vieles wirklich gut lesen und es sind auch oft tolle Bücher. Mich regt einfach nur diese strikte Trennlinie auf, die da immer gezogen wird.)

Allerdings sind ja auch nicht alle deutschen Literaturkritiker so verbohrt. Denis Scheck z.B. sieht die Fantasy durchaus positiver. Neulich hat er irgendwann G.R.R. Martin interviewt und er empfiehlt gerade die neue Hobbit-Ausgabe.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

HauntingWitch

Ich rege mich über solche Leute schon lange nicht mehr auf. Deren Problem, wenn sie die Genialität eines Justin Cronin (um beim Beispiel von "Die Zwölf zu bleiben"  ;D) nicht sehen können, die verpassen das tolle Buch, nicht ich. Und als Autorin, ganz klar: Solange die Agenturen und Verlage deswegen nicht beschliessen, keine Fantasy mehr anzunehmen/zu veröffentlichen, was soll's?

Zitat von: Luciel am 29. Januar 2013, 21:59:31
Genau das denke ich ja auch - und dann merke ich wieder, dass ich damit in meinem eigenen Universum lebe. Wahrscheinlich wird das derzeitige "Hoch" der Fantasy-Literatur einigen Verfimungen zugeschrieben und viele erwarten, dass es wie ein Modetrend wieder in der Versenkung verschwindet.

Das glaube ich nicht. Bestimmt wird es wieder abflauen, aber es wird auch wieder kommen. Man sehe sich nur all die Fernsehserien an ("Charmed" und so), die eine Weile lang total in waren, dann verschwanden und jetzt wiederholt werden. Das hat doch einen Grund. ;) Ausserdem dauert dieser "akutelle Fantasy-Hype" doch nun auch schon eine ganze Weile an.

Und abgesehen davon: Der "richtige" Fantasy-Fan (damit meine ich jene Leute, die nicht einfach nur "Twilight" lesen, weil es gerade alle tun, sondern sich eben auch sonst für die Fantasy interessieren) bleibt auch unabhängig vom Hype ein Fan.

Telas

Für mich kennt die Literatur sowieso keine guten und schlechten Genres, es gibt nur gute und schlechte Autoren. Schundliteratur dürfte es wohl auch in der Mainstreamabteilung der Belletristik weithin geben, nur sind die Vorurteile gegenüber den anderen Genres nicht so groß, wie in der Fantasy. Meiner Meinung nach sind an diesen Nerdvorurteilen aber hauptsächlich die Medien schuld. Sie impfen uns die Meinung ein, alle Fantasyleser werden Freaks, weil bei jeder Weltpremiere eines Fantasyfilms natürlich zuerst diejenigen gezeigt werden, die am abgedrehtesten angezogen sind und schon seit fünf Wochen vor dem Kino warten.
Ich halte es hier, wie bei allen anderen Dingen auch. Wenn einer sagt, dass Fantasy für ihn Schund ist, dann ist für ihn Schund. Bitte schön, das ist mir dann aber auch herzlich egal. Und auch wenn tausend Leute so denken, dann wäre mit das gleich und auch bei einer Million Leute. Man muss sich immer seine eigene Meinung bilden und was die anderen Leute für Genres bevorzugen oder nicht bevorzugen, das ist doch reichlich egal. Und wenn Fantasy wirklich nur Schund wäre, dann hätten sich aber einige Werke aus diesem Bereich verdächtigt gut verkauft ;). Also ich würde es auch nicht zu sehr auf die Goldwaage legen.

Feuertraum

Zitat von: Aryana am 29. Januar 2013, 20:55:33
Irgendwann hat mich mal ein Pastor erwischt, als ich vor dem Gottesdienst, auf dem ich Orgel spielen sollte, ein Buch von Mercedes Lackey in meine Tasche stopfte. Er guckte nur und murmelte was von "Schundliteratur in der Kirche". Und da ich den Mann kenne, weiß ich, wie ernst er das gemeint hat mit der Schundliteratur. Ich war ziemlich angefressen.

Was mir dazu heute morgen eingefallen ist: Die Bibel besteht eigentlich auch aus Fantasyelementen:

Der Garten Eden (erschaffene Welt)
Wein zu Wasser-Wandlung (Magie)
Sprechende Tiere
Gott
Reise mit Selbsterkenntnis...

Ich bin nicht sonderlich bibelfest, aber allein diese Beispiele zeigen, dass auch Fantasy in der Kirche existiert... ;D 8)
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Churke

Zitat von: Feuertraum am 30. Januar 2013, 11:45:05
Wein zu Wasser-Wandlung (Magie)
Das war keine Magie, sondern ein Wunder.  ;)

Die wundertätigen Heiligen in der Antike legten größten Wert darauf, dass sie keine (heidnische) Zauberei, sondern ausschließlich die Macht Gottes einsetzten.

Muss man sich so vorstellen wie den Paladin im Fantasy-Rollenspiel.  ;D