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[Geschichte] Ansprache England Ende 19. Jh.

Begonnen von Franziska, 23. Dezember 2012, 16:48:39

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Franziska

Ich habe jetzt einen Text angefangen, der in England um 1895 bis 1900 spielt. Ich kenne viele Bücher aus der Zeit, eher noch etwas davor und Filme, also allgemein kenne ich die Sitten von damals. Eine Frage beschäftigt mich aber, vielleicht kennt jemand die Antwort oder hat einen Tipp zur Recherche. Es ist sowieso etwas doof, weil es im Englischen ja kein Sie gibt, aber wann sprechen sich Leute mit Vornamen an und wann mit Nachnamen und wann mit Lord/Lady?
Ich habe das Beispiel, dass ein Cousin seine Cousinen das erste Mal trifft, seid sie Kinder waren und habe sie sich jetzt duzen und mit Vornamen ansprechen lassen. (So ist es z.B. auch in Downtown Abby) Dann lernt er Freunde seiner Cousinen kennen (alle sind Mitte zwanzig bis dreißig) und sie sich zuerst mit Nachnamen ansprechen, sich dann aber später duzen oder würden sie sich gleich mit Vornamen ansprechen?
Es spielt in einem kleinen Ort, die Leute sind nicht adlig aber wohlhabend.

Maran

Es ist so nicht richtig, daß es im Englischen kein "Sie" gibt. Aber inwieweit und in welchen Zusammenhängen und Zeitepochen es überhaupt benutzt wurde / wird, entzieht sich meiner genauen Kenntnis.

Abakus

#2
Hallo Franziska!

Anbei zwei Links:

Historische Anrede – Sie, du oder Ihr?
Titel und Anreden in England

Den Inhalt habe ich grob überflogen, denke aber, dass es hilfreich sein kann.  :)

Kati

Um 1900 würde ich bei ganz normalem Großbürgertum auf jeden Fall auf das "Ihr" verzichten. Wir befinden uns schon in der Moderne, das würde sehr merkwürdig aussehen. Cousins und Cousinen sprechen sich wohl mit Vornamen an, wenn es enge Verwandte sind. Bei den Freunden der Cousinen würde ich aber beim "Sie" bleiben. Wenn dein Prota ein Mann ist, und die Bekannte eine Frau, dann bleibst du am besten ganz beim "Sie" und natürlich "Miss" und "Mister" (Andersrum natürlich auch). Zwei Frauen oder zwei Männer könnten sich nach kurzer Zeit das Du anbieten, achte da aber darauf, dass der gesellschaftlich höher Gestellte das Du anbietet.

Es kommt auch drauf an, wie alt deine Figuren sind, bei jüngeren Figuren geht das Freundschaftschließen natürlich schneller. Verheiratete Damen sollte man natürlich mit "Mrs." und dem Nachnamen des Ehemannes ansprechen. Und junge Damen, die unverheiratet sind, spricht ein junger Mann übrigens gar nicht einfach so an, der wartet, bis er offiziell vorgestellt wird.  ;)

Lord und Lady benutzt man für genau das: Lords und Ladys, Adelige. Über die Adelsverhältnisse im viktorianischen England kannst du dich überall im Internet informieren.  :) Man sollte halt drauf achten, dass man einen hohen Adeligen auf keinen Fall mit einer Anrede anspricht, die geringeren Adeligen zukommt.

EDIT: Falls du Betaleser suchst, kannst du mich sehr gern fragen. Ich lese so gut wie alles gern, das in der Zeit spielt.

Franziska

Ah, vielen Dank Kati, ich wusste doch, dass du dich damit auskennst. :D
Dann habe ich ja alles richtig gemacht. Im Moment suche ich noch keine Betaleser, aber wenn komme ich gerne auf dich zurück, falls du mit dem Text etwas anfangen kannst.

Lavendel

Man kann in der Beziehung meiner Ansicht nach interpretieren, weil die Gepflogenheiten sich doch von den deutschen unterschieden und immer noch unterscheiden. Wenn man das Verhältnis der Figuren abwägt, kann man schon recht leicht entscheiden, wer sich nun siezt und wer duzt - jedenfalls empfinde ich das so. Je enger und vertrauter die Beziehung, desto wahrscheinlicher natürlich das Du, allerdings können auch gute Freundschaften gut und gerne mit Vornamen und "Sie" auskommen, und je weiter man auf der gesellschaftlichen Leiter "nach unten" geht, desto eher werden sich Leute mit "Du" anreden. Ein Bergarbeiter wird seinen Kumpel sicherlich duzen, ein Herr Doktor an der Universität würde einen sehr engen Kollegen womöglich beim Vornamen nennen, aber Siezen.
Die Engländer standen ja schon immer auf Spitznamen, auch die Adligen. Wenn jemand mit Spitznamen angesprochen wird, kann man sicher vom Du ausgehen. In allen Fällen darf man wie gesagt interpretieren und sich überlegen, was besser passt.
Im allgemeinen muss man sagen, dass in Englands höheren Kreisen zwar immer schon sehr auf die richtige Form geachtet wurde, dass aber zumeist kein "preußisches Regime" herrschte. Ich weiß nicht, wie ich das am besten ausdrücken soll, aber der etwas höher gestellte Engländer des 19. Jahrhunderts ist eben in seiner Steifheit locker ... ::)
Ich würde mir da keinen allzu großen Kopf drum machen. Seine Cousinen kann der junge Mann für mein Empfinden wahlweise duzen oder siezen - je nachdem wie gut ihr Verhältnis einmal war, ob sie über die Jahre lose über Briefe in Kontakt geblieben sind oder ob sie sich überhaupt mögen. Lässt du ihn neue Freunde kennenlernen, dann können sie einander ja das Du anbieten und es wahlweise begießen. Am Anfang werden sie sich sicher Siezen.
Bei Eltern würde ich persönlich für die Zeit immer das Sie verwenden, auch wenn das in Übersetzungen anders ist. Ich habe sogar schon deutsche Missetaten gesehen, in denen Väter von ihren Söhnen und Töchtern geduzt werden ...  :gähn:

(Ich hoffe übrigens, du willst in deinem Buch keine Partys mit Adligen feiern. Da kriegt man schon Probleme, wenn man versucht herauszufinden, in welcher Reihenfolge sie durch die Tür gehen oder wer neben wem am Tisch sitzt ...)

Kati

Zitat(Ich hoffe übrigens, du willst in deinem Buch keine Partys mit Adligen feiern. Da kriegt man schon Probleme, wenn man versucht herauszufinden, in welcher Reihenfolge sie durch die Tür gehen oder wer neben wem am Tisch sitzt ...)

:rofl:

Ich denke, was man eben auf jeden Fall beachten muss ist, dass es zwar all diese Regeln und Konventionen gab und diese auch durchaus eingehalten wurden, aber wir es selbst bei den Viktorianern noch mit Menschen zu tun haben. Man sollte sich schon informieren, aber wie was gehandhabt wird, liegt auch oft bei deinen Figuren, wie sie so drauf sind und wie sie denken. Solang sie sich keine gesellschaftlichen Patzer erlauben, heißt das.

Lavendel: Das mit dem Eltern-Siezen mache ich zum Beispiel immer falsch, obwohl ich es besser wissen sollte.  :versteck: Aber das ist finde ich auch so ein Ding, wo man sich nicht genau sicher sein kann. In Deutschland auf alle Fälle, aber für England hat man ja bloß das "you" und das "mother" und "father". Und da England in diesen Dingen eh ein bisschen entspanner wirkt (Familie wurde ja bereits sehr groß geschrieben, es gab um die Jahrhundertwende ja auch neue Erkenntnisse zur Erziehung), weiß ich da jetzt nicht so recht, ob man das so genau sagen kann. Da kommt es meiner Meinung nach auch stark auf die Beziehung zwischen Kind und Vater an. Ist es die typisch-distanzierte Beziehung würde ich auch sagen, dass das Sie angebracht ist. Aber, wenn Sohn und Vater zum Beispiel gut miteinander auskommen (Oder so schlecht miteinander auskommen, dass der Sohn dem Vater eins auswischen will) kann ich mir schon das "Du" vorstellen. (Andererseits siezen sich in England bis heute alle, weil das "you" genau genommen nichts anderes bedeutet. Verwirrend.)

Wie gesagt: Es kommt auch stark auf die Figuren an, und solang keine gravierenden gesellschaftlichen Fehler passieren, dürfte alle im Lot sein.