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Das alte Thema: Literarische Qualität vs. Dollarzeichen

Begonnen von Rigalad, 19. September 2012, 20:11:01

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Rigalad

Hallo ihr Lieben,

vorweg: Ich weiß nicht, ob es das Thema oder zumindest ein ähnliches schon gibt, jedenfalls habe ich nichts gefunden. Wenn ja, nehme ich die Pfanne gern an.

Ich bin jemand, der Wert auf Prinzipien legt. Auf Fairness. Beides Dinge, die in der Wirtschaft nicht gerade selten untergehen oder gar nicht erst existieren. Im Verlagswesen bzw. der Buchbranche ist das natürlich nicht anders. Ich kenne das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Das ist mir bekannt. Seit langem. Dennoch ärgere ich mich immer wieder maßlos darüber.

Das erste Mal, wo ich wirklich an dieser Erkenntnis zu knabbern hatte, war vor etwa einem halben Jahr. Als bekannt wurde, dass Julia Schramm, Politikerin der Piratenpartei, beim Knaus Verlag ein Buch veröffentlichen würde. Vorschuss: 100.000 €. Eine Frau, die geistiges Eigentum als "ekelhaft" bezeichnet und sich für das kostenlose Verbreiten von Literatur und überhaupt allen kulturellem Wissen aussprach, nimmt plötzlich das in Anspruch, was sie verurteilt. Ich spreche mal nicht von Glaubwürdigkeit, wenn man sich das Geschehen der letzten Tage um Frau Schramm ansieht, aber darum geht es mir hier auch nicht.
Für mich war es damals (und ist es heute noch) unverständlich, dass ein renommierter Verlag, dessen Existenz bei Durchsetzung der damaligen Forderungen von Frau Schramm und vielen ihrer Parteifreunde ebenso auf dem Spiel stehen würde wie die von Autoren und anderen Künstlern, mit dieser Frau Geschäfte abschließt. Wie groß muss die Gier nach Profit sein, wenn man sich in dieser Sache nicht ein bisschen solidarisch zeigen kann?

Anderes Beispiel: 50 Shades of Grey. Auch da kann ich nicht begreifen, wie man so viel Geld investieren konnte. Ich persönlich finde es sprachlich und inhaltlich schrecklich, aber das lasse ich mal als Geschmacksfrage stehen. Aber niemanden, auch den Verlag nicht, scheint es zu stören, dass das Meiste eben aus Twilight abgekupfert ist. Das Setting, die Charaktere, einige Handlungsparallelen. Hat niemand mehr Respekt davor? Und legen die Verlage keinen Wert mehr auf ein qualitatives Mindestmaß?

Das sind nur zwei Beispiele, die mich in letzter Zeit beschäftigt haben. Aber diese Fragen kommen auch jedes Mal wieder auf, wenn irgendein C-Promi "seine" Biographie herausbringt und sogar groß vermarktet wird. Man sehe sich Bettina Wulffs Biographie an, die von den meisten Rezensenten regelrecht verrissen wird. Aber mit Skandalen und bekannten Namen lässt sich eben einfach mehr Geld machen als mit einem talentieren Neuautoren.

Ich bin mir bewusst, dass meine Vorstellungen in dieser Hinsicht idealistisch sind. Das sind sie sicher. Aber manchmal frage ich mich, warum ich mich immer wieder durch nervenzerreißende Wartezeiten, seltsame Absagen, Vertrösten und andere Dinge kämpfe, während anderer, literarischer Mist mit Handkuss genommen wird. Das sind Momente, in denen ich mich derzeit ernsthaft frage: Willst du das wirklich? Willst du in dieser Branche mitmischen, in der es nicht gerade selten nicht darum geht, was du schreibst oder wie gut du schreibst, oder ob du originell bist, sondern in der offenbar andere Dinge oftmals wichtiger sind?
Für mich ist das Buchwesen immer noch eine Art Kunst. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass die Kunst und das, was den Reiz eines Buches ausmacht, immer mehr daraus vertrieben wird.

So, jetzt habe ich mir den Frust von der Seele geschrieben. :) Ich meine, bin ich die Einzige, die an diesen Stellen manchmal verzweifelt?

Linda

Das einzige Tröstende, was mir dazu einfällt. Es gibt halt "Bücher"  ::) (verbindendes Element dieser ist meist Hype, 'Kunst', Promi oder Skandal) und Bücher.

Mit dem einen muss man leben, und ignoriert es bestenfalls. Das andere kann man selbst (mit)gestalten, nämlich die eigenen Produkte.

Da mir 'Bücher" nicht die Butter vom Brot nehmen, kann ich damit leben und ignoriere es so gut es geht. Und besser noch - solange Verlage Mischkalkulation betreiben, schafft so ein Skandälchen Geld in die Verlagskasse und finanziert damit eben auch echte Bücher  ;)

Gruß,
Linda

Golden

Zitat von: Rigalad am 19. September 2012, 20:11:01

Für mich war es damals (und ist es heute noch) unverständlich, dass ein renommierter Verlag, dessen Existenz bei Durchsetzung der damaligen Forderungen von Frau Schramm und vielen ihrer Parteifreunde ebenso auf dem Spiel stehen würde wie die von Autoren und anderen Künstlern, mit dieser Frau Geschäfte abschließt. Wie groß muss die Gier nach Profit sein, wenn man sich in dieser Sache nicht ein bisschen solidarisch zeigen kann?


Wenn die Glaubwürdigkeit von den "Piraten" beschädigt wird, hilft das doch dem Verlag - von daher hat der Verlag imo alles richtig gemacht(jetzt aus Verlagssicht ).

Snöblumma

#3
Gefühlsmäßig würde ich dein Statement so unterschreiben, Riga. Viele der Bücher auf der Bestsellerliste, diverseste Biografien und so weiter finde ich (von den Leseproben her) schlecht geschrieben, unspannend oder einfach nur einen Abklatsch vorhandener Dinge. Aber solange ich meine (Edit sagt: also die Bücher, die ich lesen will) Bücher weiterhin im Handel finde, ficht mich das nicht besonders an. Ich lese brav das, was ich persönlich gut finde, lasse anderen ihren Spaß und denke mir meinen Teil. Wahrscheinlich genau so, wie die anderen sich ihren Teil über mich denken ;).

Aber, um mal den advocatus diaboli zu spielen und auf einen Punkt einzugehen, der damit in Verbindung steht und den Linda auch benannt hat:

Zitat von: Linda am 19. September 2012, 20:21:22
Und besser noch - solange Verlage Mischkalkulation betreiben, schafft so ein Skandälchen Geld in die Verlagskasse und finanziert damit eben auch echte Bücher  ;)

Dazu habe ich just heute einen spannenden Denkansatz gelesen, wenn ich dem auch nicht ganz zustimme. Ausgangspunkt ist die These, dass der Preis, den jemand auf dem Markt zu zahlen bereit ist, den Nutzen repräsentiert, den der Käufer aus dem Produkt zieht.
Nehmen wir nun an, dass das Schlechte-Abklatsch-Buch A für 10 Euro zu kaufen ist. Dank einer Bestsellerauflage lohnt es sich, für den Verlag springt noch ein Gewinn heraus. Prima. So soll es sein auf einem funktionierenden Markt. Die Käufer sind glücklich, weil sie für ihre 10 Euro das Vergnügen bekommen, das sie wollen.
Gutes-Buch B, ebenfalls erhältlich für 10 Euro, verkauft sich nun nicht kostendeckend nur einige tausend Male. Dumm für den Verlag, aber weil der Verlag das Buch toll findet, macht er weiter Bücher in dieser Richtung und finanziert sie quer. Eine Kaufpreiserhöhung kommt nicht in Frage, weil sonst noch weniger Leute das Buch kaufen würden. Wirtschaftlich gesehen eigentlich Unsinn.
Es gibt nun mehrere Möglichkeiten, dieses Vorgehen zu rechtfertigen:
a) Irgendeinen Mehrwert, abgesehen von einem wie auch immer zu berechnenden Beitrag zum Kulturleben (den tausende nicht veröffentlichte, gut geschrieben Manuskripte auch bringen würden), muss das Buch haben. Das kann nicht der Nutzen der Käufer sein, in Form von Spaß und Lesefreude, denn sonst würden diese das Buch für kostendeckende 25 Euro kaufen - das Buch hat für die Käufer aber offensichtlich nur einen Nutzen von 10 Euro, sonst wäre der kostendeckende Preis ja am Markt durchsetzbar.
b) Es werden tausende Bücher veröffentlicht, die volkswirtschaftlich gesehen keiner wirklich braucht. Die sich höchstens in teuren Kleinverlagsauflagen rechnen würden, wo sie sich an genau die Käufer richten, die kostendeckende 25 Euro ausgeben würden. Die restlichen Zufallskäufer lohnen also nicht.

Ich fand beide Alternativen nicht ganz zufriedenstellend. Gefühlsmäßig würde ich dazu tendieren, Büchern einen Mehrwert zuzusprechen, der sich nicht saldieren lässt, und der über die reine Lesefreude hinausgeht. Das erklärt dann aber nicht den Unterschied, der zwischen Gutem-Buch B und einem nicht veröffentlichten, nicht markttauglichen, aber kulturell und volkswirtschaftlich ebenso viel Mehrwert bedeutenden Manuskript besteht.

Ist es also wirklich nur der Hype, der um ein Buch gemacht wird? Sprich: nicht unmittelbar marktbezogene Faktoren wie Promis, Skandälchen oder Pressegeschichten und Werbung? Wenn das alles ist, was den Unterschied ausmacht zwischen einem kostendeckenden und nicht kostendeckenden Buch, dann wäre der Buchmarkt in der Tat ein nicht wirklich funktionierender Markt...

So viel zu meinen Überlegungen, die ich mir heute in der Uni gemacht habe, und die hier gerade so schön passen...

Zitat von: Rigalad am 19. September 2012, 20:11:01
Für mich ist das Buchwesen immer noch eine Art Kunst. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass die Kunst und das, was den Reiz eines Buches ausmacht, immer mehr daraus vertrieben wird.
Und hier kommt wieder die Überlegung: was ist Kunst? Wenn viele ein mittelmäßiges Buch lesen wollen, ist das dann nicht auch Kunst? Diese Vielen fühlen sich offenbar gut mit dem, was sie lesen. Sie ziehen ihren persönlichen Spaß daraus. Viele Leute wollen offenbar nichts anderes lesen.

Aber ja, du bist nicht die einzige, die darüber gelegentlich verzweifelt. Das Gefühl: Wieso der und ich nicht? Wieso dieses qualitativ nicht allzu gute Buch, wo meines doch viel besser wäre? Ich glaube, das gehört dazu... und ich wage auch zu behaupten, dass jeder schon mal mit knirschenden Zähnen am Buchregal stand.

Rigalad

Zitat von: Linda am 19. September 2012, 20:21:22
Da mir 'Bücher" nicht die Butter vom Brot nehmen, kann ich damit leben und ignoriere es so gut es geht. Und besser noch - solange Verlage Mischkalkulation betreiben, schafft so ein Skandälchen Geld in die Verlagskasse und finanziert damit eben auch echte Bücher  ;)

Natürlich habt ihr damit nicht unrecht, Linda und Snö. Solche Hype-Bücher, seien sie nun schlecht oder nicht, finanzieren natürlich andere Experimente mit.
Was ich mich in dem Zusammenhang dann frage: Gäbe es die Ausschläger nach unten nicht, gäbe es wohl trotzdem Hype-Bücher. Man nehme Harry Potter als eines von sehr vielen Beispielen. Das Phänomene von solchen Abräumern ist ja nie wirklich erklärbar. Sie geschehen einfach. Es gibt Bestseller, die qualitativ top sind, und sich wie verrückt verkaufen. Die finanzieren die Querschläger, Versuche und Richtungsänderungen ebenso mit.
Das Problem dabei wäre wohl nur, dass noch schlechter kalkuliert werden kann.

ZitatUnd hier kommt wieder die Überlegung: was ist Kunst? Wenn viele ein mittelmäßiges Buch lesen wollen, ist das dann nicht auch Kunst? Diese Vielen fühlen sich offenbar gut mit dem, was sie lesen. Sie ziehen ihren persönlichen Spaß daraus. Viele Leute wollen offenbar nichts anderes lesen.

Lesen die Leute das wirklich aus Spaß? Wenn ich mir bei "Klick mich", Shades oder auch der Wulff Biographie die Rezis ansehe, klingt das eher so, als würden solche Bücher aus Neugier gekauft, weil sie eben in aller Munde sind. Hohe Verkaufszahlen sagt ja nicht immer unbedingt aus, dass die Leute eben das auch lesen wollen, sondern nur, dass die Marketingstrategie aufgegangen ist. Da ist es schwer, genaue Erkenntnisse zu gewinnen.

Zitat von: Golden am 19. September 2012, 20:33:58
Wenn die Glaubwürdigkeit von den "Piraten" beschädigt wird, hilft das doch dem Verlag - von daher hat der Verlag imo alles richtig gemacht(jetzt aus Verlagssicht ).

Das war vor einem halben Jahr aber noch nicht abzusehen, dass Frau Schramm ihre Meinung ändert wie ein Fähnchen im Winde. Wobei ihre Glaubwürdigkeit natürlich schon da am Wanken war, als sie überhaupt erst den Vertrag unterzeichnet hat. Das hat sie damals allerdings als Selbstversuch bezeichnet.

Silvia

Der Buchmarkt heißt nicht umsonst BuchMARKT. Verlegt wird vorranging, was sich gut verkauft. Ist natürlich auch sinnvoll - von irgendwas muss der Verleger ja seine Miete, die Herstellung und die eigene Entlohnung bezahlen. Gewinn einfahren muss natürlich auch noch sein (für zukünftige Produktionen und als Gewinn an sich). Übers Studium schon und später bei der Arbeit in einer Buchhandlung (in meinem Fall Thalia ...) ist mir das immer vermehrte Gewinnstreben auch permanent begegnet. Mit ein Grund dafür, dass ich in diesem Bereich nicht mehr tätig sein möchte. Und irgendwie war es meistens immer das gleiche, was man ins Regal gepackt hat.Zuweilen auch ziemlicher Schrott, den tatsächlich Leute gekauft haben! Die Buchwelt als besondere Welt - das hab ich früher auch mal so gesehen. Aber es sind Unternehmen wie andere auch. Meistens. Ernüchternd, ich weiß. Deshalb bin ich jetzt auch ganz zufrieden als "nur" Leser und hin und wieder Schreiberling, auch wenn das in letzter Zeit eher brach lag.

Feuertraum

Vielleicht ist das ganze jetzt eine eher ketzerische Frage, aber: wollen die Leute tatsächlich nichts anderes lesen oder wird ihnen von Werbung und Hype "eingeredet", dass sie nichts anderes lesen wollen?

Ich gebe ganz offen zu: ich ertappe mich hin und wieder dabei, dass mich ebensolche Informationenschon neugierig machen und auch ein wenig in die Richtung drängen, das Buch kaufen zu wollen. Und ich kann mir vorstellen, dass ich nicht der einzige bin, der in dieses Netz geht.
Gleichzeitig will ich aber nicht alle über einen Kamm scheren. Ich denke, man sollte unterscheiden zwischen dem Gelegenheitsleser, der vielleicht 3 Romane im Jahr liest und dem Bücherverrückten, der an die (aus der Luft gegriffen) 100 Romane p.a. liest. Der wird mit Sicherheit nicht nur zum Hype greifen. Der wird sich auch andere Autoren vorknöpfen, vielleicht sogar welche, die nicht unbedingt aus den großen Publikumsverlagen kommen.



Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Zit

Und gerade die Vielleser sind ja die, die sich über niedrige Preise freuen, weil sie ihren Hunger stillen können. Ich mein, entweder ein 200-Seiten-Diogenes-Buch für 15EUR oder zwei 350-Seiter für 20EUR ... Und von Fachliteratur oder Reise-/ Wander-Lit. u.ä. gar nicht zu reden.

Joachim Unseld hat letztens im Interview mit dem Börsenblatt gesagt:

Zitat"Die Konzerne produzieren einen großen Scheißhaufen und decken damit alles zu", hat ein Verleger kürzlich gesagt. Liegt darin das Grundproblem? Die größeren Verlage haben ganz andere Fixkosten, die sind gezwungen, viele Titel zu machen. Wenn man noch in Rechnung stellt, dass die Auflagenzahlen enorm zurückgegangen sind, heißt das, dass immer mehr Bücher produziert werden müssen. Da bleibt es nicht aus, dass man nicht mehr so sorgfältig selektieren kann.

Ich warte drauf, dass diese Abwärstspirale auf dem Boden aufschlägt und in tausend Teile zerschmettert wird.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Franziska

Ich dachte beim Titel, du meintest uns Autoren und nicht die Verlage, so nach dem Motto, ob wir vor lauter Dollarzeichen selbst die Qualität vernachlässigen.
Ich kann deine Gedanken gut nachvollziehen. Aber ich glaube, man muss sich davon auch ein bisschen freimachen. Klar,  das sagt sich leicht. Man muss ja auch erst einmal Teil des ganzen werden. Und dafür hilft es sicherlich, die Verlagswelt zu verstehen. Aber ich denke, wenn man ein Autor ist, der schon ein paar Bücher veröffentlich hat, und man einen Agenten hat, dann sollte man sich nicht so viele Gedanken um die anderen Bücher machen, die rauskommen, sondern um die eigenen. Klar, ist das immer ein Konkurrenzverhältnis, aber beeinflussen kann man das dann auch nicht mehr. Man kann nur das eigene Buch so gut wie möglich bewerben.
Und ich frage mich gerade, ob man sich als Teil des ganzen Buchmarktes begreifen muss, wie Linda sagt, es gibt solche und solche Bücher. Es gibt so viele unterschiedliche Sparten, so viele unterschiedliche Lesergruppen. Klar ärgert es mich auch, wenn solche schlecht geschriebenen Bücher so erfolgreich sind. Aber erstens glaube ich nicht, dass das ein neues Phänomen ist und zweitens kann man das nicht ändern. Dass die Verlage so etwas überhaupt drucken ... kann man verwerflich finden. Aber wenn man sich nicht einen Verlag aussucht, der nur hochliterarische anspruchsvolle Bücher macht, dann ist das wohl so, dass die Verlage das machen, was Geld bringt.
Dass die Leute die Sachen auch wirkliche lesen wollen? Ich bin da skeptisch. Ich kenne auch kaum jemanden, der Feuchtgebiete wirklich gut fand. Das ist die Hypemaschine, die Marketingstrategie, die ab und zu aufgeht ... die Kulturindustrie ...  aber davon will ich jetzt nicht anfangen. ;)

Rhiannon

Ich mische mich da mal auch sehr ketzerisch ein: Was ist literarische Qualität? bzw. eher: Was ist keine?
Ich meine, ich habe auch schon Bücher in der Hand gehabt, bei denen ich dachte: "Mein Gott, das kannst sogar du besser!" und trotzdem pappte irgendwo ein Aukleber mit "Bestseller" oder "Der neue Tolkien" oder irgend ein Mist in der Hinsicht drauf. Das "Warum der, warum ich nicht?" habe ich als unveröffentlichte und bisher auch noch unverbrannte Autorin selbst nicht, bzw. ich habe keine Absagen, ich kann also auch still sein.
Aber ich habe auch schon ein paar Mal bei Büchern, die allgemein als "Hohe Literatur" gewertet werden, den Kopf geschüttelt und mich gefragt, wer denn da draufkam, dass diese Bücher irgend einen höheren Wert hätten, als das Papier, auf dme sie gedruckt sind.
Sprich, die Frage nach Qualität ist in meinen Augen kritisch. Irgend jemand wird sicher auch die Wulff-Biographie toll finden...
Und was das Profitstreben angeht: Ich glaube, schon in der Antike hat man schlechte Theaterstücke verramscht, um Geld zu machen und so weiter. Das ist glaube ich menschlich und wir Autoren müssen da unseren Elfenbeinturm auch mal verlassen und das akzeptieren, wenn wir veröffentlichen wollen.
Oder wir bleiben verkannte Genies und werden erst bekannt, wenn wir unsere Freunde bitten, unseren Nachlass zu verbrennen und diese es dann nicht tun.  ;)

Churke

Im Urlaub mache ich mir immer den Spaß, einen aufwändig gestalteten und beworbenen Top-Titel, den ich auf dem Wühltisch erstanden habe, zu lesen. Zuletzt "Die Schattenkämpferin". Das sind zum Teil Werke, deren Plots sich inhaltlich auf dem Niveau eines LARP-Fanfilms bewegen. Aus dem "Oevre" wurde dann mit der großen Werbetrommel ein kurzlebiger Bestseller gebacken. Der Markt braucht schließlich Bestseller. Es ist gewiss auch kein Zufall, dass solche Werke den Zeitgeist kopieren.
Rege ich mich darüber auf? Nein - ich zahle ja auch nur den Ramschpreis.  ;D

Mein Eindruck ist allerdings auch, dass die Verlagspolitik da eine Rolle spielt. Die genannten Titel in meinem Regal stammen ausnahmslos (!) aus der Random-House-Gruppe. Sowas gibt einem schon irgendwie zu denken.  ::)


Runaway

Zitat von: Franziska am 19. September 2012, 23:57:03
Ich dachte beim Titel, du meintest uns Autoren und nicht die Verlage, so nach dem Motto, ob wir vor lauter Dollarzeichen selbst die Qualität vernachlässigen.
Das dachte ich auch erst, aber das macht das tatsächliche Thema nicht weniger spannend. Die Geschichte mit Julia Schramm hab ich gestern auch gehört und erst mal laut gelacht, denn da wußte ich noch nichts von den 100.000 Euro. Aber es war schon lustig, wie die Frau sich selbst enttarnt und auch noch überhaupt keine Probleme hat.
Dann gibt's da Bücher wie das von Bettina Wulff angesprochene - das würde ich nienienie kaufen und es entsetzt mich, daß es anscheinend genug andere tun, denn die Buchcharts sprechen ja für sich. Das werde ich niemals verstehen.
Aber ich sag's mal, wie es ist: Wer hat schon Ahnung vom Buchmarkt? Diejenigen, die darin arbeiten - und Autoren. Wir. Meinem Mann muß ich die Mechanismen erklären. Meinen Freunden und Eltern auch. Die lesen alle grundsätzlich nur, was im Laden liegt oder groß beworben wird. Als ich seinerzeit bei BoD veröffentlicht hab, haben mich ganz viele Bekannte total überrascht angesprochen, weil sie ja mein Buch nicht im Laden finden konnten. Die fanden es völlig logisch, daß alle Bücher, die es gibt, im Laden liegen!  :hmhm?:

Die Leute glauben den Hypes. Sie wissen es nicht besser. Ich distanziere mich von Hypes - ich hab mich z.B. auch erst für Panem nicht interessiert, bis ich hier im Forum aufgeschnappt habe, daß das wohl doch ein Hype ist, den es sich anzugucken lohnt.
Stimmt auch. Das Gleiche mit Game of Thrones. Also gibt es auch gerechtfertigte Hypes. Das ist ja schon mal schön.
Was natürlich trotzdem Shades of Grey nicht besser macht. Meine Brieffreundin hat mir total davon vorgeschwärmt und meinte, ich müsse das unbedingt lesen. Dabei hab ich schon genug drüber gehört, auch inhaltlich, um zu wissen, daß ich das nicht will. Die ganzen Verzerrungen darin will ich nicht haben. Mittelprächtige Sprache/Stil will ich nicht haben, ich arbeite jeden Tag selbst hart daran, besser zu arbeiten, und deshalb finde ich, hat so ein Werk mein (!) Geld nicht verdient.
Ich habe allerdings Achtung davor, daß das Ding anscheinend trotzdem irgendeinen Nerv ganz, ganz vieler Leser trifft. Das kann ich anerkennen. Ich weiß nicht, was uns das über diese Welt und das Buchpublikum sagen soll, aber grundsätzlich bin ich dafür, daß Bücher Spaß machen sollen. Ich ziehe bei einem Buch Unterhaltsungswert jederzeit einem literarischen Wert vor.
Und wenn Shades das liefert, ist zumindest nicht alles tot. Ist meine ganz subjektive Meinung.

Natürlich ist dieses Thema/Buch für mich trotzdem ein rotes Tuch, weil es mich genauso aufregt wie Riga,
Zitatwarum ich mich immer wieder durch nervenzerreißende Wartezeiten, seltsame Absagen, Vertrösten und andere Dinge kämpfe, während anderer, literarischer Mist mit Handkuss genommen wird. Das sind Momente, in denen ich mich derzeit ernsthaft frage: Willst du das wirklich? Willst du in dieser Branche mitmischen, in der es nicht gerade selten nicht darum geht, was du schreibst oder wie gut du schreibst, oder ob du originell bist, sondern in der offenbar andere Dinge oftmals wichtiger sind?
Das ist schlicht und ergreifend ätzend und lächerlich und unser Buchmarkt in Deutschland scheint ja auch ziemlich restriktiv zu sein. Aber mir geht's nicht darum, ob ich in dieser Branche mitmischen will oder nicht. Das muß ich, das ist ein notwendiges Übel auf dem Weg, einen Lebenstraum verwirklichen zu wollen. Und den verfolge ich weiter. Bis ich nicht mehr mag. Allen Shades zum Trotz.

Lomax

Zitat von: Dani am 21. September 2012, 07:35:13Die Geschichte mit Julia Schramm hab ich gestern auch gehört und erst mal laut gelacht, denn da wußte ich noch nichts von den 100.000 Euro. Aber es war schon lustig, wie die Frau sich selbst enttarnt und auch noch überhaupt keine Probleme hat.
Bei dem Fall frage ich mich allerdings, ob Julia Schramm tatsächlich vorher all jene Dinge geäußert hat, die ihr jetzt zugeschrieben werden - beispielsweise persönlich die kostenlose Verbreitung aller Werke gefordert hat, unabhängig von den Wünschen der Rechteinhaber -, oder ob ihr da nur die Dinge untergeschoben werden, die irgendwann mal ein Pirat gefordert hat bzw. die irgendein Pirat in der Partei zu finden hoffte und die darum gleich in der Presse als "allgemeine Forderung der Piraten" vorgestellt wurden; oder, schlimmer noch, irgendwelche dramatisierende Vereinfachungen oder Fehldarstellungen, die man in der Presse gerne über "die Piraten" findet. Davon gibt es leider zuhauf - ich wüsste kaum eine Partei, über die die Presse so gerne herzieht und der so viel unterstellt wird.
  Und da Presseerzeugnisse von denjenigen unter den Verlagen herausgegeben werden, die beispielsweise auch Unsäglichkeiten wie das Leistungsschutzrecht lobbyisiert haben, muss man auch nicht lange spekulieren, warum man Artikel über "die Piraten" nicht als unabhängige Berichterstattung glauben sollte :hmhm?:

Also, bevor ich mir darüber eine Meinung bilde, würde ich wirklich gerne wissen, ob Frau Schramm da tatsächlich gegen ihre eigenen vertretetenen Prinzipien verstoßen hat - oder eben nicht dem Vorurteil "der Piraten" entspricht. Was ja dann per se nicht weiter anstößig wäre und eher ihr persönliches Problem darstellte, wie sie dass denjenigen ihrer Parteifreunde vermittelt, die das anders sehen als sie.

Und was die literarische Qualität betrifft - die liegt ohnehin im Auge des Betrachters. Viele Hypes werden tatsächlich vom Publikum gemacht und nicht von den bösen Verlagen "gemarketingt" (wie Shades of Grey - ich hab jetzt leider keinen *würg"-Smiley gefunden). In den Fällen muss man also davon ausgehen, dass die Texte eine gewisse von den Lesern gewünschte Qualität haben, und der Mangel eher bei den Kritikern liegt, die diese Qualitäten nicht wahrnehmen können. Oder die einfach einen anderen Geschmack haben und die in den Qualitäten keine sehen (wollen) [ich versuche für mich persönlich, daran zu arbeiten, aber irgendwie habe ich da auch meine Grenzen  :-X]. Umgekehrt ist vieles von der "verkannten Qualität", die gerne dagegen gesetzt wird, schlichtweg offenbar keine.
  Solange sich das nicht sauber trennen lässt, laufen solche Diskussionen am Ende immer sehr allgemein und geschmäckerisch ab, und darum will ich dazu auch nichts sagen. Am Ende führt das doch nur zu falschen Schlussfolgerungen, wenn der ein Werk XY im Kopf hat und daraus eine allgemeine Aussage ableitet, die der nächste auf Werk ZZ bezieht und sich bestätigt fühlt ... obwohl bei Werk ZZ eigentlich ganz andere Marktmechanismen ausschlaggebend wären.

Arcor

Zitat von: Franziska am 19. September 2012, 23:57:03
Ich dachte beim Titel, du meintest uns Autoren und nicht die Verlage, so nach dem Motto, ob wir vor lauter Dollarzeichen selbst die Qualität vernachlässigen.
Mir ging es da genauso wie dir und Dani.  :)
Zum Thema: Linda hat recht. Es gibt einfach zwei verschiedene Arten von Büchern. Meine Freundin schaut gelegentlich mal so TV-Promimagazine und wenn dann wieder Katie Price oder sonstwer ihr X-tes Buch groß präsentiert, wo sie über ihre Schwangerschaft was faselt und damit irre viel Geld scheffelt, regt mich das jedes Mal auf. Aber diese Leute verdienen ihr Geld ja nicht über ihre Schreibe - sie schreiben das ja eh nie selber, sondern liefern nur den Stoff und segnen es ab - sondern über ihren Bekanntheitsstatus. Sie sind Promis, die einen Private-Life-/Seelenstriptease hinlegen, um noch ein wenig mehr Geld zu verdienen und sich - im Zweifelsfall - wieder ins Gespräch zu bringen. Es ist also keine Leistung. Klar kann man sich dann umso mehr darüber ärgern, aber irgendwo ist es auch beruhigend, wenn man es aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.

Und da sollten wir uns auch einfach mal fragen: Würden wir das auch wollen? Jetzt unabhängig davon, dass wir alle vermutlich nicht die Fanzahl oder den Bekanntheitsgrad haben, um so etwas zu erzielen (ich hoffe, ich trete gerade niemandem auf den Schlips  ;D): Würden wir wollen, dass sich ganz Deutschland über uns den Mund zerreißt für etwas mehr Geld? Und es begreifen die meisten Leute, dass so etwas wie Frau Wulffs Klagen gegen Google und Herrn Jauch wohl nur eine PR-Strategie für ihr Buch sind. Und weiter gefragt: Es kaufen ja genug Leute diese Bücher, damit sie mitreden können oder um ihre Neugier zu befriedigen. Würden wir diese Leute als Leser haben wollen? Ich könnte darauf verzichten.

Zitat von: Rhiannon am 20. September 2012, 22:32:34
Und was das Profitstreben angeht: Ich glaube, schon in der Antike hat man schlechte Theaterstücke verramscht, um Geld zu machen und so weiter.
Haben Sie definitiv. Und wir haben ja nur ein Bruchteil der Stücke von einigen wenigen Autoren und es gab zahllose mehr, die alle im Laufe ihrer Karriere 50 oder mehr Stücke geschrieben haben. Zum großen Teil ist sicher das Gute aus dieser Zeit bis zu uns überliefert worden, da es vielfach kopiert wurde. Es hat wohl auch damals schon eine Menge Mist gegeben - von wegen hohe Kunst und so.  ;D
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Lomax

Zitat von: Arcor am 21. September 2012, 11:14:46wir haben ja nur ein Bruchteil der Stücke von einigen wenigen Autoren und es gab zahllose mehr, die alle im Laufe ihrer Karriere 50 oder mehr Stücke geschrieben haben. Zum großen Teil ist sicher das Gute aus dieser Zeit bis zu uns überliefert worden, da es vielfach kopiert wurde. Es hat wohl auch damals schon eine Menge Mist gegeben - von wegen hohe Kunst und so.
Das wiederum erinnert mich an einen kleinen satirischen Text, den ich mal für den Menhir zu einem Zitat von Diodor XV, 74.1-4  geschrieben hatte. Wer also einen kleinen Einblick in den Literaturmarkt der Antike bekommen will, kann da gleich mal bei Diodor nachschlagen  ;)