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Sich in Charaktere hinein versetzen...

Begonnen von Robin, 20. Juli 2012, 21:59:20

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Robin

...wie weit geht das bei euch eigentlich?

Ich kann von mir selbst folgendes sagen: Nach 4 Jahren intensiven Schreibens haben so manche Charaktere einfach einen festen Platz in meinem Kopf. Ich verwende sie oft und gerne, und habe ihre Entwicklung richtig beobachten können. Sie haben gefestigte Persönlichkeiten (die je nach Geschichtenzirkel leicht variieren können), alle möglichen Macken und Eigenheiten - und sie geben mir ziemlich gute Ideen.

Mittlerweile bin ich so weit, dass ich von anderen Charakteren durch eine kurze Beschreibung der Persönlichkeit solide Kurzgeschichten schreiben kann, die ganz 'in character' (verzeiht das Fehlen eines deutschen Begriffs, mir fällt nur keiner ein, der es genau trifft) sind. Manchmal gerate ich etwas auf die 'out of character' Seite, aber das passiert eher selten.

Mir wurde schon ein paar Male gesagt, meine Fähigkeit sie so schnell zu adaptieren wäre unheimlich - aber ich habe durchaus Menschen kennen gelernt, die das noch besser können als ich.


Wie steht es eigentlich bei euch? Wie schnell, und wie dauerhaft übernehmt ihr einen Charakter in euer Denken?
~Work in Progress~

Ary

ZitatWie steht es eigentlich bei euch? Wie schnell, und wie dauerhaft übernehmt ihr einen Charakter in euer Denken?
Wenn ich sehr in einem Projekt drin bin: ganz schnell, ganz intensiv. Je besser eine Geschichte läuft, desto mehr denke ich wie der Protagonist und ertappe mich manchmal schon dabei, dass ich mir überlege, was Figur X denn nun tun würde oder wie ich mich verhalten würde, wenn ich Figur Y wäre.
Liegt vielleicht an meiner Rollenspielvergangenheit - ich kann mich recht schnell in eine andere Persönlichkeit einfühlen und einfinden und auch durchaus mal für einen Moment zu dieser Person werden. Wir haben während meines Studiums sehr intensiv zwei Spielrunden durdchgezogen. Wir kannten uns alle sehr gut und wussten, wie der jeweils andere tickt udn haben manchmal auch in Tischrollenspielrunden bestimmte Szenen wie in einem Larp ausgespielt, ganz einfach, weil wir in diesen Momenten so "drin" waren. Das ist für mich immer wieder eine geniale Erfahrung (wenn auch ein bisschen gefährlich, weil ich mich kenne und weiß, dass ich zu Realitätsverlust neige).
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Zit

Kenne ich (nicht) mehr. Es gibt Figuren, die ich aus dem FF schreiben kann, aber die sind sehr alt. Und die restlichen Charaktere von mir muss ich entweder noch kennen lernen oder sie sind eindeutig auf ihre Plätze verwiesen und dürfen nur mit mir spielen, wenn sie ihre Zeit kriegen (also das Schreiben an sich oder Plotten).
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Alana

Ich habe mit dem Schreiben eigentlich im Kopf angefangen, lange bevor ich auch nur daran gedacht habe, etwas zu Papier zu bringen. Ich habe monatelang im Kopf Nacht für Nacht an der gleichen Geschichte gearbeitet, sie durchlebt und mich dabei vollkommen als der jeweilige Charakter empfunden. Im Prinzip mache ich das auch, wenn ich schreibe. Ich fühle alles, was der Chara fühlt und genau das ist für mich auch der akute Reiz des Schreibens und nur deswegen halte ich durch. Dennoch habe ich beim Schreiben noch ein klein wenig mehr Distanz als bei meinen im Kopf ausgedachten Geschichten, die ich auch unbedingt brauche, damit etwas Sinnvolles dabei herauskommt.
Alhambrana

Sunflower

Bei mir kommt das auf den Charakter an. Die drei Protas aus meinem ersten Projekt, die ich gerade wieder für den zweiten Teil verwende, kenne ich mittlerweile wirklich gut und kann mich auch in sie hineinversetzen. Sie sind wie echte Persönlichkeiten für mich, was mich oft ziemlich fasziniert. Bei Charakteren, die ich das erste Mal verwende, brauche ich lange, bis ich sie so schreiben kann, wie sie sind. Ich brauche einfach etwas Zeit, um sie "kennenzulernen".
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors

Tanrien

Ich schließe mich Zit an: Ich mache das gar nicht - außerhalb der Situationen/Szenen in der Geschichte kommen meine Charaktere nicht in meinem Kopf vor. Vielleicht liegt das daran, dass ich meine Charaktere in und für den Plot entwickle und sie damit nur in dieser Einheit existieren. Somit habe ich zwar Charaktereigenschaften für sie im Sinne von "Wenn sie wütend wird, macht Charakter X das und das und reagiert so und so, weil traumatische Kindheit", was man ja durchaus für Situationen außerhalb der Geschichte verwenden könnte. Allerdings vergesse ich diese Eigenschaften gleich auch wieder, wenn ich sie im Plot verarbeitet habe und dann letztendlich nur eine detaillierte Szenenübersicht habe in der die Charaktere eingebettet sind.
Von daher sind die Charaktere nur bis der Plot steht in meinem Kopf, danach nicht mehr.

Zitat von: Robin White am 20. Juli 2012, 21:59:20
'in character' (verzeiht das Fehlen eines deutschen Begriffs, mir fällt nur keiner ein, der es genau trifft)
Charaktertreu?

Schade, dass man nicht nachprüfen kann, ob das nun für die fertige Geschichte/den Leser etwas bringt, wenn die Charaktere den Autor länger begleiten oder nur für den Plot existieren.

Lemonie

Ich mache das schon und auch ziemlich intensiv ;)
Es kommt natürlich auf die Charaktere an, aber manche (nicht nur Protas, aber die besonders), sind wirklich ziemlich stark bei mir "drin". Ich merke das dann im realen Leben in Situationen, die irgendwie mit ihnen zu tun haben (zum Beispiel wenn es um ein Thema geht, auf das einer meiner Protas total empfindlich reagieren würde), dann stelle ich mir oft vor, wie die Charaktere in dem Moment reagieren würden, ich kann es eigentlich gar nicht verhindern, dass ich daran denke.
Aber mich stört es nicht, weil ich so manchmal auch Ideen bekomme...

Kati

Ich mache das eigentlich auch nicht. Eigentlich. Ich habe einen Charakter, der mich seit Jahren begleitet und den ich in jede Geschichte schmuggele. Das Aussehen mag von Haar- und Augenfarbe her varieren, aber ansonsten ist es immer derselbe Typ Mann und vom Charakter eh. Ich sehe das ein bisschen als Markenzeichen an und, wer mehr als eine Geschichte von mir kennt, kann wahrscheinlich sogar die Verbindungen zwischen den verschiedenen Alter-Egos dieser Figur ziehen.  ;D Dieser Charakter ist manchmal sogar der Prota, hat aber seine ganz eigene "echte" Geschichte nur in meinem Kopf, die ich nicht aufschreiben kann, weil sie viel zu wirr ist und es eigentlich keinen festen Plot gibt. Früher habe ich die Geschichte viel im Kopf weitergesponnen, heute mache ich das weniger, aber trotzdem mischt er immer unter anderem Namen in meinen Geschichten mit.  :) Das ist die einzige Figur, wo ich sagen würde, ich versetze mich richtig in ihn hinein und er ist mir so wichtig, dass ich ihn nicht loslassen möchte. Er war natürlich auch mein allererster Charakter, noch bevor ich überhaupt mit dem Schreiben richtig angefangen habe.  ;)

FeeamPC

Das klingt fast mehr nach einem imaginären "alter ego" als nach einem bloßen Charakter.

Arcor

Mhh, ganz so intensiv kenne ich das auch nicht. Die Figuren aus meiner High-Fantasy-Trilogie kenne ich - den Jahren sei Dank - auch sehr genau, aber sie tauchen eigentlich immer nur im Rahmen der Geschichte, in der sie agieren, in meinem Kopf auf. Außerhalb nur höchst selten. Da haben sie auch eigentlich nichts verloren. Sie sind für die Geschichte entworfen worden und da funktionieren sie. Daher bin ich auch gegen Fortsetzungen, die nicht von Anfang an geplant waren.

Aber ich brauche immer ein bisschen, bis ich warm bin mit Figuren und sie wirklich lebendig werden. Die meisten entwickeln ihre Persönlichkeit auch im Laufe des Schreibens. So kann ich auch sagen, dass ich die Protas meines aktuellen Projektes erst noch kennenlerne. Direkt auf Knopfdruck sind eigentlich nur die aller wenigsten Figuren da.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

HauntingWitch

Was bin ich froh, dass ich nicht die einzige bin, der es so geht. Es kommt bei mir allerdings darauf an, wie gut ich den Charakter bereits verinnerlicht habe. Ist einer gerade erst aufgetaucht, (meist zu Beginn eines neuen Projekts, aber nicht immer), fällt es mir zunächst schwer, mich in ihn hineinzuversetzten, weil ich ja noch gar nicht weiss, wie er funktioniert. Dann schweben sie mir eine Zeit lang (die auch wieder von Charakter zu Charakter variiert) im Hinterkopf herum, bis es eines Tages ausbricht. Ab diesem Tag habe ich den Charakter quasi "in mir" und kann fast jederzeit "in ihn hinein gelangen", sozusagen. Je nach meiner Stimmung sind allerdings gewisse Charaktere zu gewissen Zeiten blockiert und dann finde ich den Zugang nicht. Aber abgesehen davon, geht es mir ähnlich wie Alana: Ich fühle alles mit und wenn ich etwas nicht fühlen kann, bringe ich mich auf einen Zustand, in dem ich es kann.

Gerade weil ich sie ab diesem bestimmten Zeitpunkt permanent im Hinterkopf habe, können sie aber auch schon mal im Alltag durchscheinen. Was nur wieder von Vorteil ist, denn so lerne ich sie noch besser kennen. Dann kann es zum Beispiel sein, dass ich eine Situation beobachte und ich wie aus heiterem Himmel einfach weiss: "Ha, mein Charakter, der würde jetzt... Moment!" Und dann habe ich wieder etwas, womit sich arbeiten lässt.  ;D

Nirathina

Zitat von: Aryana am 20. Juli 2012, 22:21:42
Wenn ich sehr in einem Projekt drin bin: ganz schnell, ganz intensiv. Je besser eine Geschichte läuft, desto mehr denke ich wie der Protagonist und ertappe mich manchmal schon dabei, dass ich mir überlege, was Figur X denn nun tun würde oder wie ich mich verhalten würde, wenn ich Figur Y wäre.
Liegt vielleicht an meiner Rollenspielvergangenheit - ich kann mich recht schnell in eine andere Persönlichkeit einfühlen und einfinden und auch durchaus mal für einen Moment zu dieser Person werden.

Das geht mir genauso  ;D Rollenspiele liefern die beste Methode, mit der Operation "kurzzeitiger Realitätsverlust" zu beginnen, wie ich am eigenen Leib mehrmals erfahren musste *hust*

Eigentlich ist es meistens so, dass ich, sobald ich die entsprechende Datei geöffnet habe und mit dem Schreiben anfange, alles mit den Augen meiner Charaktere sehe. Ich bin ab diesem Augenblick geistig nicht mehr in der Realität, sondern in meinem Buch, weshalb ich auch nur sehr ungern beim Schreiben gestört werde. Reißt mich jemand aus dieser Form des abstrakten Denkens, ist der ganze Faden weg und ich muss mich erst wieder in aller Ruhe einfinden. Der Vorteil dabei ist natürlich, dass man so sehr genaue Beschreibungen - Kopfkino sei Dank - in die Geschichte einbauen und relativ authentische Gespräche formulieren kann. Der Nachteil ist, dass man schnell die Zeit und andere Dinge vergisst.

Ich empfinde dieses Hineindenken/Mitfühlen aber auch beim Lesen anderer Autoren, nur nicht so intensiv, da die Charaktere nicht meiner eigenen Fantasie entsprungen sind.

Kati

ZitatDas klingt fast mehr nach einem imaginären "alter ego" als nach einem bloßen Charakter.

Ach, nee, so ist es eigentlich auch nicht. Es handelt sich eher um meinen allerersten Charakter, den ich nicht loslassen wollte und jetzt kriegt er aus diesem Grund, aber auch als Gag eben überall seine Rolle. Ich könnte auch nicht sagen, dass er mir sehr ähneln würde oder so wäre, wie ich gern sein würde. Gar nicht. Ich glaube, würde ich ihn im wahren Leben kennen, würde ich ihn nicht einmal mögen. Das geht mir aber mit vielen meiner Charaktere so. Die Sache ist glaube ich, dass meine meisten Charaktere eher für den Moment entstehen. Ich schreibe ja keine Reihen, deshalb habe ich sie dann vier, fünf Monate während des Schreibens bei mir und dann geht es weiter zu den nächsten und die Charaktere verschwinden aus meinem Kopf. Vielleicht ist dieser Charakter auch so eine Art Verbindungsstück für mich als Autorin, mein Ersatz fürs Reihenschreiben.  :rofl: Ich habe ihn auch früher gar nicht bewusst überall eingebaut, mir ist das erst letzten Dezember aufgefallen, dass ich das mache.

Arcor: Dass ich Protas erst beim Schreiben überhaupt kennenlerne, ist mir auch aufgefallen. Ich habe früher immer versucht, vor dem Schreiben alle Eigenschaften und auch die Charakterentwicklung komplett vorzuplotten, aber es kam dann beim Schreiben doch immer ganz anders. In letzter Zeit mache ich das nicht mehr. Dann habe ich nur ein grobes Bild von dem Charakter und der Rest kommt irgendwie von alleine.

Arcor

Zitat von: Kati am 21. Juli 2012, 13:53:03
Arcor: Dass ich Protas erst beim Schreiben überhaupt kennenlerne, ist mir auch aufgefallen. Ich habe früher immer versucht, vor dem Schreiben alle Eigenschaften und auch die Charakterentwicklung komplett vorzuplotten, aber es kam dann beim Schreiben doch immer ganz anders. In letzter Zeit mache ich das nicht mehr. Dann habe ich nur ein grobes Bild von dem Charakter und der Rest kommt irgendwie von alleine.

Genau so hat sich einer meiner Protas ein Nervositätsproblem gegenüber Frauen eingehandelt, die er gern hat. Da versagt jetzt seine gute Rhetorik und sein sicheres Auftreten. Keine Ahnung warum, aber er wollte das haben. Sowas passiert dann halt, wenn man Protas nicht von Anfang an straff durchplant, sondern sie an die lange Leine lässt.  ;D
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Faye - Finding Paradise

HauntingWitch

@Kati und FeeamPC: Hm, so einen habe ich aber auch, muss ich mir Sorgen machen?  ;D Nur bei mir ist das nicht ein bestimmter Charakter, sondern ein bestimmter Typ von Charakter, der sich in alle meine Geschichten schleicht, meist unbewusst. Interessant ist, dass das aber immer der Charakter ist, der mir von Anfang an am Leichtesten von der Hand geht. Vielleicht ist es doch immer derselbe und ich merke es nur nicht.

@Arcor: Deshalb sammle ich immer zuerst eine Weile. Ich schreibe dann auch schon, aber nur Szenensammlungen, nichts wirklich Handfestes. Meistens finde ich da schon eine ganze Menge heraus und erlebe danach nur noch wenige Überraschungen. (Ausser bei denen, zu denen ich zu wenig Zugang habe, die muss ich dann ab einem gewissen Punkt zwingen, mit mir zu reden.)

Was ich auch festgestellt habe ist, wie länger ich mich im Vorfeld mit den Charakteren beschäftigt habe, umso leichter fällt mir das eigentliche Schreiben.