• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

[Medizin] Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts

Begonnen von Alaun, 19. April 2012, 17:19:44

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Alaun

Liebe Mediziner und Medizinhistoriker,
ich komme bei einer ganz zentralen Frage gerade nicht weiter. Gab es zwischen 1890 und 1916 eigentlich überhaupt medikamentöse Behandlungen der TBC? Alles, was ich finde, sind die Sanatorien mit Frischluft-Liegekuren, Bädern, gesunder Ernährung, ... Konkrete Angaben zu Medikamenten finde ich nicht (also so etwas wie Quecksilber gegen Syphilis, oder vergleichbar schaudrige Anwendungen). Kann mir jemand diesbezüglich weiterhelfen?

Ansonsten werde ich mal die medizinhistorische Bibliothek bemühen, sobald ich Zeit dafür finde.

Grummel

Es gab auf jeden Fall einen Impfstoff um 1900 rum. Müßte mich schwer täuschen, wenn nicht.
"Kaffee?"
"Ja, gerne."
"Wie möchtest du ihn?"
"Schütte ihn mir einfach ins Gesicht!"

Alaun

#2
Ja, das müsste die BCG Impfung sein,  die wurde aber erst in den 20er Jahren interessant. Das vorher durch Robert Koch entwickelte Tuberkulin war nicht wirksam (bzw. wurde später für Testverfahren wichtig).
Mir gehts aber eher um die Behandlung von bereits Erkrankten. Dazu finde ich nichts, was Medikamente angeht. Ist natürlich auch schwierig, Penicillin war ja noch lange nicht entdeckt.  :-\

Maran

Also, ich könnte höchstens in den familiären Erinnerungen kramen, und die erstrecken sich auf den WKII, bzw. auf die Nachkriegszeit. Tuberkulose war damals weit verbreitet (übrigens auch noch in den 80er Jahren, bei russischen Auswanderern).

Zurück zu der Familiengeschichte ... Mein Onkel war als Kind lange Zeit zur Kur. Wie genau die Behandlung vonstatten lief, kann ich nicht sagen - und leider auch niemanden mehr fragen, der es wissen könnte. Meine Mutter hat mir noch erzählt, daß keine Kuhmilch getrunken wurde, weil durch diese die Krankheit übertragen wird. (Rinder bekommen auch Tbc.) Stattdessen haben die Kinder Schafs- oder Ziegenmilch bekommen (weiß nicht mehr genau, welche).

Kati

Es gab tatsächlich "Hilfsmittel" gegen die Krankheit, von denen man annahm, dass sie Linderung schafften. Ich weiß, dass man mit Absicht dafür gesorgt hat, dass der betroffene Lungenflügel kollabiert, damit die Lunge sich ausruhen und die Wunden heilen konnten. Ob man das oft gemacht hat, weiß ich aber nicht. Ansonsten sind die Sanatorien ja natürlich immer beliebt gewesen. Und, ich weiß ja nicht, wann genau deine Geschichte spielt, aber Schmerzmittel wie Laudanum kamen gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts richtig in Mode und wurden gern mal bei jeglichen Krankheiten verschrieben, auch bei der Schwindsucht.

Die beliebteste Methode war aber wie gesagt frische Luft und Ruhe. Ich glaube nicht, dass es neben den Schmerzmitteln irgendetwas gab, das man damals geschluckt hat. Habe da beim Recherchieren selbst nichts gefunden und auch noch keinen Roman gelesen, in dem ein Erkrankter so etwas hatte. Richtige Medikamente gab es nicht. Die Schwindsucht galt nicht umsonst als romantische Krankheit und Krankheit der Künstler, weil man genau wusste, das man langsam starb und so nun seinen eigenen Tod in Ruhe vorbereiten und reinen Tisch machen konnte. Das Dahinsiechen soll die Kranken angeblich auch sensibler gemacht haben und es kam richtig in Mode bei den Frauen, dieses kränkliche Aussehen anzunehmen. Dafür wurde gern auch mal Arsen geschluckt.

Ich bin jetzt aber leider kein Experte auf dem Thema und kann nur das wiedergeben, was ich selbst mal irgendwo zusammengelesen habe, als ich das Thema recherchiert habe. Ist noch nicht so lange her, aber ich merke mir immer nicht, wo was steht.  :(

EDIT: Die Impfung kam erst richtig in den 40er Jahren auf. Davor gab es sie schon, ihr wurde aber kaum Respekt gezollt.

Alaun

ZitatIch weiß, dass man mit Absicht dafür gesorgt hat, dass der betroffene Lungenflügel kollabiert, damit die Lunge sich ausruhen und die Wunden heilen konnten.
:o Echt?  :gähn:

Das war mir neu. Aber heftig, meine Güte ... Mit kollabiertem Lungenflügel lebt es sich ja auch nicht gerade angenehm.

Lavendel

EDIT: Hat sich mit Kati überschnitten. Also, ja das mit dem Lungenflügel stimmt.

Also, du findest wahrscheinlich wenig, weil es einfach wenig Behandlungsmöglichkeiten gab. Soweit ich das jetzt aus dem Stehgreif weiß, existierte einfach keine medikamentöse Behandlung und auch keine Prävention außer verstärkter Hygiene, wie den Versuchen, das Ausspucken in der Öffentlichkeit zu verbieten usw. Die Leute wurden halt in Heilanstalten geschickt, wo sie dann Frischluftliegen durften und eine bestimmte Ernährung verschrieben bekamen (frag mich nicht was für eine genau, war aber vermutlich recht proteinreich, wie eigentlich bei fast allen Krankheiten ...). Außerdem hat man auch lange Zeit einen Lungenflügel zum kollabieren gebracht, damit er nicht mehr belastet wurde und ausheilen konnte (was aber auch nicht so viel gebracht hat) oder man hat betroffene Lungenabschnitte wegoperiert. Die Sterblichkeit war aber einfach ziemlich hoch. Und Operationen ... naja, ich würde mich auf keinen OP-Tisch vor 1950 legen - und auch das eher mit Bedenken - und schon auf gar keinen vor 1920. ::)

Ich bin ja jetzt nicht so ein Thomas Mann Fan, aber wenn du was über Tuberkuloseheilanstalten und allgemein die Auswirkungen von Tuberkulose auf die Gesellschaft wissen willst, dann wäre es vielleicht nicht dumm, mal den Zauberberg zu versuchen. ;)

Alaun

#7
Ok, ich bin gerade über die sogenannte "Fowlersche Lösung" gestolpert, die Arsenverbindungen enthielt, und anscheinend als Kräftigungsmittel für und gegen alles eingesetzt wurde ... Ich nehme an, die TBC-Kranken waren da nicht ausgenommen, sofern sie nicht schleunigst auf dem Baum waren.  :hmmm: Das kann ich auf jeden Fall einbauen. Ich schreibe ja kein Sachbuch  ;)

@Lavendel: Thomas Mann und ich sind auch nicht gerade die besten Freunde, aber ich werde den Zauberberg mal "querlesen"... Und sehen, worüber ich stolpere.

Danke euch!!!

Kati

Beispiele dafür habe ich bloß aus der Stuart-Ära gefunden, wo man das einfach über ein paar Schwertstiche gemacht hat.  :hmhm?: Soll geholfen haben. Allerdings erinnere ich mich, dass ich es auch im Bezug zum frühen 20. Jahrhundert irgendwo gelesen habe. Ich suche nochmal schnell danach. Gefunden. Es war sogar ein Wikipedia-Artikel, allerdings steht da, dass man das wohl erst in den 30ern medizinisch betrieben hat. Klingt irgendwie fies. Hier. Das ist zu spät für deine Zwecke, oder?

Alaun

Huargh!  :versteck: Ja, ist zu spät für meine Geschichte. Aber eigentlich freut mich das gerade für meine Protagonistin...

Churke

Zitat von: Aquamarin am 19. April 2012, 17:19:44
Liebe Mediziner und Medizinhistoriker,
ich komme bei einer ganz zentralen Frage gerade nicht weiter. Gab es zwischen 1890 und 1916 eigentlich überhaupt medikamentöse Behandlungen der TBC?

Ich zitiere Brockhaus, 5. Auflage (1910):
"Tuberkulin (s. dort) zur Heilung der Tuberkulose hat sich nicht bewährt, doch werden die Versuche, ein ähnliches brauchbares Präparat zu finden, namentlich von Behring fortgesetzt."

und Tuberklulin:
"Ein Stoffwechselprodukt der Tuberkelbazillen, klare, braune, eigentümlich aromatisch riechende Flüssigkeit, nach Koch aus glyzerinhaltigen Fleischbrühekulturen der Tubekerlbazillen gewonnen. Tuberkulin hat namentlich als diagnostisches Mittel Bedeutung. Nur bei Tuberkulösen bewirkt subkutane Injektion von T. längeres Fieber; bei Tuberkulösen, die mit T. geimpft werden, entzündet sich Haut an den Impfstellen. (...) Als Heilmittel hat sich T. nicvht bewährt. Ähnliche Präparate: Tuberkuloplasmin, der Preßsaft der lebenden, von der Nährlösung abfiltrierten und mit Infusorienerde [hä?] gemischten Bakterien, in hydraulischen Pressen mit 4 - 500 Atmosphähren Druck ausgepreßt..."

Wahrscheinlich sind Naturheilverfahren aber effizenter. Mein Oma erzählte mir von recht guten Erfahren, nachdem die Ärzte gesagt hatten: "Hier ist unsere Kunst vergebens."

Alaun

Danke Churke!

Ja, das muss eine Riesenenttäuschung für Robert Koch gewesen sein, dass sein gefeiertes Tuberkulin die hohen Erwartungen dann doch nicht erfüllen konnte  :-\ Aber immerhin hat es dann später noch Verwendung in ähnlicher Form in der Diagnostik gefunden.

Gut, mit Naturheilverfahren kenne ich mich aus. Da werde ich also ein hübsches Sanatorium zusammenschreiben mit Licht, Luft, Bädern und allem, was der tuberkulitische Halbtote begehrt. Und ein paar unangenehmen - wie soll ich sagen - Facetten im Idyll. ;)

Faol

#12
Meine Oma hatte zu Begin des zweiten Weltkrieg Tuberulose und hat es überlebt. Sie war da noch ein junges Mädchen. Aber alles was ich gehört habe  war, dass da die hauptsächliche Behandlung auch aus frischer Luft bestand. Aber ich kann noch mal meine Mutter fragen, wenn die heute von der Arbeit kommt. Meine Oma hat während ihrer Zeit in diesen Sanatorien intensiv Tagebuch geführt und meine Mutter hat diese Tagebücher nach dem Tod meiner Oma gelesen.
Two roads diverged in a wood, and I -
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.
(Robert Frost - The Road Not Taken)

Alaun


Sprotte

Mama hatte als zweijährige Tuberkulose, 1950. Ich weiß, daß sie zur Verschickung war, aber die "Behandlung" bestand wohl eher aus hoffen. Ich frage sie mal, an was sie sich noch erinnert.