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Fantasy in aller Munde

Begonnen von Kalderon, 08. August 2006, 15:28:26

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Hyndara

Fantasy erlebt einen Boom? Echt? Hier noch nicht wirklich angekommen - oder schon wieder vorbei, wenn ich dieses stumme Mahnmal im Baedeker sehe ...

Ich erinnere jetzt mal an diese Umfrage vom ZDF (Linda, korrigiere mich, wenn ich mich irre) vor ungefahr 2 Jahren. Per Internet wurde eine Umfrage gestartet nach dem liebsten Buch der Deutschen. Bei der Sendung waren dann alle Anwesenden mehr als nur leicht schockiert, daß soviel Fantasy es in die TopTen gebracht hat statt der gewichtigen Werke eines Schillers, Goethe oder wem auch immer.

Fantasy wird von anderen als "Schmuddelecke" wahrgenommen, ähnlich wie Horror (unvergeßlich der Tag, an dem ich einen Horror-Roman aus der Buchhandlung abholte, den ich bestellt hatte: Die Verkäuferin nimmt das Buch aus dem Regal, stutzt, dreht es um, um den Preis zu erfahren. In diesem Moment sieht sie, daß es Horror ist. Mit einem spitzen Schrei von ihr landet das arme Buch auf der Theke. Kommentar: "DAS lesen doch nicht etwa Sie?"). Dabei ist den meisten nicht klar, wieviel phantastische Themen heute tatsächlich publiziert werden, ohne daß sie extra ausgewiesen werden (hatte ich mich ja schon in einem anderen Thread drüber ausgelassen). Phantastische Literatur ist bähbäh, Punkt.
Die Verlage machen es da auch nicht sehr viel einfacher mit ihrer Firmenpolitik. Ob die Sache mit dieser Umfrage tatsächlich stimmt, sei jetzt dahingestellt, aber wenn es nach den Verlagen geht, darf ich inzwischen gar keine Fantasy mehr lesen, schlicht, weil ich zu alt bin und kein Kind habe. Statt sich mal auf dem Markt nach etwas vielleicht gehaltvollerem umzusehen, um damit auch die etwas anspruchsvolleren Leser neu zu animieren und dem Genre vielleicht einen besseren Ruf zu verschaffen, verläßt man sich lieber auf Endlosschleifen und Schlabber-Elfen-Gebabbel.
Dabei sollte man allerdings auch berücksichtigen (was die meisten Leser nicht tun), daß große Teile der heute anerkannten "hohen Literatur" auch phantastische Themen behandeln. Aber meist haben selbst damit die Leser schon Schwierigkeiten. Was Literaturwissenschaftler schon alles in Faust, dem Schimmelreiter und ähnlichem hineininterpretiert haben, mag ich mich gar nicht dran erinnern. Da hat man echt das Gefühl, diese Leute müßten alles wegrubbeln, was nicht in ihr Weltbild paßt.
Wenn man bei Phantastik-Verweigerern nachfragt, kriegt man nur merkwürdige Antworten ala "das ist doch keine richtige Literatur" oder "warum lesen Sie nicht lieber XXX?" (dumm wird es dann nur, wenn ich genau dieses Buch kenne, da ich eben auch mal über den Tellerrand schiele und mir auch schon mal "normale" Belletristik zulege).

Wenn ich mir ansehe, was heute unter "Hochliteratur" läuft, sprich die Klassiker, dann bleibt mir eigentlich nur ein Schluß: Verlage, schafft die Genres ab! Laßt alle Bücher in den allgemeinen Reihen erscheinen, dann haben wir ein Problem weniger, denn dann nimmt die Mehrzahl der Leser offensichtlich die phantastischen Genres nicht mehr wahr und lobt den Autoren statt dessen für seine Phantasie. Irre, ich weiß, aber meine Meinung.

MarkOh

So mag man mich einen Kunstbanausen schimpfen, doch Heinrich Mann - Johann Wolfgang von Goethe - Schiller & Co sind nun mal schon lange out. Sei mir bitte keiner böse, aber wer nicht gerade Deutsche Geschichte oder Literatur studiert, wird sich in den wenigsten Fällen mit solch klassischer Literatur befassen. Glaube, das letzte Buch aus der Sparte hatte ich in der Schule in der Hand. Und hab den Aufsatz dazu auch noch voll "verka..t"..., versteht sich.
Meine Zeit zum intensiven lesen ist knapp bemessen, und ich gebe ehrlich zu, dass ich mir da auch die Rosinen aus dem Kuchen herauspicke ( Geschmackssache, versteht sich... ). Da ist's dann wohl eher J.R.R. Tolkien, Dan Brown und J.K. Rowlings, als Schiller & Co.

Wobei ich aber nicht bestreite, dass oben genannte Herren ein gutes Stück deutscher Literaturgeschichte hinterlassen haben. Aber lesen muss ich das wohl nicht mehr unbedingt...

Steffi

Äh, ich weiß ja nicht, aber man sollte "hohe Literatur" nicht direkt mit "alten Klassikern" gleichsetzen. Schließlich wird ja heute nicht bloß Trivialliteratur geschrieben.

Und - wer auch immer hier geschrieben hat, "hohe Literatur" sei nur etwas für Germanisten und solche, die gerne so tun - schon mal überlegt, dass man Germanistik studiert weil man - oh Schreck! - diese Bücher gerne liest? Vieles der Trivialliteratur gefällt mir einfach nicht (was aber nicht bedeutet, dass ich sie überhaupt nicht lese), weil es mir nichts gibt. Ist das jetzt direkt arrogant? Ich lese gerne die Perlen aus allen Genres - wobei bei Fantasy für mich besonders "Der Herr der Ringe" und die "His Dark Materials" Trilogie raussticht.

Außerdem ist Germanistik nicht gleich Literaturwissenschaft. Zur Germanistik gehört ebenso die Linguistik, und fast immer das Studium von Althochdeutsch/Mittelhochdeutsch/Niederdeutsch. Sie ist also nicht bloß Sammelbecken für jene Leute, die gerne mit ihrem Lesestoff angeben, sondern eine wirkliche Wissenschaft.
Sic parvis magna

Lastalda

@MarkOh: Oh, im Gegenteil, es gibt sogar so einige Leute, die NICHT Germanistik studieren und dennoch gern Klassiker lesen. Ich zähle mich dazu. Es ist, nwie bei allem anderen sonst auch, Geschmackssache. :)
Allerdings muss ich Steffi absolut recht geben - "Klassiker" und "anspruchsvolle Literatur" sind nicht das gleiche! Ich bin der festen Überzeugung, dass mana uch heute noch anspruchsvolle Bücher schreiben kann, und dass grade die phantastische Literatur ein riesiges Potential hat, eben weil man dort alle möglichen Gedankenspiele weiterspinnen kann, weil man bloße Hypothesen als gegeben setzen kann und dann schauen, was für Konsequenzen das hat. Dem "Was wäre wenn"-Prinzip sind in der Phantastik keine Grenzen gesetzt!

Kalderon

Zitat von: Lastalda am 13. August 2006, 12:03:34
Dem "Was wäre wenn"-Prinzip sind in der Phantastik keine Grenzen gesetzt!

Das "Was-wäre-wenn"-Prinzip halte ich auch für bedeutsam. Besonders in der guten Sci-Fi spielt es eine große Rolle. Da können dann große Werke bei herauskommen, obwohl ich der Meinung bin, dass eher Sci-fi davon profitiert als Fantasy. Zumal diese Sci-fi Bücher sich um eine nahe Zukunft des Menschen drehen und meist sehr politisch und kritisch sind.

Ich kenne kein Fantasy-Buch, das über Missstände aufklärt und als "Hohe Literatur" gehandelt wird.

Rei

Zitat von: Kalderon am 13. August 2006, 12:11:13
Zitat von: Lastalda am 13. August 2006, 12:03:34
Dem "Was wäre wenn"-Prinzip sind in der Phantastik keine Grenzen gesetzt!

Das "Was-wäre-wenn"-Prinzip halte ich auch für bedeutsam. Besonders in der guten Sci-Fi spielt es eine große Rolle. Da können dann große Werke bei herauskommen, obwohl ich der Meinung bin, dass eher Sci-fi davon profitiert als Fantasy. Zumal diese Sci-fi Bücher sich um eine nahe Zukunft des Menschen drehen und meist sehr politisch und kritisch sind.

Ich kenne kein Fantasy-Buch, das über Missstände aufklärt und als "Hohe Literatur" gehandelt wird.
Genau.

Aber könnte das nicht auch daran liegen, daß man sich mit der Sci-Fi besser identifizieren kann, weil doch die Technik immer weiter voranschreitet?

Kalderon

#51
Zitat von: Rei am 13. August 2006, 12:48:29
Zitat von: Kalderon am 13. August 2006, 12:11:13
Zitat von: Lastalda am 13. August 2006, 12:03:34
Dem "Was wäre wenn"-Prinzip sind in der Phantastik keine Grenzen gesetzt!

Das "Was-wäre-wenn"-Prinzip halte ich auch für bedeutsam. Besonders in der guten Sci-Fi spielt es eine große Rolle. Da können dann große Werke bei herauskommen, obwohl ich der Meinung bin, dass eher Sci-fi davon profitiert als Fantasy. Zumal diese Sci-fi Bücher sich um eine nahe Zukunft des Menschen drehen und meist sehr politisch und kritisch sind.

Ich kenne kein Fantasy-Buch, das über Missstände aufklärt und als "Hohe Literatur" gehandelt wird.
Genau.

Aber könnte das nicht auch daran liegen, daß man sich mit der Sci-Fi besser identifizieren kann, weil doch die Technik immer weiter voranschreitet?

Genau da liegt meiner Meinung nach das eigentliche Problem begraben: Die hohe Literatur oder das, was sich einvernehmlich als solches bezeichnet oder von Leuten so bezeichnet wird, dreht sich um Identifikation mit der Realität und der Aussage darüber.
Gute Sci-fi, die in der nahen Zukunft spielt, hat noch so viel Ursprüngliches (von unserer heutigen Welt), dass es leicht fällt, sich damit zu identifizieren. Zudem bietet sie Anklang zu Spekulationen über die Zukunft, die in unserer Welt ja ebenso getroffen werden. Politik und Wissenschaft drehen sich immer um etwas, das zukünftig geschehen soll. Und vor allem dreht sie sich um eine daraus resultierende, bestimmte Gesellschaft. Deshalb ist diese Sparte der Sci-fi vielleicht noch als hohe Literatur annehmbar.

Die Fantasy nimmt sich da leider raus, jedenfalls theoretisch, weil sie meist eine eigenständige, in sich geschlossene, andere Welt zeigt, die mit unserer heutigen nicht mehr viel zu tun hat. Sie bietet keine Impulse für Zukünftiges. Und man muss sich keine Gedanken über zukünftige Gesellschaftsformen machen. "Was-wäre-wenn"-Fragen wie "Darf ich jemanden verhaften, bevor er einen Mord begeht, wenn ich ganz sicher weiß, dass er ihn begehen wird?" oder "Sollte ich Drogen nehmen, wenn sie nur die Leistung steigern, ohne Nebeneffekte zu haben?" kommen in der Fantasy in dieser Form nicht zum Einsatz.

Jedoch lässt sich mit den richtigen Metaphern ganz sicher eine hervorragende Gesellschaftskritik schaffen, die den Vergleich mit der hohen Literatur nicht scheuen muss. Daran arbeite ich. ;D In 10 Jahren ist es dann vielleicht soweit. :pfanne:

MarkOh

Zitat von Kalderon / Ausschnitt:
ZitatUnd man muss sich keine Gedanken über zukünftige Gesellschaftsformen machen. "Was-wäre-wenn"-Fragen wie "Darf ich jemanden verhaften, bevor er einen Mord begeht, wenn ich ganz sicher weiß, dass er ihn begehen wird?"

Top Film, ohne Frage. Und sehr überzeugend rübergebracht.
Dennoch, die Fantasy- oder Sci Fi Ecke in unserer nächstgelegenen Buchhandlung ist nichtmal halb so groß wie mein kleines Bücherregal. Und da sind 5 von 6 Regalreihen ausgestattet mit Dan Brown, Hohlbein, Rowlings & Co, aber auch da von jedem nur das neueste Buch. Harry Potter Teil II oder III mal ebenso nebenbei mitnehemen? Forget it..."Müssen wir bestellen". Man denke sich dabei, was man will.
*Scherzmodus an*
Aber dafür fünf Regalreihen Ratgeber nach dem Motto: "Wie pupse ich am Esstisch ohne meinen Tischnachbarn zu stören". Hohe Literatur eben... *Scherzmodus aus*

Kalderon

Zitat von: MarkOh am 13. August 2006, 13:47:59
Top Film, ohne Frage. Und sehr überzeugend rübergebracht.

Du meinst sicher "Minority Report", dem das zu entstammen scheint. Ursprünglich stammen viele dieser "Was-wäre-wenn"-Fragen den Büchern und Novellen von Phillip K. Dick (da muss ich auch noch mindestens ein Exemplar von Lesen).

Zitat von: MarkOh am 13. August 2006, 13:47:59
*Scherzmodus an*
Aber dafür fünf Regalreihen Ratgeber nach dem Motto: "Wie pupse ich am Esstisch ohne meinen Tischnachbarn zu stören". Hohe Literatur eben... *Scherzmodus aus*

:rofl:
Hohe Literatur, was? Aber ich glaube, wir sollten die hohe Literatur besser nicht so herunterziehen, nur weil Fantasy (noch) nicht dazuzählt.

Lastalda

Ich denke, nicht nur SF hat die Chance, gesellschaftskritisch zu sein. Fanatsywelten sind mit unserer sicher nicht identisch, aber genau da kann man doch bewusst ansetzen. Das ist wie Karikatur - man verzerrt und verfälscht die Realität, um einzelne Aspekte daraus zu beleuchten, dem System einen Spiegel vorzuhalten. Ich glaube schon, dass Fantasy das kann. Die frage ist, ob sie es will, und das scheint mir eher selten der Fall zu sein.

Arielen

Zitat von: Lastalda am 13. August 2006, 20:09:16
Ich denke, nicht nur SF hat die Chance, gesellschaftskritisch zu sein. Fanatsywelten sind mit unserer sicher nicht identisch, aber genau da kann man doch bewusst ansetzen. Das ist wie Karikatur - man verzerrt und verfälscht die Realität, um einzelne Aspekte daraus zu beleuchten, dem System einen Spiegel vorzuhalten. Ich glaube schon, dass Fantasy das kann. Die frage ist, ob sie es will, und das scheint mir eher selten der Fall zu sein.

Ich ddenke mal, das manche Autoren wollen - sie dürfen nur nicht, weil sich das nämlich nicht verkauft. Dann doch lieber zuheroische Zwerge, etherische Elfen, kernige Krieger, rassige Rebellinnen, zerstreute Zauberer und philosophische Priester...
Alles liegt im Auge des Betrachters

Manja_Bindig

Na dann weiß ich schon mal, dass meine arme Shia NICHT auf den Bestsellerlisten stehen wird.

Lastalda

@Arielen: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es sich wirklich nciht verkaufen würde... Aber dass die Verlage das glauben, scheint wohl ganz sicher der Fall zu sein. Schade eigentlich.

Lomax

Zitat von: Lastalda am 15. August 2006, 15:53:58@Arielen: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es sich wirklich nciht verkaufen würde... Aber dass die Verlage das glauben, scheint wohl ganz sicher der Fall zu sein.
"Klassische" Fantasy, die sich am besten eng an berühmte Vorbilder anlehnt - vor allem an ein bestimmtes Vorbild ;) - verkauft sich tatsächlich besser. "Die Verlage" haben auch andere Bücher im Programm und können das im Vergleich direkt feststellen. Und man sollte nicht annehmen, in "den Verlagen" säßen keine Leute, die dann und wann mal was anderes ausprobieren, weil sie selbst gerne mal etwas Neues bringen würden ;)

Azrael

Na, das macht ja Mut, dass manche Lektoren auf der Suche nach neuen sind^^

Ich persönlich schreibe und lese gerne Fantasy, die sich an den Klassikern orientiert - aber hin und wieder brauch ich zwischendurch etwas Abwechsung und zaubere etwas ganz Neues aus dem Hut oder lese einfach mal in der Fantasy ein bisschen Quer ;)

Was mich nur stört ist, dass bei Fantasyschreibwettbewerben Geschichten gewinnen, die alle nach Schema F geschrieben wurden. Etwas wirklich Neues habe ich noch nicht gefunden, wo ich sagen könnte, das hab ich so noch nicht gelesen oder das ist absolut unglaublich anders, als alles andere. Das Demontiviert  :-\