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Wie die Erzählstimme finden?

Begonnen von Guddy, 26. Mai 2014, 11:34:07

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Manja_Bindig

Die Frage, die ich mir immer stelle, ist - wann bin ich 3. Person Personal (vgl. Harry Potter. Ich bin gerade massiv zu faul, den entsprechenden Erzähler nach Genettes Modell rauszusuchen) und wann bin ich auktorial?

Ich habe da mehrere Probleme. Wie viel von dem Gefühlsleben meines Hauptperspektiventrägers will ich in die Erzählung packen - wie viel kann ich packen, ohne dass es massiv "Tell-Don't-Show" wird?

Und habe ich mal mehrere Perspektiveträger - und auch noch in einer Szene - und möchte ich ihnen allen Gleichberechtigung angedeihen lassen - sie sind nicht ohne Grund meine Perspektiventräger - wie löst sich das? Auktorialer Erzähler ist scheinbar das Zauberwort, aber da ich meistens auch sehr introspektiv schreibe - Perspektiventräger reflektiert und denkt in dem Maße, wie es dem Charakter entspricht - frage ich mich auch, ob das irgendwann zu verwirrend oder zu viel wird. Gerade wenn die Charaktere sehr konträre Meinungen äußern.

canis lupus niger

Wenn ich (aktuell in meinem Drachenroman) mehrere meiner Perspektivträger in einer Szene gemeinsam habe und ich jemanden zu Wort kommen lassen möchte, obwohl er/sie gerade nicht 'dran ist', dann habe ich das bisher in einem Dialog oder einer wörtlichen Rede hinkriegen können.  :hmmm:

Churke

Zitat von: Manja am 17. August 2015, 20:42:02
Und habe ich mal mehrere Perspektiveträger - und auch noch in einer Szene - und möchte ich ihnen allen Gleichberechtigung angedeihen lassen - sie sind nicht ohne Grund meine Perspektiventräger - wie löst sich das?
Das geht dann halt nicht.
Der Reiz eines Perspektivträgers ist seine Erzählstimme. Wir können z.B. ziemlich sicher sein, dass Varoufakis die Verhandlungen in Sachen Griechenland ganz anders wahrgenommen und empfunden hat als Wolfgang Schäuble. Dementsprechend hätte man je nach Erzählstimme 2 völlig unterschiedliche Geschichten, obwohl die äußere Handlung deckungsgleich ist.
Das bedeutet aber auch, dass ich mich für eine Seite entscheiden und auf die andere verzichten muss. Wenn ich dagegen ins Auktoriale wechsle, um eine sagen wir vermittelnde Darstellung einzuführen, dann... kille ich mir die Erzählstimme, derentwegen ich diesen oder jenen Perspektivträger gewählt habe.

HauntingWitch

#33
Zitat von: canis lupus niger am 18. August 2015, 14:01:45
Wenn ich (aktuell in meinem Drachenroman) mehrere meiner Perspektivträger in einer Szene gemeinsam habe und ich jemanden zu Wort kommen lassen möchte, obwohl er/sie gerade nicht 'dran ist', dann habe ich das bisher in einem Dialog oder einer wörtlichen Rede hinkriegen können.  :hmmm:

Dem schliesse ich mich an. Was ich in solchen Fällen oft mache, ist die Szene aus beiden - oder allen, ich hab einfach meistens nur zwei in der gleichen Szene - Perspektiven zu schreiben und dann zu schauen, welche sich am besten in den restlichen Text fügt. Da wird es meistens sehr klar. Und falls ich es ändern wollte, hätte ich die anderen ja.

Ansonsten: Ich bin ein grosser Fan von Persos und mag auktoriale Erzähler gar nicht. Wie Fianna fühle ich mich da zu distanziert, ich kann mich dann nicht richtig in das Buch einfühlen, nicht so gut mitfiebern. Deshalb halte ich es auch beim Schreiben so.

Wechseln kann man meiner Meinung nach problemlos, solange man es nicht zu oft macht. Rothfuss macht das im Name des Windes ja in einer Szene auch, da legt Kvothe sich schlafen (als Ich-Erzähler) und dann heisst es plötzlich: "...und jetzt lassen wir unserem Kvothe ein wenig Privatsphäre..." (so ungefähr). WTF? :o Aber es ist genau einmal in dem Buch, das fällt in dem Moment auf und zwei Seiten später hat man es vergessen.
Übrigens gibt es bei Kings Dunklem Turm eine Szene, in der zunächst aus der Perspektive der einen Prota erzählt wird und am Ende des Absatzes heisst es (ungefähr): "Sie wussten es nicht, aber der letzte Herbstregen hatte eingesetzt." Wenn sie es nicht wissen, warum steht es dann da, wo doch vorhin gerade noch ihre Gedanken zu dem, was sie sehen, ausgebreitet wurden? Ist das Buch deswegen schlechter? Nein, ich finde nicht.

Gehen tut doch letztlich alles. Ich meine, wir haben alle diese Ratgeber und Regeln, die uns sagen, mach das, lass das und auf gewisse Dinge achte ich z.B. wie oben einfach aufgrund meines persönlichen Geschmacks, aber wenn ich Bücher lese, in denen solche Regelbrüche passieren, stört mich das eigentlich nie.

Guddy

So ein kleines Update: Ich habe meine Erzählstimme mittlerweile gefunden, indem ich einfach meine Hemmungen niedergelegt und einfach so geschrieben habe, wie ich es am besten finde. Klingt komisch, ist aber so ;) Andere machen das vielleicht von Anfang an, ich war da eben nicht "mutig" genug.
Mittlerweile läuft es aber super und ich bin ziemlich glücklich über die Fortschritte :)

Also ich kann da "Habt Mut!" in den Raum werfen, obwohl das natürlich längst nicht für jeden der ultimative Tipp ist.

Dämmerungshexe

Ich denke auch, dass man da manchmal etwas zu "verkopft" rangeht. Natürlich ist es nützlich und gut einen Plan zu haben und zu wissen, was man tut und warum man es tut. Das gibt dem Werk Struktur und Halt.
Aber wenn man nicht das schreibt was man "fühlt", wie soll dann bitte der Leser die Geschichte "fühlen"?

Meine Patin hat mir gestern auch die Rückmeldung gegeben, dass ihr bisher von den Perspektiven und der Erzählstimme nichts negativ aufgefallen ist. Insoweit wird das, was ich bisher geschrieben habe irgendwo sein Richtigkeit haben. Womöglich liegt es an einigen wenigen Stellen, über die ich auch als Autor stolpere und die ich in der Überarbeitung jetzt eh ausbügeln will.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Judith

Zitat von: Witch am 18. August 2015, 14:28:28
Wechseln kann man meiner Meinung nach problemlos, solange man es nicht zu oft macht. Rothfuss macht das im Name des Windes ja in einer Szene auch, da legt Kvothe sich schlafen (als Ich-Erzähler) und dann heisst es plötzlich: "...und jetzt lassen wir unserem Kvothe ein wenig Privatsphäre..." (so ungefähr). WTF? :o Aber es ist genau einmal in dem Buch, das fällt in dem Moment auf und zwei Seiten später hat man es vergessen.
Das ist aber doch kein auktorialer Erzähler, das ist eindeutig Kvothe, der das ironisch zu Bast und dem Chronisten sagt.

HauntingWitch

Zitat von: Dämmerungshexe am 18. August 2015, 16:01:22
Aber wenn man nicht das schreibt was man "fühlt", wie soll dann bitte der Leser die Geschichte "fühlen"?

Meine Rede.  ;D

@Judith: Wirklich? Auf mich wirkte das, als würde der Autor plötzlich einschreiten und den Text übernehmen. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass das auch anders sein könnte...  :hmmm:

Judith

Auf die Idee wäre ich wiederum nicht im Leben gekommen.  ;D Schon gar nicht, da er ja sehr viel mit Kvothe als Erzähler spielt und dieser auch oft mal dem Chronisten gegenüber recht ironisch ist.

AlpakaAlex

Für mich ist das mit den Erzählstimmen so eine Sache. Es kommt für mich ein wenig auf die Figur an, deren Erzählstimme es ist. Dazu sei gesagt: Ich schreibe prinzipiell nur mit personalem Erzähler, also aus der Perspektive einer Figur. Entsprechend ist die Erzählstimme dann natürlich auch an diese Figur angepasst. Das klappt mal mehr, mal weniger.

Es gibt zwei Figuren, bei denen ich keinerlei Probleme mit der Erzählstimme hatte. Das sind Pakhet und Murphy. Pakhet hat einen sehr nüchternden, sehr sachlichen Erzählstil mit vielen kurzen Sätzen, die sich oft auf das wesentliche beschränken. (Jedenfalls anfangs. Im Verlauf von Mosaik ändert sich das und es kommen mehr Gedanken und Gefühle mit hinein.) Murphy dagegen hat einen sehr zynischen Erzählstil und durchbricht auch gerne mal die vierte Wand. Deswegen ist er auch sehr einfach zu erkennen.

Dass es mir mit den beiden so leicht fällt, liegt aber auch daran, dass sie beide ihren Ursprung im Pen & Paper Rollenspiel haben und ich da genug Zeit hatte, ihre Eigenarten zu sprechen und dergleichen auszuarbeiten.

Bei meinen anderen Charakteren tue ich mich wesentlich schwerer. Besonders schwer ist es aktuell bei Sturmjägerinnen, wo ich versuchen muss, drei wirklich unterschiedliche Erzählstimmen zu haben. Das ist nicht so leicht. Während Indigo mir relativ leicht fällt, da they auch ein eher nüchterner Charakter ist, fällt es mir schwer Mutyas Optimismus und Tamiras grundlegendes Misstrauen/Zurückhalten in die Erzählstimme mit hineinfließen zu lassen.