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Zero Drafting

Begonnen von Mondfräulein, 16. Februar 2023, 16:40:40

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Mondfräulein

Ich bin kürzlich auf den Begriff Zero Drafting gestoßen und würde das ehrlich gesagt total gerne mal ausprobieren. Ich habe vorher noch nie etwas davon gehört, also würde mich interessieren, ob ihr das schonmal ausprobiert und Erfahrungen damit gemacht habt.

Ein Zero Draft ist im Prinzip eine Mischung aus einer Plotzusammenfassung und einer ersten Rohfassung. Ich würde es vielleicht als abgespeckte Rohfassung bezeichnen. Es gibt Szenen und Dialoge, dazwischen aber auch Platzhalter. Es gibt unterschiedliche Angaben, wie lange so ein Zero Draft üblicherweise ist, das reicht von "nicht mehr als zehn Seiten" bis zu "ungefähr die Hälfte des späteren Manuskript". Was ich an der Methode aber reizvoll finde, ist dass alles erlaubt ist. Wenn ich keine Lust habe, eine Kampfszene zu beschreiben, kann ich einfach notieren, was grob passiert. Wenn mir eine Szene keinen Spaß macht, muss ich sie nicht schreiben und mich auch nicht bemühen, eine gute Szene daraus zu machen, sondern kann sie einfach zusammenfassen. Ich kann Beschreibungen überspringen.

Vorteile sehe ich einerseits darin, dass es Blockaden lösen kann und das Ziel vor allem ist, die Geschichte zu beenden und eine vollständige Version der Geschichte zu haben, egal wie gut sich die am Ende liest. Dadurch kann ich mich beim Zero Draft mehr auf die Struktur der Geschichte konzentrieren. Ein Zero Draft klingt aber nach deutlich mehr Spaß als ein Expose, denn wenn mir eine Szene Spaß macht, kann ich sie so ausführlich runterschreiben wie ich will. Ein Ziel ist auch, dass einem Probleme auf struktureller Ebene oder auf Plotebene so besser auffallen und ich daran arbeiten kann, bevor ich viel Zeit darauf verwendet habe, das ganze Buch zu schreiben.

Auf der anderen Seite muss ich diese Lücken danach natürlich auch wieder füllen. Da ist die Frage, wie leicht einem das fällt, wenn man alle Szenen, auf die man wirklich Lust hatte, vielleicht schon geschrieben hat.

Letztendlich ist das wahrscheinlich auch eine Typsache, aber es würde mich mal interessieren, was ihr darüber denkt und ob ihr schon Erfahrungen damit gemacht habt.

Hier sind nochmal ein paar Artikel, die das ganze besser beschreiben. Auf Deutsch habe ich leider keine gefunden, aber vielleicht kennt jemand von euch welche?
https://chelseapenningtonauthor.com/what-is-zero-drafting
https://www.insecurewriterssupportgroup.com/2020/11/zero-drafting.html

Malou

#1
Hi @Mondfräulein

Das ist ja spannend. Ich habe diese Technik bereits halbwegs angewandt, ohne mir bewusst zu sein, dass es eine Technik ist bzw. einen Namen dafür gibt. Daher vielen Dank für diesen Thread und die Verlinkung der Artikel :) Du hast ja nach Erfahrungen gefragt, daher hier meine:

Szenen zu überspringen bzw. teilweise nur grob reinzuschreiben, was dahin soll, hilft mir extrem dabei, am Ball zu bleiben. Klar hat man dann nachher noch Arbeit, alles aufzufüllen. Ich habe auch noch keinen fertigen First Draft verfasst, daher kann ich nicht einschätzen, wie sich das anfühlen wird. Aber im Augenblick hilft mir diese Technik extrem. Ich arbeite Vollzeit und bin abends oft einfach nur k.o. Wenn ich gerade keine Energie für eine Szene habe, aber trotzdem weiterschreiben will, schreibe ich halt hin, was dahin kommen soll. So habe ich trotzdem das Gefühl, die Geschichte weiterzuspinnen. Alles andere ist oft schlichte Überforderung. Ich kann meine Energie dann nur noch in Szenen packen, die mich richtig anspringen.

Ganz gerne mache ich das auch bei Dingen, die mir nicht so liegen. Zum Beispiel brauche ich für Beschreibungen immer sehr lange, da ich nicht sehr visuell veranlagt bin. Wenn also was detaillierter beschrieben werden soll, schreibe ich oft rein [genauer beschreiben] und vielleicht noch ein paar Memos an mich, wie es denn ungefähr aussehen soll [etwa faustgroß, es ist aus Silber, es hat ein Wappen von Familie X darauf usw.]. Das heißt, ich nutze das auch für sehr kurze Sachen und nicht nur für ganze Szenen. Weiteres Beispiel:

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Ich habe auch ein Colorcoding beim Arbeiten. Für fehlende Passagen oder Dinge nehme ich rot. Für Wörter oder textuelle Arbeit, mit der ich nicht zufrieden bin, blau. Wenn ich zum Beispiel selber finde, dass mir der Dialog nicht gelungen ist, aber mir gerade nix Besseres einfällt. Das mit dem Colorcoding schreibe ich deswegen, weil ich glaube, dass auch das nochmal bei dieser Technik helfen kann.

Was mir an der Technik auch gut gefällt, ist die Brainstorming-Natur. Das wird vor allem Autoren zugute kommen, die nicht alles komplett durchplotten und noch nicht alles wissen, was passiert. Ich spinne quasi weiter, ohne den Druck zu haben, dass ich das jetzt schön oder komplett schreiben muss. Beispielsweise gibt es in meinem Roman eine Ernte von einem Weltenbaum. Ich habe im Text - dort, wo die Ernte tatsächlich stattfinden soll - ein Brainstorming reingeschrieben. Ich zeige hier mal ein Beispiel, was vermutlich keiner so richtig kapiert ausser ich selbst. Aber das muss ja auch nur ich kapieren :) Das hier ist ein Beispiel, wo ich mindestens ein halbes Kapitel so notiere, ohne es auch nur halbwegs auszuschreiben. Man erkennt, dass ich nicht alles von vorneherein plotte und spontan Ideen mit reinwerfe:

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Übrigens schreibe ich mir so auch spontane Einfälle in den Text, die ich dann später für die Überarbeitung oder weiteres Ideenbrainstorming nutzen will. Als meine Prota jemanden verarztet hat, ist mir z. B. plötzlich ein Gedanke in den Kopf gesprungen. Ein zweites, davon losgelöstes Beispiel steht darunter:

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Schlussendlich schreibe ich manche Szenen nur bruchstückhaft. Drei Zeilen Dialog und das war's dann erstmal. Dann schreibe ich vielleicht noch sowas wie [Es muss irgendwas passieren, was die beiden einander sympathischer macht] oder sonst ein Memo an mich, was bei dieser Szene wichtig ist.


Das ist meine Erfahrung mit etwas, was man wohl halbwegs zu diesem Zero Drafting zählen könnte. Es ist denke ich eine Typfrage, ob das für jemanden funktioniert :)
»Anders als die Kultur, die die Unterschiede zwischen uns betont, die Menschen und Gruppen voneinander trennt, verbindet die Natur uns miteinander. In ihr sind alle Menschen gleich.« (Der Gesang des Eises, Bakic)

Fluide

Ich kenne den Begriff Discovery Draft, das könnte ähnlich sein.
Ich hab das so in der Art beim NaNo gemacht. Ich hatte meine Charaktere, die auslösende Situation und das Ende. So schreib ich am liebsten, wenn ich weiß, wo es hingeht, aber noch nicht genau weiß wie. Für mich war der NaNo eine Übung im "Kritiker zum Schweigen bringen" und da die Zeit es nicht anders zulässt (ich hatte wegen einer Woche Fortbildung auch nur drei Wochen Zeit), muss man ja einfach drauflos schreiben. Und ich finde das hat total gut funktioniert. Ich selbst würde es vielleicht eher Messy Draft nennen oder einfach: Really Fast Draft :-)

Aber ja, ich habe einfach losgelegt und mach es so ähnlich wie @Malou, schreib in den Text und schreib in den Text selbst Dinge, [über die ich mir noch nicht im klaren bin] oder wo es vielleicht ein Plotloch gibt etc. Ich hab auch Szenen geschrieben, die ich eigentlich doof oder langweilig fand, wusste auch nicht, obs an mir liegt oder am Tag oder an der Szene. Ich hab erst mal alles rausgehauen, was da in mir war, und die Bewertung auf später verschoben. Auch Kommentare habe ich genutzt und schreibe dann so Sachen wie: weiter oben schon Thema einführen. Ich habe auch zwischendurch den Namen vom Prot geändert oder ich habe eine neue Idee und denke, gut wäre, wenn die Ehefrau sich ein paar Szenen vorher oder am Anfang oder so ein Pferd kauft und dann schreib ich weiter als hätte sie sich bereits ein Pferd gekauft. Damit kriegt man auch ohne Plot einen Text hin :-), aber klar, das ist schon sehr grob gehauen. Das Wichtige beim Nano war für mich (zumindest ohne komplett ausgetüffelten Plot) immer Vorwärts zu schreiben. Niemals zurück zu gehen, sonst geh ich ständig rückwärts und komme nie am Ziel an. Also die Pferdekaufszene nicht vorher irgendwo reinsetzen, sondern eher in die Kommentare eine Idee schreiben.

Vorteil dieser Methode ist natürlich, dass man wirklich viel in kurzer Zeit schafft, der Nachteil ist, dass man (wahrscheinlich) wirklich viel überarbeiten muss. Also im Grunde trifft es der Begriff Discovery Draft schon ganz gut, weil es ein Weg ist, die Geschichte zu finden. Für mich einer, der gut funktioniert.

Ich habe aber auch schon anders geschrieben. Ich hatte die Charaktere, den Auslöser, das Ziel und dann hab ich angefangen und bin immer wieder zurück und hab editiert und dann weitergeschrieben und dann wieder edititiert. Das war schon auch mühselig. Der Flow ist beim Fast Draft schon ein anderer, man ist irgendwie anders in der Geschichte drin, oder ich wars zumindest. Aber wie gesagt, das Überarbeiten ist dann ne ganz andere Nummer (aber das gehört wohl nicht in diesen Thread).
Do I contradict myself?
Very well then I contradict myself,
(I am large, I contain multitudes.)
Walt Whitman

mme

Ich habe für mein aktuelles Projekt einen Zero-Draft geschrieben, bin dabei jedoch gröber vorgegangen als die anderen hier beschrieben haben. Im Endeffekt habe auch nur den Anfang, das Ende und ein paar Ideen für Szenen dazwischen gehabt und hab dann einfach drauf los geschrieben. Allerdings habe ich fast nichts ausformuliert, sondern die Szenen einfach nur zusammengefasst und mit ein paar Anmerkungen ergänzt.
Das Ganze war dann in ein paar Wochen über den Tisch, nur leider habe ich dann den Fehler gemacht, den Plot nicht richtig auf Konsistenz zu checken. Den großen Vorteil des Zero-Drafts, mit wenig Aufwand den gesamten Plot zu entdecken und Schwächen leicht eliminieren zu können habe ich so nicht genutzt.  :wums:
Ich war einfach zu gierig aufs losschteiben. Im ersten Draft sind jetzt noch furchtbar viele Dinge drin, die dringend geändert werden müssen.
Naja, nächstes Mal nach ich's besser. ;D

Maja

Ich 2002/03 habe den vierten Teil meiner ,,Spinnweb-Stadt" auf diese Weise geschrieben, weil ich das Buch endlich fertigbekommen wollte - Platzhalter gesetzt und ausstehenden Plot grob zusammengefasst, Dialoge schon ausgearbeitet, nach dem Motto ,,Dann musst du nur noch die Lücken füllen" - und es ist so sehr nach hinten losgegangen, dass ich für Leute, die ähnlich ticken wie ich, nur davor warnen kann, so zu arbeiten.

Was ist passiert? Ich hatte mir buchstäblich alle Rosinen rausgepickt, und alles, was noch zu schreiben übrig war, war das, worauf ich nicht so große Lust hatte. Statt schneller mit dem Buch fertigzuwerden, hatte ich eine Bauruine, die ein gutes Jahr lang rumgelegen hat, ohne dass ich überhaupt daran gearbeitet hätte, und als ich mich dann doch dazu gezwungen habe, war es genau das, Zwang und zähes Ringen.

Seitdem schreibe ich, wenn schon nicht immer kontinuierlich, zumindest immer die ganzen Szenen und nicht nur die besten Teile davon, und sorge dafür, dass die Teile, die noch ausstehen, immer auch etwas haben, das mir wirklich großen Spaß hat, um mich bei der Stange zu halten.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Gizmo

Ich habe auch schon etwas ähnliches ausprobiert und bin damit in bestimmten Situationen sehr gut gefahren. In der Regel benutze ich es, wenn die Plotpunkte, die ich treffen will, stehen und ich dialoglastigen Content habe. Alle Beschreibungen werden dabei durch kurze "Regieanweisungen" oder Zusammenfassungen ersetzt.

Ich finde das dann sehr hilfreich, weil
  • Dialoge nicht durch Beschreibungen unterbrochen werden und ich so besser checken kann, ob alles zusammenpasst
  • Der Ablauf detaillierter als in einer Outline ist, aber ich mich immer noch besser zurechtfinde als in einem längeren Fließtext
  • Ich mich nicht mit Beschreibungen oder Formulierungen aufhalte, was dann dazu führen kann, dass ich den Zug beim Schreiben verliere
  • Der schnelle Fortschritt mich aus einer (kleinen) Schreibblockade reißen kann

Also ja, auf jeden Fall ausprobieren!
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

Erdbaerchen

Ich bin jetzt gerade dabei (CampNaNo), mit einem Zero-Draft zu arbeiten, auch wenn ich die verschiedenen Definitionen etwas schwammig finde. So wie ich es verstanden habe ist es eine Inhaltsangabe, die man vorweg erstellen kann um zu prüfen, ob Plotentwicklung und Pacing funktionieren, bevor man 50.000 Wörter schreibt um es DANN festzustellen.

Was ich mir jetzt als MEIN Zero-Draft erstellt habe geht definitiv über eine Inhaltsangabe hinaus und ist an mich angepasst, in der Hoffnung meinen Problemen bei ersten Drafts entgege zu wirken.

Meine Probleme:
  • Zu wenig Beschreibung
  • fast nur Dialog
  • ich vergesse meine Subplots
Im Endeffekt müssen meine bisherigen ersten Drafts immer komplett neu geschrieben werden, weil ihnen zu viel fehlt.

Deswegen jetzt meine Informationen im Zero-Draft:
  • Vorherigen Einteilung in Kapitel und Szenen
  • Zu jeder Szene ein Abschnitt zum Drumherum: Wann (Uhrzeit, Datum), Wetter, wie sieht das drumherum aus, was fällt besonders auf, wie werden die fünf Sinne angesprochen
  • Jeweils eine Liste der Personen mit derem jeweiligen Ziel bzw. Stimmungslage
  • Dann zu jeder Szene eine Beschreibung, was drin vorkommen soll.

Ich bin so bei 30 Seiten ZERO-Draft gelandet und peile einen Roman von 80-90.000 Wörtern an. Ob es funktioniert hat kann ich dann leider erst im Nachhinein sagen. ;)

Ich brauche so viel Planung vorweg, sonst hab ich hinterher Arbeit.
Außerdem bin ich Informatikerin und sowieso dafür, dass wir bei 0 anfangen sollten zu zählen.  8)

Sanjani

Hallo @Mondfräulein,

danke für diese interessante Idee. Ich bin normalerweise jemand, der ziemlich querbeet schreibt, weil ich immer die Szene runterschreibe, die mir gerade in den Sinn kommt und dann alle möglichen Punkte habe, die ich miteinander verbinden muss. So einen zero draft habe ich bisher nicht geschrieben, weil ich oft noch nicht so viel über die Geschichte weiß, um das zu machen. Der Aspekt, den ich aber wirklich eine gute Idee finde, ist einfach Dinge kurz zu skizzieren, die man noch nicht genau weiß oder gerade nicht runterschreiben kann oder will. Das werde ich in meine Schreibpraxis auf jeden Fall übernehmen. Ich finde die Idee eines zero draft aber auch an sich interessant. Vielleicht probier ich das auch mal aus.

LG und schöne Ostern

Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)