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Fiktionale Geschichtsschreibung

Begonnen von Tintenteufel, 18. August 2018, 16:47:28

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Churke

Man sollte sich auch immer überlegen, weshalb und wieso. In "Kaisersturz" (und ich rede jetzt nicht von der ZDF-Doku) bringt der Kollege Münter ein elaboriertes Setting mit langer fiktiver Geschichte - und alles für die Tonne. Ein Konvulut blinder Motive. Vielleicht wollte er denen in Bd. 2 eine Bedeutung geben, aber den zu lesen, hatte ich keine Lust mehr.


FeeamPC

Zweckfreie Dinge brauche ich nicht in einem Roman unterzubringen, das ist richtig. Geschichte funktioniert nur, wenn sie einen Grund hat und nicht als Selbstzweck im Buch steht. Und es darf natürlich auch nie zu viel davon geben,

Oneira

Aber in Buchserien macht es manchmal das Verständnis einfacher, wenn die geschichtlichen Ereignisse als eine Art Verknüpfung zwischen verschiedenen Charakteren dienen, die sich dann alle darauf beziehen können. Das hilft mir auch beim Schreiben manchmal, den Überblick zu behalten. Ich mache mir zwar vor dem Beginn meines Buches kaum Gedanken um die historischen Ereignisse, aber die ergeben sich dann immer ziemlich schnell und dann habe ich auch oft eine Art Zeittafel.
Bei Einzelbänden muss man überlegen, wie weit es Sinn macht, aber auch da bietet es sich manchmal durchaus an, finde ich. Kommt aber eben ganz auf die eigentliche Handlung an.
Ich bin grundsätzlich für fiktionale Geschichtsschreibung, aber ihr habt Recht: Man sollte es nicht übertreiben und wissen, wann es passend oder unpassend ist.
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Tintenteufel

#18
Ich glaube wir haben zwischendurch irgendwo einen kleinen Unterschied übersehen: Den zwischen fiktiver - d.h. erdichteter - und fiktionaler - d.h. die Dichtung hervorbringender - Geschichtsschreibung.
Ich glaube wir werfen das immer gern ein klein wenig durcheinander, weil es so eine vertrackte Sache ist.

Aber was für mich die fiktionale Geschichtsschreibung ausmacht ist der Prozess, bei dem die fiktive Geschichte, oder sagen wir besser Historie, entsteht.
Also: Handlung in Roman A, die in Roman B dann Teil der fiktiven Historie der Welt ist.
Eine fiktive Historie zu haben zählt für mich nicht dazu, das ist ja erstmal nur Weltenbau. Bei der Fiktionalität ist wichtig, dass die Fiktion als Akt dabei entsteht.

Bei GRRM z.B. würde ich mal behaupten, dass es beides gibt: das "Age of Heroes" ist reine fiktive Geschichte. Wir bekommen das erzählt als Teil des Hintergrunds.
Der "War of the Five Kings" und diverse Ereignisse, denen wir "live" zusehen, während wir die Geschichte lesen, sind dagegen fiktional: Die Taten der handelnden Charaktere gehen direkt in den Hintergrund der Welt ein (wo sie dann wiederum fiktive Historie sind, und genau darum geht es mir ja).

Nachtrag: Also klar muss das eine Funktion haben, aber ich denke die ist eben gegeben. Gerade bei Serien. Nicht ganz so, wie @Oneira das meint, weil es dabei dann nicht um einen gemeinsamen Kontext für verschiedene Charaktere geht - sondern darum, wie die Handlungen eines einzelnen Charakters 1 in Band A vielleicht die Beziehung zwischen Land I und Land II derartig beeinflußen (weil Kronprinzessin versehentlich gemeuchelt), dass in Band C dann ein Krieg ausbricht und Charakter 11 deswegen motiviert ist, Land II auszulöschen.

Oneira

@Tintenteufel
Ich hatte bloß so was gemeint wie dass sich Charaktere zum Beispiel über diese fiktiven historischen Ereignisse austauschen können. Das macht es manchmal leichter, sich zwei Charaktere kennenlernen zu lassen. Und ich finde auch, die Haltung verschiedener Charaktere zu eben diesen Ereignissen schafft Verknüpfungen. Mit Verbindung zwischen den Charakteren meinte ich auch so was, dass frühere Feinde vielleicht zumindest neutral werden, weil sie in einem fiktiven historischen Ereignis auf derselben Seite stehen oder so. Aber natürlich geht es dabei vorrangig um das Voranbringen der Handlung, da hast du schon Recht. Ich hatte das wohl etwas unglücklich formuliert. Meinte nur, die fiktive Historie tut noch mehr, als bloß eine Art Rahmen zu geben.
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Teben von Westend

Zitat von: Tintenteufel am 03. August 2019, 17:31:01
Ich glaube wir haben zwischendurch irgendwo einen kleinen Unterschied übersehen: Den zwischen fiktiver - d.h. erdichteter - und fiktionaler - d.h. die Dichtung hervorbringender - Geschichtsschreibung.
Ich glaube wir werfen das immer gern ein klein wenig durcheinander, weil es so eine vertrackte Sache ist.

Aber was für mich die fiktionale Geschichtsschreibung ausmacht ist der Prozess, bei dem die fiktive Geschichte, oder sagen wir besser Historie, entsteht.
Also: Handlung in Roman A, die in Roman B dann Teil der fiktiven Historie der Welt ist.
Eine fiktive Historie zu haben zählt für mich nicht dazu, das ist ja erstmal nur Weltenbau. Bei der Fiktionalität ist wichtig, dass die Fiktion als Akt dabei entsteht.

Bei GRRM z.B. würde ich mal behaupten, dass es beides gibt: das "Age of Heroes" ist reine fiktive Geschichte. Wir bekommen das erzählt als Teil des Hintergrunds.
Der "War of the Five Kings" und diverse Ereignisse, denen wir "live" zusehen, während wir die Geschichte lesen, sind dagegen fiktional: Die Taten der handelnden Charaktere gehen direkt in den Hintergrund der Welt ein (wo sie dann wiederum fiktive Historie sind, und genau darum geht es mir ja).

Nachtrag: Also klar muss das eine Funktion haben, aber ich denke die ist eben gegeben. Gerade bei Serien. Nicht ganz so, wie @Oneira das meint, weil es dabei dann nicht um einen gemeinsamen Kontext für verschiedene Charaktere geht - sondern darum, wie die Handlungen eines einzelnen Charakters 1 in Band A vielleicht die Beziehung zwischen Land I und Land II derartig beeinflußen (weil Kronprinzessin versehentlich gemeuchelt), dass in Band C dann ein Krieg ausbricht und Charakter 11 deswegen motiviert ist, Land II auszulöschen.

Ich finde das auch unheimlich wichtig, gerade wenn man größere Epen schreibt, die sich über eine längeren Zeitraum erstrecken. Wie du schon gesagt hast, es unterstreicht die Bedeutung eines Ereignisses. Das absolute Gegenteil kennen wir aus Sitcoms: was die Charaktere in der einen Folge erleben und lernen, spielt in der nächsten keinerlei Rolle mehr. Bei mir wird, insbesondere in den küstennahen Ländereien des Nordens, gerne einmal "die Zweite Manntränke" erwähnt. Das war eine gewaltige Sturzflut, der weite Teile der Bevölkerung zum Opfer spielen. Immernoch hat das eine Auswirkung auf das Verhalten der Leute, die sich seither besonders fromm und abgebrüht gegen jede Art von Sündhaftigkeit zeigen.

Die Kulturen meiner Welt driften immer weiter in einen gewaltigen Krieg hinein, und viele kennen und referieren noch die Gräuel bisher erlebter Kriege. Manche Gräueltaten waren dermaßen schrecklich, dass sie ein ganzes Volk nachhaltig geprägt haben - ohne eine Erklärung dazu kann man die Motivation ihrer Taten (z.B. den Hass eines Volkes auf das andere) überhaupt nicht nachvollziehen.

Kunstvoll finde ich im übrigen, wie bei GRRM die Charaktere selbst es sind, die den Ereignissen eine gewisse Bedeutung verleihen - etwa in dem sie so schlagkräftige Titel wie "Die Rote Hochzeit" verwenden. 

Oneira

@Teben von Westend, @Tintenteufel
Vielleicht fehlt mir auch einfach ein bisschen die Erfahrung. GRRM habe ich noch nicht gelesen und selbst habe ich jetzt meine erste "richtige" Reihe angefangen. Ich muss da irgendwie noch klarkommen, wie ich das mit der fiktionalen Geschichtsschreibung am besten einbaue. Sorry für die offenbar nicht ganz korrekte Interpretation...
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Mara

Die vorletzte Folge von Writing Excuses (Season 14, Episode 41) beschäftigt sich mit fiktionaler Geschichtsschreibung und damit, wie man den Eindruck einer möglichst ausgebauten und vielseitigen Welt vermittelt =)

Oneira

@Mara
Hey,
diese Seite ist ja mal richtig umfangreich! Schade, dass ich die bisher noch nicht entdeckt habe. Danke für den Tipp!!!

LG - Oneira
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Mara

Immer gerne =) Ich wurde auch erst vor nem Jahr von einer ebenfalls schreibenden Freundin auf die Seite hingewiesen. Und mittlerweile bin ich sowohl ein Fan vom Podcast als auch von den beteiligten AutorInnen :3

Oneira

Hast du einfach alle der Reihe nach angehört oder nur ein paar herausgepickt? Kannst du vielleicht ein paar empfehlen, die für dich besonders überraschend waren oder die du vielleicht besonders treffend formuliert fandest oder so, denn das sind echt mega viele Beiträge ... ?
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Mara

Die Staffeln sind ja immer zu verschiedenen Überthemen und die Folgen sind auch jeweils mit Stichworten getaggt, also kannst du dir raussuchen, was dich gerade interessiert =) Die Aktuelle Staffel ist zum Beispiel zum Thema Worldbuilding. Meine Lieblingsfolgen waren bisher "How to make a monster" und "True Confessions".

Oneira

Worldbuilding ist auf jeden Fall ein Thema, das für mich interessant wäre. Danke für den Tipp, ich muss mich da mal durchklicken, wenn ich mal richtig viel Zeit habe  ;)
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