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Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?

Begonnen von Big Kahuna, 08. Dezember 2015, 23:30:09

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HauntingWitch

Zitat von: Kerstin am 09. Dezember 2015, 12:00:24
Zitat von: Witch am 09. Dezember 2015, 10:00:26
Das würde ich aber nicht mit der Entwicklung in der Fantasy vermischen (auch wenn Horror natürlich sehr oft eng mit Fantasy verwandt ist). Beim Horror ist das genrebedingt, da geht es ja genau darum, dass es brutal und schockierend ist.
Nicht unbedingt - das hat für mein Empfinden viel mehr damit zu tun, wie Bücher heutzutage in Buchhandlungen einsortiert werden.
Zu meiner Teenie-Zeit fand man unter Horror ein viel breiteres Spektrum, als heute, da damals auch alles, was in den Bereich Schauergeschichte, Schwarze Romantik ... ging, beim Horror einsortiert wurde.
Die Vampirbücher von Anne Rice galten damals zum Beispiel auch als Horror (und die Verfilmung auch als Horrordrama). Heutzutage würde man es wohl in die Fantasy einordnen mit allen anderen Vampirgeschichten. Für mein Empfinden sind meine Icherios-Bücher auch dichter an der Schauergeschichte und damit dem Horror, als der Fantasy - offiziell ist es heute aber Fantasy.

Das stimmt. Gerade Anne Rice ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man guten Horror für die Masse zu etwas anderem degradiert hat. Irgendwann um den Twilight-Hype kamen ja auch diese neuen Ausgaben, mit den angepassten Titeln heraus, um das quasi als Romantic zu verkaufen. Furchtbar, das. Für mich werden die Vampir- und Hexenchroniken aber immer in der Horror-Sparte bleiben.

Guddy

#31
Zitat von: Lothen am 09. Dezember 2015, 12:24:34
Zitat von: TintenteufelDer Cthulhu-Mythos hat zugegeben wenig mit Sex zu tun
Na jaaaa, im Subtext .... ;D
...da fällt mir Kafka ein.. ;D

Moni

Zitat von: Guddy am 09. Dezember 2015, 00:18:30
Der letzte ist von '99, also auch nur 3 Jahre nach dem ersten ASoIaF.

Sorry, aber das ist nicht korrekt. Die ersten Erzählungen, die dann später in Sammelbänden erschienen, hat Sapkowski bereits 1986 geschrieben, aber eben in polnischer Sprache (die ersten Übersetzungen kamen dann in den 90ern). Die Grundlage der Erzählungen waren übrigens Märchen und über deren Brutalität brauchen wir glaube ich kaum ein Wort verlieren.  8)

Ich lese ja jetzt seit den 80er Jahren Fantasy, quer durch alle Spielarten. Gerade früher (ich rede wirklich von Mitte der 80er) gab es ja relativ wenig Jugendfantasy (Phantastisches für Kinder schon, aber als ich 13, 14 war, hatte ich deutlich weniger Auswahl) daher habe ich immer schon Erwachsenenfantasy gelesen. Und bis auf einen Wechsel in der Sprache, die mittlerweile bildhafter und auch expliziter geworden ist, kann ich da nur wenig Anstieg im Brutalitätslevel feststellen. Aber die geänderte Sprache macht es tatsächlich auffälliger. Gemordet, vergewaltigt, verstümmelt usw wurde schon bei Tolkien, aber er war in der Lage, es in so poetische Worte zu verpacken, daß es einem eben nicht sofort ins Gesicht sprang (Silmarilion oder auch Buch der verschollenen Geschichten sind da gute Beispiele).
Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

Guddy

#33
Zitat von: Moni am 10. Dezember 2015, 13:44:32


Sorry, aber das ist nicht korrekt. Die ersten Erzählungen, die dann später in Sammelbänden erschienen, hat Sapkowski bereits 1986 geschrieben, aber eben in polnischer Sprache (die ersten Übersetzungen kamen dann in den 90ern).
Ich bezog mich auf die polnische Ausgabe :) Welche Quelle hast du denn, die besagt, dass "Pani jeziora" (der letzte Band) schon in den 80ern veröffentlicht wurde? In dem Posting ging es mir wie gesagt explizit um diesen letzten Band.
Dass der erste Band (von den Kurzgeschichten ganz zu schweigen)  früher als 99 erschien, schrieb ich doch auch vorher.   ???

Moni

Zitat von: Guddy am 10. Dezember 2015, 14:11:28
Zitat von: Moni am 10. Dezember 2015, 13:44:32


Sorry, aber das ist nicht korrekt. Die ersten Erzählungen, die dann später in Sammelbänden erschienen, hat Sapkowski bereits 1986 geschrieben, aber eben in polnischer Sprache (die ersten Übersetzungen kamen dann in den 90ern).
Ich bezog mich auf die polnische Ausgabe :) Welche Quelle hast du denn, die besagt, dass "Pani jeziora" (der letzte Band) schon in den 80ern veröffentlicht wurde? In dem Posting ging es mir wie gesagt explizit um diesen letzten Band.
Dass der erste Band (von den Kurzgeschichten ganz zu schweigen)  früher als 99 erschien, schrieb ich doch auch vorher.   ???

Ich würde mal sagen, Guddy, ich hab das mit dem letzten überlesen, was meine Antwort ja eigentlich auch erklärt.  8) Ich bin extrem kurzsichtig, mir passiert das schon mal. Ich hab da der erste gelesen.  Und mit den ganzen neuen Avataren habe ich dein Posting über die ersten Bände ehrlich gesagt nicht mit dir in Verbindung gebracht. Ich bin über 40, hab Mitleid.  8)
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Stefan Quoos, WDR2-Moderator

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canis lupus niger

#35
Meiner Meinung nach nimmt die Verwendung von Tabubrüchen (nicht nur) in der Fantasy schon zu. Klar, schon in früheren Zeiten, auch in VIEL früheren Zeiten kam es zu Grausamkeiten, sowohl in der Realität, als auch in den Mythen und in der Unterhaltung. Es gab echte Massenmorde, echte Gemetzel, echte Massenvergewaltigungen, ethnische Säuberungen; und all das fand seine Abbildung in echter Geschichtsschreibung, echten Religionen, Volksmythen und Märchen.

Was, wie ich glaube, sich tatsächlich ändert, ist, dass die entsetzlichsten Auswüchse menschlicher Phantasie und menschlichen Handelns immer mehr Eingang in allgemein zugängliche Unterhaltung finden. Tolkien hat gewiss geschrieben, dass Orks durch Folterungen und sonstige Experimente (Genetik war seinerzeit noch kein Thema) aus gefangenen Elben erzeugt wurden. Aber er beschrieb diese Exzesse nicht im Detail, sondern überließ es der Phantasie des Lesers, ob und wie dieser sich das ausmalen wollte. Kinder und Jugendliche hatten nicht die Bilder von Leichenfeldern, von herumfliegenden Körperteilen und aus aufgeschlitzten Leibern herausquellenden Gedärmen vor Augen. Er schrieb, dass von den Fängen der Riesenspinnen in Düsterwald Gift tropfte, aber er ließ diese Horrorgestalten nicht abrupt aus dem Nichts vor den Augen der Leser auftauchen und seinen Protagonisten dieses Gift ins Gesicht sabbern. Die grausig entstellten Orks, die im Herrn der Ringe die Welt der 'Guten' angreifen, werden nur grausig genannt. Es war Regisseur Jackson, der uns mit Bildern von Verkrüppelungen und Entstellungen beglückte, der aus dem High Fantasy Epos über Strecken eine Reihe von Horrorfilmen machte, die z.T. erst ab 18 freigegeben werden konnten.

Auch wenn mir persönlich das nicht gefällt, wie man unschwer erkennen kann, will ich das nicht moralisch werten. Aber rein sachlich stellt sich mir die Frage, warum er und die Produktionsfirma das für nötig hielten. Die Antwort ist relativ simpel: Weil sie glaubten, dass die Filme sich in den Kinos so besser verkaufen würden, weil der Kunde das so sehen will. Zumindest ein Teil der Kunden. Die anderen wurden mit den schönen Landschaftsaufnahmen und den attraktiven Schauspieler/innen, mit der aufgehübschten und modernisierten Rolle von Arwen und anderen weiblichen Sympathieträger(inne)n versöhnt, so dass für jeden was dabei ist.

Ja, ich bin überzeugt davon, dass die Fantasy, die veröffentlicht wird, immer wieder gezielt Tabus bricht, weil sich die immer spektakulärereren Bilder (auch bildhaft geschriebene Bücher) besser verkaufen.

Terry Pratchett schrieb einmal, dass der eigentliche Star der Mittelerde-Geschichten die Mittelerde selber sei. Meiner Meinung nach hatte er damit Recht. Aber irgendjemand (ich weiß nicht mehr wer, ein Profi aus dem Verlagswesen) schrieb in einem (anderen) Autorenforum, einen Roman wie den Herrn der Ringe könnte man heutzutage nicht mehr verkaufen und würde ihn heutzutage in einem Verlag zur Veröffentlichung nicht mehr annehmen. Tragisch, denn was wäre der Fantasy-Gemeinde entgangen, wenn diese Meinung damals schon geherrscht hätte. Aber im Zusammenhang mit dieser Diskussion sagt das eine Menge über den Trend in der Fantasy aus. 'Die Mittelerde selber' würde heute offenbar keinen Lektor mehr vom Stuhl reißen, es muss etwas anderes her, offenbar Spektakuläreres, Neues. Vielleicht etwas Tabubrechendes? Was macht den Erfolg der Reihe um die fünfzig Schattierungen der Farbe Grau aus? Der großartige Sprachstil des Autors? Der gekonnt aufgebaute Plot? Die gesellschaftliche Relevanz? Oder eher der Tabubruch?  Gut, heute macht sich kaum noch einer einen Kopf wegen der SM-Spielchen in den Romanen, aber bevor 'jeder' die Bücher hatte (und zugegeben hatte, sie gelesen zu haben) war das immer noch ein Thema, das man zwar zum Hobby haben durfte, über das man aber im Allgemeinen nicht öffentlich sprach. Irgendwie prickelnd und neu also. Aufregend.

Sword and Sorcery ist dreckig? Ja, ist sie, war sie schon immer. Aber früher war mit Dreck nicht nur Blut, sondern auch Schlamm gemeint. Der gute alte Conan hat sich auch über alle Schlachtfelder geprügelt und durch alle Betten geschlafen, die er finden konnte. Wenn aber jemandem auf einem Turnier eine Lanze in die Kehle gerammt wird, so dass derjenige vor der Kamera sekundenlang schwallweise Blut auswürgt bis er erstickt ist, wenn in einem Leichnam kiloweise Fliegenlarven wimmeln, wenn jemandem bei einem Zweikampf erst die Zähne ausgeschlagen werden, so dass sie weit davonfliegen, und dann die Augern langsam und genüsslich aus dem Kopf gedrückt werden, wenn die Vergewaltigung kleiner Mädchen als gesellschaftlich toleriert thematisiert wird, dann muss man schon sagen, dass Game of Thrones hinsichtlich Tabubrüchen eine ganz andere Qualität hat als frühere Sword and Sorcery.

Umherfliegende, abgetrennte Gliedmaßen, detailliert beschriebene Tötungs- oder Vergewaltigungsszenen oder auch psychische Grausamkeiten à la "Saw" wurden eher in den Bereich Horror verortet. Ebenso hielt man noch vor einigen jahrzehnten Literatur wie die "fünfzig Schattierungen" eher für Pornografie als für allgemein zugänglich sein solltende Erotik. Heute dagegen stehen die Bücher der Black-Dagger-Vampirreihe im Regal für Jugendliteratur, auch die Bände, in denen über die jahrzehntelange Gefangenschaft eines wehrlosen Mannes (anfangs noch des Jugendlichen) mit ständigen Misshandlungen, zwangsweisen Drogenverabreichungen und Vergewaltigungen erzählt wird. Fantasy ist schließlich Jugendliteratur, nicht wahr? Wie gesagt, ich will nicht moralisieren. Diese Reihe lese ich, obwohl sie reichlich trivial ist, gelegentlich selber auch ganz gerne. Aber was da drin steht, wäre noch vor wenigen Jahrzehnten nicht harmlos prickelnder Tabubruch gewesen, sondern eben stellenweise reiner Porno. Und Tabubrüche machen Bücher (und Filme) besser verkäuflich.

Deshalb meine ich (nach meinen vielen Worten  ;D): 'Fantasy muss' vielleicht nicht 'inzwischen Tabus brechen', aber ganz bestimmt schadet es dem Marktwert nicht, wenn sie das tut.     


Tintenteufel

#36
Dem möchte ich widersprechen.

Die Sache mit dem Film ist - Verzeihung - eine falsche Sichtweise auf Filme allgemein.
Film ist ein visuelles Medium, die Grausigkeit der Orks muss also gezeigt werden. Ein grausiger Ork, der nicht grausig aussieht...ist halt einfach nicht grausig. Entsprechend muss es Änderungen zum Quellmaterial geben. Bei dem Jump Scares stimme ich dir insofern zu, als dass die eine schlichte Modeerscheinung waren (wie die unendlich vielen Close Ups in die Gefährten...*schauder*), aber Horror ist wirklich anders.
Das muss alles visuell geregelt werden, weil mehr als genug der zig Stunden Filmzeit schon für Dialog zwischen den Hauptcharakteren drauf geht. Ansonsten hat das ganze Ding als Film versagt. Das hat wenig mit dem Genre sondern mehr mit dem Medium zu tun - auch wenn einzelne Details durchaus ausgeschmückt worden sind.

Und die Aussage mit den Veröffentlichungen halte ich auch für eine ziemliche Übertreibung. Es lassen sich ohne Probleme Dutzende trivialster Fantasyschinken der letzten 10 Jahre finden, die nach Tolkienschen Zahlen gemalt worden sind. Eragon, die unzähligen "Rassenbücher" (Elfen, Zwerge etc.), Canavan, Hohlbein oder Elantris: Gute oder auch schlechte Bücher, aber alle ohne viel Sex, mit viel Liebe, Gewalt im klassischen Ritterausmaß usw. usf. Keines davon ist älter als zwölf Jahre und alle in großen Verlagen (Piper und Heyne) erschienen.

Ich sehe also einerseits nicht, dass sich das unbedingt besser verkauft, und andererseits keine Extremisierung der Fantasy. 50 Shades ist nämlich keine Fantasy und dass die Hausfrauen-Demographie etwas versaut ist, wissen wir seit es Seifenopern und Arztromane gibt.