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LGBT: Diversität in der Fiktion und wie man sie schreibt

Begonnen von Nachtblick, 23. Oktober 2013, 20:51:35

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Soly

Zitat von: Evanesca Feuerblut am 01. April 2022, 15:58:07
"Ist das gute oder schlechte Repräsenation?" schafft da eine Erwartungshaltung an eine bestimmte Normgeschichte oder an bestimmte Kriterien, die abgehakt gehören, damit etwas als "gute Repräsentation" gilt.
Vielleicht wäre es daher ein wichtiger Gedanke, dass es natürlich Fälle von wirklich furchtbarer Repräsentation und reinem Tokenism gilt, aber dass gleichzeitig viele (ich nehme mich dabei nicht aus) dazu neigen, etwas als schlechte Repräsentation zu bezeichnen, weil es nicht mit ihrem Bild davon übereinstimmt, wie Queerness abgebildet zu sein hat bzw. bestimmte Arten von Queerness, je nach konkretem Buch.
Das ist auch ein wirklich guter Punkt, den ich an der Stelle mal unterschreiben möchte.
Anknüpfend daran überlege ich gerade, ob "gute Repräsentation" überhaupt etwas Greif- und Definierbares ist, eben gerade weil es so viele verschiedene Lebensrealitäten gibt, die man abbilden kann oder nicht abbilden kann, oder ob "gute Repräsentation nicht vielleicht nur eine Negativ-Definition hat. So in der Art, dass gute Repräsentation alles ist, was nicht bestehende Stereotype unreflektiert reproduziert und kein reiner Tokenismus ist.
Aber wahrscheinlich geht das auch zu weit von dem eigentlichen Thema weg, wie man Diversität schreibt.


Noch eine Ergänzung zu meinem letzten Post:
Zitat von: Valkyrie Tina am 01. April 2022, 14:29:21
ZitatIm Gegenteil bin ich eher unangenehm berührt, wenn jemand sagt "Ich muss mir da überhaupt keine Mühe geben, meine Figuren werden von ganz alleine divers und dann ist das auch super Repräsentation".

das sind für mich drei unterschiedliche Punkte:
- meine Figuren werden von alleine divers, bzw. sie verraten es mir, wenn ich sie frage. Aber ich muss mir erst bewusst machen, dass es überhaupt eine Frage gibt, und die zu stellen ist. Ansonsten defaulten die Charaktere zu white/straight/male/cis/ablebodied/all of them, weil das einfach das ist, was ich als Geschichten kennengelernt hab. (Wenn ich sie frage, kann tatsächlich das Gegenteil passieren. In Nautilus hab ich eine Riesencrew und exakt 1 straighten Charakter)
- Ich würde niemals sagen, ich brauch mir keine Mühe geben! Es ist mein verdammter Job, sie genau zu fragen und zu checken, was das bedeutet, welche Implikationen das hat, welche Klischees es dazu gibt, ob die Klischees mit der Wirklichkeit übereinstimmen, was die Wirklichkeit ist, ob ich die Wirklichkeit so übernehmen kann, wie sie ist, oder ob ich das nicht machen kann, weil das wieder in Vorurteile reinspielen würde.
- "und dann ist das Superrepräsentation"? Das weiß ich nicht. Ich gebe mein Bestes. Ob das gelungen ist. Das müssen die Leser entscheiden.
Ich gebe zu, der zitierte Satz ist mir etwas plakativ geraten, tut mir leid. Ich wollte damit nichts über das Pantsen oder irgendjemanden hier sagen. Du hast natürlich völlig Recht, dass das unterschiedliche Dinge sind, die nichts oder nicht viel miteinander zu tun haben, und ich weiß, dass alle hier sich natürlich alle Mühe geben, ordentlich zu repräsentieren.
Entschuldige.
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.

Elona

Danke @Evanesca Feuerblut für diesen Beitrag! Du sprichst mir damit wirklich aus dem Herzen.  :knuddel:


@Solmorn
Da bin ich mir ehrlich gesagt nicht so sicher, ob es wirklich vom eigentlichen Thema weggeht, wie man Diversität schreibt.

Vielleicht liegt der Unterschied einfach darin, klarzustellen, also in der Story zu zeigen* (oder auch im Vor-/Nachwort?), dass eben diese eine Lebensrealität keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt.
*Idealerweise natürlich in der Geschichte selbst. Es ist ja eine Sache zu sagen, okay ich kenne das so von mir nicht, aber ich kann den Charakter/ den Menschen trotzdem verstehen und mit ihm mitfühlen.

Valkyrie Tina

Zitat von: Solmorn am 01. April 2022, 17:01:38
Noch eine Ergänzung zu meinem letzten Post:
Zitat von: Valkyrie Tina am 01. April 2022, 14:29:21
ZitatIm Gegenteil bin ich eher unangenehm berührt, wenn jemand sagt "Ich muss mir da überhaupt keine Mühe geben, meine Figuren werden von ganz alleine divers und dann ist das auch super Repräsentation".

das sind für mich drei unterschiedliche Punkte:
- meine Figuren werden von alleine divers, bzw. sie verraten es mir, wenn ich sie frage. Aber ich muss mir erst bewusst machen, dass es überhaupt eine Frage gibt, und die zu stellen ist. Ansonsten defaulten die Charaktere zu white/straight/male/cis/ablebodied/all of them, weil das einfach das ist, was ich als Geschichten kennengelernt hab. (Wenn ich sie frage, kann tatsächlich das Gegenteil passieren. In Nautilus hab ich eine Riesencrew und exakt 1 straighten Charakter)
- Ich würde niemals sagen, ich brauch mir keine Mühe geben! Es ist mein verdammter Job, sie genau zu fragen und zu checken, was das bedeutet, welche Implikationen das hat, welche Klischees es dazu gibt, ob die Klischees mit der Wirklichkeit übereinstimmen, was die Wirklichkeit ist, ob ich die Wirklichkeit so übernehmen kann, wie sie ist, oder ob ich das nicht machen kann, weil das wieder in Vorurteile reinspielen würde.
- "und dann ist das Superrepräsentation"? Das weiß ich nicht. Ich gebe mein Bestes. Ob das gelungen ist. Das müssen die Leser entscheiden.
Ich gebe zu, der zitierte Satz ist mir etwas plakativ geraten, tut mir leid. Ich wollte damit nichts über das Pantsen oder irgendjemanden hier sagen. Du hast natürlich völlig Recht, dass das unterschiedliche Dinge sind, die nichts oder nicht viel miteinander zu tun haben, und ich weiß, dass alle hier sich natürlich alle Mühe geben, ordentlich zu repräsentieren.
Entschuldige.

Alles gut  :knuddel: ich hab mich auch gar nicht angegriffen gefühlt. Aber weil du einige Punkte aufgegriffen hattest, die ich ja beschrieben hatte, und die Posts genau hintereinander kamen, dachte ich ,ich verdeutliche noch mal, was ich meine, damit du dich nicht veralbert vorkommst.  :)

Mondfräulein

@Evanesca Feuerblut Das ist ein sehr wichtiger Punkt! Ich finde es für die ganze Diskussion auch wichtig darüber zu reden, was wir überhaupt unter guter Repräsentation verstehen. Nicht spezifisch, sondern ganz allgemein.

Uns muss glaube ich allen klar sein, dass sich auch von der besten Repräsentation nicht jede*r repräsentiert fühlen wird, wie @Evanesca Feuerblut schon gesagt hat. Zum Teil liegt das am persönlichen Geschmack, zum Teil an persönlichen Erfahrungen. In dem Fall ist weder die Repräsentation an sich falsch, noch die Wahrnehmung der Person, der sie nicht gefällt. Wenn wir über Kritik an Repräsentation reden, müssen wir das auch im Hinterkopf behalten. Weder bedeutet "Hat mir nicht gefallen" sofort "Das ist schlechte Repräsentation", noch dürfen wir jede Kritik an Repräsentation als persönlichen Geschmack wegwischen.

Meine Definition von guter Repräsentation unterscheidet sich je nachdem, ob ich mich selbst repräsentiert fühle oder nicht (was nicht heißt, dass Figuren exakt sein müssen wie ich, die Erfahrungen können sich unterscheiden, auch wenn Labels und/oder Geschlecht unterschiedlich sind, ich kann mich manchmal zum Beispiel auch in Geschichten über schwule Männer wiederfinden). Vielleicht beschreibe ich einfach mal auf, was verschiedene Arten von Repräsentation, in der ich mich selbst wiederfinde, in mir auslösen. Das ist aber wie gesagt nur meine Sicht der Dinge. Die Kategorien sind jetzt auch eher eine Stütze für mich, um etwas einzuteilen, auf welche Weise Repräsentation wirken kann.

Schlechte Repräsentation: Darunter zähle ich alles, was wirklich objektiv (soweit man das sagen kann) schlechte Repräsentation ist. Offensichtlich schädliche Tropes. Mir fällt jetzt direkt natürlich kein Beispiel ein, aber wenn ich euch ein konkretes Beispiel beschreiben würde, würden die allermeisten hier im Thread sofort erkennen, was das Problem daran ist. Hier sind wir schon in den sehr düsteren Gefilden des Graubereichs oder haben ihn verlassen. Solche Repräsentation verdirbt mir oft das ganze Buch, egal wie gut oder schlecht der Rest ist. Das trifft mich. Auf andere könnte es triggernd wirken. Hiermit meine ich Repräsentation, die ignoriert, was die meisten über Repräsentation sagen, Repräsentation die verletzt und mehr Schaden anrichtet, als dass sie hilft. Aber wie gesagt, das ist ein Ende des Spektrums, es gibt noch einen große Graubereich, den ich hier nicht meine.

Word of God: Damit meine ich Repräsentation, die eigentlich keine ist. Es kommt vor, dass Autor*innen sich beim Schreiben gedacht haben, dass ihre Figuren queer sind, es aber nicht explizit in den Text schreiben. Manchmal gibt es Andeutungen, die man aber so oder so verstehen kann. Die Autor*innen sagen dann zwar hinterher, dass die Figur queer ist, es steht aber nicht im Text. Mit mir macht das ehrlich gesagt nicht so viel. Ich lese das meistens, als wäre keine Repräsentation vorhanden. Wirklich negativ rechne ich das den Autor*innen nur dann an, wenn sie sich hinstellen und Lorbeeren für etwas einheimsen, was sie nicht geleistet haben. Ich finde es oft etwas schade, aber ich würde das nicht direkt als schlechte Repräsentation verbuchen sondern eher als gar keine und da gibt es für mich noch einmal einen Unterschied.

Hintergrundrepräsentation: Damit meine ich, dass unwichtige Nebenfiguren oder Statist*innen als queer geoutet werden. Beispielsweise wenn erwähnt wird, dass die Tante einer Figur mit ihrer Frau zum Skifahren in die Berge gefahren ist. Teilweise kommen die Figuren vor, teilweise werden sie nur erwähnt. Solange keine schädlichen Stereotypen bedient werden, ist das zwar nicht die großartige Repräsentation, die mich dazu bringen würde, das Buch deshalb zu kaufen, aber ich lese es ehrlich gesagt doch ganz gerne. Unsere Welt wird in Büchern oft weniger bunt dargestellt, als sie es wirklich ist. Das kann uns manchmal das Gefühl geben, dass wir in ihr keinen Platz haben. Diese Art der Hintergrundrepräsentation zeigt, dass da jemand an uns gedacht hat, dass wir in dieser Welt auch einen Platz haben. Auch wenn der Platz dann sehr klein ist, finde ich das besser als nichts.

Graubereich: Es kommt oft vor, dass Repräsentation nicht unbedingt super schlecht und problematisch ist, aber ein paar problematische Aspekte enthält. Damit meine ich explizit nicht Punkte, die mich einfach persönlich stören oder handwerklicher Natur sind (der Schreibstil ist furchtbar, ich kann die Figuren nicht leiden, der Plot macht keinen Sinn) sondern explizit problematische Dinge (z.B. schädliche Botschaften, ob impliziert oder explizit, schädliche Tropes). Das fällt für mich in besagten Graubereich. Manchmal finde ich trotz allem ein paar Aspekte, die ich doch daran mag, kann die kritischen Punkte aber nicht übersehen. Die Bewertung fällt mir hier oft schwer. Ich kann die problematischen Aspekte benennen und es wäre besser, wenn sie nicht vorhanden wären, aber ob die positiven Aspekte das so aufwiegen, dass ich das Buch immerhin noch genießen kann, schwankt von Fall zu Fall und ist oft auch eine persönliche Frage. Wenn ich Repräsentation lese, die in diesen Graubereich fällt, merke ich häufig, dass von Seite der Autor*innen gute Intentionen dahinterstecken, es war nur nicht gut umgesetzt oder bestimmte Aspekte waren ihnen nicht bewusst. Das wiegt nicht alle problematischen Aspekte auf, aber das lese ich trotzdem lieber als wenn ich das Gefühl habe, den Autor*innen ist das komplett egal. Manchmal fühle ich die Repräsentation auch total, obwohl es problematische Aspekte gibt, die mir das etwas verleiden.
[Außerdem: Es geht hier zwar nur um meine ganz persönlichen Gefühle, aber es kann hier auf vorkommen, dass andere queere Menschen das ganz anders sehen und es als gute oder schlechte Repräsentation einschätzen. Die Ränder des Graubereichs verschieben sich von Person zu Person.]

Fühle ich nicht: Das ist Repräsentation, die auf dem Papier gut geschrieben ist, mir aber persönlich nichts gibt. Das kann alle möglichen Gründe haben. Am häufigsten passiert mir das, wenn ich das Buch generell nicht so fühle. Einerseits kann das an Schwächen liegen, die das Buch hat, andererseits spielt persönlicher Geschmack da auch eine große Rolle. Ebenso kann es vorkommen, dass ich die Figur, die queer ist, einfach nicht leiden kann. Das kann auch wieder handwerkliche Gründe haben oder einfach an meinem persönlichen Geschmack liegen. Manchmal ist meine Erfahrung einfach zu anders oder die Repräsentation spricht einen empfindlichen Punkt an, der etwas Unangenehmes in mir auslöst, was dann aber wirklich nur an mir liegt. An der Repräsentation an sich stört mich hier aber nichts und ich würde das meistens trotzdem unter gute Repräsentation zählen, sie stört mich nicht, gibt mir aber auch nichts. Das muss mir manchmal aber auch nicht das ganze Buch verleiden. Manchmal fühle ich nur die Repräsentation selbst nicht, den Rest aber schon.
Trotzdem kann ich hier in vielen Fällen wertschätzen, dass sich Autor*innen die Mühe gemacht haben, die Repräsentation zu schreiben, selbst wenn ich das Buch ansonsten wirklich hasse.

Fühle ich: Repräsentation, in der ich mich wiederfinde und die keine problematischen Aspekte enthält, die mich davon abhalten würde, sie zu mögen. Wann ich etwas fühle und wann nicht ist sehr schwer vorherzusagen, wie das mit Büchern eben so ist. Geschichten, in denen ich die Repräsentation so richtig fühle, müssen sich nicht immer groß mit diesem Thema auseinandersetzen, manchmal geht es überhaupt nicht um Queerness und queer sein an sich. Ich ziehe auf jeden Fall viel daraus und freue mich immer, so etwas zu lesen.

Was ich auch dabei merke: Ob ich Repräsentation als unproblematisch einschätze und ob sie mir persönlich etwas gibt, sind zwei unterschiedliche Skalen, die teilweise schon irgendwie zusammenhängen, sich aber doch unterscheiden. Manchmal ist mir bewusst, dass etwas problematisch ist, es gibt mir aber doch etwas. Manchmal weiß ich, dass das da gerade gute Repräsentation ist, mir persönlich gibt sie aber nichts. Ich merke, dass die Intention der Autor*innen für mich in einem gewissen Rahmen doch auch eine Rolle spielt. Wenn ich merke, dass sich jemand Mühe gibt, fühlen sich manche problematischen Aspekte manchmal nicht mehr so schlimm an. Außerdem ist das insgesamt doch eher meine ganz persönliche Einschätzung. Das aufzuschreiben hilft mir etwas, mir bewusst zu werden, welches Spektrum es hier zumindest für mich persönlich gibt. Kann gut sein, dass ich etwas vergessen habe. Vielleicht könnt ihr ja auch etwas damit anfangen.

Insofern:

Zitat von: Solmorn am 01. April 2022, 17:01:38Das ist auch ein wirklich guter Punkt, den ich an der Stelle mal unterschreiben möchte.
Anknüpfend daran überlege ich gerade, ob "gute Repräsentation" überhaupt etwas Greif- und Definierbares ist, eben gerade weil es so viele verschiedene Lebensrealitäten gibt, die man abbilden kann oder nicht abbilden kann, oder ob "gute Repräsentation nicht vielleicht nur eine Negativ-Definition hat. So in der Art, dass gute Repräsentation alles ist, was nicht bestehende Stereotype unreflektiert reproduziert und kein reiner Tokenismus ist.

Es stimmt vielleicht, dass man gute Repräsentation vielleicht am ehesten negativ definieren kann, als Repräsentation unter Abwesenheit problematischer Aspekte. Schlechte Repräsentation ist schlechte Repräsentation, aber was jemand als gute Repräsentation empfindet, unterscheidet sich von Person zu Person. Ich persönlich habe nicht den Anspruch, dass sich alle Angehörigen der Gruppe in meiner Repräsentation wiederfinden müssen. Das wäre unrealistisch und nie zu erreichen. Ich freue mich, wenn sich jemand davon gesehen fühlt oder sich darin wiederfinden kann. Wenn nicht möchte ich aber, dass sie meine Bücher lesen können, ohne davon verletzt oder getriggert zu werden. Das ist glaube ich halbwegs realistisch.

Zitat von: Evanesca Feuerblut am 01. April 2022, 15:58:07(Und natürlich das Problem mit dem Exzellenzdruck: Ein Buch mit queerem Cast soll irgendwann einfach mittelmäßig unterhaltsam sein dürfen, statt stets eine Lanze für irgendwas zu brechen und aktivistisch wertvoll zu sein. Judith Vogt sprach das gestern zum TDOV in einem Thread an (Link. Auf progressiven Stoffen lastet Druck: Verkauft euch! Seid besonders wertvoll, besonders wholesome, besonders repräsentativ, sonst habt ihr keine Existenzberechtigung auf dem Buchmarkt.

Ich merke bei progressiven Büchern mit viel Repräsentation und Diversität häufig, dass sich Rezensent*innen an diesem Aspekt abarbeiten. Ich habe schon Bücher mit gut geschriebener Repräsentation gelesen, die ich ansonsten echt nicht so gut fand, in keinem Fall hatte ich aber den Eindruck, dass Repräsentation und Diversität irgendwie Schuld daran wären, dass das Buch nicht so gut ist. Dafür gab es immer andere Gründe. Trotzdem wird oft so getan, als wäre das Buch deshalb so mies, weil sie die Autor*innen so sehr auf Diversität und Repräsentation konzentriert haben, dass alles andere hintenübergefallen ist. Das stellt progressive Bücher aber unter noch mehr Druck: Wenn ein Buch ohne Repräsentation mies ist, ist es nur ein mieses Buch. Wenn ein Buch mit Diversität mies ist, ist es ein mieses Buch, weil es divers ist, ergo macht Diversität ein Buch automatisch mies. Das finde ich ziemlich schade und ein ziemlich mieses Argument.

Zitat von: Elona am 01. April 2022, 19:21:18
Vielleicht liegt der Unterschied einfach darin, klarzustellen, also in der Story zu zeigen* (oder auch im Vor-/Nachwort?), dass eben diese eine Lebensrealität keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt.
*Idealerweise natürlich in der Geschichte selbst. Es ist ja eine Sache zu sagen, okay ich kenne das so von mir nicht, aber ich kann den Charakter/ den Menschen trotzdem verstehen und mit ihm mitfühlen.

Nur meine persönliche Meinung: Ich bräuchte so einen Hinweis im Nachwort nicht. Sofern keine schädlichen Tropes bedient werden, ist mir das meistens klar und ich störe mich auch nicht so sehr daran, wenn ich mich nicht darin wiederfinde.

Was aber hilft, um das in der Geschichte umzusetzen: Mehr als eine Person der marginalisierten Gruppe zu haben. Dadurch kann ich ein weites Spektrum abbilden und zeigen, dass die queere Erfahrung sehr divers sein kann. Das vermeidet Generalisierungen. Ich finde das ohne Beispiel sehr schwer zu erklären, aber das einzige, das mir einfällt, ist keins das mich selbst betrifft, also behaltet bitte im Hinterkopf, aus welcher Perspektive ich das bewerte. Mir hat in der Hinsicht One Last Stop von Casey McQuinston sehr gefallen.

CN Transfeindlichkeit
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Yamuri

#199
Zitat von: MondfräuleinWord of God: Damit meine ich Repräsentation, die eigentlich keine ist. Es kommt vor, dass Autor*innen sich beim Schreiben gedacht haben, dass ihre Figuren queer sind, es aber nicht explizit in den Text schreiben.

Das finde ich einen guten Punkt.

CN Word of God bei Rowling und Vorurteile der Gesellschaft
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CN Beispiele für schlechte Repräsentation und Möglichkeiten diese zu Grau werden zu lassen
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Zitat von: MondfräuleinTrotzdem wird oft so getan, als wäre das Buch deshalb so mies, weil sie die Autor*innen so sehr auf Diversität und Repräsentation konzentriert haben, dass alles andere hintenübergefallen ist.

Das finde ich auch sehr traurig, dass oft so getan wird.

Zitat von: ElonaVielleicht liegt der Unterschied einfach darin, klarzustellen, also in der Story zu zeigen* (oder auch im Vor-/Nachwort?), dass eben diese eine Lebensrealität keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt.
*Idealerweise natürlich in der Geschichte selbst. Es ist ja eine Sache zu sagen, okay ich kenne das so von mir nicht, aber ich kann den Charakter/ den Menschen trotzdem verstehen und mit ihm mitfühlen.

Finde ich auch einen sehr guten Punkt. Das würde ich sagen, fällt auch unter die Word of God Thematik von Mondfräulein. Wenn man queere Charas hat, sollte das auch erwähnt werden, irgendwo im Text, oder zumindest indirekt dargestellt.

Eine Frage: Wenn in einem Text explizit darauf verwiesen wird, dass ein männlicher Charakter keine romantischen Gefühle für Frauen hat, würdet ihr das schon als homosexuell lesen oder wäre euch das zu indirekt?
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Elona

Zitat von: YamuriEine Frage: Wenn in einem Text explizit darauf verwiesen wird, dass ein männlicher Charakter keine romantischen Gefühle für Frauen hat, würdet ihr das schon als homosexuell lesen oder wäre euch das zu indirekt?
Nur weil ein männlicher Charakter keine romantischen Gefühle für Frauen hat, macht ihn das per se nicht homosexuell. Das LGBT Spektrum ist sehr groß.

@Mondfräulein vielen Dank für deine Ausführung zu dem Thema.
Da habe ich auch gleich eine Frage zu "Word of God": meinst du damit, dass man es wirklich explizit (beim Namen) nennen muss?

In meinem zuletzt veröffentlichten Buch habe ich mich z.B. bewusst dazu entschieden, es eben nicht zu benennen, weil wir da irgendwo bei der Sache waren die @Evanesca Feuerblut angesprochen hat. Der eine Charakter spiegelt zum Teil meine Lebensrealität wieder und ich wollte ehrlich gesagt keine Angriffsfläche mir gegenüber liefern, was ich mit einer Bezeichnung einfach getan hätte (Stichwort "nicht queer genug"). Ich hoffe natürlich, dass ich es trotzdem zeigen konnte, aber ganz sicher ist man natürlich nur, wenn man es benennt, das ist klar.

Mich würde trotzdem mal deine Meinung dazu interessieren (oder natürlich auch gern von anderen).

Manouche

#201
Ich melde mich hier kurz zu Wort. Obwohl ich mich häufig etwas holprig ausdrucke und kein so fundiertes Wissen habe wie die meisten die hier schreiben.
Daher habe ich auch lange überlegt, ob ich überhaupt schreiben soll.

Beim Schreiben spüre ich häufig ein hin und hergerissen sein, zwischen Interesse, Freude möglichst viele Komponente des Lebens darzustellen und dem Druck, der Angst es "falsch" zu machen.
Da ich cis weiblich und weiss bin, werde ich vermutlich nie richtig gute Repräsentation machen können. Ich kann aber mein diverses Umfeld sehen und einfliessen lassen. Daher werde ich mit grosser Wahrscheinlichkeit nie eine*n queer Protagonist*in haben. Aber der Freundeskreis, das Umfeld soll deswegen trotzdem Divers sein. Ich habe den Anspruch an mich, dies respektvoll aber auch auf natürliche Art zu machen. Also das heisst die Charaktere sind mitten in ihrem Leben und agieren nicht "anders". Ich hoffe ihre versteht was ich meine. Sonst bitte nachfragen.

Deine Ausführungen @Mondfräulein sind gut nachvollziehbar und ich finde sie hilfreich.

Zitat @Elona
ZitatVielleicht liegt der Unterschied einfach darin, klarzustellen, also in der Story zu zeigen* (oder auch im Vor-/Nachwort?), dass eben diese eine Lebensrealität keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt.
*Idealerweise natürlich in der Geschichte selbst. Es ist ja eine Sache zu sagen, okay ich kenne das so von mir nicht, aber ich kann den Charakter/ den Menschen trotzdem verstehen und mit ihm mitfühlen.

Das habe ich mir so noch nie überlegt, könnte ich mir aber vorstellen, je nach Situation. Es kann dann natürlich nicht als Entschuldigung für (ich sage mal) schwierige Repräsentation hinhalten. Aber das ist eigentlich klar, denn ich denke wer so einen Hinweis schreibt, hat sich ziemlich sicher mit dem Thema befasst.

Ein Gedanke, der mir weiter oben beim Durchlesen kam, möchte ich doch noch mit euch teilen.
CN: Diverse Figuren intuitive schreiben oder planen.
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


AlpakaAlex

Ich finde das Thema durchgehend sehr kompliziert. Weil ich bin absolut der Überzeugung, dass es Tropes gibt, die per se "schlechte Repräsentation" sind und auch etwaigen marginalisierten Gruppen schaden. Das gilt nicht nur für LGBTQ*, sondern halt auch für jede andere marginalisierte Gruppe.

Um ein Beispiel aus einem anderen Feld zu nennen: Behinderte Figuren. Gibt es behinderte Menschen, die gerne geheilt werden wollen und gäbe es die Möglichkeit, eben magische oder SciFi Heilung sofort annehmen würden? Ja. Ist es dennoch super schädlich für behinderte Menschen, wenn ständig SciFi/Fantasy einfach ALLE Behinderungen/chronische Krankheiten magisch heilt? Ja.

Ich selbst lege immer vor dem Schreiben die Sexualität und das Gender meiner Figuren fest. Wie gesagt, ich bin absolut Plotter, aber ich halte es eben auch für wichtig, so etwas vorher zu wissen, weil es eben in den meisten Fällen auch eng mit dem Charakterhintergrund zusammenhängt. Ein queerer Charakter wird in den meisten Welten doch etwas andere Kindheits- und Jugenderfahrungen gemacht haben, als ein cishetero Kind. Und das wirkt sich natürlich auch auf das Erwachsene Leben aus. Also abgesehen davon, dass es sich natürlich auch auf ihr Umfeld auswirkt. Queere Figuren werden mehr queere Freund*innen haben, wenn es irgendwie die Möglichkeit dafür gibt. Das sind alles Aspekte, die in meinen Augen nicht ignoriert werden dürfen.

Zitat von: Mondfräulein am 01. April 2022, 22:03:43
Schlechte Repräsentation: Darunter zähle ich alles, was wirklich objektiv (soweit man das sagen kann) schlechte Repräsentation ist. Offensichtlich schädliche Tropes. Mir fällt jetzt direkt natürlich kein Beispiel ein, aber wenn ich euch ein konkretes Beispiel beschreiben würde, würden die allermeisten hier im Thread sofort erkennen, was das Problem daran ist. Hier sind wir schon in den sehr düsteren Gefilden des Graubereichs oder haben ihn verlassen. Solche Repräsentation verdirbt mir oft das ganze Buch, egal wie gut oder schlecht der Rest ist. Das trifft mich. Auf andere könnte es triggernd wirken. Hiermit meine ich Repräsentation, die ignoriert, was die meisten über Repräsentation sagen, Repräsentation die verletzt und mehr Schaden anrichtet, als dass sie hilft. Aber wie gesagt, das ist ein Ende des Spektrums, es gibt noch einen große Graubereich, den ich hier nicht meine.
Mir fallen natürlich direkt einige Beispiele ein. Vielleicht auch, weil ich so viel zu diesem Thema blogge. Also in erster Linie fallen mir Tropes ein - aber zu jedem Trope lassen sich leicht ein paar Beispiele finden.

Bury your Gays: Das habe ich ja schon im Plot Armor Thema angesprochen. Das ist halt eben, wenn es in einer Geschichte nur ein, zwei queere Figuren gibt und diese (oder zumindest einer von zwei) sterben. Bonus natürlich wenn es zwei sind und einer stirbt, dass beide in einer Beziehung waren und die überlebende Figur dadurch unglücklich "verwitwet" endet. Erstes Beispiel, das mir einfällt, ist halt Buffy mit Taras ziemlich Random Tod - der außerdem dann direkt genutzt wird, um bei Willow ein komplettes Villain Arc auszulösen. Uncool.

Cure your Gays: Das ist dann noch so ein anderer Themenbereich. Wenn ein Charakter homosexuell, asexuell oder trans ist, aber dann von einem anderen Menschen davon "geheilt" wird. Also sehr gerne: Ein Charakter ist lesbisch, aber irgendwie schafft es ein cis Typ sie von sich zu überzeugen und danach sind sie hetero. Und ja, damit meine ich: Danach sind sie explizit im Text benannt hetero, nicht etwa bi. Hier fällt mir direkt The Dresden Files ein, wo der bisexuelle Bruder des Hauptcharakters effektiv hetero wird, als er eine Freundin findet. Außerdem auch Bonus: In Dr. House werden asexuelle geheilt ...

All Gay Man are Pedophiles: Was der Tropename sagt und ich hoffe, das muss ich nicht erklären. Homosexualität mit Pädophilie gleichzusetzen ist unverzeihbar. Duh.

Gayngst & Gayngst-Induced Suicide: Geschichten, die sich komplett darauf fokussieren, wie schlimm es ist, queer zu sein und wie viel Leid das ist - schlimmstenfalls damit endend, dass sich das queere Charakter darüber selbst umbringt oder es versucht. Das sind einfach nur Geschichten, die super schädlich für queere Menschen sind. Okay, hier fällt mir auf anhieb kein Beispiel ein - weil ich solche Darstellungen eh meide.

Depraved Bisexual: Bisexuelle Figuren sind die ganze Zeit nur von ihren Sexualorganen gesteuert und würden alles ficken, das nicht bei 3 auf dem nächsten Baum ist. Ist halt massiv Bifeindlich diese Darstellung. Auch hier muss ich wieder die Dresden Files nennen, wo alle vorkommenden queeren Figuren bisexuelle Vampire sind, die eben durchweg in diesen Trope fallen (bis auf den geheilten Bruder)

Hide your Lesbians: Kommt in ein paar unterschiedlichen Variationen durch. Zum Teil Gaybaiting, das dann aber am Ende "Nein, eigentlich sind sie hetero" abzieht, zum Teil eben auch einfach ein klares: "Ja, also technisch gesehen sind sie lesbisch, aber praktisch gesehen haben sie natürlich keinen Sex." (Was auch wieder arg mit der entsexualisierung von Lesben zusammenhängt, da diese keinen penetrativen Sex haben.) Hier fällt mir als erstes Once upon a Time ein. Ja, hier gibt es canonische Lesben vor ... Aber auch sehr viele Figuren, die als lesbisch gebaitet werden und am Ende hetero sind.

The Evil Gay: Also hier kommt es drauf an: Ist der Bösewicht queer, während auch die Protagonist*innen alle queer sind? Kein Problem. Aber häufig (auch ein Überbleibsel des Hayes-Code, zeiht sich aber immer wieder durch. Antagonist*innen sind queer, die Protagonist*innen derweil dyacishetero. Bonuspunkte dafür, wenn impliziert wird, dass die Antagonist*innen böse sind, WEIL sie queer sind. Hier fällt natürlich die Disney Rennaissance ein.

Mir würden jetzt sicher auch noch diverse andere einfallen - aber ich denke das reicht erst einmal "to proof the point". Also es gibt definitiv ein paar Tropes die wirklich, wirklich schädlich sind.

Zitat von: Mondfräulein am 01. April 2022, 22:03:43
Word of God: Damit meine ich Repräsentation, die eigentlich keine ist. Es kommt vor, dass Autor*innen sich beim Schreiben gedacht haben, dass ihre Figuren queer sind, es aber nicht explizit in den Text schreiben. Manchmal gibt es Andeutungen, die man aber so oder so verstehen kann. Die Autor*innen sagen dann zwar hinterher, dass die Figur queer ist, es steht aber nicht im Text. Mit mir macht das ehrlich gesagt nicht so viel. Ich lese das meistens, als wäre keine Repräsentation vorhanden. Wirklich negativ rechne ich das den Autor*innen nur dann an, wenn sie sich hinstellen und Lorbeeren für etwas einheimsen, was sie nicht geleistet haben. Ich finde es oft etwas schade, aber ich würde das nicht direkt als schlechte Repräsentation verbuchen sondern eher als gar keine und da gibt es für mich noch einmal einen Unterschied.
Bonus hierbei, wenn man es eben hat, wie Rowling. Wo der eine schwule Charakter ein Bösewicht ist, der später stirbt, der andere Bösewicht im selbsterwählten Zölibat lebt. Also das kann dann durchaus auch noch mal problematisch werden.

Aber ja, was in diesem Zusammenhang eben auch da ist, ist dieses "Also wenn es keine Rolle spielt, sollte man es nicht ansprechen." Das ist halt einfach so ein kompletter Unsinn. Weil es eben bei hetero Figuren ständig angesprochen wird, dass sie hetero sind. Sei es dadurch, dass sie Expartner*innen erwähnen oder Ehepartner*innen und so weiter.
 

Mondfräulein

Zitat von: Yamuri am 02. April 2022, 08:19:12
Eine Frage: Wenn in einem Text explizit darauf verwiesen wird, dass ein männlicher Charakter keine romantischen Gefühle für Frauen hat, würdet ihr das schon als homosexuell lesen oder wäre euch das zu indirekt?

Es kommt hier eben auch sehr viel auf den Kontext an. Man muss eine Figur nicht immer "Ich bin schwul!" sagen lassen, um deutlich zu machen, was man meint. Wenn ich zum Beispiel schreibe:

Zitat"Ich bin ein Profi im Flirten", sagte er.
"Die Frauen stehen bei dir bestimmt Schlange."
"Oh, an Frauen bin ich gar nicht interessiert." Er grinste.

Dann wird schon ziemlich deutlich, was du damit meinst. Wenn ich aber schreibe:

Zitat"Er flirtet nicht gerne mit Frauen", sagte sie. "Eigentlich hat er überhaupt kein Interesse an ihnen."

Hier wird nicht klar, ob er generell kein Interesse an irgendjemandem hat, ob es nur an den Frauen liegt oder ob das nur eine Interpretation der Sprecherin ist. Er könnte hier zum Beispiel auch asexuell und/oder aromantisch sein.

Zitat"Ich habe kein Interesse an Frauen", sagte er und nahm noch einen Schluck Bier.

Hier wird klar, dass er auf irgendeine Art und Weise queer ist, aber nicht, ob er asexuell und/oder homosexuell und/oder aromantisch ist. Das würde ich nochmal irgendwie spezifizieren.

So ein genereller Tipp von mir: Queerness lässt sich oft (außer vielleicht bei Asexualität und Aromantik) besser positiv als negativ definieren. "Er steht nicht auf Frauen" ist eine negative Definition. Das meine ich nicht wertend, sondern meine damit, dass ich die Sexualität darüber definiere, was jemand nicht ist bzw. indem ich eine andere Sexualität negiere. "Er steht auf Männer" lässt immer noch offen, ob jemand homosexuell oder bisexuell ist, aber so etwas lese ich persönlich viel lieber. Das lässt sich natürlich nicht pauschalisieren. Manchmal passt im Kontext eine negative Definition tatsächlich besser. Aber es lohnt sich in solchen Fällen glaube ich, das noch einmal umzudrehen und zu schauen, ob eine positive Definition nicht auch passen würde.

Zitat von: Elona am 02. April 2022, 11:49:13Da habe ich auch gleich eine Frage zu "Word of God": meinst du damit, dass man es wirklich explizit (beim Namen) nennen muss?

In meinem zuletzt veröffentlichten Buch habe ich mich z.B. bewusst dazu entschieden, es eben nicht zu benennen, weil wir da irgendwo bei der Sache waren die @Evanesca Feuerblut angesprochen hat. Der eine Charakter spiegelt zum Teil meine Lebensrealität wieder und ich wollte ehrlich gesagt keine Angriffsfläche mir gegenüber liefern, was ich mit einer Bezeichnung einfach getan hätte (Stichwort "nicht queer genug"). Ich hoffe natürlich, dass ich es trotzdem zeigen konnte, aber ganz sicher ist man natürlich nur, wenn man es benennt, das ist klar.

Mich würde trotzdem mal deine Meinung dazu interessieren (oder natürlich auch gern von anderen).

Das kommt finde ich immer drauf an. Mir persönlich ist hier vor allem wichtig, dass es deutlich wird. Einerseits, weil ich mich erst dann wirklich vom Buch gesehen fühle, andererseits, weil mir die Repräsentation dann niemand mehr wegnehmen kann und es für Sichtbarkeit sorgt. Verschiedene Identitäten sind da meiner Meinung nach einfacher zu zeigen als andere. Bei homo- und bisexuellen Figuren muss man das Label nicht immer benutzen. Eine meiner Protagonistinnen erwähnt an einer Stelle, dass sie mal mit einer Frau zusammen war, dadurch wird klar, dass sie nicht hetero ist und auch auf Frauen steht. Das habe ich auch so gemacht, weil das für mich genug wäre, wenn ich es in einem Buch lesen würde. Bei asexuellen Figuren wird es deshalb schwieriger, weil die Identität generell sehr unsichtbar ist und gerne übersehen wird, aber möglich ist es dennoch und das Bewusstsein dafür steigt auch. Das kommt immer auf die Umsetzung an. Victor Vale aus Vicious erwähnt im zweiten Band, dass er asexuell ist, ohne das Wort explizit in den Mund zu nehmen, vielmehr gibt es einen Absatz, der seine Beziehung zu Sex beschreibt und aus dem sehr deutlich hervorgeht, was Sache ist. Das fand ich sehr schön dargestellt.

Wenn du aber eine Figur hast, die deine eigene Lebensrealität widerspiegelt, ist das meiner Meinung nach sowieso nochmal ein ganz anderer Fall. Die Bedürfnisse der Leser*innen stehen hier finde ich nicht über deinem Bedürfnis, dich selbst auszudrücken und das auf eine Art und Weise zu tun, die für dich sicher ist. Klar, auch Own Voices Repräsentation kann schlechte Repräsentation sein, wenn sie miese Tropes reproduziert. Aber all das ist ja nur deshalb ein Problem, weil es queeren Menschen schadet. Deshalb bin ich vorsichtig, queeren Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie über die eigenen Erlebnisse zu schreiben haben. Wenn das für dich die richtige Entscheidung war, dann war das die richtige Entscheidung.

Generell stört mich aber die ganze "nicht queer genug" Sache sehr. Nicht von dir, sondern einfach, dass man sich überhaupt so oft diese Frage stellen muss. Ich finde dieses Gatekeeping sehr ungesund und es schließt viele aus, die aber eben eindeutig queer genug sind und einen Platz in der Community haben sollten, zum Beispiel bisexuelle Menschen in hetero wirkenden Beziehungen oder asexuelle/aromantische Menschen.

Yamuri

@Elona: Da hast du Recht und im Nachhinein hätte ich mir das auch selbst denken können, dass der Satz für sich allein betrachtet, natürlich relativ nichtsaussagend ist. ;) Um meine Frage beantworten zu können, wie der Charakter gelesen werden kann, müsste man sich wohl nicht nur den Kontext der Szene sondern auch die Entwicklung im Gesamtwerk ansehen. Meine Frage war insofern auch sehr unbedacht formuliert, weil ich den Kontext komplett außen vor gelassen habe. In meinem konkreten Fall, taucht der Satz auch in der passiven, narrativen Beschreibung auf und nicht in der wörtlichen Rede. Er ist mehr eine beschreibende Erklärung, die verhindern soll, dass das Verhalten des Charakters einem anderen Charakter gegenüber als romantische Gefühle missgedeutet werden. Weil Chara 1 sich Chara 2 gegenüber so ausdrückt, dass es auf Leser:innen so wirken könnte, als bestünde zwischen den Beiden eine engere Bindung, was aber nicht der Fall ist.

@Mondfräulein: Danke für deine Beispiele und die Erwähnung des Kontextes. Da hast du völlig Recht. Der Satz allein kann nur im Kontext beurteilt werden. Im Moment würde ich sagen, ist es so ausgedrückt, dass es tatsächlich nur verdeutlicht, dass er eben keine romantischen Gefühle für seine Kollegin hat (der gegenüber er sich ein wenig missverständlich verhalten hat, was solche Gefühle suggerieren könnte) und generell Frauen nicht als potenzielle Partnerinnen im romantischen Sinn sieht. Ich denke aber ich gehe über die Stelle nochmal drüber, weil sie sich beim Drüberlesen nicht rund anfühlt, da im Deutschen der Begriff Partner:in auch unterschiedlich gelesen werden kann. Die Szene ist im Gesamten dann doch etwas sehr undurchsichtig.

Danke euch für eure Kommentare zu meiner Frage. :)
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman