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Gratwanderung Recherche-Dump

Begonnen von Sprotte, 02. August 2012, 15:55:05

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Sprotte

Moin!

Ein Thema, das mich schon länger verfolgt. Eben habe ich noch lange mit Maran deswegen telefoniert.
Der Recherche-Dump

Recherche/Weltenbau ist unerläßlich für einen guten Roman. Ein Leser merkt, so behaupte ich, wenn ein Autor da irgendwo geschlampt hat oder mit fröhlichem "Ist-so!" eigene Spielregeln oder grundsätzliche Fakten ignoriert. Der Roman wirkt dadurch unglaubwürdig, und irgendwo auf dem Wege zum Finale verliert der Autor seinen Leser.
Beispiele aus meinen eigenen Romanen: Der Held marschiert los mit einer PumpGun, die aber magischerweise statt der üblichen vier bis acht satte dreißig Schuß hat. Danke. Oder die gerne gemachte Verwechslung von Pistole und Revolver (manchmal auch dem Thesaurus geschuldet).
Wer sich in eine fremde Welt vorwagt, muß also recherchieren - so gründlich wie irgendwie möglich.

Aber: Kommt die Zeit der Niederschrift, neigen manche Autoren zu Selbstprofilierung. Sie haben recherchiert! Monate Arbeit investiert! Das soll der Leser gefälligst merken!
Wenn der Autor nicht mehr unterscheiden kann, was an Wissen für ihn selbst wichtig ist, wie viel der Leser davon aber tatsächlich benötigt, tritt der Recherche-Dump ein.

Was meint Ihr?

sirwen

Ich denke, dass ein Autor so viel Hintergrundwissen und Infos einstreuen kann, wie er will. Die einzige Bedingung ist, dass der Leser nicht bewusst merken soll, mit was für Informationen er gestopft wird. Sobald das passiert, kommt es zum unangenehmen Info-Dump. Aber das zu bewerten, würde ich am besten Beta-Lesern überlassen. Schliesslich ist es eine sehr subjektive Sache.
Generell würde ich sagen, dass Detailreichtum erlaubt ist, wenn die Handlung nicht gestört wird. Eine glaubwürdige Welt schafft immerhin auch eine Atmosphäre, in die man sich als Leser begeben will.

Pestillenzia

Ich finde auch, dass es manchmal eine schwierige Gratwanderung ist und ich sehe es manchmal an mir selbst, dass ich etwas einbauen will, das ich recherchiert habe,  aber für die Geschichte nicht notwendig ist und sich auch nicht richtig einfügen will. Inzwischen merke ich es meistens und streiche wieder, manchmal geht aber auch der Gaul mit mir durch mit dem Ergebnis, dass die überflüssige Info beim Überarbeiten fliegt.

Ich finde es als Leser unangenehm und irgendwo zwischen langweilig und aufdringlich, wenn ein Autor mir zu viele Infos unterjubeln will. Ich habe einmal einen Krimi gelesen, der in einer Bergbausiedlung spielte und auch teilweise in einem Bergwerk. Die Autorin hat so viele Bergbauinfos eingebaut, die absolut nicht notwendig gewesen wären und das Tempo des Romans ordentlich gedrosselt haben. Leider, denn ohne die überflüssigen Infos hätte man der Handlung dennoch folgen können und sie wäre um einiges spannender gewesen. In einem Krimi von E. George (?) kommen immer wieder endlose Passagen über Gärtnerei, die waren fürchterlich ermüdend und haben mir den Spaß stellenweise ordentlich verdorben.

Ich bin deshalb ein Anhänger davon, nur so viele Infos zu streuen, wie unbedingt nötig, um der Handlung folgen zu können. Das gilt in meinen Augen auch für Beschreibungen von realen Orten. Wenn der Autor zeigen will, wie gut er sich in der Stadt auskennt und alles bis ins Detail beschreibt, finde ich das furchtbar. Ich habe dann eher den Eindruck, dass er sich beim Leser "lieb Kind" machen und seine Kompetenz beweisen will. 
Wenn der Autor fundiertes Wissen hat, ist das ganz sicher von Vorteil, weil er dann weiß, wovon er schreibt und man das als Leser auch merkt. Aber er muss es mir nicht unter die Nase reiben.

@Sprotte: über den Revolver-Pistolen-Fehler könnte ich mich jedesmal tierisch aufregen. Das ist nun wirklich eine absolut simple Sache und dürfte in einem Thriller/Krimi oder ähnlichem nicht vorkommen. Tut es aber. Sogar bei meinem Lieblingsautor Jo Nesbo, wo der Protagonist das Magazin seines Revolvers wechselt. Da hätte ich entweder den Autor oder den Übersetzer (je nachdem, wer das verbrochen hat) am liebsten in einen Ameisenhaufen gesetzt.

Um es kurz zu machen: fundiertes Wissen beim Autor ja, aber dem Leser darf es nicht aufgezwungen werden.

Serafina

Für mich kommt es darauf an, wie der Autor die Informationen einstreut. Wenn dies an sinnvollen Stellen und in den richtigen Dosen erfolgt, habe ich kein Problem damit, wenn etwas mehr ins Detail gegangen wird. Meistens weiß ich es zu schätzen, wenn man merkt, dass der Autor weiß wovon er redet und sich wirklich Gedanken gemacht hat.
Wenn ich allerdings über Seiten hinweg mit irgendwelchen Beschreibungen und Erklärungen zugemüllt werde, verliere ich sehr schnell das Interesse. Ich möchte schließlich unterhalten werden. Und dies erreicht ein Autor garantiert nicht dadurch, dass sich sein Werk plötzlich wie ein Schulbuch lesen lässt. (Wer findet das schon unterhaltsam?  ;))
Jedoch halte ich das Gegenteil, wenn man also bemerkt, dass der Autor nicht richtig recherchiert hat, für noch viel ärgerlicher, obwohl sich das Buch in diesem Fall wohl trotzdem flüssiger lesen lässt.

Kati

Ich denke auch, dass man als Autor darauf achten sollte, die Infos so einzubauen, dass der Leser gar nicht merkt, dass er was lernt. Also nicht als einen Block, den man ueberspringen koennte, wenn man denn wollte. Sondern eher als Teil der Handlung. Bei der Sache mit dem Bergwerk koennte man das zum Beispiel gut so machen. Ausserdem sollte man es aus Sicht der Charaktere machen. Wenn ich aus der Sicht eines Arbeiters schreibe, der das Werk auswendig kennt, wirkt es unglaubwuerdig, wenn ein anderer Chara ihm staendig bei der Arbeit erzaehlt, wie was jetzt ist. Allerdings koennte der Chara einem Neuen alles erklärten.  :) Ich denke, durch Dialog laesst sich das eh besser loesen, als so im Text.

Sprotte

Maran und ich sprachen unter anderem über Dan Brown: Man merkt, daß er recherchiert hat, aber er läßt es einen nicht spüren.

Ein weiteres gutes Beispiel finde ich, ist Georgette Heyer. Die wußte wirklich alles über die Epoche, in der ihre Romane spielten. Aber sie hat niemals *bonk* ein Paket Informationen in die Ecke geklatscht, sondern feindosiert (und mitunter leicht spöttisch) die wirklich notwendigen Daten einfließen lassen.

Das Ganze dürfte auch noch genreabhängig sein. Eine Kathy Reichs (Bones-Romane) muß naturgemäß mehr von ihrer Arbeitsweise und ihrem Wissensschatz als Information an den Leser weiterreichen.

Alana

#6
Ach ja, das kenne ich. Besonders wenn ich über total interessante Details oder Anekdoten stolpere,n (ich liebe sowas ja) gerate ich in Versuchung, sie auf Gedeih und Verderb dem Leser aufzuzwingen. Bisher konnte ich mich meistens beherrschen.
Dafür habe ich einen anderen Fehler gemacht und erst gar nicht gemerkt, was mich daran gestört hat: Ich habe die Recherche viel zu wissenschaftlich eingebunden. In dem Fall ging es um die Beschreibung eines Gebäudes. Ich wollte, dass der Leser sich zurecht findet, habe also alles ganz genau beschrieben. Nicht nur, dass das viel zu lang war, es war auch völlig losgelöst von der Geschichte, einfach Sätze reingestreut, die gar nicht zum restlichen Text passten. Das war also wirklich ein Dump. Ich habe jetzt einiges rausgenommen und versucht, die Beschreibung auch stilistisch interessant auszudrücken. Ich bin gespannt, was meine Betas dazu sagen.
Alhambrana

Churke

Was ist Info? Und was ist Dump?

Es gibt berühmte Bücher, die bestehen zu einem Gutteil aus Anekdoten und Geschichten von minorer Plotrelevanz. Beispielsweise "Alatriste" oder "Per Anhalter durch die Galaxis".
Es darf nur nicht aufgesetzt sein und muss authentisch wirken.

Zitat von: Pestillenzia am 02. August 2012, 16:24:56
Sogar bei meinem Lieblingsautor Jo Nesbo, wo der Protagonist das Magazin seines Revolvers wechselt. Da hätte ich entweder den Autor oder den Übersetzer (je nachdem, wer das verbrochen hat) am liebsten in einen Ameisenhaufen gesetzt.

Da ist die Frage, was mit dem "Magazin" gemeint ist. Für Revolver gibt es Schnelllader, mit denen die Patronen in 2 Sekunden in der Trommel sind. Kein Magazin, aber vielleicht hat der Autor nur eine passende Entsprechung gesucht, die den Ladevorgang mit wenigen Worten skizziert. Ausgerechnet während einer Schießerei zu erklären, wie ein Schnelllader funktioniert, halte ich nicht für besonders empfehlenswert. Das ist wie eine Werbepause bei einem Cliffhanger.

pink_paulchen

Und, aber das ist nur eine vorsichtige Vermutung und sicher hochgradig Geschmackssache, machen nicht manche Infodumps auch besondere Atmosphäre? Falle ich nicht dann ins Setting, wenn ich in einer Science-Fiction Geschichte die Funktion eines Tricorders erklärt kriege? Oder in einem Steampunkroman die eines Telektroskops?
Nicht plump, das wäre doof. Aber ein bisschen Technikbabbel oder Historie abseits vom Plot brauche ich als Leser schon. Zumindest bei allen phantastischen Genres. In einem zeitgenössischen Krimi weiß ich wie ein Fön geht, ich kann mir vorstellen wie ein Kühlschrank oder Auto funktionieren. Aber wie ein Phönix in der aktuellen Geschichte aussieht und welche historische Begebenheit dazu führt, dass der Protagonist sich nicht traut in das Land des Feindes zu marschieren: das kann wegen mir gern mal ein Abschnitt abseits der Handlung, rein zur Erklärung sein.
Alles zwanghaft in den Plot zu quetschen oder in Halbsätzen im Dialog zu umreißen, finde ich bei manchen Dingen zu wenig. Aber vielleicht habe ich auch nur Spaß daran, das zu schreiben. Als Sachtext-Verfasser quasi  :snicker:

DEckel

Auf jeden Fall hochgradige Geschmacksache, aber:

ZitatOder in einem Steampunkroman die eines Telektroskops?

Unbedingt  ;)

Ich denke dass jeder erstmal so schreiben sollte wie er sich das vorstellt. Wenn sich die Betaleser später erschlagen fühlen werden sie sich schon melden... Das macht natürlich etwas mehr Arbeit, aber lieber schreibe ich später etwas um, als eine Information wegzulassen die das Setting noch realistischer und greifbarer gemacht hätte. 

Notrya

Zitat von: Pestillenzia am 02. August 2012, 16:24:56
Ich bin deshalb ein Anhänger davon, nur so viele Infos zu streuen, wie unbedingt nötig, um der Handlung folgen zu können.

So sehe ich das auch. Obwohl ich zugeben muss, dass ich manchmal auch dazu tendiere, Recherchedump einzubauen - oder ganz im Allgemeinen unwichtige Dinge bei exzessiven Beschreibungen fiktiver Orte. Das fliegt dann beim Überarbeiten meist alles raus, bzw. wird auf ein bis zwei Sätze reduziert, sofern es nicht irgendwie doch wichtig für die Handlung ist, denn mich nervt es in meinen eigenen Geschichten genauso wie bei Büchern, die ich lese, ziemlich, wenn der Autor sich seitenlang mit unwichtigen Details aufhält... Zumal ich dann immer denke, wenn er das so ausführlich beschreibt, dann ist das bestimmt wichtig für die Geschichte, wenn nicht in dem Augenblick, dann in einem späteren Kapitel, also versuche ich, mir alles zu merken und verliere irgendwann den Faden. :seufz:

Das ist mir übrigens sogar bei dem Sachbuch, das ich Korrektur gelesen habe, passiert. Da waren so viele Hintergrundinfos drin - keine Frage, die waren alle spannend -, dass ich teilweise den roten Faden verloren habe... und das in einem Sachbuch, da erscheint es irgendwie paradox, von "Recherchedump" zu sprechen. :gähn:


Pestillenzia

Zitat von: Churke am 10. August 2012, 13:04:54
Da ist die Frage, was mit dem "Magazin" gemeint ist. Für Revolver gibt es Schnelllader, mit denen die Patronen in 2 Sekunden in der Trommel sind. Kein Magazin, aber vielleicht hat der Autor nur eine passende Entsprechung gesucht, die den Ladevorgang mit wenigen Worten skizziert.
Ich kenne Schnelllader für Revolver. Der war definitiv nicht gemeint, das ergab sich aus dem Zusammenhang. Später kam dann auch noch der Verwechslungs-Klassiker MP - Maschinengewehr... :pfanne: [/OT]

Maran

Ich denke, die eigentliche Kunst besteht darin, zumindest bei Nebensächlichkeiten detaillierte Rechercheergebnisse untergründig mit in die Geschichte einzubringen. Das gibt der story einfach mehr Tiefgang, einen 3D-Effekt sozusagen. Dies bedeutet nun nicht, daß man die Dinge bis in Kleinste beschreiben muß. Eher funktioniert es auf die Art, daß man beim Leser gewisse Kenntnisse einfach voraussetzt (ob die nun vorhanden sind, oder nicht, ist dabei zweitrangig) und mit ihm plaudert, als wäre er ein guter Bekannter, der weiß, wovon man redet, ohne daß man es lange erklären muß. Wenn den Leser diese Nebensächlichkeiten näher interessieren, kann er ja selbst nachschlagen, wenn nicht, dann darf es sich auch nicht störend auf den Lesefluß auswirken.

Anders sieht es natürlich bei plot-relevanten Dingen aus. Die muß man schon näher erklären. Schließlich will man ja, daß der Leser der Geschichte folgen kann.

Maran

Gerade bin ich bei Facebook hierauf gestoßen: http://paulocoelhoblog.com/2012/06/21/tips-for-writing/

Dort werden noch andere Dinge angesprochen, die nichts mit Recherche zu tun haben.