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Können gegen Emotionen - Was ist wichtiger?

Begonnen von Nightingale, 05. April 2013, 00:08:04

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Sanjani

Hallo zusammen,

ich musste bei einigen Beiträgen nicken und dachte, ja, das sehe ich auch so. Für mich ist u. a. auch sehr wichtig, dass der Sprachrhythmus stimmt und dass der Stil dem Inhalt angemessen ist. Gerade bei Emotionen kann beides gut sein, bildhafter poetischer Stil, aber auch eine ganz einfache Formulierung ohne jeden Schmuck kann mich zum Weinen bringen, wenn das ganze Drumherum stimmt. Ich denke, wenn man überladen schreibt, dann ist das auch kein guter Stil, weil ihm die Angemessenheit fehlt. Oder man schreibt so, wie Maja es geschildert hat, das ist dann auch Mist. Wenn ich so etwas lese, ist für mich die Tür zu. I. d. R. schafft es so eine Geschichte nicht mich zu fesseln. Und wenn ich mich selbst betrachte und das alles zusammennehme, denke ich, dass das Können an erster Stelle steht. Warum? Ganz einfach: Weil ich eine Emotion nicht selbst fühlen muss um sie dem Leser zu vermitteln. Im dümmsten Fall muss ich auch nicht in der richtigen Stimmung zu sein um die Emotion zu schreiben, ich muss nichts fühlen, weil ich weiß, wie ich Worte verwenden muss, damit sie angemessen sind und eine Emotion wiedergeben. Ich merke das z. B. manchmal an meiner Schreibe, wenn ich an einer Szene sitze und gar nichts fühle und alles mechanisch von der Hand geht, ich aber danach eine Nacht drüber schlafe und beim Korrekturlesen denke, dass es doch ganz gut geworden ist. Deshalb glaube ich, je besser man sein Handwerk beherrscht, desto eher kann man dann auch genau das transportieren, was man transportieren möchte.

LG und gute Nacht,

Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Amber

#31
Nachdem ich den Thread jetzt ein paar Tage lang verfolgt habe, aber immer zu müde war zu posten, möchte ich jetzt auch mal meinen Senf dazugeben. Eine sehr interessante Diskussion, und ich freue mich, dass sie gerade jetzt kommt, weil ich mir in der letzten Zeit auch sehr viel Gedanken über Stil gemacht habe.

Ich bin momentan mit meinem eigenen Stil sehr unzufrieden, kann aber gar nicht genau festmachen, woran das liegt, außer sicherlich an mangelnder Übung. Wie die meisten hier bin ich auch der Meinung, dass Stil und Emotionen nicht zu trennen sind. Deshalb hab ich natürlich Sorge, dass mein schlechter Stil die Geschichte runterzieht, die mir doch so am Herzen liegt, aber ich schreib jetzt einfach trotzdem weiter  :prost:

Jedenfalls fällt mir in den meisten Romanen, die ich so lese, der Stil nicht besonders auf. Das ist meiner Meinung nach schonmal positiv, weil man sich auf die Geschichte konzentrieren kann, ohne irgendwo 'hängenzubleiben' und herausgerissen zu werden. Bei schlampigen Übersetzungen fällt einem natürlich öfter ein Ausdruck als komisch auf. Da kann ich aber drüber hinwegsehen, wenn das Buch ansonsten unterhaltsam bzw. spannend ist.

Trotzdem braucht ein Buch für mich mehr als nur gut lesbaren Stil, um mir wirklich im Gedächtnis zu bleiben. Es gibt Autoren wie z. B. Virginia Woolf, deren Stil ich so schön finde, dass ich manchmal ganz vergesse, was sie eigentlich sagen will. Das ist aber auch nicht schlimm, es ist für mich eben eher wie ein Gedicht zu lesen. Wenn ich dann mal durchgestiegen bin, was sie meint, berührt mich das auch sehr. Sie schafft es, durch ihre besondere Sprache auch alltäglichen Dingen etwas Besonderes zu verleihen. Das würde ich - ansatzweise! - auch gerne irgendwann mal können.

Vielleicht ist es wirklich die 'individiduelle Stimme', die für mich guten Stil ausmacht? Gleichzeitig muss es aber zum Inhalt passen und natürlich klingen. Kafka oder Ende haben ja auch eine eher einfache Sprache, aber ich kann mir vorstellen, dass gerade dahinter sehr viel Arbeit steckt. 

Der Funke-Kritik muss ich mich anschließen, diese Autorin hat mich noch nie mit irgendeinem ihrer Bücher emotional mitgerissen. Ich finde ihre Plots und Charaktere irgendwie total 'weichgespült'. Als Zeichnerin finde ich sie wesentlich besser.

Just my two pennies. Ich werde noch bisschen darüber nachdenken ...

Cailyn

ZitatOder kommt es eher darauf an, was man mit seinen Lesern macht? Ich kenne es von mir, dass ich gar nicht mehr auf den Stil achte

Ein guter Stil ist unbedingt wichtig und unabkömmlich. Es soll natürlich nicht konstruiert wirken. Doch ein guter Stil - was ja ohnehin subjektiv ist - ist sicherlich eine Bedingung für ein gutes Buch. Emotionen beim Lesen und Stil kann man doch kaum trennen, denn im Schreiben werden Emotionen ja gerade mit Worten zum Leben erweckt.

Gerade eben habe ich das Buch "Wind" von Alex Pehov gelesen. Die Story ist mittelmässig, zum Ende hin recht gut. Doch der Schreibstil ist einfach nur zum Haare ausreissen. Ich weiss natürlich nicht, ob's an der Übersetzung liegt. Russisch (die Originalsprache) ist halt schon etwas anders als Deutsch. Aber an diesem Buch habe ich sehr gut gemerkt, wie wichtig der Schreibstil ist. Wäre das Buch besser geschrieben, würde ich den zweiten Teil sicherlich auch noch lesen. Aber ich ärgere mich richtiggehend, dass ich mir als Leserin sowas schlecht Geschriebenes antun soll.

Allerdings finde ich es widerum unnötig, dass man Geschichten stets total super individuell, kreativ und ausgeklügelt erzählt. Es darf von mir aus auch mittelmässig geschrieben sein. Aber eben auch nicht schlechter als mittelmässig. Wenn z.B. jemand ständig gleiche Verben oder Adjektive benutzt, die Sätze nicht rhythmisch und im Fluss sind oder die Wortwahl nicht passt, dann überzeugt das wenig. Ich bin zum Beispiel etwas heikel in Fantasy-Romanen, die in einer mittelalterlichen Zeit spielen und dann gebraucht ein Autor so hochmoderne Begriffe wie Briefträger oder Kommunikation oder Qualität. Das ist für mich auch ein schlechter Stil, der mich echt stört.

Dass einem übrigens der Stil beim Lesen nicht auffällt, heisst ja noch nicht, dass das deswegen ist, weil der Stil nicht vorhanden ist. Es gibt prägsame Stile, jene, die Charakter haben und an die man sich länger erinnert und es gibt die "leisen" Stile, die eher neutral gehalten werden. Beide Stile können zum Erfolg eines Buches beitragen. Wichtig daran finde ich einfach, dass es stimmig geschrieben ist. Stimmig ist aber schwierig zu definieren...

Sternenlicht

Ich glaube, dass Emotionen - sofern sie nur stark genug sind - sich eindeutig gegen Können, Stil, Vernunft usw. durchsetzen.
Letztlich bestimmen Emotionen unser Leben viel stärker als intellektuelle Überlegungen. Die meisten Entscheidungen, die wir treffen, basieren auf Gefühlen, wir rechtfertigen sie nur mit rationalen Überlegungen. Insofern fühlen wir von einem Buch, das starke Emotionen in uns hervorruft, viel stärker angezogen, als einem Buch, das "nur" schön geschrieben, gut konstruiert und in sich logisch ist.

Deshalb lesen viele Menschen gern dramatische, übertriebene Liebesromane  :d'oh: oder reißerische Thriller, deshalb ist Hollywood so erfolgreich. Die meisten Leser wünschen sich sicherlich beides, aber am Ende gewinnt doch die Emotion.

Das erklärt auch, warum Kritiker und Wissenschaftler oft einen völlig anderen Blick auf Kunst, Literatur, Architektur usw. haben. Sie bewerten das "Werk" mit dem Verstand, "intellektualisieren" es, was naturgemäß häufig zu einem völlig anderen Ergebnis führt.

Ich würde diese Erkenntnis jetzt nicht unbedingt als Leitfaden für mein Schreiben nehmen wollen, aber so sieht meiner Meinung nach die Realität aus  ;)


Lavendel

Ich sags ja nur ungern, aber ich lese hier aus einigen Posts heraus, das Erzeugen von Emotionen beim Leser sei wichtiger als Können. Natürlich wollen die Leute emotional angerührt werden - auf welcher Ebene auch immer - deshalb kaufen sie ja schließlich Romane. Vorwiegend zumindest.

Romane allerdings transportieren ihre "Botschaft" über ein bestimmtes Medium, nämlich über Sprache. Wenn die Sprache aber Mist ist, wie soll sie dann Emotionen hervorrufen? Dabei geht es nicht darum, ob der Stil eher sachlich oder sehr poetisch ist. Ich fand Max Frisch zum Beispiel immer hochemotional, obwohl er manchmal fast Beamtensprache schreibt. Selbst Heftromane, Liebesschnulzen oder Thriller folgen einem gewissen "Stil", den man sicherlich für banal und sogar lächerlich halten kann, was allerdings nichts daran ändert, das ein System dahinter steckt, das vom Autor ein gewisses Maß an Sprachbeherrschung und -verständnis verlangt, um es reproduzieren zu können.

Wer keinen "Stil" hat, das bedeutet, wer die Sprache nicht im Griff hat, der kann letztlich auch keine Emotionen vermitteln, und ich meine aus einigen Beiträgen herauszulesen, es ginge eben auch ohne Können, wenn man nur die Emotion transportiert. Um das Handwerk kann sich eben niemand drücken.

Maja

#35
Ich kann mich Lavendel nur anschließen. Ein Beispiel für ein Schriftstück, dass das Erzeugen von Emotionen beim Leser über alles Können, Stil, Recherche, Ethik etc. stellt, ist die Bildzeitung. Wollt ihr wirklich dahin? Oder ist das nicht doch etwas billig? Schreiben ist mehr als nur ein reiner Gefühlsporno, wenn ihr mich fragt.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Kati

Maja, so hatte ich das auch nicht gemeint, als ich den Thread eröffnet habe. Mir ging es eher darum, ob klinisch kaltes Können überhaupt ausreicht, um ein gutes Buch zu schreiben. Oder ob nicht auch das Erzeugen von Emotionen wichtig ist. Ich möchte kein Buch lesen, indem mir die Figuren völlig egal sind und, wenn ein Autor es schaffte mich traurig oder glücklich werden zu lassen, weil mit einer fiktiven Person etwas passiert, dann finde ich das schon gut. Ich mag aber auch kein Buch lesen, in dem von einer schrecklichen Katastrophe in die nächste gerauscht wird, um ja alles dramatisch und drastisch aussehen zu lassen. Das ist auch nicht das, was ich unter Emotionen erzeugen verstehe.

Ich würde auch nie sagen wollen, es könnte ohne Können gehen, wenn man Emotionen vermitteln kann. Keineswegs. Dass das nicht geht, sieht man ja an machen Fanfictions, da ist das meiner Meinung nach Gang und Gebe Emotionen über schriftstellerisches Können zu stellen und meistens ist das Ergebnis unterhaltsam, aber auch zum Fremdschämen. Und von Ethik, Recherche und dergleichen hatte ich auch gar nicht anfangen wollen, das ist nochmal ein ganz anderes Fass, finde ich.

Naudiz

Wie, in diesem Thread habe ich noch nicht geschrieben? Ich sag' doch, Jugendalzheimer.

In meinen Augen braucht ein guter Roman ein 50/50-Verhältnis aus Können und Emotion. Ein Buch kann noch so gut geschrieben sein - wenn es absolut gefühlskalt daherkommt, kann es mich nicht fesseln, und es ist wahrscheinlich, dass ich es beiseite lege. Da hilft der beste Stil nicht. Andersherum bringen mir aber auch Emotionen nichts, wenn sie schrottig verpackt sind.

Die Unterscheidung zwischen Können und Emotion finde ich ohnehin etwas seltsam. Gefühle rüberzubringen, den Leser damit zu fesseln, ihn ganz eintauchen zu lassen in die Welt und die Figuren, das ist eine Kunst, und als solche erfordert es Können, meiner Meinung nach nicht gerade wenig davon.

Mir persönlich ist auch wichtig, dass der Sprachstil des Autoren zur Geschichte, zum Setting und zu den Figuren passt. In einer mittelalterlichen Welt werden wohl kaum Begriffe wie, was weiß ich, Klamotten oder knutschen verwendet werden. Wenn der Autor das dann trotzdem macht, geht mir das ziemlich gegen den Strich. Genauso finde ich es aber seltsam, wenn der Cyborg-Protagonist einer 3000 Jahre in der Zukunft spielenden Dystopie auf einmal sagt: "Mich deucht, Euch stach der Hafer?"

Lavendel

Die Leser emotional anzusprechen ist doch ein Teil des schriftstellerischen Könnens. Ich kann das nicht auseinanderdividieren. Wer bei seinen Lesern kein Gefühl auslöst, kann auch nicht literarisch schreiben. Höchstens Gesetzestexte oder so. Das erfordert ja auch einen gewissen Stil und ein hohes Maß an Können, hat aber mit Literatur gar nichts zu tun.

Cailyn

#39
Zitat von: Lavendel am 21. Juni 2013, 09:09:59
Wer keinen "Stil" hat, das bedeutet, wer die Sprache nicht im Griff hat, der kann letztlich auch keine Emotionen vermitteln, und ich meine aus einigen Beiträgen herauszulesen, es ginge eben auch ohne Können, wenn man nur die Emotion transportiert. Um das Handwerk kann sich eben niemand drücken.

Ich schliesse mich dem vollends an.

Kati,
Gibt es ein "kaltes Können", wie du schreibst? Irgendwie ist mir dies noch nie begegnet. Können und Erzeugen von Emotionen sind doch untrennbar. Wenn jemand schlechte Sätze macht, erzeugt das ja einfach auch keine Emotionen. Meinst du mit kaltes Können vielleicht, wenn jemand sehr formal und sachlich schreibt? Das gibt es natürlich schon.

Ich würde es mal so sagen: Es gibt gut geschriebene Bücher, die keine Emotionen hervorrufen (= gut i.S.v. korrekt geschrieben, guter Aufbau, fehlerfrei); und es gibt gut geschriebene Büche, die viele Emotionen hervorrufen (=gut i.S.v. korrekt geschrieben, guter Aufbau, fehlerfrei, guter Stil und guter Plot).

Aber ein Buch, das einen super Plot hat und emotionale Themen aufweisen kann, wirkt dann eben nicht so wie es gedacht war, weil der Autor es ja nicht so rüberbringen kann, wie er / sie es sich vorgestellt hat. Ist das nicht die eigentliche Kunst des Schreibens? Emotionales, Wichtiges und Spannendes auch emotional und wichtig und spannend rüberbringen?

Einzig die Rechtschreibung halte ich nicht für die Voraussetzung, um Emotionales transportieren zu können. Natürlich ist es unschön, wenn jemand die Kommaregeln gar nicht beherrscht oder ständig Gross- und Kleinschreibung verwechselt. Aber irgendwie scheint mir das weniger wichtig zu sein. Findet ihr nicht auch? Satzbau, Wortwahl und Textaufbau sind da viel massgebender für eine gute Geschichte.