Ich glaube, es ist insgesamt einfach extrem komplex, und ich fühle mich auch eigentlich nicht tief genug im Thema drin, um viel beizusteuern. Was mir aber noch einfiel als zusätzlicher Punkt (ich hoffe, das wird jetzt nicht zu OT): Um problematische Tropes und Erzählstrukturen erkennen zu können, braucht es auch Übung, Sensibilisierung und letztendlich Kontextwissen (also z.B.: Was sind häufige Tropes und in welchen Debatten und Diskursen sind die womöglich schon eingesetzt worden? Woher kommen manche Muster historisch?).
Nicht jede:r geht mit diesem Blick (und z.T. Wissen) an Geschichten heran, egal worum es geht. Insofern ist es auch absolut realistisch und legitim, dass nicht alle Angehörigen bestimmter marginalisierter Gruppen mit diesem Blick Inhalte konsumieren und darauf aufbauend Kritik formulieren - das ist ja auch gesamtgesellschaftlich unterschiedlich.
Es gibt natürlich auch Tropes und problematishe Darstellungen, die so offensichtlich sind, dass sie beim Konsum fast automatisch Unbehagen auslösen, aber vieles ist eben auch subtil und nicht jede:r hat den Blick für entsprechende Strukturen. (Ich merke das auch bei mir selbst, dass es ein Lernprozess ist, was ich früher womöglich unkritisch hingenommen habe, aber heute so nicht mehr reproduzieren oder auch nur konsumieren möchte, weil ich mittlerweile dafür sensibilisiert bin.)
Wenn innerhalb einer bestimmten Gruppe Person A sich von einem Inhalt gut repräsentiert fühlt und Person B eben nicht, weil sie darin problematische Strukturen erkennt, heißt das Benennen dieser Strukturen m.E. nicht zwangsläufig, dass Person A dadurch ihre Erfahrungen abgesprochen werden. (Dass es solche Debatten leider auch geben kann, ist eine andere Sache.)
Es heißt erst einmal vor allem, dass beide Personen mit einem unterschiedlichen Blick und einem unterschiedlichen Bewusstsein für Tropes und Erzählstrukturen an den gleichen Inhalt herangegangen sind - Person A betrachtet diese Ebene vielleicht einfach nicht, weil sie nie den entsprechenden Blick dafür entwickelt hat.
Dadurch ist die Einschätzung von Person A nicht weniger valide und wird auch nicht dadurch entwertet, dass man auf die entsprechende Ebene hinweist - aber dass Person A sie nicht wahrgenommen hat, bedeutet im Umkehrschluss eben auch nicht, dass es die Ebene nicht gibt oder sie komplett zu vernachlässigen ist. Das hat m.E. auch weniger mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu tun, sondern damit, wie wir Inhalte konsumieren, reflektieren und einordnen. Dafür hat nicht jede:r den gleichen Blick und das gleiche Handwerkszeug (und will es vielleicht auch nicht und das ist okay).
Und das beinhaltet erstmal noch keine Wertung und auch noch keine pauschale Lösung dafür, wie man mit diesen unterschiedlichen Wahrnehmungen umgeht oder wie man diese einordnet. Es ist meiner Meinung nach einfach nur etwas, was man mit im Hinterkopf behalten sollte, gerade wenn es um Debatten innerhalb einer Community geht.
Auf der anderen Seite spielt da mit rein, was
@Mondfräulein angesprochen hat: Ein Verlagsbuch durchläuft ein Lektorat, und im Lektorat gehört genau dieser kritische Blick für die strukturelle Ebene dazu. Das ist Teil des Jobs.