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Historische Persönlichkeiten im Roman

Begonnen von Nightingale, 26. Juli 2012, 20:24:23

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Kati

Hallo.  :winke: Wir haben einen Thread für an reale Personen angelehnte Figuren und einen für historische Fantasy, aber, wenn ich richtig gesucht habe, haben wir noch keinen Thread zu realen historischen Persönlichkeiten im Roman. Falls ich nicht richtig gesucht habe, bin ich ganz schön doof.  :)

Ich finde es interessant, was verschiedene Autoren aus historisch belegten Personen gemacht haben und wie sie damit umgegangen sind, besonders in der Fantasy. Interessant finde ich das Thema, weil ich gerade selbst an einem historischen Roman plotte und meine Hauptfigur eine Person ist, die tatsächlich gelebt hat. Nun würde mich interessieren, was ihr davon haltet, echte Personen in Romane einzubinden, ob ihr das öfter mal macht oder eher nicht und ganz besonders, wie gut ihr sie recherchiert. Ich habe das Problem, dass ich weder Haar- noch Augenfarbe meiner Person herausbekomme, noch weiß ich, was vor seinem achtzehnten Lebensjahr passiert ist. Das sind für mich wichtige Punkte und ich fühle mich nicht gut dabei, mir da einfach etwas auszudenken. Wie ist das bei euch?

Besonders interessant finde ich auch, wie man historisch belegte Figuren in die Fantasy einbindet. Da fallen mir ein paar Beispiele ein, wo das meiner Meinung nach sehr gut geklappt hat und andere, wo ich am liebsten geschrien hätte. Macht ihr sowas? Wenn ja, wie und in welchem Ausmaß?

Lemonie

Also ich hab das noch nie gemacht, also kann ich nur sagen, wie ich als Leser darüber denken würde (vor allem, was das recherchieren betrifft):
Also ich finde schon, dass reale Personen gut recherchiert sein sollten, weil wenn man in einem Roman über eine historische Person etwas liest, von dem man ganz genau weiß dass es überhaupt nicht in den Charakter bzw die Vita passt, würde mich das schon ziemlich stören (und daran merkt man ja auch, wie viel sich der Autor damit auseinander gesetzt hat).
Aber ich finde, vor allem solche Dinge wie Charakter/ Lebensgeschichte sollten möglichst (!) tatsachengetreu gehalten werden. Wenn aber etwas überhaupt nicht bekannt ist (auch nach ganz langem recherchieren nicht), dann ist das natürlich etwas anderes.

Wenn man etwas erfindet, dann sollte man es so tun, dass es a) nicht von der Logik her von der bekannten Lebengeschichte bzw dem Charakter abweicht und dass b) der Leser eine Chance hat zu differenzieren, was erfunden ist und was auf Tatsachen beruht (weil man ja nicht immer die betreffende Person kennt und es sonst vielleicht als wahre Tatsache in Erinnerung behält).
Ich kenne es von verschiedenen Büchern so, dass es hinterher eine Art Nachwort gibt, wo dann drinsteht was fitkiv ist und was nicht. Wenns einen nicht interessiert, muss man es ja nicht lesen, aber man kann sich dann zumindest darüber informieren, wenn man will.

Was die Fantasy betrifft: Also ich finde auch, dass es auf die Umsetzung umgibt (wie du schon geschrieben hast, gute und schlechte Beispiele). ich finde es immer schön, wenn sozusagen "gerüchtumrankte" Ereignisse oder Dinge, deren historischer Ursprung nicht mehr klar ist, mit Fantasy erklärt werden. Wenn es in das allgemeine Bild des Romans passt, kann das ziemlich cool sein.
Da kann man es ja dann ähnlich handhaben, wenn man will (mit dem Nachwort), je nachdem, wie offensichtlich das ganze Fantasy ist (wenn man irgendetwas mit Magie erklärt, wird man sich den Hinweis, dass das nicht historisch belegt ist, wohl sparen können).
Aber es gibt auch negative Beispiele, vor allem dann, wenn der Autor schlecht recherchiert hat oder man merkt, dass es eigentlich nicht ins Bild passt und überflüssig wäre.

Romy

Ich habe einen großen Respekt davor reale historische Persönlichkeiten im Roman auftreten zu lassen. Derzeit überlege ich erstmals ernsthaft, dass zu machen, allerdings wenn, dann wird es nur ein Kurzauftritt und höchstwahrscheinlich auch nicht aus der direkten Perspektive der Person, sondern quasi von außen.

Aber auch, wenn ich jetzt gerade (vielleicht) kurz vor meinem "ersten Mal" stehe, darüber nachgedacht habe ich schon häufiger. Irgendwann einmal will ich mich auch mal an einen real-historischen Roman (ganz ohne Fantasy und Hintertürchen) wagen und dann werden sicherlich auch real-historische Personen auftreten und die würden dann vermutlich auch etwas größeren Platz einnehmen. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dann aus dessen Perspektive zu schreiben. Wie soll man sich wirklich in eine reale Person hineinversetzen, ohne die ganze Zeit Zweifel zu haben, ob man nicht gerade totalen Mumpitz verzapft und sich die Person im Grabe umdrehen würde, wenn sie davon wüsste? Da hätte ich Skrupel ... ::)
Ich würde mir wohl eine fiktive Figur als Prota nehmen und versuchen die historische Person möglichst originalgetreu von außen darzustellen. Auch wenn man dann den Charakter zeigt, ist man ja nicht "drin" in der Person und hat immer noch ein bißchen mehr Distanz.
Falls ich (dem Plot zuliebe) etwas Gröberes ändern würde, dann würde ich das im Nachwort erwähnen und erklären. So was habe ich schon häufiger in historischen Roman gesehen und wenn der Autor mir seine Gründe logisch erklärt, habe ich dafür auch Verständnis. ;D
Wenn die Änderung hingegen zu willkürlich erscheint oder Dinge geändert werden, die quasi zum Allgemeinwissen gehören, wäre das für mich als Leser definitiv ein Grund das Buch negativ zu bewerten, egal wie toll z.B. der Schreibstil ist.

Etwas anderes ist es natürlich, wenn gewisse Infos über historische Persönlichkeiten einfach unbekannt sind. Ich weiß auch nicht genau, wie ich mich da verhalten würde. Käme vielleicht drauf an, um wen es sich handelt ... wenn es eine Person ist, die allgemein relativ unbekannt ist - was bei Deiner Person vermutlich der Fall ist, weil es ja sonst mehr Informationen gäbe - hätte ich wohl weniger Skrupel die Löcher mit Fantasie zu füllen ... Hast Du bei der Suche denn wirklich schon alle Quellen ausgeschöpft?

Zit

#3
Bei historischen Einschlägen muss man sich als Autor wohl immer darauf gefasst machen, dass irgendwo ein Kenner das Buch in die Hände bekommt und es dann gnadenlos zerreißt, wenn historisch unstrittige Fakten/Daten völlig ignoriert werden. Da kann man die Abweichung noch so gut zu erklären versuchen und es mag noch so gut zum Plot passen, es wird einem um die Ohren gehauen. Aber das haben Leser "historischer" Romane so an sich. Ganz ehrlich: Ich würde ja genauso reagieren -- eben wenn für mich nicht ersichtlich ist, warum meinetwegen ausgerechnet nur dieser eine Fakt ignoriert wird.
Was ich sagen will: Wenn mir als Leser von vornherein klar ist, dass der Roman sich nicht immer an die Fakten hält, dann kann ich damit auch leben, so grundsätzlich gesprochen. Nur halt nicht, wenn da "Histo" drauf steht.

Als Autor fühle ich mich bei hist. Persönlichkeiten immer so eingeengt. Das liegt zum einen an den Lesern, die ja etwas bestimmtes erwarten (meint man als Autor zumindest ...), als auch an mir selbst. Ich kann halt Barbarossa und Blackbeard nicht gegeneinander antreten lassen, ohne was fantastisches zu drehen, dass es möglich wird (Zeitreise meinetwegen).
Das nächste ist das, was Romy auch schon ansprach. Selbst wenn ich alles über die historische Persönlichkeit weiß (und den Anspruch hätte ich), weiß ich immer noch nicht, wie diese Person gedacht oder gefühlt hat, wie sie tatsächlich sprach und sich dabei bewegte oder auch ganz allgemein verhielt. Ich habe ebenso zu viel Respekt vor tatsächlichen Menschen, sodass mich das völlig blockiert.

Was vielleicht funktionieren würde, in Ansätzen: ein völlig abgedrehtes, humoristisches Buch. In dem es einfach auf Gags (und damit auch auf Klischees) ankommt und nicht darauf, dem aktuellen Stand der wiss. Meinung zu entsprechen bzw. entsprechen zu wollen.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Churke

Zitat von: Kati am 26. Juli 2012, 20:24:23
Ich habe das Problem, dass ich weder Haar- noch Augenfarbe meiner Person herausbekomme, noch weiß ich, was vor seinem achtzehnten Lebensjahr passiert ist. Das sind für mich wichtige Punkte und ich fühle mich nicht gut dabei, mir da einfach etwas auszudenken. Wie ist das bei euch?

Diese Dinge finde ich eher unwichtig. Mich interessieren mehr Persönlichkeit und Charakter. Dazu schaue ich mir die Quellen an und überlege dann, was sich daraus für den Plot machen lässt. Dabei gilt: Je dürftiger die Quellen, desto größer der Spielraum. Am Ende steht sowieso eine eher dichterische als eine historische Wahrheit. Dennoch versuche ich, den Personen gerecht zu werden. Vielleicht trifft man sie damit sogar besser als wenn man jeden Furz nachrecherchiert hat, aber dem Ganzen die Seele und literarische Interpretation fehlt.

Zitat von: Kati am 26. Juli 2012, 20:24:23
Besonders interessant finde ich auch, wie man historisch belegte Figuren in die Fantasy einbindet. (...) Macht ihr sowas? Wenn ja, wie und in welchem Ausmaß?
Ja. In einer Steampunk-Story, die in "Neues aus Anderswelt" erscheint, arbeitet der Protagonist für Theobald von Bethmann Hollweg. Man kennt ihn als "Reichskanzler ohne Fortune", weil er 1914 so glücklos agierte. Ich habe ihn folgendermaßen charakterisiert:
Sein Minister, Theobald von Bethmann Hollweg, war den Liberalen zu konservativ, den Konservativen zu freisinnig, den Sozialdemokraten zu liberal und den Polen zu deutsch.


In einer anderen Geschichte befasse ich mich mit Eugenius und der Schlacht am Frigidus im Jahr 394. Über Eugenius ist nicht viel bekannt. Er war Grammatiklehrer, soll ein fähiger Beamter gewesen sein, wurde vom weströmischen Heermeister zum Kaiser ernannt und vom Senat massiv unterstützt. Er war zwar Christ, gewährte aber den Heiden Religionsfreiheit. Auf Münzporträts sieht man ihn mit einem Philosophenbart. Das ist extrem ungewöhnlich.
Was habe ich daraus gemacht? Einen hochgebildeten, integeren Politiker, der für Recht und Toleranz steht und von der Kriegsmaschinerie des Theodosius platt gewalzt wird.

Vielleicht hätte man aus ihm auch eine blasse Marionette machen können. Aber das wäre dann eine andere Story.   ;)

Kati

Zitkalasa: Das war auch lange mein Problem, dass ich zu viel Respekt vor den Menschen hatte, um über sie zu schreiben. Und, dass man niemals genau wissen kann, was sie gedacht haben und wie sie sich bewegt haben. Aber ich denke, dafür sind wir Autoren. Das sind Sachen, die wir uns ausdenken müssen, weil es anders nicht geht und, wenn die Leute es uns abnehmen, haben wir die Sache gut gemacht.  :) Zu Romanen gehört immer ein Stück Fiktion, egal wie historisch belegt der Hintergrund ist und ich denke, wenn man gut recherchiert und nicht wie eine Dampfwalze über Schicksale hinweg donnert, kann es gut werden. Mit dem nötigen Einfühlvermögen kann man viel erreichen und manchmal glaube ich, über manche Leute muss man schreiben, weil sie es verdient haben.  :) Ich bin glaube ich aber trotzdem jemand, der immer wieder differenzieren würde, dass es sich bei dem Charakter in meinem Buch um *meine* Version der Person handelt. Ich mag es allerdings auch gar nicht, wenn Fakten ignoriert werden. Wenn ich mich entschließe, über eine historische Person zu schreiben, muss ich mich wohl oder übel an die Fakten halten. Da kann ich zum Beispiel Marie Antoinette nicht leben lassen, bloß, weil´s mir so lieber wäre.

Zitatwenn es eine Person ist, die allgemein relativ unbekannt ist - was bei Deiner Person vermutlich der Fall ist, weil es ja sonst mehr Informationen gäbe - hätte ich wohl weniger Skrupel die Löcher mit Fantasie zu füllen

Der Witz ist ja, dass die Person zwar sehr bekannt ist. Ich habe auch eine Menge über sein späteres Leben herausbekommen. Aber eben sehr wenig über die frühen Jahre und die will ich nicht einfach ausblenden. Ich habe auch keine Bücher über diese Person gefunden, keine Biographien, kein gar nichts. Ich werde natürlich nochmal genauer suchen, schließlich habe ich gerade erst angefangen zu plotten, aber es sieht irgendwie schlecht aus für mich.

Ich stimme euch allen aber zu, dass man auf keinen Fall richtige Fakten abwandeln sollte. Wieso machen Leute das? Besonders, wenn es eigentlich keinen Sinn hat. Zum Beispiel wird ein Ereignis auf einen anderen Tag gelegt, bloß, weil. Ich sehe da keinen Sinn hinter. Wenn ich über eine Person schreibe, die es wirklich gegeben hat, dann sollte ich akzeptieren, dass ich mich an die Fakten halten muss.

Aphelion

Ich würde es nicht machen. Aus dem einfachen Grund, dass ich kein einziges Beispiel kenne, wo es gelungen ist.

Es kann auch gar nicht gelingen, wenn die Person wirklich "historisch" ist. Denn: Früher gab es ganz andere soziale und psychologische Umstände. Dementsprechend waren auch viele Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, vollkommen anders. Man nehme mal die Kindheit als Beispiel... Klingt banal, oder? Wenn man sich aber ansieht, wie Kindheit in unterschiedlichen Epochen aussah, dann wird man staunen (wenn man sich vorher nicht damit beschäftigt hat). Trotzdem ist es ein typischer Anfängerfehler, gerade bei der Kindheit von einem Fettnäpfchen ins nächste zu tappen, weil angelesene hisorische Fakten falsch interpretiert werden.

Das Dilemma ist, dass eine korrekte historische Darstellung eine Identifikation eines heutigen Menschen mit dieser Person verhindert. Wenn die historische Person also Perspektivträger ist, *muss* sie verzerrt dargestellt werden, damit sie eine Identifikationsfläche bietet.

Eine Ausnahme fällt mir doch noch ein: Historische Persönlichkeiten, die eher Mythen sind *und* schon so lange tot sind, dass es eigentlich auch wirklich egal ist. Ich erinnere mich da dunkel an eine Reihe über altägyptische Herrscher, die aber auch von einem ausgesrochenen Kenner geschrieben wurde.

Ich nehme lieber Daten von historischen Personen, benenne sie um und binde sie in einen neuen Kontext ein. Denn auch das Setting muss stimmig sein - und da ergibt sich wieder das Identifikationsproblem bei korrekter Darstellung. Bei Steampunk, alternativer Historie oder High Fantasy sieht alles schon wieder anders aus.

Kati

Das finde ich eine sehr spannende Meinung und ich kann sie auch nachvollziehen, würde das aber ganz anders sehen. Natürlich muss man sich Fakten erst anlesen, bevor man sie umsetzen kann, aber ich glaube, jemand, der sich ein Buch nimmt, alle Fakten rausschreibt und sich daran entlanghangelt wird eh kein gutes Buch daraus schreiben, egal ob mit historischen Personen oder ohne. Man muss die Figuren und die Zeit ja auch lebendig werden lassen und ich denke, dass geht nicht, wenn man stur irgendwelche Biographien liest. Ich arbeite da total gern mit Primärquellen, Briefen zum Beispiel, weil die ja auch schon einmal einen Einblick geben, wie die Person sich ausgedrückt hat. In meinem Fall ist die Quellenlage etwas kompliziert, aber allgemein denke ich, dass man sich viel eher in eine Zeit und eine Person hereindenken muss, als das man sich auf bloße Fakten verlassen kann. Wobei, wie gesagt, Fakten die genau so passiert sind, nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Dass man die Person niemals genauso darstellen kann, wie sie wirklich war, ist ja klar, schließlich kannte man sie nicht und wird in den meisten Fällen auch niemanden finden, der sie noch kannte. Aber, wie gesagt, aus Briefen, Photographien und so kann man eine Menge gewinnen und der Rest ist dann Interpretationssache.

ZitatDas Dilemma ist, dass eine korrekte historische Darstellung eine Identifikation eines heutigen Menschen mit dieser Person verhindert. Wenn die historische Person also Perspektivträger ist, *muss* sie verzerrt dargestellt werden, damit sie eine Identifikationsfläche bietet.

Das kann ich so aber gar nicht unterschreiben. Natürlich war man zu verschiedenen Zeiten auf verschiedenen psychologischen Standpunkten und hat über einige Dinge anders empfunden als wir heute, aber das kann man tatsächlich recherchieren und ich finde es auch nicht schwer, sich da rein zu denken. Am Ende bleiben die Leute, über die man schreibt, nämlich trotzdem Menschen und die Menschen selbst haben sich meiner Meinung nach zu keiner Zeit großartig voneinander unterschieden. Was man also recherchiert sind die gesellschaftliche Umgebung, die den Charakter geformt haben, aber ich denke nicht, dass sich Gefühle wie Angst, Verzweiflung, Liebe etc. deshalb anders angefühlt haben.  ;) In Gesellschaften kann man sich reindenken, wenn man wirklich möchte. Das Problem sehe ich eher darin, den Leser in diese fremde Zeit und Gesellschaft mitznehmen. Was nützt es denn, wenn der Autor total drin ist im Denken dieser Zeit, seinen Leser aber nicht mitnehmen kann und der daneben steht und nur noch Fragezeichen in den Augen hat? Ich denke, das geht, weiß ich Bücher gelesen habe, die das schaffen, aber es muss sehr schwer sein.

Was mir noch eingefallen ist, ist, dass man ja auch nochmal zwischen Roman und Sachbuch unterscheiden sollte. Wenn ich einen Roman schreibe, habe ich ja erstmal den Anspruch zu unterhalten und auch, wenn "historischer Roman" draufsteht, sollte dem Leser klar sein, dass es sich um Fiktion handelt und ein paar Sachen vielleicht dazu gesponnen sind, weil man ja einen spannenden Plot und einen roten Faden braucht. So ein Nachwort, in dem steht, was nun wahr ist und was nicht, finde ich da sehr hilfreich um einen kleinen Überblick zu geben. Aber an sich hat ein Leser an einen historischen Roman ja gar nicht den Anspruch, etwas daraus zu lernen, sondern möchte vielleicht eher in die Zeit eintauchen und eine gute Abenteuer/Liebes/Mysterygeschichte lesen. Natürlich sollte man als Autor trotzdem so nah an der Realität bleiben, wie es eben möglich ist, aber auch nicht vergessen, dass man Fiktion schreibt und kein Sachbuch, in dem nur das stehen darf, was wirklich passiert ist und kein Wort mehr.

Churke

Zitat von: Aphelion am 27. Juli 2012, 10:55:04
Wenn die historische Person also Perspektivträger ist, *muss* sie verzerrt dargestellt werden, damit sie eine Identifikationsfläche bietet.
Und wo ist das Problem? Mehr als eine Annäherung ist sowieso nicht drin. Schiller nennt das die dichterische Wahrheit und scheut sich nicht, z.B. in "Don Carlos", die historische Wahrheit zu verändern. Selbst Fontane als Vertreter des Realismus (!) lässt Effi Briest sterben. Die Frage ist nur, was man tut und zu welchem Zweck.

Was ich z.B. ziemlich genial finde, ist die Figur des Goebbels in "Inglorious Basterds." Tarantino reduziert Goebbels auf die Rolle des Filmproduzenten und verzerrt ihn dermaßen, dass er rüber kommt wie ein neureicher Hollywood-Produzent. Der Charakter ist nicht frei erfunden, sondern gut erdichtet. Wirklich sehr cool.

Fianna

Selbst wenn Du eine Biographie findest, steht darin nicht "die Wahrheit", sondern nur eine Annaeherung. Die Fakten - wann war die Person wo - moegen stimmen, aber gerade was die Charakterisierung angeht, kannst Du von 3 Biographen 4,5 Meinungen bekommen
Auch ist wichtig, wann die Biographie geschrieben wurde, aus welchem Umfeld der Biograph kommt, da man historische Ereignisse/Persoenlichkeiten nie 100 % objektiv analysieren und bewerten kann. Man kann sich nur um das groesstmogliche Mass an Objektivitaet bemuehen. Je nach Werdegang des Biographen ist dies auch nicht erlernt worden und er kann sich von dem gesellschaftlichen/politischen Umfeld nicht ganz frei machen.

Aber wenn die Person so beruehmt ist, gibt es sicher eine Biographie. Wenn Du mir den Namen verraets (evt per PN) helfe ich suchen :-)

Augenfarben sind natuerlich zu recherchieten, falls moeglich, gehoeren aber zu den letzten Dingen, die man fuer eine glaubwuerdige Charakter-Entwicklung braucht. Was haben Zeitgenossen ueber diese Person gedacht? Welche von den evt verschiedenen Meinungen wird hauptsaechluch bzw. in welchem Umfeld vertreten?


Ein positives Beisiel von historischen Personen in phantastischem Setting ist fuer mich "Der Herr der Zwei Lander" von Judith Tarr. Sie hat sich ausfiehrlich mit Mythen und Legenden um Alexander den Grossen, Nektanebos und den Lagiden beschaeftigt. Sie greift z.b. die Legitimationslegende von Ptolemaios Lagos auf (illegitimer Bruder des Alexander) und stellt sie als Realitaet dar (wird nur erwaehnt, Ptolemaios ist nicht Perspektivtraeger). Das ist natuerlich Schwachsinn, wie jeder weiss, der sich bei Wikipedia in das Thema einliest. Aber es passt einfach zu den Charakteren, es fuegt sich super ins Bild ein.
Zu diesem Eindruck traegr natuerlich bei, dass sie auch viele andere Legenden, z.b. zur Gruendung von Alexandria, ebenfalls im Buch als Realitaet darstellt.

So stimmt das Buch bzw. die Charakterisierung der Nebenfigur Ptolemaios Lagos NICHT mit der historischen Realitaet (soweit rekonstruierbar) ueberein. Durch das Bedienen an den Fakten/Legenden, die am besten passten, wirkt es aber stimmig und bekommt auch von Geschichtsfans positives Feedback.
Haette die Autorin mit den Fakten nichts anfangen koennen und die antike Propaganda/Meinungen/Spiegelzngen ebenfalls ignoriert und sich was eigenes ausgedacht als Motivation, waere das sicher anders gewesen.

Was jetzt nicht heisst, dass man nie was erfinden darf. Aber es muss stimmug zum Gesamtbild sein.


Sorry fuer die Recgtschreibung mein Laptop ist kaputt und ich schreibe vom Handy. Ncht zu empfehlen.

Aphelion

Zitat von: Kati am 27. Juli 2012, 12:10:09
Das kann ich so aber gar nicht unterschreiben. Natürlich war man zu verschiedenen Zeiten auf verschiedenen psychologischen Standpunkten und hat über einige Dinge anders empfunden als wir heute, aber das kann man tatsächlich recherchieren und ich finde es auch nicht schwer, sich da rein zu denken. Am Ende bleiben die Leute, über die man schreibt, nämlich trotzdem Menschen und die Menschen selbst haben sich meiner Meinung nach zu keiner Zeit großartig voneinander unterschieden. 
Das ist leider ein grundlegender Irrtum. Ja, *manche* Dinge sind immer ähnlich gewesen - aber eben auch nur ähnlich. Jenseits der Basisemotionen (zu denen Liebe übrigens nicht gehört) wird es zum Beispiel schon schwierig. Das sieht man übrigens auch sehr schön an Kulturvergleichen, die selbst heute noch meilenweite Unterschiede zutage fördern. Indivdualistische vs. kollektivistische Kultur ist zum Beispiel ein großer Einflussfaktor. Wir leben in einer individualistischen Gesellschaft - und können deshalb viele Dinge gar nicht nachvollziehen, die in einer kollektivistischen Gesellschaft absolut Alltäglich sind. Es geht dabei nicht um Einzelphänome, das wäre ja kein Problem und da könnte man auch mal ein Auge zudrücken (selbst, wenn man es ganz genau nimmt). Es geht um komplett andere Zusammenhänge und ein eben sehr wohl anderes "Gesamtfunktionieren" von Menschen. :)

Natürlich *kann* man trotzdem seine eigenen (=die der eigenen Zeit und Kultur) Gefühle/Gedanken/Weltsicht/x zum Maß der Dinge machen - aber man muss dann eben in Kauf nehmen, dass es falsch ist, diese Maßstäbe auf Settings zu übertragen, die vollkommen andere Voraussetzungen beinhalten.

Zitat von: Kati am 27. Juli 2012, 12:10:09Was mir noch eingefallen ist, ist, dass man ja auch nochmal zwischen Roman und Sachbuch unterscheiden sollte.
Ich finde um ehrlich zu sein nicht, dass man da unterscheiden sollte - im Gegenteil! mich stören diese Halbwahrheiten, dieses bewusste verbreiten von Unwahrheiten und Fiktionen im Mantel der recherchierten Exaktheit extrem. Dann ist es besser, gar nicht zu recherchieren und nur mit Klischees zu arbeiten; dann ist aber auch (fast) jedem klar, dass es keinen Anspruch auf Realitätsnähe hat.

Zitat von: Churke am 27. Juli 2012, 12:56:26
Und wo ist das Problem? Mehr als eine Annäherung ist sowieso nicht drin.
Oh, ob es (jenseits meiner persönlichen Meinung) ein *Problem* ist, ist wieder eine andere Frage. (Die Bezeichnung "Realismus" sollte man nie zu genau nehmen, wenn es um die literarische Richtung geht. ;)) Ich persönlich würde wie gesagt nichts historisch falsch darstellen wollen. Aber das muss ja wohl jeder für sich selbst wissen.

("Inglorious Basterds" ist insofern etwas anderes, als dass der Film einen ganz anderen Anspruch hat. ;) )

Churke

Zitat von: Aphelion am 27. Juli 2012, 17:43:40
Es geht um komplett andere Zusammenhänge und ein eben sehr wohl anderes "Gesamtfunktionieren" von Menschen. :)
Hältst du nicht für möglich, dass ein Autor diese Dinge wissen und darstellen/verarbeiten kann?

ZitatIch finde um ehrlich zu sein nicht, dass man da unterscheiden sollte - im Gegenteil! mich stören diese Halbwahrheiten, dieses bewusste verbreiten von Unwahrheiten und Fiktionen im Mantel der recherchierten Exaktheit extrem.

Ich dachte auch mal wie du. Aber dann merkte ich, dass die heiligen Quellen voller Märchen und Infotainment stecken. Die antiken Historiker verwendeten größte Kunst darauf, die Geschichte zu inszenieren. Deshalb kommen da auch immer so dramatische Plots heraus. ("Hüte dich vor den Iden des März!")

Kati

Aphelion: Ich sage doch, die jeweilige Gesellschaft (und Kultur) formt natürlich den Charakter des Menschen und ich denke trotzdem, dass man sich da rein denken kann. Ich weiß jetzt aber auch nicht, wie weit zurück du da gehst. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit der Neuzeit und der frühen Neuzeit, vielleicht ist es da nicht ganz so schwer sich da rein zu denken, als bei Zeiten und Gesellschaftsformen die weiter zurückliegen. Das mit den Emotionen jenseits der Basisemotionen finde ich übrigens sehr spannend und mich würde wirklich interessieren, wie das so ist. Hast du da interessante Quellen, wo ich das nachlesen kann? Ich weiß schon, dass Dinge von früheren Menschen anders empfunden wurden als heute, besonders am Umgang mit Tod und Trauer kann man das nachvollziehen, aber das liegt doch nicht an den Menschen selbst, sondern an der Gesellschaft, von der man ja lernt, wie man mit etwas umzugehen hat. Liebe war wirklich ein bescheuertes Beispiel, das ist auch so ein Wort, das die Gesellschaft formt, wie sie gerade möchte. Aber an sich meinen wir doch dasselbe. 

Was ich meinte, war wohl eher, dass die Instinkte (!) im Kern der Menschen sich kaum verändert haben, obwohl Charakter und Denkweise an sich natürlich auf die Gesellschaft, in der man aufgewachsen ist, zurückzuführen ist.  :) Mir würde es auch nie einfallen, über eine Kultur zu schreiben, über die ich nichts bis wenig weiß und ich denke, man kann sich da schon reinversetzen, wenn man sich viel damit beschäftigt. Ich denke auch nicht, dass man die eigene Weltsicht seinen historischen Figuren aufdrücken muss oder sollte, es ist möglich andere Sichten und Denkweisen darzustellen, ohne den Charakter unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Das geht, da bin ich ganz sicher. Es kann aber auch schrecklich daneben gehen, was meiner Meinung nach meist passiert, wenn man sich bloß mit historischen Fakten beschäftigt und nicht mit Gesellschaft und Menschen.

ZitatIch finde um ehrlich zu sein nicht, dass man da unterscheiden sollte - im Gegenteil! mich stören diese Halbwahrheiten, dieses bewusste verbreiten von Unwahrheiten und Fiktionen im Mantel der recherchierten Exaktheit extrem. Dann ist es besser, gar nicht zu recherchieren und nur mit Klischees zu arbeiten; dann ist aber auch (fast) jedem klar, dass es keinen Anspruch auf Realitätsnähe hat.

Das finde ich auch überhaupt nicht. Ich finde schon, dass man historische Fakten einhalten sollte und sie nicht abändern sollte, bloß, weil´s einem gerade passt. Aber, wenn man über etwas nun überhaupt nichts rausfindet, weil es schlicht und einfach nicht bekannt ist, sehe ich kein Problem darin, etwas dazuzudichten, solang es im historisch belegten Rahmen sinnvoll und glaubwürdig erscheint. Ich sehe einen großen Unterschied zwischen historischer Fiktion, also Romanen, die mit dem Bekannten spielen und die gleiche Geschichte in verschiedenen Gewändern erzählen, und bloßen Biographien, in denen eben wirklich nur das steht, was die Forschung belegt hat. Ein Roman will eine Geschichte erzählen und die meisten Leser haben da keinen Anspruch an historische Korrektheit, obwohl ich es wie gesagt trotzdem wichtig finde, keine Fakten zu verdrehen. Eine Biographie will interessierten Menschen die Forschungsergebnisse nahe bringen. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe.

Fianna: Ja, das stimmt schon. Ich meinte auch nicht, dass eine Biographie einem die eine richtige Wahrheit offenbart, sondern, dass dort bloß die Forschungsergebnisse und Interpretationen vorgestellt werden. Im Roman hat man natürlich eine fiktive, darum gesponnene Geschichte noch dazu. Ansonsten stimme ich dir voll zu.  :)

Ich mag es eigentlich gar nicht, wenn Leute historische Romane zerpflücken und jedes kleine Detail, das vieleicht nicht ganz der Wahrheit entspricht, an den Pranger stellen. Ich finde es toll, wenn alles stimmig ist, aber mir macht es auch nichts, wenn etwas nicht ganz stimmt. Im Roman "Crippen" von John Boyne hieß Crippens Mutter anders, als in Wirklichkeit. Es ist mir aufgefallen, aber es war mir egal. Es war trotzdem ein gutes Buch.

Lemonie

ZitatIch finde um ehrlich zu sein nicht, dass man da unterscheiden sollte - im Gegenteil! mich stören diese Halbwahrheiten, dieses bewusste verbreiten von Unwahrheiten und Fiktionen im Mantel der recherchierten Exaktheit extrem. Dann ist es besser, gar nicht zu recherchieren und nur mit Klischees zu arbeiten; dann ist aber auch (fast) jedem klar, dass es keinen Anspruch auf Realitätsnähe hat.

Wieso im Mantel der recherchierten Exaktheit? Wenn man einen Fantasyroman veröffentlicht, rechnet doch jeder Leser damit, dass es sich um Fiktion handelt. Das impliziert ja Fantasy. Und man kann ja wie gesagt, wenn man will dass der Leser unterscheiden kann, was Fakt (wobei die angeblichen Fakten ja auch nicht immer stimmen, wie Churke ja schonmal geschrieben hat) ist und was Fiktion, auch ein Nachwort oder sowas anfügen, in dem man beschreibt was aus der tatsächlichen Biographie entnommen ist und was erfunden.

Historische Personen als Perspektivträger sehe ich allerdings auch eher kritisch (zumindest in einem normalen fiktiven Roman, Biographie oder Sachbuch ist was anderes), nicht nur wegen der Korrektheit, sondern weil man da dann ziemlich eingeschränkt ist.

Kati

ZitatHistorische Personen als Perspektivträger sehe ich allerdings auch eher kritisch (zumindest in einem normalen fiktiven Roman, Biographie oder Sachbuch ist was anderes), nicht nur wegen der Korrektheit, sondern weil man da dann ziemlich eingeschränkt ist.

Das stimmt, wenn man irgendeine Geschichte schreiben will, in der die Person vorkommt. Wenn es aber die Geschichte genau dieser Person sein soll, finde ich das sinnvoll. Da stört es mich oft, wenn dann die Hauptfigur nicht genau die Figur ist, sondern irgendwer, der eigentlich nur daneben steht.