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Wie fängt man an?

Begonnen von Zanoni, 07. Dezember 2011, 20:19:22

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Zanoni

Hallo zusammen,

aktuell beschäftigt mich die Frage, wie der ideale Anfang eines Romans aussehen kann, oder vielleicht sogar sollte.

Es gibt schließlich langsame, eher ruhige Geschichten und schnelle, sehr spannende. Und natürlich ganz viele verschiedene Mischungen zwischen diesen beiden Extremen. Es gibt Autoren, die ganz langsam und gemächlich beginnen, dann aber immer schneller und schneller werden. Andere ziehen es vor gleich in der ersten Szene in die Vollen zu gehen und rasant zu beginnen.

Doch es ist nicht nur die Spannungskurve, um die es mir bei dieser Frage geht, sondern auch der Aspekt der Rätsel und offenen Fragen. Beschreibt man die Protagonisten zunächst einmal ganz ausführlich in ihrer "normalen Welt", bevor man erst später den "Ruf des Abenteuers" erschallen lässt, oder lässt man ihn gleich auf der ersten Seite erklingen? Wann lässt man durchblicken, worum es in der Geschichte überhaupt geht, und wie vage oder deutlich macht man das?

In der Filmbranche sagt man, die ersten 10 Minuten eines Films seien die entscheidenden. Entweder man die Zuschauer in dieser Zeit so neugierig gemacht, dass sie unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht, oder sie schalten dann um. Deshalb wird bei Drehbüchern sehr genau auf diese ersten 10 Minuten geachtet. In dieser Zeit muss deutlich werden, worum es in dem Film geht, ansonsten war es das. Im amerikanischen Kino gehen viele sogar so weit, dass sie ganz am Anfang eines Filmes eine kleine Miniversion dessen vorwegstellen, um was es in dem Film gehen wird. Gerne wird diese Vorabszene auch gleich dazu genutzt, die Hauptfigur einzuführen, ihr Leben zu zeigen, was macht, kann, ihre Schwächen, Stärken und besondere Ticks bzw. Fähigkeiten. Oft ist diese Miniversion des zentralen Konflikts der Geschichte sogar so angelegt, dass der/die Held/in in ihr versagt, während sie dann im großen zentralen Konflikt des Film dann doch siegreich ist.

Na ja, wie auch immer ... zumindest wird beim Film sehr genau auf den Anfang geachtet, oftmals schon allein aus kommerziellen Gründen. Beim Roman scheint dieses Denken nicht so stark ausgeprägt zu sein. Denn, wenn der Leser das Buch in den Händen hält, hat er es im Regelfall bereits gekauft und ist wesentlich weniger bereit es wieder wegzulegen (als Pendant zum Umschalten beim Film). Verlage achten daher deutlich mehr auf den Klappentext und andere werbliche Maßnahmen, die den Leser neugierig machen und so zum Kaufen animieren sollen.

Bisher zumindest. Denn es gibt mittlerweile einige Neuerungen, die etwas daran ändern könnten. Es gibt den "Blick ins Buch" bei gedruckten Büchern und die kostenlose Leseprobe bei Ebooks. Beides dient dazu, sich einen ersten Eindruck von dem Roman bilden zu können. Für den Leser ist das grundsätzlich hilfreich, doch in wie vielen Fällen wird das jeweilige Buch danach nicht mehr gekauft? Müssen Autoren nun auch mehr auf einen möglichst guten Anfang achten (und falls ja: wie sähe dieser aus)?

Andererseits ist es ja schon immer so gewesen, dass man den Anfang eines Buches so gut wie nur möglich machen muss, weil man das Manuskript ja Leuten zeigt, die mit Manuskripten teilweise zugeschüttet werden. Diese Menschen entscheiden meist relativ schnell ... deutlich schneller als der durchschnittliche Leser ... dafür oder dagegen.

Diese ganzen Fragen beschäftigen mich deshalb, weil ich an einer Geschichte arbeite, die sich eher langsam ausbreitet und dann nach und nach immer größer, weitreichender und schneller wird. Der Anfang ist also zwangsweise verhältnismäßig ruhig und "kleinräumig". Mich stört allerdings der Gedanke, dass ein Leser der ersten Seiten auf die Idee kommen könnte, dies würde sich durch das gesamte Buch ziehen - was definitiv nicht der Fall ist. Es besteht also ein gewaltiger Kontrast zu dem zentralen Höhepunkt der Geschichte und dem ruhigen Anfang. Das soll auch so sein. Und es würde mir überhaupt nicht gefallen, dies aus "kommerziellen" Erwägungen heraus ändern zu müssen.

Na ja, deshalb würde es mich interessieren, was Ihr darüber denkt und meint. Und ob Ihr Euch auch schon mit diesen Fragen bzw. Problemen beschäftigt habt, ja, vielleicht sogar schon entsprechende Lösungen, Tricks und Kniffe gefunden habt.

Viele Grüße

Rynn

#1
Huhu Zanoni,

für mich ist es klar: Ein Anfang muss Interesse wecken. Auf welche Art das gelingt, ist wieder eine andere Frage. Das kann eine tolle Textstimme sein, die mit dem ersten Satz überzeugt, das kann eine extrem aufregende Szene oder etwas Ungewöhnliches sein, etwas, das verstört oder neugierig macht, aber mehr als alles muss der Anfang locken. Nach der ersten Hälfte des Buches hat ein Leser (im besten Fall) bereits Mitgefühl für die Figuren entwickelt, liebt sie oder verachtet sie, will einfach wissen, wie es ihnen weiterhin ergehen wird. Am Anfang hat er das nicht.
Deshalb hat, glaube ich, ein Anfang in einem Buch immer einen anderen Anspruch als das, was dann kommt. Je schneller du deinen Lesern die Hauptfigur grob umreißt, je schneller sie ein Gefühl für den Prota bekommen (und dadurch mit ihm mitfühlen), desto besser. Ob das nun klein- oder großformatig geschieht, das hängt eher von Dingen wie Stil oder Genre und natürlich vom speziellen Buch ab. Und vom Können des Autors. Denn auch die absolut und total grausame Actionszene wirkt als Anfangsszene gar nicht, wenn der Leser dabei einfach nichts für den Prota empfindet.
Ein Anfang kann, glaube ich, auf ein ziemlich simples Prinzip reduziert werden: "Beweg mich. Lass mich mitfühlen." Und das geht auf viele Arten, aber es ist unabdingbar.

Und um noch mal etwas genauer auf deine Anfangsfrage einzugehen: Eine Darstellung der Figuren in ihrer "normalen" Umgebung ist, denke ich, durchaus machbar, solange du Konflikt hast. Aber zu lange solltest du den Beginn des eigentlichen Plots dann auch wieder nicht hinauszögern, denn ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass Filme sich (prozentual gesehen) mit dem "Setup" der Rahmenbedingungen sehr viel mehr Zeit lassen können als ein Roman. Manche Filmtheorien verorten den ersten Plotpunkt bei der 25% Marke, aber bei wenigen Büchern dürfte der eigentliche Plotbeginn so spät liegen, meistens ist der Leser dann schon lange nicht mehr dabei.

Liebe Grüße,
Rynn
»Dude, suckin' at something is the first step to being sorta good at something.« – Jake The Dog

Runaway

Also für mich ist, egal ob als Leser oder als Autor, der Anfang am wichtigsten. Der muß neugierig machen. Vorhin im Lieblingautoren-Thread hab ich schon das Beispiel von Rebecca Gablé gebracht, deren erste Zeilen so toll waren, daß ich einfach pappen geblieben bin.
So sollte das sein. Ich bin, wenn ich schreibe, ein großer Fan von in medias res, ich fang einfach irgendwo an, schiebe gern die Exposition immer in der Handlung dazwischen und versuche, einen Sog aufzubauen, damit der Leser neugierig gemacht wird.
Das lese ich auch als Leser so am liebsten. Von daher hab ich da keinen Konflikt und beuge mich beim Schreiben gern diesem kommerziellen Diktat des mitreißenden Anfangs, einfach weil ich das auch als Leser gut finde. Überhaupt gut finde.
Vor allem seh ich immer eins: Es ist nun mal einfach so, daß der Anfang wichtig ist. Was bringt mir eine tolle Geschichte, wenn ich sie nie an den Mann bringe, weil der Anfang es nicht bringt?

Mit meiner bisherigen Agentur-Erfahrung kann ich auch nur bestätigen, daß ein guter Anfang zählt. Der muß stimmen. Ein einziges Mal habe ich eine "aussagekräftige" Stelle aus meinem Buch eingereicht, ansonsten immer den Anfang.
Natürlich sollte das im Umkehrschluß nicht heißen, daß der Rest zu vernachlässigen ist... beim Lesen, so bilde ich mir ein, erlebe ich ganz oft supertolle Romananfänge und ungefähr ab der Stelle, bis zu der die Anfänge immer eingereicht werden, sackt es dann ab. Sowas geht natürlich gar nicht.

Der Anfang sollte schon irgendwie aussagekräftig und kennzeichnend für den ganzen Text sein. Aber wenn man mit einer Stelle anfangen möchte, die aus irgendwelchen Gründen nicht den perfekten Anfang liefert, eignet sich ein Hilfsmittel hervorragend: der Prolog. Mit dem kann man folgende Absacker am Anfang prima überbrücken, sozusagen. Man kann irgendeine spätere, ganz tolle, wichtige, spannende (oder wie auch immer) Stelle vorziehen und den Leser anbeißen lassen.

Michaela

#3
Hallo Zanoni,

das was beim Film die zehn Minuten sind, ist beim Roman der erste Absatz. Wenn jemand ein Buch kaufen möchte, ließt er zuerst die erste Seite. Da entscheidet sich der Kauf. Ein guter Anfang ist wie die warme, flüssige Schokolade eines Früchtefondues, ohne isst du nur Früchte. Je besser dein Anfang, je geschmackvoller, süßer und verführerischer, desto eher werden Verleger und Leser mehr von deiner Kreation wollen. Verleger sind schließlich zuallererst auch nur Leser.

Ich verschlinge im Monat etwa drei Bücher und will von Beginn an in die Geschichte und ihre Figuren gezogen werden. Wobei ich ruhige Anfänge genauso mag, wie aktionreiche. Alle haben aber eines gemeinsam. Etwas geht vor sich, verändert sich,  ob nun in der Welt der Geschichte, im Leben der Protas oder in ihrem inneren Denken. Irgendetwas bringt den ersten Dominostein zum fallen.

Wenn deine Geschichte ruhig beginnt könntest du eine Andeutung auf spätere Ereignisse machen. Das ist ein beliebtes Mittel um den Leser bei der Stange zu halten und neugierig auf mehr zu machen. Ruhige Anfänge sind nicht langweilig nur weil sie langsam beginnen. Spannung entsteht nicht nur aus Aktion, auch aus deinen Figuren heraus. Ich stelle mir immer die Frage, was meinem Prota im Leben am meisten fehlt. Was will er mehr als alles andere. Damit beginne ich meine Geschichten, denn diese Frage ist zugleich der Schlüssel zum Plot der Geschichte und der sollte so früh wie möglich aufgeworfen werden.

Das hilft noch:

Mitten in eine Aktion reinspringen.
Den Prota aktiv einführen, das mache ich immer bei ruhigen Anfängen wie oben beschrieben.
Etwas schildern das enorm wichtig für die Handlung der Geschichte ist und ganz einfach das Mittel die Sinne anzusprechen. Wem läuft bei der Beschreibung eines Schokoladenfondues nicht das Wasser im Mund zusammen.  ;D

Ich hoffe das hilft dir weiter.

Liebe Grüße Michaela


Zanoni

@Rynn:

Genau das ist entscheidende Punkt: Die (gelungene) Identifikation des Lesers mit dem Prota! Danke für diesen Hinweis - manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht und vergisst das Offensichtlichste.

Was den Film angeht, ist das Drei-Akt-Modell ja auch sehr weit verbreitet. Da nimmt man für den ersten Akt 15 Minuten an, für den zweiten Akt 60 Minuten und für den dritten wieder 15 Minuten. Bei dieser Struktur ist man dann wieder näher an den 10 Minuten, die angeblich entscheidend sein sollen. Aber das nur nebenbei, denn viel interessanter ist ja die Frage, ob man als Autor (mittlerweile) ähnliche (kommerziell ausgerichtete) Überlegungen anstellen sollte.



@Dani:

Also anfangs nur erst mal die wichtigsten Grundinfos zum Prota und dann - nebenbei, an den passenden Stellen - stückchenweise immer mehr Infos? So ähnlich sehe ich das auch, selbst wenn es manchmal Ausnahmen gibt, wenn es die Geschichte erfordert.

Das mit dem "den Rest vernachlässigen" kenne ich leider auch. Letztlich hatte ich eine Ebook-Leseprobe gelesen und war sehr begeistert, aber der Rest des Buches stellte sich dann leider als Reinfall heraus.

ZitatDer Anfang sollte schon irgendwie aussagekräftig und kennzeichnend für den ganzen Text sein.
Genau das ist (zumindest in meinem eigenen konkreten Fall) das Problem. Er ist wichtig, weil sonst der gesamte Rest keinen Sinn machen würde - oder überhaupt nicht geschehen wäre -, aber er ist nicht kennzeichnend. Aber Prolog-Tipp ist gut, das werde ich auch machen.


@Michaela:

Ist das so? Also ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich noch nie im Buchladen einen ersten Absatz gelesen habe. Es war immer der Gesamteindruck, und natürlich der Klappentext (auch wenn ich dadurch irgendwann feststellen musste, dass diese bei bestimmten Verlagen sehr oft rein garnichts mit dem tatsächlichen Buch zu haben). Erst mit dem Erwerb eines Ebook-Readers nutze ich wirklich die Leseproben - ohne sie gelesen zu haben, kaufe ich keines mehr. Selbst bei den großen Autoren, von denen man Qualität erwarten kann. Interessanterweise habe ich dann aber doch die meisten Romane dieser renommierten Autoren nicht gekauft, weil ich sie nicht interessant genug fand. Genau genommen liegt darin auch eine gewisse "Gefahr". Denn genausowenig wie man anhand der ersten 30 Sekunden eines Lieds dessen Qualität auch nur in seltenen Fällen wirklich erkennen kann. Viele Lieder müssen entfalten erst nach mehrmaligen Hören ihre volle Wirkung. Vielleicht habe ich dadurch schon wirklich gute Bücher verworfen, weil ich ihnen nicht die Möglichkeit gab, sich voll zu entfalten. Gut denkbar ...

Ansonsten gebe ich Dir völlig recht, voll einsteigen oder wenigstens Andeutungen machen. Im Normalfall halte ich das auch für die beste Vorgehensweise. Wenn das Anfangsgeschehen untypisch für den weiteren Verlauf ist, muss der Charakter des weiteren Verlaufs wenigstens angedeutet werden, um beim Leser das Interesse aufrecht zu erhalten. Das es bei mir im konkreten Fall leider nicht möglich ist, werde ich auf Danis Vorschlag zurückgreifen und einen Prolog davor setzen. Ich denke, damit kann ich am besten andeuten, was den Leser im weiteren Verlauf erwartet.


Viele Grüße

Judith

Rein aus der Lesersicht kann ich nur sagen, dass der Anfang (also jetzt wirklich der Anfang im Sinne von den ersten etwa 10 Seiten) bei mir nicht entscheidend ist. Natürlich ist es umso besser, wenn er mich reinzieht, aber ich gebe jedem Buch, das ich lesen möchte, etwa 30-50 Seiten lang eine Chance - außer der Schreibstil ist wirklich schlecht.
Ich habe schon fürchterliche Bücher nur deshalb weitergelesen, weil der Anfang noch vielversprechend war und ich habe schon tolle Bücher nach einem mittelmäßigen Anfang entdeckt. Daher bin ich da auch als Leserin eher geduldig und werfe nicht gleich das Handtuch. Und am Ende ... ist der Anfang für mich relativ egal. Das, was bei mir dann viel mehr im Gedächtnis bleibt und auch meinen Gesamteindruck vom Roman nochmal grundlegend durcheinander werfen kann, ist das Ende.

Ich bin also in der Hinsicht nicht die typische Leserin und tu mir daher schwer damit Anfänge zu beurteilen (sowohl meine eigenen als auch fremde). Was für mich aber ganz problematisch ist, ist, wenn von Anfang an soviel Action herrscht, dass man nicht dazu kommt, die Figuren überhaupt kennenzulernen. Wenn ich mit denen nicht mitfiebern kann, spielt es keine Rolle, wie spannend der Roman ist: Mich zieht er dann nicht.
Daher sind für mich bei einem Anfang die Figuren das wichtigste - deutlich wichtiger als die Handlung. In medias res ist schön und gut, aber nur, wenn dennoch irgendwo noch Zeit für die Personen bleibt.

Übrigens finde ich, dass sehr viele Romane stark beginnen, dann aber extrem nachlassen. Und das hängt wohl mit dieser Forderung zusammen, dass der Anfang besonders toll sein muss, um die Leser (oder auch die Lektoren) zu ködern. Ich habe bei vielen Romanen das Gefühl, dass das ganze Pulver schon für den Anfang verschossen wurde. Das finde ich sehr schade, denn wie gesagt: Ich finde als Leserin den Anfang bei weitem nicht so wichtig wie das Ende. Wenn das schlecht ist, dann kann mir das noch einmal den gesamten Roman rückblickend verderben.

Aber klar, ein Lektor/Agent beginnt mit dem Anfang und daher muss der sitzen, auch wenn er für mich persönlich eher nebensächlich wäre.

Runaway

Zitat von: Zanoni am 08. Dezember 2011, 00:02:25
Also anfangs nur erst mal die wichtigsten Grundinfos zum Prota und dann - nebenbei, an den passenden Stellen - stückchenweise immer mehr Infos?
Ganz genau. Das gefällt nicht jedem, denn es birgt auch Probleme in sich. Den Fall hatte ich letztens, wo eine Beta anmerkte, daß gewisse Infos über die Charaktere viel früher nötig gewesen wären. Aber wie ich es auch drehte und wendete, früher ging einfach nicht. Als ich das mal probeweise geändert hab, fühlte es sich total falsch an... War für mein Empfinden auch nicht nötig, das kam noch rechtzeitig genug. Ich finde nicht, daß ein Prota gleich bei seiner ersten Aktion auch beschrieben werden muß. Das kann auch bei der dritten folgen. Nur vielleicht nicht erst bei der zwanzigsten.

Ich mach das meistens so: Irgendetwas passiert. Der Leser wird in die Handlung reingeworfen. Entweder tut jemand was oder sagt was. Dann geht das noch ganz kurz weiter und dann folgt die erste Erklärung, damit der arme Leser auch weiß, wie ihm geschieht ;)
Und danach kommt das immer im Wechsel. Die Handlung geht weiter, dann wird wieder irgendwas erklärt, jemand vorgestellt, beschrieben, was auch immer.
Die Herausforderung dabei ist natürlich, ein Setting zu finden, das so ein Vorgehen unterstützt und dem Leser Infos unterzujubeln, ohne daß er es merkt. Er soll sich unterhalten und in den Text reingezogen fühlen.
In meinem "Baby" hab ich es jedenfalls geschafft, innerhalb der ersten Szene klarzumachen, was der springende Punkt der Handlung ist, wer meine Prota ist, wo sie herkommt, wie und wo sie lebt, was ihre Vergangenheit ist und sonst noch alles Mögliche. Erklärungen resultierten immer aus Handlungen. Es wird auch klar, daß etwas passieren wird. Das hat Larry Beinhart in "How to write a mystery" so schön auf den Punkt gebracht: Der Leser sollte immer das Gefühl haben "es wird etwas passieren".

Freut mich, daß dir der Prolog-Tip hilft :)

Sven

Zitat von: Dani am 08. Dezember 2011, 01:11:44
Ich finde nicht, daß ein Prota gleich bei seiner ersten Aktion auch beschrieben werden muß. Das kann auch bei der dritten folgen. Nur vielleicht nicht erst bei der zwanzigsten.

Es hat sogar Vorteile, wenn man die Charaktere nicht schon am Anfang bis zum Erbrechen beschreibt. Es "fühlt" sich besser an, wenn man sie im Laufe der Handlung besser kennenlernt. Sonst habe ich immer das Gefühl bei einer RTL2 Dailysoap dabei zu sein. Da werden die Leute auch meist vorgestellt, bevor man sie ins Rennen wirft.
Allerdings stößt es auch vielen Lesern sauer auf, wenn man auf Seite 150 erwähnt, dass der Prota rot gelockte Haare hat, der Leser aber immer einen blonden mit Kurzhaarschnitt vor Augen hatte. Das reist einen aus der Handlung.
Alles, was wichtig ist, um den Charakter bildlich vor Augen zu haben, sollte daher in der ersten Szene abgehakt werden. Alles andere kann in den nächsten Szenen verdeutlicht werden.

Was die Spannung am Anfang angeht, würde ich einen Roman nicht mit einem Film vergleichen. In einem Film muss die Geschichte viel stringenter erzählt werden, und selbst dort werden die früheren "Regeln" immer häufiger aufgebrochen, da man bei heutigen Filmen einfach mehr Zeit hat. Die 15 - 60 - 15 Regel passt aber bei den meisten erfolgreichen Filmen immer noch (bei längeren Filmen natürlich in angepasster Version).
Bei einem Roman bin ich der Meinung, sollte die Atmosphäre am Anfang stimmen. Mit brachialer Gewalt eine Actionszene an den Anfang zu setzen wirkt auf mich plump. Viele Leser möchten erst sanft in eine Welt eingeführt werden, bevor es richtig zur Sache geht (wie bei so vielen Dingen im Leben  ;) ).
Außerdem darf man nicht vergessen, dass ein Leser nicht mitfühlt, wenn er die Figuren nicht kennt. Man würde also viel Potential verschenken, wenn man eine coole Szene an den Anfang setzt, in der völlig unbekannte Charakteren ganz schlimme Sachen passieren. Es sei denn, man kann eine Figur mit wenigen Worten auf den Punkt zeichnen.
Die ersten Seiten SIND die wichtigsten! Aber nicht die Action ist ausschlaggebend, sondern die Atmosphäre des Romans. Die muss getroffen werden.

Zitat von: Zanoni am 07. Dezember 2011, 20:19:22
Es gibt schließlich langsame, eher ruhige Geschichten und schnelle, sehr spannende. Und natürlich ganz viele verschiedene Mischungen zwischen diesen beiden Extremen.

Eine Sache noch, die in meinen Augen immer falsch dargestellt wird: SPANNUNG ist nicht gleich ACTION! Eine Szene kann völlig ruhig sein, niemand sagt etwas, ein Charakter geht einfach eine Straße entlang. Diese Szene kann dennoch UNGLAUBLICH spannend sein. Vor allem sind Geheimnisse spannend.
Es gibt nicht die "langsamen, ruhigen" Geschichten und die "schnellen, spannenden". Die ruhigen Geschichten können viel spannender sein, als die schnellen  ;)
Ist ein Roman nicht spannend (egal, was man als Individuum als spannend betrachtet), wird er nicht gelesen.

Also spannend soll der Anfang sein und atmosphärisch. Das denke ich.
Beste Grüße,
Sven

Rynn

#8
Zitat von: Dani am 08. Dezember 2011, 01:11:44
Ich finde nicht, daß ein Prota gleich bei seiner ersten Aktion auch beschrieben werden muß. Das kann auch bei der dritten folgen. Nur vielleicht nicht erst bei der zwanzigsten.
Bezieht sich das auf meinen Vorschlag, den Prota "grob zu umreißen"?
Falls ja, habe ich mich vielleicht undeutlich ausgedrückt. Denn ich meinte das ausschließlich charakterlich; dass der Leser schnell ein Gefühl bekommt, wie der Prota tickt. Das heißt, ich meinte das weder in Bezug auf den Hintergrund, der ja oft besser langsam enthüllt wird, noch das Aussehen. Ich persönlich bin sowieso kein großer Figurenbeschreiber, weil ich mir immer denke: Würde mein Erzähler jetzt über das Aussehen dieser Figur nachdenken? Wenn nein, dann lasse ich es eben weg.
Vor allem der Perspektivträger selbst kriegt bei mir so gut wie gar keine Beschreibung, weil ich dafür meistens keine Gelegenheit finde. Wie oft denkt man über sich selbst und seine eigene Haarfarbe nach? Deshalb kann ein Leser bei mir noch froh sein, wenn er bei mir vielleicht die Haarfarbe erfährt, das Alter fließt meist unterschwellig noch mit ein, das war's dann oft schon. ;D
»Dude, suckin' at something is the first step to being sorta good at something.« – Jake The Dog

Kayla

Ich persönlich arbeite gerne mit einem Prolog. Dabei greife ich meistens auf eine Szene mitten in der Handlung zurück, die wichtig für das ganze Gerüst ist. Ansonsten fange ich eher ruhiger und mäßiger an. Als Schreiber, und als Leser, finde ich es wichtig, die Figuren Schritt für Schritt kennen zu lernen. Sie wie Menschen zu empfinden, denen ich begegnen könnte und sie in mein Herz zu lassen oder nicht. Langsam erfahre ich etwas über sie, ihr Leben und ihren Charakter. Gleichzeitig habe ich die Möglichkeit mit ihnen zu wachsen, ihre Entwicklung mit zu erleben.

Ein guter Anfang ist schon wichtig. Aber ich denke wie er gestaltet ist, kommt auf den Stil des Autors an. Ich selber habe noch keine Erfahrung mit Verlagen gemacht und kenne daher die Auswahlkriterien nicht, aber schreibt man nicht in erster Linie für den Leser. Oder bin ich da zu naiv? Und ist jeder Leser nicht, genau wie jeder Autor, unterschiedlich? Den Einen spricht Action mehr an, den Anderen ruhige Töne. Im Großen und Ganzen geht es doch darum, den Leser bei der Stange zu halten. Und das schaffst du, denke ich, auch mit einem nicht so spektakulären Anfang.

Runaway

Zitat von: Rynn am 08. Dezember 2011, 08:57:43
Bezieht sich das auf meinen Vorschlag, den Prota "grob zu umreißen"?
Nee, gar nicht ;D Das war bloß aus der Erfahrung abgeleitet, die ich da gemacht hab, weil meine Prota-Erklärung nicht gleich am Anfang stand.

Arcor

Ich fange gerne in medias res an. Von langwierigen Beschreibungen am Anfang bin ich kein Freund und ich beherrsche das auch nicht sonderlich gut. Am besten mit einer Figur direkt in eine Handlung springen. Dann ist für den Leser zumindest schon einmal etwas los. Ob das jetzt eine dramatische Aktion ist oder etwas Ruhiges und Harmloses, hängt dabei von der Geschichte ab.

Und ich persönlich gebe nicht allzu viel über meine Figuren am Anfang preis. Jeder Protagonist sollte seine Geheimnisse haben, an denen der Leser knabbern kann. Ein gewisses Maß an Infos sollte vorhanden sein, sonst ist die Figur zu blass, aber man braucht keine 2-Seiten-Beschreibung. Bei so etwas fange ich an zu gähnen und langweile mich. Man kann seine Figuren auch nach und nach über die Geschichte entwickeln.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

HauntingWitch

Ich kann meinen Vorrednern nur zustimmen. Der Anfang sollte neugierig machen, mitreissen und natürlich vor allem zum Weiterlesen anregen. Wie das aber im Detail aussieht – ob man mit der Sprache Stimmung erzeugt oder gleich einen Massencrash hinpfeffert – hängt von der Geschichte ab. Ist es eine eher langsame Geschichte, würde ich einen gemächlichen Anfang wählen. Dann muss die Neugierde eben anders erzeugt werden, wie beispielsweise durch gewisse Anrisse über den Charakter oder Streuungen von Informationen, die Lust auf mehr machen. Hast du aber ein Buch, bei dem es Schlag auf Schlag geht, kann und sollte man das ruhig auch schon auf der ersten Seite durchblicken lassen.

Ich gehöre auch zu den ,,eine-Seite-für-Kaufentscheidung"-Lesern. Ein konkretes Beispiel eines meiner Meinung nach sehr guten Anfangs hat Charlaine Harris in ihrem Buch ,,Dead Until Dark". Es beginnt ungefähr mit dem Satz: ,,Ich wusste, er war ein Vampir, bevor ich ihn sah." Da frage ich mich schon: Wer spricht da? Was für ein Vampir? Wo? All dies wird dann auf den ersten zwei Seiten umrissen. Grob genug, dass ich nicht total erschlagen werde, aber dennoch genug, dass ich einen guten Gesamteindruck bekomme. Desweiteren stimmt er mit dem Tempo des Buches überein, was mir als für später Leser ebenfalls wichtig ist.

Meine Autorenfähigkeiten gehen meiner Einschätzung nach aber nicht soweit, dass ich das auch könnte, und es hängt wie gesagt auch von der Geschichte ab. Ich beginne deshalb meistens mit einer Handlung, mit etwas, das passiert. Action in ertragbaren Dosen, angereichert mit ein bisschen Stimmungsbeschreibung und etwas Information, ist meine Devise. Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden, ganz den Erwartungen der Geschichte und eigenen Fähigkeiten entsprechend.

Zanoni

@Judith:

Genau das ist der Punkt! "Am Ende ist der Anfang egal" ... sehe ich als Leser genauso. Trotzdem gilt es aus Autorensicht zunächst die erste Hürde zu nehmen ... den Anfang. Da beisst sich die Katze selbst in den Schwanz.


@Dani:

ZitatDer Leser sollte immer das Gefühl haben "es wird etwas passieren".
Das ist gut, danke! :-)


@Sven:

Stimmt, die Grundinfos sollten von Anfang klar sein, ansonsten dauerhaft offen lassen. Auf Seite 150 die roten Haare erwähnen, geht natürlich überhaupt nicht. *g*

ZitatSPANNUNG ist nicht gleich ACTION!
Ja! Absolute Zustimmung (kann man wahrscheinlich nicht deutlich genug betonen).


@Kayla:

Die erste Hürde, die Du als Autorin nehmen musst, ist der/die Lektor/in. Und da diese Leute in aller Regel mit Manuskripten zugeschüttet werden, müssen sie sich disziplinieren und alles, was nicht gefällt möglichst frühzeitig aussortieren. Die haben überhaupt nicht die Zeit alles durchzulesen. Der Anfang entscheidet somit darüber, ob sich ein Lektor das Manuskript im Ganzen durchliest oder nicht. Falls nicht, bekommt das niemals ein Leser zu Gesicht - so einfach ist das.



Abschließend noch ein passendes Zitat von Syd Field:
"Eine Geschichte ist eine Erzählung, von der der Zuschauer wissen will, wie es weiter geht."

Und wann will man wissen, wie es weitergeht?
Wenn man sich entweder mit dem Prota identifiziert oder wenn einen der zentrale Konflikt interessiert, und wie dieser gelöst wird.


Alana

#14
Ich habe mir diese Frage auch letztens gestellt und freue mich über so viele interessante Meinungen dazu.
Ich mag auch keine ewig langen Beschreibungen, weder am Anfang, noch in der Mitte oder am Ende. Ich mag es aber trotzdem, den Prota zunächst in seinem natürlichen Lebensraum oder in einer normalen Tagessituation kennenzulernen, aber ohne alles bis zum Erbrechen zu beschreiben. Ganz vieles über den Prota kommt dann erst viel später. Erste Rätsel und Geheimnisse will ich dann auch gleich mit einflechten. So habe ich mir das jetzt vorgestellt, ich hoffe das klappt.
Besonders wichtig, vielleicht am wichtigsten, ist mir auch die Atmosphäre des Buches und mich beschäftigt gerade sehr, wie man es schafft, das, was man selbst fühlt, rüberzubringen.
Alhambrana