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[Recherche] (Glaube an) Magie und Übernatürliches im frühen 20. Jahrhundert

Begonnen von Felsenkatze, 20. September 2010, 12:38:34

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Felsenkatze

Hallo ihr,

da meine Protagonistin gerade den langsamen Prozess durchmacht, dass es tatsächlich so etwas wie Magie geben könnte, stoße ich mit meinem Wissen gerade an meine Grenzen.
Ich weiß, dass um 1880 rum Seancen und dergleichen noch ziemlich angesehen waren und nicht per se als unplausibel angesehen wurden. Auch gab es wohl immer noch die Vorstellung, dass man mittels Hypnose Leute unter Kontrolle bringen konnte, auch wenn die nicht einverstanden waren.

Nun spielt mein Buch 1912 und ich konnte nichts dazu finden, wie der durchschnittlich gebildete Bürger zu solchen Themen stand. Zwar hat Thomas Edison noch 1920 in einem Interview über ein "Spirit Communication Device" geredet, aber das soll als Scherz gemeint gewesen sein.

Wenn ich das "Umdenken" meiner Protagonistin halbwegs plausibel darstellen möchte, wüsste ich eben gerne, wie "groß" dieser Schritt zu "ja, es gibt Magie" ist, insbesondere für eine naturwissenschaftlich recht gebildete und intelligente Frau. Der ganze New Age Kram kam erst 30 Jahre später (frühestens) auf, und ich kann mir einerseits vorstellen, dass man 1912 noch ungläubiger war, was Magie angeht, als heute, andererseits aber auch, da es so viele neue Entwicklungen gab, dass Leute eher bereit waren, an Magie als Tatsache zu glauben.

Kann mir da irgendjemand helfen?

Ilargi

Kaixo,

Also fragt mich nicht wie ich dahin gekommen bin, Google muss den Begriff Magie schon sehr weit ausgelegt haben, denn vorrangig geht es auf dieser Seite um Esoterik!

Aber nach unserem heutigen Verständnis ist Magie ja ein Teil der Esoterik und deswegen habe ich mir diese Seite mal genauer angeschaut:

Wikipedia-Portal: Esoterik

Was gut ist, da hast du viele Literaturverweise, die dir vielleicht helfen könnten, vor allem unter Übergriffen findest du häufig viel Literatur. Ich selbst stehe Wikipedia nicht unskeptisch gegenüber, aber wenn man mal Literatur sucht, ist es nicht unbedingt die schlechteste Adresse und für Weblinks ist sie auch nicht unpraktisch.

Es wird zwar viel Unsinn verzapft, aber ab und zu findet man da auch ein paar gute Artikel!

Schreinhüter

Tolstoi beschreibt auch immer wieder gerne die Seancen und das Gläserrücken, aber mehr als eine Art Spielweise. Es war durchaus sehr salonfähig sich mit dem Übernatürlichen auseinanderzusetzen, darüber hinaus gab es eine Reihe von sehr interessanten Fotografierichtungen, die sich darauf spezialisiert haben durch Trickserei bei der Filmentwicklung eine Seele, oder einen Geist mit auf das Bild zu bannen. Darüber hinaus passierten eine Reihe von seltsamen Dingen zu der Zeit, wie z.B. der Tunguska-Meteorit, der die Welt für Nächte hell erleuchtete, so dass man auf Paris´ Straßen ohne Laterne Zeitung lesen konnte. (Tunguska war 1908) , wenn du nach dem 14.April spielst, findest du auch den Untergang der RMS Titanic. Viele melden sich daraufhin, dass es sie überkam, nicht das Schiff zu besteigen. Sofern der Charakter sich näher an einem finanziell gut stehenden Haushalt bewegt, desto eher kommt er also auch mit den "Spielen" des Salons in Berührung. Wer damals ohne einen guten Spuk, eine Vorahnung, oder aber eine Rückblende war, der war langweilig und hatte vielleicht nicht viel zu erzählen. Natürlich kann man davon ausgehen, dass eine Menge Leute diesen Aberglauben auch verneint haben, aus Gründen der Gläubigkeit. Es kommt jedoch eben auf die Gesellschaftsschicht an, denn ohne Bildung könnte ich mir schlecht eine Seance in einem Arbeiterkeller vorstellen. Ich betone an dieser Stelle Aleister Crowley und seinen sehr populären Orden! Einfach mal den Namen suchen  :)

Geli

Ich kann Dir verraten, was meine Großmutter Jahrgang 1908 von übersinnlichen Phänomenen hielt: sie glaubte felsenfest an die Wilde Jagd und war bis an ihr Lebensende davon überzeugt, dass sich ihr Bruder, der 1944 in der Normandiegefallen ist, bei ihr zum Zeitpunkt seines Todes "gemeldet" hätte. Staubhexen auf freiem Feld oder im Garten konnte man durch Hineinwerfen eines Messers davon abhalten zum Wirbelsturm anzuwachsen usw. Ich denke mal, dass sie "echte Magie" zwar stark beunruhigt hätte, aber für völlig unmöglich gehalten hätte sie dergleichen nicht.

Sprotte

"Gefallenengeschichten" (von ungutem Gefühl bis hin zu bellenden Hunden und schemenhaften Gestalten ist alles überliefert) gibt es in meiner Familie reichlich. WKI und WKII
Aber auch Beerdigungsgrusel, daß beim Leichenschmaus plötzlich ein Gegenstand herunterfiel oder umfiel, der dem Verstorbenen sehr wichtig war. Und das ist "einfaches Volk", ergo Unter- und Mittelschicht gewesen.

Weiter oben gab es auch 1912 schon die Mode, an Wahrsager zu glauben, Horoskope. Königin Victoria hielt regelmäßig Sceancen mit ihrem verstorbenen Mann Albert etc.

Lavendel

Hast du mal über die Rosenkreuzer recherchiert? Darüber kommst du eigentlich an Infos über alle magischen Zirkel dieser Zeit (Hermetic Order of the Golden Dawn etc.).
Ich weiß es nicht genau, aber generell lässt sich die Periode zwischen 1880 und 1914 als ein historischer Teilabschnitt der europ. Moderne zusammenfassen. Die Tendenzen, die etwa in den 80ern beginnen setzen sich bis zum ersten Weltkrieg fort. Erst der Krieg markiert einen Bruch im Bewusstsein der Leute. Das heißt natürlich nicht, dass die ca. 35 Jahre dazwischen statisch gewesen wären. Trotzdem kann man wohl davon ausgehen, dass der Fortschrittspessimismus und die erneute Hinwendung zur Natur, zum 'einfachen' Leben (Wandervogel etc), Zivilisationsflucht, die Angst vor einer 'Vermassung' des Menschen in den noch immer rapide expandierenden urbanen Zentren, als Unterströmungen der fortschrittsorientierten und industrialisierten Gesellschaft über die Jahrhundertwende hinaus fortlaufen.
Innerhalb dieser Unterströmungen ist dann als Gegenbewegung zur rationalisierten Welt der Wissenschaften natürlich auch immer noch Platz für das Übernatürliche. Die Entmystifizierung der Welt, die die Moderne mit sich gebracht hat, kann durchaus auch von einem 'gewöhnlichen' Bürger als beängstigend empfunden werden, denn man glaubte daran, dass die Wissenschaft in absehbarer Zeit alles würde erklären können (im Sinne einer Weltformel). Die Frage danach, ob da nicht 'noch mehr' sein könnte, ist wohl eine relativ natürliche, wenn man diesen Kontext im Hinterkopf behält.

Felsenkatze

Erst mal danke euch allen. :)

Rosenkreuzer werde ich nachsehen, Crowley natürlich auch. Generell scheint mir "kleiner" Aberglaube und Geisterglaube häufig gewesen sein, aber "echte" Magie nicht sooo verbreitet. Ich denke, daran kann ich mich entlang hangeln, zumal meine Prota sich ja für sehr rational hält, also bestimmt viel als Unsinn abtut, woran andere Leute noch glauben.

@Schreinhüter: Vor dem 14. April? *lach* Mein Buch geht um die Titanic. Die Mythen kann ich auswendig rauf und runter sagen, inklusive Sinktheorien (meine Lieblinge sind die Verschwörung, dass es eigentlich die "Olympic" war, und die "No Pope"-Theorie. ;D)

So, nu hoffe ich, dass ich das hinbekomme. Fehlt nur noch der Plot. ;D

Steffi

@Felsi: die Leute des "fin de siécle" glaubten ja in diesem Sinne nicht an Magie, sondern an solchen Spuk wie Magnetismus oder eben Hypnose, die ganz neu in Mode gekommen war. Oder eben daran, dass es möglich war, mit Geistern zu kommunizieren. Das war aber  schon damals eher ein Spaß im Bürgertum (selbst zu der Zeit machten sich Leute darüber lustig), den du nicht mit dem Aberglauben der Landbevölkerung verwechseln darfst. Meine polnische Urgroßmutter glaubte felsenfest, der Teufel säße in ihrem Ofen.

ZitatDie Entmystifizierung der Welt, die die Moderne mit sich gebracht hat, kann durchaus auch von einem 'gewöhnlichen' Bürger als beängstigend empfunden werden, denn man glaubte daran, dass die Wissenschaft in absehbarer Zeit alles würde erklären können (im Sinne einer Weltformel). Die Frage danach, ob da nicht 'noch mehr' sein könnte, ist wohl eine relativ natürliche, wenn man diesen Kontext im Hinterkopf behält.

Dem stimme ich 100% zu. Ich hätte es nur atock nicht so schön formulieren können ;)

Übrigens, den Glauben an Übernatürliches siehst du ja selber an den ganzen obskuren Erzählungen zum Untergang der Titanic ;)
Sic parvis magna

FeeamPC

Die Landbevölkerung setzte die Existenz von Geistern und Ähnlichem voraus. Ich habe vor rund 40 Jahren noch einen Mann kennengelernt, der als "Spökenkieker" bekannt war. Er konnte Dinge voraussagen und Geister sehen.