• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Zeit der Nibelungensage

Begonnen von Rhiannon, 09. August 2009, 00:16:12

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Rhiannon

Hallo,
kann mir jemand von euch vielleicht sagen, wann die Nibelungensage so etwa spielt. IM Internet habe ich so viel Widersprüchliches gefunden, dass ich jetzt echt nicht weíß, was nu stimmt und ich brauche das für ein neues Projekt das mir vorschwebt.
Dankeschön schon mal
lg
Rhiannon

Judith

Naja, wie es in der Heldensage so üblich ist, werden darin einige Ereignisse miteinander verbunden, die zeitlich eigentlich weit auseinanderliegen (daher wohl auch die widersprüchlichen Informationen).
Ich versuche, das mal aufzudröseln:

- Eine wichtige Rolle spielt Attila (Etzel); der starb 453 oder 454
- Es kommt auch Theoderich (Dietrich von Bern) vor, der ist aber gerade erst zu der Zeit geboren, als Attila gestorben ist; er lebte dann bis 526
- Vorbild für Gunther war vermutlich Gundaharius, der König des burgundischen Reiches, der in der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts lebte. 436 erlitt er eine Niederlage beim Kampf gegen den römischen Feldherrn Aetius, unter dessen Truppen sich hunnische Kontingente befanden - die wurden dann wohl mit Attilas Hunnen 20 Jahre später verwechselt, und so kam Attila ins Spiel.
Damit wären wir also mal im 5. / Anfang 6. Jh.

- Der Siegfried-Brunhild-Komplex ist etwas schwer einzuordnen, könnte aber in Verbindung stehen mit der Westgotin Brunichildis und König Sigibert (wo es dann auch nette Verwicklungen mit Mord und Rache gab) - das wäre dann die 2. Hälfte des 6. Jhs

- Dann gibts ja auch noch den guten Rüdeger von Bechelaren (Pöchlarn), der überhaupt erst aus dem 10. Jh. ist.

- Und noch später haben wir dann noch die Hüter der bairischen Grenzmark, Else und Gelpfrât, die im 12. Jh. urkundlich bezeugt sind. Das sind dann also zeitgenössische Einflüsse.

Damit kann man also grob sagen, dass die Hauptmotive der Nibelungensage aus dem 5. und 6. Jahrhundert stammen, es aber noch spätere Motive darin gibt (nicht zu vergessen all die Einflüsse aus der Zeit, in der das Lied entstanden ist, also um 1200 bzw. - wenn es dir um die nordische Nibelungentradition in der Edda geht - das 9.-13. Jh.).

Ich hoffe, damit konnte ich dir ein wenig helfen. Ansonsten frag einfach, die Nibelungensage war eins der Schwerpunktthemen meiner Diplomprüfung.  :)


Romy

#2
Hi Rhiannon!

Du willst doch nicht etwa einen Nibelungenroman schreiben? Das wollte ich doch auch irgendwann noch mal machen  ;)

Nun gut, meine Meinung zu der zeitlichen Einordnung. Ich habe mehrere Nibelungenromane gelesen (ich glaub 5) und bin zu dem Schluss gekommen, dass sich das Ganze wohl Anfang des 5. Jahrhunderts abgespielt hat. Es gibt da ja mehr oder weniger gesicherte, geschichtliche Hintergründe, die dorthin passen (und die in den meisten Romanen vorkommen), eigentlich muss man sich ja nur angucken, wann Gundohar gelebt hat, den es ja wohl wirklich gab.  ;) Stets wiederkehrende Themen die da "nebenbei" behandelt werden, sind ja auch die zunehmende Christianisierung, der Kampf gegen die Hunnen und der "Umzug" ins heutige Frankreich.
Ich wusste bisher ehrlich gesagt gar nicht, dass der Zeitpunkt so umstritten wäre, für mich war er eigentlich immer halbwegs klar ...

Wobei ich zugeben muss, dass ich auch noch nie soooo ausführlich die Hintergründe der Nibelungen recherchiert habe. Bisher habe ich das Thema immer sehr schnell wieder verworfen. Das Schwierige ist ja leider, einen neuen Aspekt an der Sage zu finden, den man in einem Roman beleuchten könnte. Es gibt einfach schon so viele. Einer stellt Hagen in den Vordergrund, einer Kriemhild, einer Brunhild, Siegfried und Gundohar nicht zu vergessen ...   ::)


EDIT: Ups, Judith war schneller und hat das natürlich viel ausführlicher aufgeführt. Sehr interessant  :D

Judith

#3
Zitat von: Romilly am 09. August 2009, 01:06:55
Das Schwierige ist ja leider, einen neuen Aspekt an der Sage zu finden, den man in einem Roman beleuchten könnte. Es gibt einfach schon so viele. Einer stellt Hagen in den Vordergrund, einer Kriemhild, einer Brunhild, Siegfried und Gundohar nicht zu vergessen ...
Man könnte sich mal der armen "unbeachteten" Brüder annehmen - Gernot und Giselher wurden meines Wissens bisher immer vernachlässigt.  ;D
Und in einem Seminar hatten wir mal eine Studentin, die ganz angetan war vom Spielmann Volker von Alzeye - die wäre sicher entzückt, wenn mal jemand einen Roman über ihn schreiben würde. *g*

Aber ja, die Nibelungensage ist schon ziemlich ausgewalzt (wobei ich an modernen Bearbeitungen bisher nur Hohlbeins "Hagen von Tronje" gelesen habe) - ich mein, alleine schon im Mittelalter gabs Versionen noch und nöcher.  ;)
Magst du denn verraten, worauf du in deinem Roman den Schwerpunkt legen willst, Rhiannon?

Ratzefatz

#4
ZitatMan könnte sich mal der armen "unbeachteten" Brüder annehmen - Gernot und Giselher wurden meines Wissens bisher immer vernachlässigt.  ;D

Die beiden sind allerdings auch nur Zuschauer, wann immer es so richtig interessant wird.
Wenn man schon bei Zuschauern ist, wäre vielleicht die Perspektive eines ganz gewöhnlichen Fußsoldaten einen Versuch wert, so nach dem Motto - "Warum, bitte, lassen uns unsere Herren ins Hunnenland und in den sicheren Tod rennen, wenn sie sich eh schon ausrechnen können, dass Kriemhilds Einladung eine Falle ist?"

ZitatAber ja, die Nibelungensage ist schon ziemlich ausgewalzt (wobei ich an modernen Bearbeitungen bisher nur Hohlbeins "Hagen von Tronje" gelesen habe)

Hebbels Theaterstück ist ziemlich gut ("Die Nibelungen", gibt's als Reclam-Heft). Und vom österreichischen Autor Michael Köhlmeier gibt es auch eine Version (ebenfalls "Die Nibelungen"), die ich allerdings nicht uneingeschränkt empfehlen kann.
,,Dein Name ist Venko", raunte Zoya in sein Ohr. ,,Venko, Venko, Venko." Sie gab ihm für jedes ,,Venko" einen Kuss und ermahnte ihren Mann: ,,Vergiss deinen Namen nicht!"
,,Wie könnte ich ihn vergessen, meine Zoya", raunte er zurück, ,,wenn ihn vergessen auch dich vergessen hieße?"

Churke

"Die" Nibelungensage besteht aus zig Teilen, verbindet mehrere Sagenkreise und lässt teils erfundene, teils historische Personen (oder deren Vorbilder) auftreten, die nicht zur selben Zeit gelebt haben. So ist Dietrich von Bern - nach herrschender Meinung - Theoderich (454 - 526), dessen Onkel Ermanarich aber bereits 371 mit über 100 Jahren gestorben.
Historisch passt das also nicht zusammen. Es ist eben eine Sage, die vieles vermischt und fünf gerade sein lässt, und genau so sollte man damit auch umgehen.

Mein Arcanum-Wettbewerbsbeitrag spielt übrigens auch im Burgunderreich - so ganz am Rande. Ich lasse Merlin und Albertus Magnus auftreten. :engel:

Romy

#6
@ Judith und Ratzefatz: Gernot und Giselher finde ich wirklich nicht so spannend, um einen ganzen Roman an ihnen dranzubleiben ...  :P Aber wenn es mal einen gäbe, würde ich nicht nein sagen.

Ansonsten bin ich ja Hagen-Fan und seine Darstellung in den meisten Romanen gefällt mir nicht sonderlich. Auch Hohlbeins "Hagen von Tronje" hat mir von seiner Darstellung nicht wirklich gefallen ... da wäre also noch Potenzial.  ;)
Weitere Nibelungenromane, die ich gelesen habe:
"Die Töchter der Nibelungen" von Diana L. Paxon. Die Sage wird hier etwas offen ausgelegt (vergleichbar mit den "Nebeln von Avalon" und der Artussage), aber das Buch ist sehr spannend geschrieben. Brunhild und Kriemhild stehen im Mittelpunkt, aber auch Siegfried, Hagen und Gundohar kommen zu Wort.
"Disteln für Hagen" von Joachim Fernau. Er hält sich eng an die klassiche Sage und würzt sie mit wunderbaren, bissigen Kommentaren. Man sollte mit Humor an dieses Buch heran gehen.
"Kriemhild - Königin der Nibelungen" von Sabina Trooger. Man kann es sich denken, hier steht Kriemhild im Mittelpunkt. Ich bin kritisch rangegangen, mein persönlicher Held Hagen kommt auch nicht sehr gut weg, aber das Buch ist trotzdem sehr gut geschrieben und ich mag Kriemhild seitdem ein wenig lieber.

Rhiannon

Hallo,
erst mal danke für eure ausführlichen Infos.
Ratzefatz' Idee triffts schon ganz gut, aber eigentlich hatte ich vor aus der Perspektive einer Isin zu schreiben. Keine Angst, Brunhild ist dabei auch nur Nebenfigur. Die beiden Hauptcharas sind Gefolgsfrauen von ihr.
Dass die GEschichte so einiges vermengt, ist mir auch schon aufgefallen.
*kopfkratz* Da hab ich mir ja jetzt was eingehandelt. Ich denke ich werde mal gucken, was ich so über Brunichildis ' Zeit im Netz finde und dann mal schauen, ob ich daraus etwas basteln kann.
Wenn ihr bessere Ideen habt, oder noch mehr findet, her damit!

Ratzefatz

#8
Hebbels' Theaterstück enthält einige Szenen zwischen Brunhild und ihrer Dienerin  (Freya, glaub ich - ist schon eine Weile her, seit ich das Stück gelesen habe), inklusive einer Rückblende zu Brunhilds Geburt. Vielleicht hilft dir das.

LG
Ratzefatz
,,Dein Name ist Venko", raunte Zoya in sein Ohr. ,,Venko, Venko, Venko." Sie gab ihm für jedes ,,Venko" einen Kuss und ermahnte ihren Mann: ,,Vergiss deinen Namen nicht!"
,,Wie könnte ich ihn vergessen, meine Zoya", raunte er zurück, ,,wenn ihn vergessen auch dich vergessen hieße?"

Judith

#9
Zitat von: Rhiannon am 09. August 2009, 15:13:44
*kopfkratz* Da hab ich mir ja jetzt was eingehandelt. Ich denke ich werde mal gucken, was ich so über Brunichildis ' Zeit im Netz finde und dann mal schauen, ob ich daraus etwas basteln kann.
Wie gesagt, das mit Brunichildis ist nur eine mögliche Interpretation. So wirklich zufriedenstellend ist sie aber auch nicht - der Siegfried-Brunhild-Komplex gibt in der Hinsicht den Germanisten immer noch Rätsel auf.

Über Brunichildis kann ich dir noch ein bisschen was erzählen (Achtung, das ist verwickelt):
Brunichildis (eine Westgotin) heiratete 566/67 den fränkischen König Sigibert. Dessen Bruder Chilperich heiratete Galswintha, die wiederum die Schwester von Brunichildis war. Aber Chilperich hatte auch noch eine Geliebte, nämlich Fredegundis, die ihn dazu aufstachelte, seine Gattin ermorden zu lassen. Das tat er, und danach heiratete er Fredegundis.
Und nun stachelte Brunichildis ihrerseits Sigibert zur Rache auf (sie wollte, dass er Chilperich tötet, um ihre Schwester zu rächen) - aber dabei wurde Sigibert hinterrücks ermordet. Später wurde dann auch Chilperich (wohl durch Brunichildis) ermordet.

Du siehst schon, es gibt Parallelen, aber so ganz funktioniert das alles nicht. Denn Brunichildis müsste dann eigentlich Kriemhild entsprechen und nicht Brunhild.  :hmmm:

Übrigens ... ich weiß nicht, wie weit du ohnehin schon die entsprechenden Eddalieder (Fafnismál, Sigrdrífomál, Grípisspá, Altes und Jüngeres Sigurdlied, Helreid Brynhildar) herangezogen hast, aber die geben auf alle Fälle auch noch mal einiges her, was die Brunhild-Geschichte betrifft.