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Das zweite Buch ist schwerer als das Erste

Begonnen von Valentina, 15. August 2024, 17:03:55

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Valentina

Hallo ihr Lieben!  :flausch:

Ich gehe mit großen Schritten dem Ende des 1. Bands meiner High - Fantasy Reihe entgegen, zumindest für Betalesende. What a ride!
Deshalb entsteht gerade der Plot für die nächsten Bücher, und da wollte ich euch Reihen - Schreibende mal fragen, wie euer dabei Prozess ist.

Wie schafft ihr es, dass das zweite (und dritte, vierte, etc...) Buch genauso gut, besser und vor allem anders ist als das Erste? Und zwar ohne die Dinge, die funktioniert haben, über Bord zu werfen und sie sogar weiterzuentwickeln?

Was ist im ersten Buch löschenswert, damit es über den Rest der Serie verteilt werden kann? (J.K. Rowling und ihre berühmten 12 Kapitel, die sie aus Stein der Weisen gelöscht hat zB.)

Welche Regeln fürs Worldbuilding (von Völkern über Weltgeschichte, Mythen und Sagen, Charaktere, Entstehung der Welt und Religion) habt ihr, um epische Geschichten zusammenzuhalten, wie episch sie auch sein mögen? (Zb.hat George R.R. Martin ja Probleme, die ganzen Stränge zu Ende zu führen, überhaupt zu verfolgen, was ihm einige Kritik eingebracht hat) -> diese Grundlagen müssen ja im ersten Buch schon gelegt sein und ich möchte lieber extra Zeit hineinstecken, als zu viele Fehler einzubauen.

Ich freue mich auf eure Antworten, Liebe Grüße!
Valentina  :vibes:


"Selbst die Dunkelheit muss vergehen. Ein neuer Tag wird kommen. Und wenn die Sonne wieder scheint, wird sie umso heller strahlen." - J.R.R. Tolkien

Yamuri

Bei mir sind die Grundlagen tatsächlich noch nicht in Band 1 gelegt. Man erfährt in jedem Band mehr. Das Worldbuilding explodiert bei mir bei einer meiner Reihen gerade erst in Band 3, aber in Band 2 erfährt man, dass da noch mehr kommt. Es ist ein langsames Sprengen der Ketten unserer Realität.

Ich glaube wichtig ist -> versuche dich zurückzuhalten mit den Perspektiven, versuche dich auf maximal 4 zu beschränken. Das ist super schwer manchmal.

Ich habe eine Reihe, bei der ich nochmal alles neu strukturieren muss und viel umbauen, weil 10 Perspektiven einfach zu viel sind. Vielleicht wird besagte Reihe aber auch einfach wieder ein auktorialer Erzähler, so wie es ursprünglich war, denn bei zu vielen Fraktionen, die miteinander kollidieren, braucht man nun mal mehr als eine Figur pro Fraktion. Und wenn dann noch die Handlungsorte zahlreich sind, aber die Strecken dazwischen gering und sich die Geschichte über Jahrzehnte entwickelt, dann ist das noch mal ne Hausnummer mehr.

Was ich auch wichtig finde -> mach dir eine Zeittafel, eine Chronologie, was passiert wann, wo, wie und wem. Papyrus hat diese tolle Denkbrett Funktion. Früher hab' ich XMind dafür genutzt.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Christopher

Also der erste und wichtigste Schritt dafür ist, meiner Meinung nach, das Ende schon am Anfang zu kennen. Du solltest wissen, wo alles hingeht oder zumindest den ersten großen Zwischenschritt kennen, auf den du hinarbeitest. Das gibt dir die Möglichkeit, kleine Hinweise einzubauen, die wesentlich später erst wichtig sind, und z.b. ein zweites Lesen interessant machen.
Außerdem hilft es dir, den roten Faden beizubehalten und eine Geschichte durch alle Bände hinweg zu erzählen.

Natürlich muss nicht jedes Detail stehen (das passt dann im Prozess doch irgendwo irgendwie nicht), aber der Zielpunkt sollte klar sein. Dann kannst du auch die Nebenplots und Charakterentwicklungen in die richtige Richtung steuern, kannst entscheiden, welchen Teil des Weltenbaus du einbringst etc.

Zum Thema Weltenbau habe ich z.b. bemerkt, dass in den guten Büchern auch wirklich nur der Teil erwähnt wird, der für die Geschichte wichtig ist und früher oder später relevant wird. Es wird nur wenig Weltenbau betrieben, der irrelevant ist. Aber was relevant ist oder nicht, weißt du halt nur, wenn du weißt wo die Reise hingehen soll ;)
Be brave, dont tryhard.

Graukranz

Ich schreibe mir zu Figuren, Aufbau der Welt, Entstehung der Welt, Chronologie der Ereignisse etc. sehr viel auf (meistens zu viel), bevor ich überhaupt zu schreiben beginne, und das meiste davon brauche ich dann gar nicht bzw. ändert es sich auch während des Schreibens, weil es anders einfach besser passt. Wichtig für mich ist, wie schon gesagt wurde, das Ende zu kennen bzw. die wichtigen Plot-Punkte, damit ich weiss, was ich wissen muss, bevor ich schreibe.

Wenn ich eine Reihe schreiben will, überlege ich mir auch schon zu Beginn ungefähr, was ins erste Buch soll, was ins zweite etc. Dann habe ich einen Faden, an dem ich entlanggehen kann, falls nötig. Von dem kann ich später abweichen, aber ohne würde ich den Überblick verlieren und hätte keine Chance, alles stimmig zu beenden.

Beim Lesen muss man nicht alles über die Welt schon im ersten Band erfahren. Wichtig ist dann aber meiner Meinung nach, dass man die neuen Infos im zweiten/dritten/vierten ... Band auch gut verpackt. Sonst besteht die Gefahr, dass es für die Lesenden wirkt, als sei die Welt zu Beginn noch «unausgegoren» gewesen.

Valentina

Danke für eure Antworten, @Graukranz , @Christopher und @Yamuri !

Bisher habe ich die Infos einfach in Google Docs, ich werde mir so ein chronologisches Denkbrett machen, damit es irgendwie klarer wird @Yamuri - aber bei mir ändert sich es auch manchmal so wie bei dir @Graukrankz.

@Christopher: Zum Glück weiß ich, wo die Reise hingehen soll, aber manchmal habe ich Sorge, ob mir irgendwann "die guten Ideen ausgehen" und dass ich im ersten Buch vielleicht ein, zwei Dinge rausnehmen könnte, um sie dann später zu gebrauchen. Bisher scheint bei mir alles Plotrelevant - das werde ich aber getrost überprüfen.

@Yamuri das mit den vielen Perspektiven verstehe ich gut - ich kann mir vorstellen, dass es später mehr werden, aber zu viele sollten es auch nicht sein. Manchmal wechseln auch die POVs mit der meisten Lesezeit durch die Serie hindurch.

@Graukranz mir geht es ähnlich, ich habe fast alles schon viel zu viel geplant und vielleicht wäre es besser, in Band 1 ein wenig rauszunehmen.


Also würdet ihr sagen, den Weltenbau und die Geschichte so viel wie es geht vorher zu planen (oder so viel, wie man es braucht, ich bin aber ein ziemlicher Planer), und dann nur Neues vorzustellen, wenn es wichtig für die Figuren und ihren Weg ist. Quasi die Welt parallel zu den Figuren zu entwickeln im Buch.
Zitat von: Graukranz am 15. August 2024, 20:54:49zweiten/dritten/vierten ... Band auch gut verpackt.
Und es ist nur gut verpackt, wenn es emotional wichtig ist für die Figuren. Alles andere kann eigentlich raus, bzw. aufgespart werden für andere Bände.
"Selbst die Dunkelheit muss vergehen. Ein neuer Tag wird kommen. Und wenn die Sonne wieder scheint, wird sie umso heller strahlen." - J.R.R. Tolkien

Yamuri

Ja, das hatte ich mir bei diesem einen Projekt von mir auch schon überlegt, es eher Serienhaft zu gestalten, mit vielen kleinen Geschichten, die dann bewusst aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden dürfen, aber in sich abgeschlossene Bücher sind, die eben Teil einer größeren Serie sind.

Ich versuche tatsächlich auch (obwohl ich bisher eher ein Pantser war) mehr zu plotten und zu planen. Denn leider hat das Pantsen schon mehrfach dazu geführt, dass ich komplette Bücher eingestampft von ganz neu geschrieben habe. Das empfinde ich selbst als extrem ineffizient und möchte das ändern, weshalb ich mich verstärkt mit Plotstrategien auseinandergesetzt habe und nun bewusst besser plotten möchte. Denn ich möchte nicht mehr alles über den Haufen werfen müssen im Überarbeitungsprozess.

Ich würde also sagen, ja, es ist definitiv sinnvoll vorab viel Weltenbau und generell Planung zu betreiben.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Graukranz

Grundsätzlich frage ich mich immer: Muss der Leser/die Leserin diese Information jetzt unbedingt haben (entweder um die Welt zu verstehen oder für die Figurencharakterisierung)? Wenn nein: warum steht sie da? Manchmal geht es nur darum, die Welt interessanter wirken zu lassen (im Sinne von, schau mal Leser:in, ich hab mir das alles schon überlegt), aber eine Information, die für den Rest des Buchs irrelevant ist, braucht es nicht.

Zitat von: Valentina am 16. August 2024, 13:18:16@Christopher: Zum Glück weiß ich, wo die Reise hingehen soll, aber manchmal habe ich Sorge, ob mir irgendwann "die guten Ideen ausgehen" und dass ich im ersten Buch vielleicht ein, zwei Dinge rausnehmen könnte, um sie dann später zu gebrauchen. Bisher scheint bei mir alles Plotrelevant - das werde ich aber getrost überprüfen.

Bei der Überarbeitung würde ich mich fragen, ob ich bestimmte Infos in Band 1 wirklich brauche bzw. ob der Leser/die Leserin sie braucht, und nicht, ob ich später zu wenige Ideen habe. Wenn es die Dinge in Band 1 braucht, würde ich sie drin lassen, wenn nicht, rausnehmen.

Zitat von: Valentina am 16. August 2024, 13:18:16Also würdet ihr sagen, den Weltenbau und die Geschichte so viel wie es geht vorher zu planen (oder so viel, wie man es braucht, ich bin aber ein ziemlicher Planer), und dann nur Neues vorzustellen, wenn es wichtig für die Figuren und ihren Weg ist. Quasi die Welt parallel zu den Figuren zu entwickeln im Buch. 

Genau. Aber dann eben so erzählen, dass man sich beim Lesen nicht fragt: "Warum kommt das erst jetzt?"
Beispiel Harry Potter: Dort gibt es ziemlich große Fehler im Weltenbau. Dinge fehlen oder werden viel zu spät erwähnt, sodass man beim Lesen nichts anderes denken kann als "Aha, das ist ihr aber erst jetzt eingefallen" (z.B. Felix Felicis oder die Informationen darüber, wie Magie limitiert ist – die kommen erst in einem der späteren Bände, obwohl sie für das Verständnis der Welt ja eigentlich fundamental wären).

Valentina

Zitat von: Yamuri am 16. August 2024, 14:02:52nicht mehr alles über den Haufen werfen müsse

Same! Da schafft man es, 400 Seiten zu schreiben und es hat sich erstmal alles stimmig angefühlt, aber dann sind sie doch nicht gut genug. Ich kann dem nur entgehen, wenn ich plotte  :buch:

Zitat von: Graukranz am 16. August 2024, 14:51:40Bei der Überarbeitung würde ich mich fragen, ob ich bestimmte Infos in Band 1 wirklich brauche bzw. ob der Leser/die Leserin sie braucht, und nicht, ob ich später zu wenige Ideen habe. Wenn es die Dinge in Band 1 braucht, würde ich sie drin lassen, wenn nicht, rausnehmen.

Ergibt Sinn! Bin auch manchmal schuldig, was das "schau mal, was ich mir überlegt habe!" angeht :D
Und außerdem kann man Ideen ja auch weiterentwickeln, sie sind ja nicht "weg", nur weil sie einmal verwendet wurden.
"Selbst die Dunkelheit muss vergehen. Ein neuer Tag wird kommen. Und wenn die Sonne wieder scheint, wird sie umso heller strahlen." - J.R.R. Tolkien

Edgar von Hewen

Meine Vorgehensweise besteht darin, in mehreren Iterationen zu arbeiten.

Bei meiner 12-bändigen Geschichte hatte ich zuerst eine Grundidee. Auf dieser Basis erstellte ich ein grundlegendes Worldbuilding. Dann begann ich zu schreiben und stiess dabei auf erste logische Probleme. Also setzte ich mich erneut ans Worldbuilding und verfeinerte es weiter.

Anschliessend plottete ich die gesamte Geschichte von Anfang bis Ende und teilte die Kapitel auf die (damals noch) vier Bücher auf. Dabei liess ich bewusst viele Lücken für Nebenfiguren. Einige Personen bekamen noch keine Namen, und manche Details überliess ich meinem Zukunfts-Ich.

Dann begann ich konkret mit Buch 1, wobei die Nebenfiguren Gestalt annahmen und wuchsen. Bald erkannte ich das Potenzial einiger dieser Figuren und entwickelte neue Ideen, um sie in die Gesamtgeschichte einzubauen. Einige von ihnen wurden schliesslich sogar zu sekundären Protagonisten.

Als der erste Akt von Buch 1 stand, hatte ich bereits über 600 Seiten geschrieben und realisierte, dass vier Bücher zu umfangreich wären. Also entschied ich mich, daraus 12 Bände zu machen.

Damit begann erneut eine Plotting-Phase, in der ich die Geschichte sinnvoll auf die nun zwölf Bände verteilte. Gleichzeitig integrierte ich die neuen Nebenfiguren und sekundären Protagonisten, wodurch ihre Geschichten weiter ausgebaut wurden.

Es folgte eine Überarbeitung von Buch 1 und der Beginn der Arbeit an Buch 2. Dabei entstanden neue Figuren und Hintergrundgeschichten. Dadurch war bald eine weitere Worldbuilding-Phase erforderlich, in der ich die Welt weiter detaillierte und eine umfassendere Hintergrundgeschichte verfasste.

Diese Erweiterung brachte neue Ideen für den Plot mit sich, sodass ich diesen entsprechend anpasste. Das hatte wiederum Auswirkungen auf Buch 1, wodurch ich dort einige Änderungen vornahm, bevor ich an Buch 2 weiterarbeitete. Nach der Fertigstellung von Buch 2 kamen erneut neue Ideen auf, und ich passte sowohl Plot als auch Worldbuilding weiter an.

Während dieses iterativen Vorgehens sammeln sich bei mir zahlreiche Hintergrunddokumente an, die mir als Orientierung dienen. Dazu gehören eine umfassende Hintergrundgeschichte, ein detailliertes Magiesystem, eine Personenliste, Karten sowie die Geschichte von Städten und Familien. Besonders in meiner Personenliste halte ich fest, wann eine Figur das erste Mal aufgetaucht ist, wie ich sie beschrieben habe und wann sie gestorben oder aus der Geschichte verschwunden ist. So stelle ich sicher, dass ich keine Plotfehler einbaue, wie sie etwa in Harry Potter vorkamen.

Ein weiterer wichtiger Punkt für mich ist, dass ich alle Rätsel und offenen Fragen der Geschichte bereits im Voraus kenne – auch wenn sie für die Leserschaft erst viel später aufgelöst werden. Ich muss sie jedoch im Hinterkopf haben, um die Bücher stimmig schreiben zu können. Löschen tue ich eigentlich nichts. Stattdessen überlege ich bereits beim Plotten genau, wo welcher Infodump eingeführt wird, sodass die Informationen über die gesamte Serie hinweg sinnvoll verteilt sind.

Mittlerweile sind acht Jahre seit der ersten Idee vergangen. Ich verfüge nun über eine detaillierte Hintergrundgeschichte und eine genaue Vorstellung davon, wie der Plot der zwölf Bücher verlaufen wird. Dennoch halte ich mir weiterhin die Möglichkeit offen, Änderungen vorzunehmen, die auch Auswirkungen auf die ersten Bände haben könnten.

Aus diesem Grund möchte ich zuerst alle zwölf Bücher schreiben, bevor ich das erste veröffentliche.

Syrelle

Ich habe insbesondere gemerkt, dass das ,,Foreshadowing" mein größtes Problem ist. Ich sitze ja jetzt das erste Mal an einem zweiten Band und habe gemerkt, dass sehr viele Andeutungen aus dem ersten Band eigentlich nirgendwo hinführen. Und die, die es tun, erkennt man meistens nicht oder wirken eher zufällig eingeflochten.

Z.B. die große Einführung meines Antagonisten im ersten Teil. Da wäre es eigentlich wichtig, weil man sich später sonst nur fragen würde, wer denn eigentlich der Typ im Anzug ist. Da er aber erst im zweiten Band eine größere Rolle bekommt, wirkt er im ersten Teil fast schon überflüssig...

Da ein Mittelmaß zu finden, fällt mir auch ziemlich schwer  :wums:

Valentina

@Edgar von Hewen das ist ziemlich beeindruckend! Respekt, dass du das so durchgezogen hast.
Ich sitze auch ein paar Jährchen (nicht 8, aber so 3) an meiner Reihe und gehe ähnlich vor, wie du. Seitdem ich Anfang des Jahres die komplette der Handlung der Reihe inklusive der Entwicklung der Nebenfiguren heruntergeschrieben habe, ist der Knoten bei mir geplatzt. Die ganzen losen Enden haben einen Platz gefunden und jetzt weiß ich, was ich wann ca. anteasern muss, damit es nicht zu früh oder zu spät thematisiert wird. Das Problem von Band 2 scheint für mich jetzt deutlich kleiner, aber so richtig werde ich es erst wissen, wenn ich das Buch schreibe.  :)
"Selbst die Dunkelheit muss vergehen. Ein neuer Tag wird kommen. Und wenn die Sonne wieder scheint, wird sie umso heller strahlen." - J.R.R. Tolkien