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Die Balance zwischen stark und schwach

Begonnen von HauntingWitch, 05. Oktober 2017, 13:04:02

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AlpakaAlex

Ich hole noch ein älteres Thema hervor, gerade weil ich dieses Thema durchaus interessant finde. Allerdings mehr für eine Diskussion: Ist es überhaupt richtig, Eigenschaften in Stärken und Schwächen zu unterteilen?

Mein Hintergrund dabei kommt so ein wenig mit der Arbeit mit jungen Autoren und die sind so auf dieses Stärken/Schwächen Konzept fixiert, dass oftmals recht unstimmige Charaktere zustande kommen. Das Problem dabei ist halt, dass Eigenschaften in klare Schwäche oder klare Stärke unterteilt werden - ohne, dass betrachtet wird, wie eine Schwäche manchmal eine Stärke sein kann und umgekehrt.

Ich habe allerdings in diesem Rahmen auch immer wieder die "Go To Schwäche", die viele nutzen, und mit der ich mich angefeindet habe: Ungeschicklichkeit. Wir kennen es ja alle von beliebigen weiblichen Manga-Heldinnen oder Bella Swan (wobei es bei letzterer zumindest wirklich durchgezogen war, selbst wenn das auf eine Art, dass es teilweise unglaubwürdig war, dass sie sich nicht schon lang das Genick gebrochen hatte). Oft wirkt diese "Schwäche" auf mich halt wie etwas, das jemand noch an einen Charakter angehängt hat, damit si*er nicht zu "übermächtig" wirkt. Aber es wirkt eben für den etwaigen Charakter nicht wirklich natürlich, sondern angetackert. Und von diesen Schwächen gibt es so ein paar.

Ich denke halt wirklich, dass es letzten Endes darauf ankommt, dass ein Charakter in seiner Geschichte mit Konflikten wirklich zu kämpfen hat. Und dass die etwaigen Charaktereigenschaften den Charakter halt eben dabei behindern. Und da kann durchaus eine Stärke eben auch zu so einer Behinderung führen. Was ist bspw. wenn ein Charakter enormes Selbstbewusstsein hat? Das kann gut sein, aber halt eben auch schnell im Weg stehen.
 

CarlH

Aus der Psychologie.
Ich drücke das bestimmt jetzt sehr unbeholfen aus, seht es mir nach.
Nach meinem Wissensstand.
Jeder Mensch sieht unbewusst in anderen Menschen seinen Vater oder seine Mutter. Das passiert ohne das wir das steuern können.
Das heißt, alles was wir von den Eltern mitbekommen haben, im guten, sowie im Schlechten, übertragen wir auf andere Menschen.
Das prägt unser Handeln, unsere Stärken, unsere Schwächen. Die dadurch herbeigerufenen Hürden, die wir im Leben nehmen müssen, prägen den Charakter.
Was hat so eine Romanfigur für eine Beziehung zu seinen Eltern gehabt, ist immer eine interessante Frage, die sich ein Autor stellen kann. Daraus lassen sich dann Schlussfolgerungen für den Handlungsstrang ergeben in der Interaktion der Charaktere.
Und schwupps, könnte man daraus einen stimmigen Charakter entwickeln mit all seinen Stärken und schwächen. Hab ich jedenfalls so gemacht, und hoffe, dass ich nicht irgendwo danebenliege. Aber man kann das ja alles noch anpassen.

Gizmo

Zitatohne, dass betrachtet wird, wie eine Schwäche manchmal eine Stärke sein kann und umgekehrt.

Das finde ich gut ausgedrückt, und versuche mich an den Gedanken dahinter zu halten.
Einer meiner Charaktere musste z.B. bereits in jungen Jahren sehr selbstständig sein. Sie war gewohnt, alleine zu entscheiden, was für andere das Beste ist, und danach zu handeln - denn wenn sie es nicht machte, tat es niemand. In diesem Umfeld war das eine Stärke, weil sie so alles am Laufen halten konnte.
In einem anderen Umfeld hatte sie dann später Probleme, weil sie mit Leuten zusammen war, die selbst entscheiden konnten und wollten, was für sie das Beste war. Hier war ihre Art, die auf den ersten Blick als bevormundent und stur wahrgenommen wurde, eher eine Schwäche.

Ich würde übrigens auch sagen, einiges an dieser strikten Unterteilung stammt aus dem Umgang mit Eigenschaften, mit dem wir aufwachsen. Eine der beliebtesten Fragen, die mir in Bewerbungsgesprächen gestellt wurden, war z.B.: "Was ist Ihre größte Schwäche?" Darauf wurde ich dann auch in der Schule / Berufsschule vorbereitet usw.
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

Fianna

@NelaNequin
Das stimmt. Sturheit wird zum Beispiel oft als Schwachpunkt gesehen. Das ist aber nur der Blick, den der Autor auf die Figur hat und dem Leser aufdrängt. Man könnte auch sagen: die Figur kann seine / ihre Meinung und Pläne gegen alle Widrigkeiten verfolgen und lässt sich nicht von Gruppendruck beeinflussen.
Es ist oft eine Frage der Sichtweise und der Darstellung. Deswegen kommt es wohl zu der kontroversen Diskussion über manche Figuren in Romanen (das bekomme ich teilweise mit, wenn ich Rezensionen lese), die vom Autor eigentlich relativ eindeutig als hilfreich oder hinderlich beziehungsweise stark und schwach eingeteilt sind. Die Beispiele, an denen das im Buch gezeigt wird, sind wohl nicht eindeutig genug gewählt, und was der Autor als negativ angelegt hat, wird von einigen Lesern positiv verstanden.

Shedzyala

Zitat von: Fianna am 19. Mai 2019, 23:25:58
@NelaNequin
Das stimmt. Sturheit wird zum Beispiel oft als Schwachpunkt gesehen. Das ist aber nur der Blick, den der Autor auf die Figur hat und dem Leser aufdrängt. Man könnte auch sagen: die Figur kann seine / ihre Meinung und Pläne gegen alle Widrigkeiten verfolgen und lässt sich nicht von Gruppendruck beeinflussen.
Danke, Fia! :jau: Diese Diskussion durfte ich nämlich beim Bewerbungstraining führen, als drei positive Eigenschaften genannt werden sollten und ich ua Sturheit und Neugier sagte. Beides sollen angebliche Nachteile sein, mir haben sie aber bisher mehr genützt als geschadet. Aber in Trainingsbücher ständen sie als negativ drin und deshalb wäre es so ... Die Trainerin war auf jeden Fall nicht mit Sturheit gesegnet und hat die Diskussion mit mir irgendwann entnervt abgebrochen ;D

Zitat von: Karlo am 18. Mai 2019, 18:54:24
Aus der Psychologie.
Ich drücke das bestimmt jetzt sehr unbeholfen aus, seht es mir nach.
Nach meinem Wissensstand.
Jeder Mensch sieht unbewusst in anderen Menschen seinen Vater oder seine Mutter. Das passiert ohne das wir das steuern können.
Das heißt, alles was wir von den Eltern mitbekommen haben, im guten, sowie im Schlechten, übertragen wir auf andere Menschen.
Das prägt unser Handeln, unsere Stärken, unsere Schwächen. Die dadurch herbeigerufenen Hürden, die wir im Leben nehmen müssen, prägen den Charakter.

Hm, klingt für mich jetzt weniger überzeugend, vor allem weil es menschheitsgeschichtlich noch recht jung ist, dass sich zwei Menschen allein um den eigenen Nachwuchs kümmern. Früher war es ja durchaus üblich, dass ein Kind mehrere Bezugspersonen hatte, die sich drum kümmerten und ich habe es auch bei meinem Bruder erlebt, dass Kinder keineswegs nur auf zwei Menschen fixiert sind. Ich bin 12 Jahre älter und war für ihn (gerade in sehr jungen Jahren) ebenfalls eine Autoritätsperson, meine Ansagen wurden nicht hinterfragt, meine ausgesprochenen Verbote respektiert und wenn er etwas angestellt hatte, hat er sich von sich aus vor mir gerechtfertigt, und das alles, ohne dass er sich noch einmal bei unseren Eltern rückversichert hat, ob ich ihm auch was sagen darf. Für ihn war auch also ein drittes Elternteil (und erst als er Anfang 20 wurde, hat sich unsere Beziehung ganz langsam auf Augenhöhe angeglichen).
Sprich dass Bezugspersonen Einfluss auf den Charakter haben können, kann ich glauben, nicht aber die Fixierung auf Mutter und Vater. Nichtsdestotrotz sollte man natürlich nach Möglichkeit immer wissen, welches Verhältnis der Charakter zu den Eltern und wer ihn oder sie eigentlich aufgezogen hat. Beim typischen Fantasy-Helden (TM) sind das nämlich fast nie die Erzeuger gewesen ;D
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Churke

Zitat von: NelaNequin am 18. Mai 2019, 16:18:39
Ich hole noch ein älteres Thema hervor, gerade weil ich dieses Thema durchaus interessant finde. Allerdings mehr für eine Diskussion: Ist es überhaupt richtig, Eigenschaften in Stärken und Schwächen zu unterteilen?

Ja. Weil man sich als Autor festlegen muss.
Stärken und Schwächen sind Motivatoren, die das Handeln einer Figur bestimmen. Die Kategorisierung in Stärke oder Schwäche hängt auch von der Figur ab. Eine Stärke lässt eine Figur das Richtige tun (in der Logik des Plots), eine Schwäche das Falsche.

Da wir Helden wollen, die auch mal Fehler machen, brauchen die Helden Schwächen, mit denen wir diese Fehler erklären. Schwächen darf man nicht auswürfeln, sie müssen sich aus dem Plot ergeben.

Zitat von: Shedzyala am 20. Mai 2019, 04:02:25
Danke, Fia! :jau: Diese Diskussion durfte ich nämlich beim Bewerbungstraining führen, als drei positive Eigenschaften genannt werden sollten und ich ua Sturheit und Neugier sagte. Beides sollen angebliche Nachteile sein, mir haben sie aber bisher mehr genützt als geschadet. Aber in Trainingsbücher ständen sie als negativ drin und deshalb wäre es so ... Die Trainerin war auf jeden Fall nicht mit Sturheit gesegnet und hat die Diskussion mit mir irgendwann entnervt abgebrochen ;D

Das ist eine Wertungsfrage. In einer Gesellschaft, die Unterordnung und Konformismus erwartet, ist Sturheit hochgradig unerwünscht. Und dann vielleicht noch wertkonservativ ohne Rücksicht auf Verluste.