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[Linguistik] Sprachbarriere? Deutsch/ Tschechisch im 15. Jhd und Heute

Begonnen von Zit, 05. Mai 2016, 07:37:51

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Zit

 :d'oh: Ich glaube, ich sehe gerade den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Geschichte kurz angerissen: Meine adlige Protagonistin, die in Böhmen Mitte/ Ende des 15ten Jahrhunderts aufwächst, gelangt in unsere Zeit und trifft im böhmischen Wald auf meinen deutschen Protagonisten. Neben all den kulturellen Schocks, die auf die Protagonistin zukommen, frage ich mich gerade, ob sich zwischen meinen Hauptfiguren auch Sprachprobleme auftun.

Was ich bisher heraus gefunden habe: In Böhmen wurde im 14ten Jahrhundert noch sowohl Deutsch als auch Tschechisch gesprochen, wobei Deutsch vorherrschend war und Tschechisch eher den niederem Volke vorbehalten war. Über beiden stand aber immer noch Latein als Gebildetensprache. Im Laufe des nächsten Jahrhunderts wurde das Tschechische aber wieder zurück gedrängt, war verschrien. Gleichzeitig stieg das Deutsche zur Bildungssprache auf. Dabei fällt auch immer wieder der Begriff "Prager Deutsch", das besonders rein und deswegen auch besonders hübsch gewesen soll.

Mein Problem: Ich habe keine Ahnung wie sehr sich das Prager Deutsch von unserem heutigen Deutsch unterscheidet, noch ob meine Adlige das überhaupt spricht, weil Böhmen und Prag ja nun zwei Dinge sind, und ob sie überhaupt (das damalige) Tschechisch kann. Vermutlich spricht sie Latein, was mein Protagonist natürlich nicht kann. Und ich bin auch ein bisschen verwirrt nachdem ich die halbe Nacht recherchiert habe, wo ich doch plotten wollte. Hilfe. Was sprechen die beiden denn nun, und verstehen sie sich überhaupt? :bittebittebitte:
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

LinaFranken

Dem was du recherchiert hast kann ich erst mal voll und ganz zustimmen. Das entspricht auch den Infos über tschechische Geschichte, die ich habe. Da die Habsburger da an der Macht waren, die ohnehin fast ganz Europa beherrschten und Rudolf II, der in Wien und Spanien aufwuchs,  fünf Sprachen sprach,  seinen Regierungssitz 1583 nach Prag verlegte, folgten ihm natürlich auch Adlige und Gelehrte aus ganz Europa und es wurden zu der Zeit viele Lehranstalten gegründet.
Deine Adelige könnte also durchaus in mehreren Sprachen gebildet sein und deutsch wird wegen dem Einfluss von Wien sicher auch dabei gewesen sein.
Schon der deutsche Karl IV baute die erste Universität. Dem Adel werden Deutsch und Latein sicher nicht fremd gewesen sein.

Araluen

#2
Aber ist das Deutsch des 15. Jahrhunderts für einen modernen Deutschen, der ja meist nur lokal gefärbtes Hochdeutsch beherrscht überhaupt verständlich? Das müsste doch noch das Deutsch sein, dass Luther gesprochen hat und seine Zitate sind im Original gelesen schwer verständlich teilweise. Das könnte aber auch an der historischen Rechtschreibung liegen.

Zit

#3
Danke erstmal für die Bestätigung, Lina. :D Nur lebt die Adlige eben irgendwann so zwischen 1458 und 1469/71, nicht 1583. Weißt du denn, ob das Prager Deutsch unserem heutigen Deutsch ähnlich ist? Ich habe es (bisher) nicht geschafft, Originaltexte in diesem Deutsch zu finden. :/

@Araluen Im Grunde liegt es ja sogar noch vor Luther und ich glaube, damals war das mit den Mundarten noch schlimmer als heute. (Wobei lautes Lesen schon sehr hilft.) Luther hat vermutlich nicht Prager Deutsch gesprochen (und welche komische Mundart meine Protagonistin in ihrer Ecke von Böhmen wohl erst gesprochen hat?).
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Churke

Zitat von: Zitkalasa am 05. Mai 2016, 07:37:51
Mein Problem: Ich habe keine Ahnung wie sehr sich das Prager Deutsch von unserem heutigen Deutsch unterscheidet, noch ob meine Adlige das überhaupt spricht, weil Böhmen und Prag ja nun zwei Dinge sind, und ob sie überhaupt (das damalige) Tschechisch kann.

Ich gehe davon aus, dass man in den Habsburger Erblanden ohne solide Deutschkenntnisse nichts werden kann. Also...  :engel:

Zitat von: Zitkalasa am 05. Mai 2016, 09:47:26
Luther hat vermutlich nicht Prager Deutsch gesprochen (und welche komische Mundart meine Protagonistin in ihrer Ecke von Böhmen wohl erst gesprochen hat?).

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0c/Oberdeutsche_Dialekte.png

Leider findet man kein historischen Karten, weil das ein Minenfeld ist. Aber in Böhmen sprach man einen ostoberdeutschen Dialekt, so etwas zwischen österreichisch und bairisch. 
Oder wie Hitler. *hust*
Das Prager Deutsch war als Kanzleisprache etwas hochgedeutschter und soll auch überregional verstanden worden sein.

Eine "Sprachbarriere" sehe ich nur durch den Dialekt. Je weiter sich die Adlige von der "Heimat" entfernt, desto eher werden die Leute die Stirn runzeln. Man kann sich aber durchaus auch einhören.

Zitat von: Zitkalasa am 05. Mai 2016, 09:47:26
Ich habe es (bisher) nicht geschafft, Originaltexte in diesem Deutsch zu finden. :/

Wahrscheinlich so ähnlich wie bei Dürer:
https://de.wikisource.org/wiki/Underweysung_der_Messung,_mit_dem_Zirckel_und_Richtscheyt,_in_Linien,_Ebenen_unnd_gantzen_corporen

Tintenteufel

Also ich schlage mich da auf Seite von Churke.
Nach dem, was ich aus dem Prager Deutsch Artikel bei Wikipedia rausziehe (es gibt da auch ein paar Quellen, da sollte doch ein Text irgendwo rumschwirren?), kommt Dürer der Sache noch am nächsten. Dürer und Luther.

Konkret haben wir aber das Problem, dass Prager Deutsch erstmal nur eine Schriftsprache gewesen sein dürfte. Die Wurzeln liegen (lt. dem Artikel, hab mich nie mit Sprachgeschichte außerhalb der BRD beschäftigt) im jüdischen Schulwesen der Habsburger Zeit. Die schrieben Deutsch vor als Unterrichtssprache. Das existierte zwar auch als gesprochene Sprache (klar), aber regional sehr unterschiedlich. Bairisch-österreichisch im Süden, Sächsisch-Schlesisch im Norden.
Mit der Emanzipation vom Lateinischen fällt die dann als Bildungssprache weg und Prager Deutsch übernimmt die Rolle.
Da allerdings die Bindung an das Neuhochdeusche (oder wenigstens frühneuhochdeutsche...) recht eng sein dürfte - Luther war nicht weit weg und hat so ziemlich die gleichen Einflüße gehabt - wäre vielleicht der Kompromiß etwas?
In der Schriftsprache schreiben sie ganz normal, Prager Deutsch wird also mit unserem eigenen Hochdeutsch identifiziert, das so ja kaum jemand spricht. Im Gespräch übernimmt dann entsprechend der moderne Dialektik oder der auf altgemachte Dialekt, der angemessen wäre. D.h. wenn deine Adlige aus Südböhmen kommt, spricht sie Österreichisch mit der Dienerschaft, schreibt ihrem Kollegen aus Nordböhmen aber in Hochdeutsch. Das wäre dann inhaltlich nicht ganz korrekt (siehe Dürer), aber die Beziehung zwischen den Dialekten, Sprachteilen und Landesgebieten bliebe gewahrt.