• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

[Psychologie] Lagerkoller / Cabin Fever + Trauma-Bewältigung

Begonnen von Fianna, 31. März 2016, 00:35:12

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Fianna

Update 07.04.16: Eigentlich habe ich mein Problem behoben, aktuell aber das Problem, dass ich meine Beschreibungen mit der Trauma-Sache aufgebraucht habe.
Glaube ich. Wie beschreibe ich seine Angst in akuten Situiationen, ohne mich zu widerholen? Ich stehe auf dem Schlauch.
http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,18741.msg857465/topicseen.html#msg857465


~~~~~~~~

Hallo an die Psychologen in der Runde,

ich suche etwas zu einem bestimmten psychischen Krankheitsbild, gerne auch wissenschaftliche Artikel (sofern sie in Deutsch oder Englisch sind), die müssen auch nicht online verfügbar sein. Passende Dinge bestelle ich mir immer in der Bibliothek als Teilkopie.
Meine bisherige Online-Recherche hat mich zu keinen aussagekräftigen Ergebnissen geführt.
Konkret geht um cabin fever oder auf Deutsch Lagerkoller, Bunkerkoller oder so ähnlich.


Mir geht insbesondere um folgende Fragestellungen:

  • Ist es mit Ruhelosigkeit und erhöhter Aggressivität korrekt dargestellt? Welche anderen Symptome gibt es?
  • Gibt es einen typischen Krankheitsverlauf mit verschiedenen Stufen, so dass jemand auf "Stufe 1" andere Symptome zeigt als jemand auf "Stufe 3"? Wie sieht das genau aus?
  • Sind bestimmte Personengruppen da besonders anfällig, beispielsweise Menschen mit bestimmten Charaktereigenschaften oder Menschen mit bestimmten psychischen Vorerkrankungen?
  • Kann es sein, dass bestimmte Menschen da mehr oder weniger "immun" gegen sind, dass sie einfach nicht anfällig für solche Verhaltenweisen sind? Weiß man auch, woran das liegt?
  • Einer der Charaktere zeigt ein antisoziales / leicht soziopathisches Verhalten. Macht das diesen Charakter besonders anfällig oder eher das Gegenteil?

Zusatzfrage:
Der Protagonist ist einem erhöhten Stressfaktor ausgesetzt, da er entführt wurde. Gefahr für Leib und Leben besteht nicht, da seine Fähigkeiten genutzt werden, aber er reagiert natürlich auf das veränderte Verhalten um ihn herum und fühlt sich in noch höherem Ausmaß als vorher gefährdet / bedroht (obwohl rational kein Grund besteht, da er ja gebraucht wird).
Kann der gleichzeitig PTBS und cabin fever haben und wie muss ich mir das vorstellen?


Danke schön schon einmal :)


Lothen

Ich glaube, ich kann zu der Frage nicht viel beitragen, aber ich versuche es mal. ;)

Zunächst handelt es sich dabei sicherlich um kein eng umschriebenes, wissenschaftlich fundiertes Krankheitsbild, es gibt keine solche Diagnose in den gängigen Manualen (ICD-10 oder DSM-IV). Deswegen dürfte es schwierig sein, deine Fragen allgemein zu beantworten, weil die meisten Betrachtungen vermutlich auf Einzelfallstudien beruhen, und die sind natürlich nur schwer generalisierbar.

Zumal dieses Störungsbild, wenn es wirklich ein einheitliches Syndrom ist, vermutlich nur wenig klinische Relevanz besitzt, zumindest in unseren Breitengraden.

Beim ersten Drübersuchen bin ich auf den Artikel hier gestoßen, der ist zumindest in einem renomierten Journal erschienen und beschäftigt sich auch mit Coping-Strategien. Die Stichprobe ist nur klein, aber das ist ja bei einem seltenen Phänomen nicht so überraschend. Hier hat sich auch gezeigt, dass das "Cabin Fever" eher als Reaktion auf Belastungen zu verstehen ist und weniger als eng umschriebenes Syndrom.

ZitatKann es sein, dass bestimmte Menschen da mehr oder weniger "immun" gegen sind, dass sie einfach nicht anfällig für solche Verhaltenweisen sind? Weiß man auch, woran das liegt?
Ganz allgemein gefragt: Ja, natürlich. Ich würde mich da eventuell an den Schutzfaktoren bei PTBS orientieren, ich denke, das dürfte übertragbar sein (ich weiß aber nicht genau, ob das Wiki da was ausspuckt).

Nur ein paar Beispiele für allgemeine Schutzfaktoren: emotionale Stabilität, persönliche Ressourcen (z.B. Sozialkontakte), Coping-Strategien (wie ich geh mit der Situation konstruktiv um?), positives Selbstbild und Selbstbewusstsein, Gefühl der Kontrolle über die Situation bzw. allgemeines Gefühl von Selbstwirksamkeit ("ich bin fähig, mein Leben selbst zu gestalten"), Reflexions- und Abstraktionsfähigkeit und sicher noch viele weitere.

ZitatKann der gleichzeitig PTBS und cabin fever haben und wie muss ich mir das vorstellen?
Definitiv, Störungsbilder schließen sich ja nicht gegenseitig aus. Wichtig allerdings: PTBS ist wirklich eine extreme Form von Belastungsreaktion, die lange anhält und deutliche Beeinträchtigungen mitbringt. Das nur am Rande, falls du den Prota noch zu irgendwas Sinnvollem benutzen willst. ;)

Es gibt sehr viele Formen von Belastungsreaktionen, die PTBS ist davon die schwerste. So auf den ersten Blick würde ich auch behaupten, dass das Cabin Fever einfach eine Form von Belastungsreaktion in bestimmten Situationen ist, d.h. die beiden wären Ausdruck desselben Problems. Aber das ist jetzt nur unreflektiert mein erster Eindruck.

Fianna

#2
Hui, danke! :vibes:

Hm, das es schwer erforscht / belegt ist und nicht klar definiert, habe ich mir schon gedacht.
Meine offene Frage hatte einen bestimmten Hintergrund: ich habe festgestellt, dass ich am liebsten 2 Grund-Tendenzen unterscheiden will. Cabin fever eher als Ruhelosigkeit, Aggressivität, aktiv / gefährlich gegen andere, und im Gegensatz dazu der Protagonist durch die ständige unterschwellige Bedrohungssituation ängstlich bis fast zur Paranoia, eher passiv, eher in ständiger Erwartung oder Befürchtung von etwas. So klar abgegrenzt ist das in der Realität natürlich nicht, aber ich habe in einer Novelle ja auch viel weniger Platz und habe diese beiden Krankheitsbilder auch so in etwa letztendlich aufgenommen...
Natürlich gibt es da noch andere Merkmale, beispielsweise bekommen Leute mit psychischen Vorerkrankungen oder Vorbelastungen dann einen neuen Schub (das einzige Buch, das ich fand, heisst nicht ohne Grund "Dann sprang er über Bord" - leider ist es dem Inhaltsverzeichnis entsprechend nicht wirklich hilfreich, was diese oder andere Krankheitsbilder für meinen Plot angeht, daher habe ich es noch nicht besorgt), aber so eine Grundhaltung wollte ich da versuchen, auszudrücken... Allerdings nur eine, die auch einigermaßen hinkommt.


Zitat von: Lothen am 02. April 2016, 11:51:37
Beim ersten Drübersuchen bin ich auf den Artikel hier gestoßen, der ist zumindest in einem renomierten Journal erschienen und beschäftigt sich auch mit Coping-Strategien.
Fein, vielen vielen Dank! Ich denke, "Coping-Strategien" ist dann ein wichtiges Stichwort, mit dem ich weiter recherchieren und weiter plotten kann.

Zitat von: Lothen am 02. April 2016, 11:51:37
Nur ein paar Beispiele für allgemeine Schutzfaktoren: emotionale Stabilität, persönliche Ressourcen (z.B. Sozialkontakte), Coping-Strategien (wie ich geh mit der Situation konstruktiv um?), positives Selbstbild und Selbstbewusstsein, Gefühl der Kontrolle über die Situation bzw. allgemeines Gefühl von Selbstwirksamkeit ("ich bin fähig, mein Leben selbst zu gestalten"), Reflexions- und Abstraktionsfähigkeit und sicher noch viele weitere.
Ah, okay. Ich habe auch eine Person mit antisozialen Verhaltensweisen, ein bisschen erinnert er an das, was man allgemein so als Soziopath bezeichnet. Der muss also nicht wegen der erzwungenen Nähe noch mehr als die anderen abdrehen, sondern kann aufgrund seiner schon bestehenden Störung da eher unbeschadet durchkommen? Ich hatte als Charaktermerkmale für ihn übermäßig positives Selbstbild, fühlt sich in Kontrolle über die Situation und andere Personen, wird darin bestärkt da andere schon in normalen Zeiten Angst vor ihm haben, ist unberechenbar und hat deswegen den "Respekt" der anderen, die ihre Aggressionen nicht an ihm ausleben; er hat deswegen genug Ruhe vor diesen cabin fever-Aggressionen, so dass er auch nicht unter zuviel erzwungener Nähe leidet, weil die anderen ihn sowohl im positiven Kontext meiden als auch sehr neben der Spur sein müssen, um mit ihm Streit anzufangen...
... würde das einigermaßen passen? Er wäre dann gar nicht einer so stressigen Situation ausgesetzt wie die anderen Mitglieder der Truppe.


Zitat von: Lothen am 02. April 2016, 11:51:37
PTBS ist wirklich eine extreme Form von Belastungsreaktion, die lange anhält und deutliche Beeinträchtigungen mitbringt. Das nur am Rande, falls du den Prota noch zu irgendwas Sinnvollem benutzen willst. ;)
Ich möchte ihn durchaus zu etwas Sinnvollem nutzen, das schließt aber eine psychisch heikle Situation nicht aus.
Wenn ich da verschiedene Etappen bilde (über einen längeren Zeitraum, praktisch pro Novellen-Band), ist das als Verhalten glaubhaft? Beispielsweise:

  • Starke irrationale Angstgefühle - Ausgangssituation. Werden zum Ende der ersten Etappe überwunden (oder er sieht zumindest ein, dass die Ängste irrational sind).
  • Arrangieren mit der Situation. Die Angstgefühle verschwinden (bis auf eben diejenigen, die sinnvoll sind in solchen Situationen, also tatsächlich konkrete Bedrohungssituationen).
  • Unterstützung der unfreiwilligen Bezugsgruppe ohne äußeren Zwang. (Möglicherweise zusammen gefasst mit dem vorigen Punkt als Ende der Etappe).
  • Identifizierung mit der Gruppe.
Das klingt so nach Stockholm-Syndrom, aber parallel dazu wollte ich die Dynamik der Gruppe verändern, so dass er nicht ein Opfer ist, das aus diversen bewussten oder unbewussten Gründen so handelt, sondern dass er eben wirklich als Teil der Gruppe akzeptiert wird...

Wäre das einigermaßen glaubhaft, oder siehst Du da eine fehlende Etappe, oder sollte sonst etwas angepasst werden, damit es ein wenig glaubhafter ist?


Vielen Dank schonmal für Deine Hilfe! :vibes:

Christopher

Zitat von: Fianna am 02. April 2016, 16:24:14


  • Starke irrationale Angstgefühle - Ausgangssituation. Werden zum Ende der ersten Etappe überwunden (oder er sieht zumindest ein, dass die Ängste irrational sind).
  • Arrangieren mit der Situation. Die Angstgefühle verschwinden (bis auf eben diejenigen, die sinnvoll sind in solchen Situationen, also tatsächlich konkrete Bedrohungssituationen).
  • Unterstützung der unfreiwilligen Bezugsgruppe ohne äußeren Zwang. (Möglicherweise zusammen gefasst mit dem vorigen Punkt als Ende der Etappe).
  • Identifizierung mit der Gruppe.

Der erste Punkt ist durchaus drin. Ich habe niemanden im Kameradenkreis der wirklich mit PTBS zu kämpfen hat, aber einige durften bereits leichte Anzüge davon spüren.
Beispiel: Extrem hoher Adrenalinpegel, gepaart mit Angst, Schweißausbrüchen und schwer kontrollierbarem Angriffsreflex. Weil er auf einen Kreisel zufuhr und der Typ im Kreisel doch tatsächlich einfach weitergefahren ist, anstatt ihm mit seinem Fahrzeug platz zu machen! Sein erster Impuls war Vollgas zu geben, drauf zu halten und den Typen von der Straße zu fegen. Glücklicherweise war er schon eine ganze Weile wieder in Deutschland und hatte sich im Griff.

Warum so eine Reaktion?
Wenn man in Afghanistan in einer Marschkolonne gefahren ist, gab/gibt es gewisse Regeln. Keine zivilen Fahrzeuge drängeln sich in die Kolonne ist eine davon. Um sowas zu verhindern wird z.b. an Kurven der Vordermann "rausgedrückt", d.h. man fährt so nah auf, dass niemand dazwischen fahren KANN und dann fährt der Vordermann erst um die Kurve. Die Einheimischen kennen das inzwischen und versuchen gar nicht erst, dazwischen zu kommen, da Warnschüsse und Schüsse auf Reifen/Motorblock keine Ausnahme sind, wenn man sowas versucht.

Bei ihm hat dann so eine Situation, wo sich jemand in einer Kurve vor ihn "drängelt", den Angriffsreflex ausgelöst und der wäre gewesen, den anderen Typen zu rammen und von der Straße zu fegen, damit der ja nicht in die Kolonne fährt.


Nur um mal ein Beispiel für ein Symptom zu geben, das so passieren kann. Mit sowas kann man dann arbeiten und es eben, wie du in der Aufzählung zeigst, Stück für Stück überwinden und damit klarkommen. Es gibt natürlich noch viele weitere Möglichkeiten, Panikschübe, Flashbacks usw. zu bekommen, das kann alles Mögliche sein, mit dem Personen besonders traumatische Ereignisse verbinden.
Be brave, dont tryhard.

Fianna

Zitat von: Christopher am 02. April 2016, 16:44:59
Nur um mal ein Beispiel für ein Symptom zu geben, das so passieren kann. Mit sowas kann man dann arbeiten und es eben, wie du in der Aufzählung zeigst, Stück für Stück überwinden und damit klarkommen. Es gibt natürlich noch viele weitere Möglichkeiten, Panikschübe, Flashbacks usw. zu bekommen, das kann alles Mögliche sein, mit dem Personen besonders traumatische Ereignisse verbinden.
Danke schön, an Panikschübe und Flashbacks hatte ich jetzt gar nicht gedacht. Vielleicht könnte ich auch Somnambulismus dazu nehmen  :hmmm: da muss ich mich einlesen, ob das auch ohne Vorgeschichte beginnen kann. Ich mache das schon seit Kindheit an. Allerdings liest man auch allenthalben, dass Schlafwandler in keiner REM-Phase mehr sind und nicht träumen, bei mir ist das mindestens einmal sicher belegt.

Lothen

Ohne jetzt noch mal dezidiert auf deine Ideen einzugehen, Fianna: Ich finde, das klingt alles recht schlüssig.

Abgesehen davon neige ich dazu zu sagen: Was sich in Bezug auf den Charakter stimmig anfühlt, ist auch stimmig. Diagnosen, Symptome und Syndrome beziehen sich immer auf eine große Gruppe von Personen, nie auf einen Einzelfall, dabei geht jeder Mensch individuell vollkommen anders mit Extremsituationen um. Der eine eben mit zunehmender Aggressivität, der andere eher mit Paranoia. Warum? Weil es ein Teil ihrer Persönlichkeit ist, Aus-Äpfel-Amen. Ich würde mich da eher stören, wenn jemand ein Symptom oder eine Verwaltensweise skizziert, die völlig out-of-character ist, nur, weil er sie in einer Symptomliste gefunden hat. ;) Insofern, wenn sich die Entwicklung stimmig anfühlt, dann ist sie das vermutlich auch.

Zur PTBS: Da findest du eigentlich einen ganz guten Überblick über mögliche (Spät-)Folgen in der Wiki. Somnambulismus als Ausdruck einer PTBS wäre mir jetzt (zumindest bei Erwachsenen) allerdings neu, ist auf jeden Fall kein typisches Symptom.

Fianna

Ja, ich lasse das lieber weg.
Einen ohnehin schlafwandelnden Charakter, der unter dieser Belastung erneut anfängt, kann ich leider nicht einfügen (das hätte so gut gepasst - es ist das Projekt mit den Leuten, die von Geistern besessen werden).
Den müsste man ja am Bett festbinden und alle 4 Stunden die Knoten auf und zu machen, das ist doch recht nervig. Wobei der sich ja theoretisch selbst festbinden könnte, es reichen ja schon die Beine  :hmmm:

Fianna

So, ich habe nochmal eine Frage von der Fia-Front.
Plottechnisch passt soweit alles und ich wollte den Titel schon auf "erledigt" setzen, allerdings habe ich ein kleines Problem mit den Beschreibungen.

Nachdem ich schön zeigen konnte, was mit der Figur denn nun los ist, habe ich das Gefühl, dass ich meine ganzen Vergleiche, Beschreibungen und so weiter für seine Angst schon aufgebraucht habe.
In einer tatsächlich akuten Gefahrensituation wollte ich lieber show machen, aber - mir fällt nichts mehr ein, ich hab das Gefühl, ich habe alles schon benutzt.

Hat jemand von euch eine Idee?

Lothen

Ich glaube, das ist eher ein Problem für den Workshop, oder? Wäre schade, wenn das hier untergeht, weil keiner reinklickt. ;)