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Die Gewichtung der Protagonisten

Begonnen von La Variée, 21. Januar 2015, 14:32:20

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Tintenvers

Zitat von: Jenny am 21. Januar 2015, 16:20:19

Habe ich dich richtig verstanden, dass du nicht das klassische Bild von Gut und Böse entwirfst, sondern es eher eine Frage der Sichtweise ist? Gerade dann finde ich persönlich es wichtig, dass auch beide Parteien genug Raum haben, um ihre Geschichte entfalten zu können. Um zu verstehen, warum sie so handeln, wie sie handeln.
Hmmm jaein. Es gibt schon eine böse Seite. Dafür muss ich jetzt etwas weiter ausholen:
Weder Prota 1 noch Prota 3 sehen sich auf der bösen Seite. Ganz im Gegenteil: Beide gehen davon aus, dass sie für die gleiche Sache kämpfen und der jeweils andere eben für die "Böse." Das liegt daran, dass das "Böse" meinen Prota 3 dahingehend manipuliert und eintrichtern kann, dass er Prota 1 unbedingt beseidigen muss, weil dieser sonst das Fundament der Welten auseinander bricht. Genau das will ja aber Prota 1 auch verhindern. Erst am Ende des ersten Bandes erkennt Prota 3 das er aufs Übelste manipuliert wurde.
Und da liegt halt der Hund begraben. Ich habe die Wahl zwischen drei Möglichkeiten. Und je nachdem für welche ich mich entscheide, habe ich eine andere Perspektive und damit eine andere Geschichte. Möglichkeit eins: Der Leser hält Prota 3 wirklich für den Bösen, der die Pläne der Bösen hegt und erfährt erst am Ende, dass dem eigentlich gar nicht so ist. Möglichkeit 2: Der Leser hält Prota 1 für den Bösen und muss am Schluss erkennen, dass er an der Nase herumgeführt wurde. Möglichkeit 3: Der Leser kann sich ein ganz eigenes Bild von dem Geschehen machen und hat die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wen er symphatischer findet und wer für ihn der eigentlich Gute ist.
Ich tendiere derzeit wirklich mehr zu Variante 3. Aus folgendem Grund: Band 2 MUSS Prota 3 mehr Gewicht bekommen, bzw. fällt Prota 1 fast ganz aus, so ist der Leser nicht ganz zu irritiert oder fühlt sich betrogen. Hingegen muss Band 3 zwangsläufig mehr aus der Sicht von Prota 1 passieren, da das Ganze sonst nicht mehr aufgeht. Demnach würde ich bei Band 1 die beiden Protas näher heranführen und der Leser fühlt sich nicht dämlich bei  (Ich hasse das selbst, wenn plötzlich ganz neue Perspektiven von Nebenfiguren in weiteren Bändern auftauchen - so wie es bei "Das Lied der Dunkelheit" der Fall ist, falls das jmd kennt.)


Silvia,
ich habe mich auch schon gefragt, ob die Sicht von Prota 2 wirklich notwendig ist. Derzeit bin ich tatsächlich am Überlegen, diese Sicht weg zu lassen - vor allem, wenn ich zu einem Gleichgewicht zwischen Prota 1 und Prota 3 tendiere baue ich mehr Spannung auf, wenn Prota 2 nicht aus ihrer Sicht erzählt.

Lucien

Ich würde auch zu Variante 3 tendieren. Das klingt nach einer interessanten Geschichte. :jau:

Silvia

Oja, Variante 3 bitte! Denn so ist es doch eigentlich: dieses Gut-Böse-Schema ist ja eigentlich nur ein Konstrukt der Vereinfachung. Normalerweise hat jedes Ding mindestens 2 Seiten, wenn nicht noch mehr - eigentlich ja so viele Seiten, wie Leute drauf schauen. Und ich bilde mir gern meine eigene Meinung über die handelnden Personen. --> klare Anhängerin der Fraktion Grau  ;)
Außerdem - sobald du aus der Sicht von Prota 3 erzählst, schreibst du ja automatisch von seinen Ansichten und Emotionen: dabei müsste ja rauskommen, welche Ziele und Überzeugungen er hat.

Nebeldiener

Wenn ich das richtig verstanden habe versucht Prota 1 die Welt zu retten. Prota 3 wurde vom "Bösen" manipuliert und versucht nun Prota eins daran zu hindern die Welt zu retten?

So wie es momentan aussieht, würde ich auch zur dritten Variante tendieren, aber trotzdem vorsichtig sein, denn so wie du es beschrieben hast werden Prota 1 und 3 erst am Ende vom Buch aufeinandertreffen. Schreibst du nun aus beiden Perspektiven, ohne diese zu verbinden, kann es leicht zu viel werden. Du bräuchtest also Ereignisse, welche in beiden Perspektiven vorkommen würden. Zum Beispiel beide gehen in die gleiche Bar und begegnen sich, ohne dass sie es wissen. Einmal aus der Sicht von Prota 1 und einmal aus der Sicht von Prota 3.

Hast du bis zum Ende keine solche Verbindungspunkte, würde ich mich trotzdem für Prota 1 oder 3 entscheiden.

Tintenvers

#19
NA ja, beide versuchen die Welt zu retten, der eine nur eben auf falschem Wege ...

Ja, so war das geplant. Die beiden begegnen sich erst zum Schluss ganz bewusst - müssen aber erkennen, dass sie sich bereits begegnet sind, bzw. sogar einen Teil der Reise schon gemeinsam hinter sich gebracht haben ... Bzw. diese Handlungsstränge sollen sich immer gnaz leicht berühren und dann wieder auseinander gehen. Zum Beispiel trifft Prota 3 kurz nach Prota 1 an einem Ort ein, an dem Prota 1 irgendwelche Ereignisse ins Rollen gebracht hat.

Sipres

Ich war selbst schon mal in einer solchen Situation. Anfangs sollte es nur einen Perspektivcharakter geben, doch dann habe ich einen Nebencharakter immer weiter ausgearbeitet und wollte auch aus dieser Sicht schreiben. Nur so konnte ich genau aufzeigen, warum welche Handlungen ausgeführt wurden. Irgendwann kam ich an den Punkt, dass ich nicht mehr wusste, welcher Char jetzt eigentlich der richtige Prota ist und musste mich entscheiden.

In diesem Moment ging mir der Gedanke durch den Kopf: "Wie wird ein Schuh draus?" Und ich entschied mich, Prota 1 wieder mehr Bedeutung einzuräumen, da die Story nur so richtig fortgeführt werden konnte.

Du musst also im Endeffekt selbst entscheiden, wie für dich ein Schuh draus wird. Denn im Endeffekt zählt, wie der Erzählfluss am besten fließt und wie du die Story am besten ausarbeiten kannst.

Sturmloewin

Also zunächst halte ich Variante 3 auch für die bessere. Zwar finde ich es auch spannend, wenn man eine Geschichte liest und dann am Ende feststellt, dass man die ganze Zeit auf dem Holzweg war - aber dann wird es eben auch nur am Ende spannend. Und gerade, wenn sich die Geschichte auf drei Bände erstreckt, könnte Variante 1 oder 2 auf Dauer "langweilig" werden, weil der Leser das Gefühl hat, alles zu wissen (auch wenn dem nicht so ist).

In diesem Sinne halte ich es für sinnvoller, wenn der Leser relativ bald bemerkt, dass das Erkennen und Begreifen von Motiven und Handlungssträngen nicht so einfach ist, dann behält die Geschichte mehr Potenzial für Spannung und der Leser möchte weiterlesen.

Außerdem halte ich das, was Nebeldiener anspricht für sehr wichtig.

Dem Leser muss auf jeden Fall klar werden, dass Prota 1 und Prota 3 etwas (oder auch etwas mehr) miteinander zu tun haben (auch wenn die selbst es nicht ahnen).
Zufällige Begegnungen oder eben das Aufsuchen von gleichen Orten (eventuell sogar zur selben Zeit) oder die Begegnungen mit derselben Person sind Möglichkeiten, das zu erreichen.
Denn wenn über drei Bände lang zwei Sichtweisen benutzt werden, die scheinbar nie miteinander in Kontakt treten, könnte dies auf Dauer etwas langweilig werden.

Aber an und für sich halte ich die von dir angedachte Gewichtung der Protagonisten für sinnvoll (also in Bd. 1 beide (wobei eventuell eine etwas stärkere Gewichtung von Prota 1 sinnvoll wäre... Doch ich glaube, das fände ich wirklich gut.), in Bd. 2 Prota 3 und in Bd. 3 beide gleich)
Wobei sich mir nun die Frage stellt, welche Rolle eigentlich Prota 2 hat und warum diese Perspektive unbedingt mit reinmuss.

Wenn sie nicht zwingend notwendig ist, würde ich sie eventuell wirklich weglassen.
So when the world knocks at your front door
Clutch the knob tightly and open on up
And run forward and far into its widespread, greeting arms
With your hands outstretched before you
Fingertips trembling, though they may be
--- Anis Mojgani "Shake the Dust"

Tintenvers

So, ein kurzes Schlusswort:
Ich habe mich nun tatsächlich für eine etwas abgewandelte Variante 3 entschieden. Da Prota 2 allerdings bei dieser Variante eher stört, fliegt ihre Sicht raus und es wird nur noch in Sicht von Prota 1 und Prota 3 erzählt.
Ach, wie schön, ich habe eine Lösung gefunden, die sich richtig anfühlt. Und ich komme endlich mit diesem Projekt voran.  :vibes: Vielen lieben Dank für eure Kommentare!