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Militär im 19. Jahrhundert

Begonnen von Eredwin, 17. Oktober 2014, 17:29:25

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Eredwin

Hallo miteinander!

Für mein NaNo-Projekt brauche ich noch einige Infos über das Militär im späten 19. Jahrhundert. Die Geschichte spielt zwar in einer anderen Welt, aber ich würde gern das britische Empire als Vorbild nehmen.
Folgendes interessiert mich:
-Marine (Schiffstypen, Mannschaftsgröße, Strategien in der Schlacht)
-Schlachtformationen (Alles über den Einsatz von Artillerie und Kavallerie.)
-Militärlogistik (Wie teuer war ein Krieg? Wie hoch der Sold eines Soldaten, Matrosen, Offiziers, etc.? Wie wurde das Heer mit Nahrung versorgt?)
-Größe des Heers (Wie viele Berufssoldaten/Reservisten gab es?)
-Dienstgrade (Welche Dienstgrade gab es in der britischen Armee/Marine? Wie war die Rangfolge? Welche Rolle spielte es, ob man adelig war? Brauchte man irgendwelche speziellen Qualifikationen?)
-Truppen (Wie war das Heer eingeteilt? Welche Truppenarten gab es? Wie groß waren sie?)

Kennt jemand empfehlenswerte Fachliteratur oder ist vielleicht ein Experte unter uns, der mir helfen kann?  ;D
Ich weis, es ist eine Flut an Fragen, aber ich hab jetzt schon ein paar Tage und hab fast nichts gefunden.  :P

Mit freundlichen Grüßen
Eredwin

Christopher

Wenn es in einer anderen Welt spielt, sind einige deiner Fragen nachrangig. Da solltest du es dir hinbauen wie es passt und nicht die Geschichte an Vorbildern, die für die Geschichte irrelevant sind, orientieren. Dazu gehört: Größe des Heeres, Besoldung, Größe der Truppengattungen.

Bei vielen der übrigen Punkte kann ich aber nachvollziehen, dass du dich an einem Militär orientieren willst. Dabei umschiffst du einige unlogische Punkte, die einem Laien niemals auffallen würden. Als zumindest ungefährer nicht-Laie versuche ich mal ein paar Antworten für dich zu finden ;D

Marine:
Kann ich nichts zu sagen. Schlacht zur See ist etwas komplett anderes als an Land. Einer der wichtigsten Sätze die mir aber aus Erzählungen von Kameraden erhalten geblieben ist, ist sinngemäß folgender: "Bei einem Seegefecht muss man zwanzig Minuten vorher wissen, wo man dann sein will." Also: Die Manöver des Gegners vorausahnen, entsprechend manövrieren und ständig anpassen, bis einer, nach einem langen Katz-und-Maus Spiel, in der besseren Position ist. Bei mehreren Schiffen nahezu unmöglich alle Faktoren einzubeziehen.
Bei "alten" Schiffen die über keine schwenkbaren Kanonen verfügen (grob nur Schusslinie im 90° Winkel) und sich segelnd fortbewegten, wird das noch wichtiger gewesen sein.

Schlachtformationen:
Das hängt stark vom Grad der Technisierung ab. Der technische Wandel beeinflusst Militär erheblich. Da du von Artillerie und Kavallerie sprichst, gehe ich davon aus, dass Kanonen bereits vorhanden sind und auch im großen Stil genutzt werden. Wie gut sind die bereits bei dir? Die Zielgenauigkeit der ersten Kanonen war katastrophal, es wurde weiter in Schlachtreihen gekämpft, weil die ersten Gewehre ebenso unpräzise waren. Mangelnde Zielgenauigkeit wurde durch Masse ausgeglichen (siehe z.b. "Der Patriot", darum dieses dämliche in Reihe stehen und gleichzeitig schießen).
Als die Zielgenauigkeit von Kanonen und Gewehren zunahm, wurde es zunehmend Selbstmord in offenen Reihen anzutreten und Schießbudenfigur zu spielen. Die Verbände die sich zusammen über das Schlachtfeld bewegten wurden deutlich kleiner, große Haufen waren gefundenes Fressen für Kanonen.
Die Effizienz und Einsetzbarkeit von Kavallerie hängt ebenfalls vom technischen Stand ab. Bogenschützen waren schon zu deutlich früherer Zeit ein effizientes Mittel gegen Kavallerie, wurden durch technischen Wandel in anderen Zeiten verdrängt. Die Gewehre sind die Renaissance der Fernkampfwaffe für den einfachen Soldaten. Kavallerie war nur noch effizient, so lange wie die Ladezeit der Gewehre (Vorderlader z.b.) zu hoch war um heranreitende Gegner effektiv bekämpfen zu können. Je nach technischem Stand ist Kavallerie in der Schlacht also immer noch ein probates Mittel oder aber bereits Selbstmord.
Allerdings hat die Englische Armee auch noch im 1. Weltkrieg (Anfang 20. Jahrhundert) Kavallerie eingesetzt. Ich behaupte aber, dass das zu Zeiten des Maschinengewehrs einfach nur noch eine dämlicher Offiziersstolz auf die Kavallerie war. Erfolge dürften Fehlern beim Feind anzurechnen gewesen sein, nicht der Überlegenheit von Kavallerie gegenüber automatischen Waffen.
Natürlich kannst du also weiter Kavallerie einsetzen lassen. Stolz und Idiotie gibt es zuhauf in jeder Welt.

Noch ein Nachtrag zum Gewehr: Das Militär des 19. Jahrhunderts wurde revolutioniert durch das sogenannte Zündnadelgewehr. Eines der ersten (oder gar das erste? Da verlassen mich meine Kenntnisse) bei dem Patronen genutzt wurden, die seitlich in das Gewehr eingeführt werden konnten.
Der große Vorteil? Man konnte im liegen nachladen, man war keine riesengroße Zielscheibe mehr, jedes mal wenn man nachladen musste und die Kadenz (Anzahl Schüsse/Minute) war 3-4 Mal so hoch wie bei Vorderladern. Wie das Kräfteverhältnis sich verschiebt, wenn eine Seite Vorderlader und die andere Seite Zündnadelgewehre verwendet, muss ich denke ich nicht auswalzen.
Wenn du also eine plötzliche, unerwartete Kriegswende haben willst, verpass einer Seite einen fähigen Ingenieur, der das Zündnadelgewehr entwickelt. Da wird aus der "unterlegenen" Seite ganz schnell der Gewinner :P

Militärlogistik:
Kosten: Unabschätzbar, zu viele Faktoren. Geh von höllisch teuer aus und rechne noch mal was drauf ;D
Sold: Der Sold war in der Regel nicht besonders hoch, Soldaten wurden mit Einmalzahlungen bei Anwerbung gelockt. Danach gab es keine Kosten mehr für die Soldaten selber (Verpflegung, Kleidung etc. war ja frei), daher erschien der Sold in Ordnung. Je nach Mortalität kann man natürlich auch recht guten Sold zahlen. Wenn hinterher ausgezahlt wird und 80% der Soldaten draufgehen, wird das ja nicht so teuer. Da muss man ja nur noch 20% zahlen  ::)
Nahrung: Deutlich schwerer. Ich zitiere sinngemäß den Herrn Rommel: "Soldaten gewinnen eine Schlacht, Logistik gewinnt einen Krieg." Über den logistischen Anteil lasse ich mich weiter unten noch mal aus.

Größe/Dienstgrade: Da wäre ich auch nicht schlauer als Google. Da es in deiner eigenen Welt spielt, kannst du es aber so anpassen wie du willst. Wir reden ja nicht von einem historischen Roman, oder?

Truppen: Auch hier kannst du es einteilen. Über Verhältnisse der Truppengröße der alten Englischen Armee könnte ich auch nur spekulieren oder Google fragen. Allerdings hängen auch diese Dinge vom technischen Stand ab. Als die Artillerie noch neu war, gab es wenig. Als Artillerie als Allheilmittel gepriesen wurde, gab es viel davon. Als Kavallerie noch toll war, gab es viel davon. Als die Offiziere die als einzige auf dem Pferd in die Schlacht ritten immer öfter zuerst erschossen wurden (präzisere Gewehre), nahm die Beliebtheit ab.
Eines der Dinge die aber immer relativ konstant geblieben ist, ist das Verhältnis von Logistik zu kämpfender Truppe. Egal was gerade in Mode war, Artillerie, Kavallerie, Infantrie, wasauchimmer, fressen mussten sie alle, Munition brauchten alle, es mussten Zelte aufgebaut, Gräben gezogen, Straßen begehbar gemacht werden, Ausrüstung instand gesetzt werden usw. usf.

Aktuell ist ein Verhältnis von 6-7:1, kämpfende Truppen:Logistik gegeben. Heutzutage haben wir allerdings auch Flugzeuge, LKWs und riesige Schiffe, während die Menschen immer noch gleich viel Fressen. Ich würde schätzen, dass das Verhältnis zu Lasten der Logistik verschoben gewesen sein dürfte, irgendwo bei 3:1 ungefähr.


Solltest du noch Fragen haben oder hier und da mehr Informationen brauchen, nur raus damit. Allerdings werde ich nicht überall helfen können :)
Be brave, dont tryhard.

THDuana

Zitat von: Christopher am 17. Oktober 2014, 18:10:18Größe/Dienstgrade: Da wäre ich auch nicht schlauer als Google. Da es in deiner eigenen Welt spielt, kannst du es aber so anpassen wie du willst. Wir reden ja nicht von einem historischen Roman, oder?
Als ich an den Punkt kam, wo ich mich fragen musste, wie die Besatzung meines Piratenschiffs zusammengesetzt ist und was für ein Schiff sie überhaupt haben, hat mir Wikipedia sehr weitergeholfen. Zum Thema Schiffsbesatzung haben sie meines Erachtens nach einen ganz guten, übersichtlichen Artikel, der nach Epochen und Schiffstypen gegliedert ist. Von dort kann man sich dann gut durchklicken und verschiedene Schiffe anschauen. Eine Erklärung zu Dienstgraden lässt sich da auch finden.

Außerdem bietet Sprottes Beitrag im "Schiffe um 1700"-Thread eine schöne Sammlung an Links, sowie der gesamte Thread auch einiges über Schifffahrt zu bieten hat.

Das vielleicht als Ergänzungs-"Sprungbrett" zu Christophers Post. :)

Churke

Zitat von: Christopher am 17. Oktober 2014, 18:10:18
Als die Zielgenauigkeit von Kanonen und Gewehren zunahm, wurde es zunehmend Selbstmord in offenen Reihen anzutreten und Schießbudenfigur zu spielen. Die Verbände die sich zusammen über das Schlachtfeld bewegten wurden deutlich kleiner, große Haufen waren gefundenes Fressen für Kanonen.
Das lag nicht nur an der Technik. Die Armeen der Kabinettskriege mussten in der Linie kämpfen, weil die Soldaten gepresst waren und man fürchtete, dass sie sich in einer offeneren Formation davon machen würden.
Die französischen Revolutionsheere führten kleine Kolonnen ein, die beweglicher sind und mehr Feuerkraft haben. Dieser Neuerung ist einer der Gründe für Napoleons Erfolge.

Zu Beginn des 1. Weltkriegs zogen die Infanterie noch in offenen Schützenlinien, ähnlich wie im Civil War oder 1870/71 in die Schlacht. Genauso die Kavallerie - bis man merkte, dass das nicht funktionierte. Aber es ist nun einmal so, dass die Militärs immer den vergangenen Krieg gewinnen wollen.  ;D


Zitat von: Eredwin am 17. Oktober 2014, 17:29:25
-Militärlogistik (Wie teuer war ein Krieg? Wie hoch der Sold eines Soldaten, Matrosen, Offiziers, etc.? Wie wurde das Heer mit Nahrung versorgt?)
Der praktische Universal-Ratgeber, der allerdings nur die deutschen Verhältnisse berücksichtigt, listet die Einkommensverhältnisse auf:

Gemeiner: 10,50 - 12 Mark monatlich
Fähnrich: 27 Mark
Leutnant: 900 Mark p.a.
Leutnant Kavallerie: 1.008 Mark p.a.
Lt. Ingenieurskorps: 1.188 Mark p.a.
Oberleutnant: 1.500 Mark
Hauptmann: 2.700 Mark
Regimentskommandeur: 7.800 Mark
Regimentskommandeur: 9.900 Mark
Divisionskommandeur: 16.500 Mark
General: 30.000 Mark
Die Offiziere erhalten noch Zuschüsse von 45 - 150 Mark monatlich, wobei es eine Regimentsordre Seiner Majestät von 28.  März 1890 gibt, in welcher der Kaiser sich über die Luxus-Offiziere beschwert und preußische Mäßigung verlangt.

Und was heißt das jetzt?
"Kleine Beamtenfamilie, Ehepaar und 3 Kinder, in der Mittelstadt.
Einnahmen Mk. 2.400,-
Wohnung Mk. 450,-
Abgaben (Steuern, Lebensversicherung) Mk. 145,-
Nahrung Mk. 1140,-
Feuerung und Licht Mk. 60,-
Kleidung (bei Selbstanfertigung für Mutter u. Kinder) Mk. 200,-
Schulgeld Mk. 150,-

Summe: Mk. 2145,-

bleibt für Verschiedenes, Gesundheit, Unvorhergesehenes Mk. 255,-"


Der Wechselkurs zum Pfund Sterling betrug übrigens 20,43 Mark.

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Und das will ich nicht unterschlagen:

ZitatOffizier des stehenden Heeres ist nur dann ratsam, wenn hinreichend Vermögen vorhanden ist, um zunächst die persönlichen Zulagen zu bestreiten und dann eine standesgemäße Heirat eingehen zu können. Mit dem Hinblick auf eine reiche Partie (wie sie ja wohl vorkommen) Offizier zu werden, wäre ein zu abenteuerlicher Gedanke. Trotz der schlechten Gehaltsverhältnisse und der noch schlechteren Aussichten auf Beförderung lassen sich aber stets eine große Menge mittelloser junger Leute durch den äußeren Glanz und den übertriebenen Nimbus des Offiziersstandes zu der Karriere verlocken.

Zitat
Kennt jemand empfehlenswerte Fachliteratur oder ist vielleicht ein Experte unter uns, der mir helfen kann?  ;D
Probier mal Georg Ortenburg: Heerwesen der Neuzeit Bd. V. Zeitalter der Millionenheere (1871 - 1914), Bernhard & Graefe Verlag 1984.
Ich habe nur die Bände I (Zeitalter der Landsknechte) und II (Zeitalter der Kabinettskriege), die sind eigentlich ganz gut.