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Trauer - zwischen Realismus und Selbstmitleid

Begonnen von Lothen, 06. Mai 2014, 17:29:56

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canis lupus niger

#15
Eine Art, den Umgang mit großer Trauer aus der Perspektive der Trauernden darzustellen, die nicht selbstmitleidig und "jämmerlich" wirkt, und die für mich funktionieren würde, wäre vermutlich eine Art von Verdrängung. Die Betroffene ist innerlich wie erstarrt, lässt keine Gefühle zu, wiegelt entsprechende Gesprächsversuche von Freunden konsequent ab, lenkt sich mit Arbeit ab (ja, das fände ich auch gut), versucht alles, um nicht an den Verlust zu denken. Aber hin und wieder kommt eine Assoziation, der Anblick einer Kleinigkeit, ein vertrauter Duft oder Irgendwas, das den Panzer durchdringt wie ein Nadelstich. Die Trauernde hält inne in dem, was sie gerade tut und versucht den Dammbruch (ihrer Gefühle) zu verhindern. Sie empfindet scharfen Schmerz. Der Gedanke "Es wird niemals wieder so sein, niemals!"  beherrscht auf einmal alles. Und sie muss sich mühsam zu ihrem abgestumpften Zustand zurückkämpfen. Wenn ihr jetzt jemand mitfühlend kommt, könnte sie je nach ihrem Temperament aggressiv reagieren, zusammenbrechen (der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt), eine Maske aufsetzen (ironisch, hysterisch, cool, weise, kühl-dankbar-höflich, ...).

Empfindet Deine Trauernde sich als schuldig am Tod ihres Freundes? "Ich hätte es vielleicht verhindern können, wenn ich nach dem Kino noch mit ihm ins Café gegangen wären, statt mich zu Hause noch an meine Klausurvorbereitung setze."  Auch das könntest Du (als daran nagenden Wurm) in ihren geistigen Schutzwall einbauen.

So kannst Du sie, statt "jammern" sich selber ständig zur Stärke ermahnen lassen. Ihre Unfähigkeit, dieser Ermahnung gerecht zu werden, zeigt dann indirekt die Tiefe ihres Schmerzes.


Nikki

Hach, wäre ich zwei Tage früher da gewesen, hätten wir siebenjähriges Jubiläum für den Thread feiern können. ;D Zwar vor Jahren eröffnet, scheint er doch wie für mich gemacht, danke, @Lothen .

Ich stecke mitten in der Überarbeitung eines Manuskriptes, in dem die Hauptperspektive von Trauer geplagt ist und muss mir dementsprechend die Frage stellen, wie viel ist zu viel? Die Herausforderung ist, dass der Verlust eines liebes Menschen die Prämisse dieser Geschichte ist. Die Protagonistin steht zu Beginn unter Schock und hatte, anders als ihr Umfeld, noch gar nicht die Möglichkeit, zu begreifen, was passiert ist, da sie eben erst aus dem Koma erwacht ist. Sie startet in die Geschichte mit den Aspekten der Resignation und Verdrängung und soll zuletzt zu dem Punkt kommen, an dem sie den Tod des lieben Menschen wiedergutmachen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen will.

Dass es für die Leser*innen ziemlich ätzend sein kann, dass auf jeder Seite erwähnt wird, dass jemand gestorben ist, ist klar. Meine Strategie schaut so aus, dass der Name der Toten nur sehr gezielt eingesetzt wird und bis zum Höhepunkt des Romans eher angedeutet, als tatsächlich ausgesprochen wird. So wird die Protagonistin im Umgang mit ihren Freund*innen vermeiden, über die Tote zu sprechen, und sich vermehrt auf das Übernatürliche konzentrieren, um sich abzulenken.

Gleichzeitig wird sie aber mit einer Figur, die nichts mit ihrem menschlichen Leben zu tun hat und stellvertretend für das Übernatürliche steht (eine Art fragwürdiges Helferlein), über ihre Vergangenheit mit der Toten sprechen, weil sie hier darauf hoffen kann, eine neutrale Perspektive zu erhalten. Würde sie mit ihren Freund*innen darüber reden, die die Tote kannten und bei ihrem Tod anwesend waren, müsste sie fürchten, mit den aktuellen Geschehnissen konfrontiert zu werden, wohingegen die Figur aus dem übernatürlichen Bereich null Berührungspunkte mit der Toten hatte und sich wertfrei Erinnerungen erzählen lassen kann. So kann die Protagonistin in ihren Erinnerungen schwelgen und gleichzeitig das Jetzt ausklammern.

Zu einer anderen Figur, die das Übernatürliche in den Alltag der Protagonistin Eingang hat finden lassen und eine Art übernatürliche Mentorin darstellt, möchte die Protagonistin ihre Beziehung verbessern, um ihre Bestimmung zu erfüllen und sich nicht den Ereignissen in der Menschenwelt stellen zu müssen.

Die Beziehung zur besten Freundin wird vorerst kaltgestellt, da die Protagonistin fürchten muss, dass die dasselbe Schicksal ereilt wie die Tote. Die Beziehung zum Freund - der eine Rechnung offen hatte mit der Toten - wird vor allem auf romantischer Ebene fortgesetzt, um sich nicht dem stellen zu müssen, was zwischen ihm und der Toten vorgefallen ist. Als sowohl die beste Freundin, als auch der Freund der Protagonistin sie mit dem Tod jenes lieben Menschen konfrontieren, knallt es zwischen den Dreien gewaltig und wir befinden uns direkt vor dem Höhepunkt des Romans.

Eine andere Figur, für die der Tod jener Figur dieselbe Bedeutung hat, geht die Protagonistin kategorisch aus dem Weg. Die ist dann der Katalysator für die Trauer der Protagonistin, wenn sie sie nicht länger meiden kann.

Wird klar, was ich vorhabe? Die Protagonistin pflegt gezielt solchen Umgang mit anderen Personen, der es ihr ermöglicht, sich von ihrem Verlust zu distanzieren. Die zwei Figuren aus dem übernatürlichen Bereich werden bevorzugt behandelt, weil sie bei ihnen nicht damit rechnen muss, über ihren Verlust zu sprechen, weil andere Dinge (wie der Welt-retten-Schnickschnack) wichtiger sind, bzw. sie sich in einem "neutraleren" Umfeld bewegt, in dem sie den Verlust zu ihren eigenen Bedingungen thematisieren kann. Würde sie dieselben Dinge mit ihren Freund*innen besprechen, würden sie ähnliche Reaktionen erwarten wie die, die sie bei sich selbst unterdrückt, wie Wut, Verzweiflung, Schuldgefühle. Gleichzeitig filtert sie ihre menschlichen Beziehungen auf eine Weise, die es ihr erlaubt, unliebsame Dinge auszuklammern.

Dass das nicht auf Dauer gut gehen kann, liegt auf der Hand. Alle Beziehungen der Protagonistin stehen spürbar unter Druck, bis es schlussendlich zur Detonation kommt. Trauer ist hier nicht etwas, was stillschweigend im Kopf der Protagonistin abläuft, sondern etwas, was alle Beziehungen belastet und verändert und aktiv in die Handlung eingebunden wird, ohne diesen Prozess auszuformulieren.

Im selben Roman gibt es noch eine andere Figur, die ebenso schwere persönliche Verluste erlitten hat. Aber anstatt zu trauern sinnt sie auf Rache. Sie nimmt sich nicht die Zeit, um zu trauern (und hat anders als die Protagonistin auch niemanden, der ihr helfen könnte, ihre Trauer aufzuarbeiten), sondern kanalisiert all ihre Kräfte für ein größeres Ziel, um die Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren ist, zu sühnen. Während die Protagonistin sich damit auseinandersetzt, welche Rolle sie in dem Tod ihres lieben Menschen gespielt hat, versteift sich jene Figur darauf, einen Sündenbock zu finden und diesen zu bestrafen. Einer der Höhepunkte im Roman wird es sein, wenn diese zwei aufeinandertreffen und sich gegenseitig mit ihrer eigenen Trauer konfrontieren, nur völlig unterschiedlich reagieren werden.

Trauer ist hier etwas, das zwischen den Zeilen abläuft (shoutout zu dem anderen Thread im Workshop ;D) und die Handlung maßgeblich beeinflusst (so gut wie alle Beziehungen aus dem vorherigen Band sind verändert, ja, es handelt sich um einen Folgeband), aber nur sehr selten als solches auch angesprochen wird.

Luna

Trauer um einen geliebten Menschen ... ich kann gerade nicht viel aus Romanperspektivischer Sicht erzählen, aber vielleicht hilft es ja einfach ein reales Ereignis zu rate zu ziehen.

Nach meiner Erfahrung kommt es stark darauf an, wie eng die vorherige Beziehung war. Trauer kann damit innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen abgegolten sein und man hat sich mit der veränderten Situation arrangiert. Vielleicht ist man auch einfach irgendwie zusätzlich froh, wenn man mitbekommen hat, dass die Person, die man verloren hat, eigentlich nur geleidet hat. [Großmutter, Mutter]

Das ist alles ganz anders, wenn die Person viel jünger ist, und einfach deren bloße Anwesenheit einem ein Lächeln auf das Gesicht zauberte. Der Moment, in dem man es erfährt ist ... hart zu beschreiben. Ein Schock, der durch den Körper fährt. Ein es-nicht-glauben-wollen. Ein hoffen, dass die Person plötzlich doch wieder auftaucht.

Während der Arbeit habe ich versucht ... normal auszusehen, mir nichts anmerken zu lassen. Aber gerade in den ersten Tagen ist das besonders schwer. Es gibt dinge, die einen ablenken, während man mit anderen zusammen ist, kann eventuell auch kurz lächeln. Aber plötzliche scheinbar zufällige bemerkungen können Erinnerungen  oder Wünsche Wachrufen, die die Wunde frisch aufreißen. Mit der Zeit wird das weniger (es könnte sich also vielleicht ein Zeitsprung anbieten).

Ich habe so gut wie gar nicht darüber geredet. In der ersten Zeit konnte ich das nicht einmal. Schreiben ging, aber reden? Es war einfach wie eine Blockade. Daran hingen noch ganz andere Gedanken an denen man schon selbst merkt, wie sehr das auf die Psyche schlägt, diese verändert ...

Was ich damit sagen will: Es ist durchaus realistisch, sich abzulenken, einfach irgendetwas zu machen, das nichts, aber auch gar nichts mit der Person zu tun hatte, um die Trauer zu vergessen ... und dann abwechselnd Dinge zu suchen, die einen an sie erinnern. Aufnahmen mit der Stimme zu hören, um irgendwie das Gefühl zu haben, dass diese Person doch noch irgendwie da ist.

Heilt eine solche Wunde irgendwann? Nach inzwischen mehr als vier Jahren würde ich sagen: Nein. Sie wächst zu, und man kann wieder vieles machen, was man vorher nicht konnte. Aber eine tiefe Narbe bleibt - und in Momenten wie diesen, wenn man darüber redet, reißt sie auf.

Es ist kein ständiges selbst-bemitleiden, keine ständige trauer. Das hält die eigene Psyche schließlich auch nicht aus. Aber zeitlich versetzt gibt es immer Momente, die einen daran erinnern - und wenn diese nicht zu häufig auftauchen, ist es sicherlich auch legitim, den Leser daran zu erinnern, dass dieses Ereignis die Handlungen und Motivationen des Charakters beeinflusst.

(Ich kann versuchen, Fragen zu beantworten, werde auf gewisse Dinge aber garantiert nicht öffentlich eingehen.)

Sikania

Zitat von: Luna am 08. Mai 2021, 09:19:43
Ein Schock, der durch den Körper fährt. Ein es-nicht-glauben-wollen. Ein hoffen, dass die Person plötzlich doch wieder auftaucht.

Gerade diese Zeile erinnert mich auch an eine der Trauerphasen nach Kübler-Ross. Mir hilft es auch beim Schreiben, sich ein bisschen damit auseinanderzusetzen.
Elisabeth Kübler-Ross hat dazu einmal 5 Phasen der Trauer definiert, wobei es wichtig ist, dass die Reihenfolge dabei zwar häufig so ist aber nicht immer eingehalten wird. Manchmal wird auch eine Phase übersprungen, in eine Phase zurückgefallen oder aber die 5. Phase nie erreicht.

Die Phasen sind:
1. Nicht-wahrhaben-Wollen/Leugnen
2. Zorn
3. Verhandeln
4. Depression/Leid
5. Annahme/Akzeptanz

Nikki

Danke für deinen Input @Luna:knuddel: Ich weiß nicht, ob das für dich infrage kommt, aber in diesem Unterforum, das intern ist, könntest du über deine Erfahrungen schreiben, wenn du willst. Nur Mitglieder (ab einer bestimmten Beitragsanzahl?) hätten darauf Zugriff, wenn dir das nicht zu öffentlich ist.

Phlox

Hallo @Nikki,
ich weiß nicht, ob das für deine Geschichte passt, aber mir fiel dazu noch folgendes ein: Gerade im Zusammenhang mit Schuldgefühlen (nicht nur, aber oft nach Trauer) ist es ja häufig so, dass sich die Wahrnehmungen der beteiligten Personen sehr unterscheiden, es aber leider nur selten zu einem klärenden Gespräch kommt, weil jede/r die eigene Wahrnehmung für die absolute Wahrheit hält und gar nicht auf die Idee kommt, dass die anderen es anders sehen könnten.
Also, konkret, wäre es sehr gut möglich und eine realistische Darstellung, dass deine Person A sich sehr schuldig fühlt, Personen B und C das aber gar nicht so heftig beurteilen.
Natürlich wird es auch da Ausnahmen geben, z.B. wenn deine Figur unter Alkoholeinfluss einen Unfall mit Todesfolge verursacht hätte oder so, dann wäre das evtl. anders... dazu kenne ich jetzt deine Geschichte zu wenig, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie in diese Richtung geht.

Nikki

@Phlox
ZitatGerade im Zusammenhang mit Schuldgefühlen (nicht nur, aber oft nach Trauer) ist es ja häufig so, dass sich die Wahrnehmungen der beteiligten Personen sehr unterscheiden, es aber leider nur selten zu einem klärenden Gespräch kommt, weil jede/r die eigene Wahrnehmung für die absolute Wahrheit hält und gar nicht auf die Idee kommt, dass die anderen es anders sehen könnten.
Also, konkret, wäre es sehr gut möglich und eine realistische Darstellung, dass deine Person A sich sehr schuldig fühlt, Personen B und C das aber gar nicht so heftig beurteilen.

Ja, die Schuldfrage macht einen oder mehrere Handlungsstränge aus. Denau wie du sagst, werden mehrere klärende Gespräche einzelne Mini-Höhepunkte der Schuldfrage sein, wenn Figuren, von denen angenommen wird, sie seien nachtragend, aus ganz anderen Gründen wütend sind, während andere, die bis dahin verständnisvoll waren, absolut taktlos reagieren. Nur auch da muss ich eben aufpassen, dass diese Thematik nicht zu viel Platz bekommt, sonst wirkt sie erschlagend.

Es ist ein bisschen wie ich in diesem Thread über Fortsetzungen geschrieben habe - wenn ich zu sehr darauf herumreite, was (im Band davor) geschehen ist und die Figuren immer wieder die traumatischen Ereignisse durchleben lasse, laufe ich Gefahr, auf der Stelle zu treten und sogar trauma porn (falls dieser Terminus unabhängig von Minderheiten benutzt werden kann und wirklich auch nur das Trauma meint) zu produzieren.