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Die schicksalsträchtige Zufallsbegegnung

Begonnen von Maja, 03. April 2013, 19:33:20

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Joel

#30
@ HauntingWitch: Es geht mir wie oben ausgeführt um die Bedeutsamkeit der Zufälle und darum hinkt der Vergleich - eine zufällige Begegnung in der Stadt, z.B. mit einem alten Klassenkameraden, der jetzt für zwei Tage nochmal hierhergekommen ist und den du jetzt zufällig beim Mittagessen in der Altstadt triffst, obwohl du eigentlich shoppen gehen wolltest, wird aller Wahrscheinlichkeit nach keine großen Auswirkungen auf dein Leben haben. Man unterhält sich kurz, jeder fragt den anderen, wie es ihm geht, was er macht, etc. und dann trennen sich die Wege wieder und zwei Wochen später kann man sich kaum noch daran erinnern.
Eine zufällige Begegnung in einem Roman zieht zwangsweise Konsequenzen nach sich, sonst hätte man sie sich sparen können. Wenn eine zufällige Begegnung - und hier spreche ich wieder von den Zufällen, um die es in den vorangegangenen Posts gings - in einem Roman keine Konsequenzen hat, dann ist sie für die Geschichte entbeherlich und sollte vermutlich gleich rausgestrichen werden. Wenn eine Hauptfigur auf der Reise von A nach B ist und zufällig in einer Taverne den als Bettelmönch verkleideten Prinzen trifft, diese Begegnung aber absolut keinen Belang für die weitere Handlung hat, dann würde sich der Leser wohl ein wenig hingehalten fühlen (denn er/sie will doch eigentlich wissen, ob die Hauptfigur ihr Ziel erreicht!).
Der Zufall in einem Roman hat also eine Bedeutung, er spielt eine Rolle. Und wenn jetzt zu viele (bedeutsame) Zufälle aneinandergereiht werden, dann entsteht dadurch imho eine gewisse Willkürlichkeit á la "Alles ist möglich". Die Probleme und Konflikte lösen/ergeben sich durch den Zufall quasi von selbst.

ZitatSagen wir mal, Protagonist X ist ein Kopfgeldjäger, der Nebenfigur Y sucht. In einer Taverne beobachtet X nun, wie jemand der Schankmaid das buchstäblich das Geld aus der Tasche zieht und X fällt auf, dass diese Person der gesuchten doch ein klein wenig ähnelt. Okay. X tritt in Aktion, seine Vermutung entpuppt sich als richtig. Das ist aber nun noch keine Story. Ist Y allerdings "zufälligerweise" auch noch der Antagonist, der das Problem auslöst/darstellt, das das ganze Konzept zu einem ganzen Roman macht, hast du deinen Roman.
Ohne dir zu nahetreten zu wollen, wäre das jetzt in meinen Augen ein Beispiel für einen Zufall, wie ich ihn in einem Roman nicht sehen wollen würde  ;) Denn wo bleibt hier der Konflikt, wo bleibt die Spannung? Wo bleiben die Schwierigkeiten, die der Protagonist zu überwältigen hat? Er stolpert einfach "zufällig" in den Antagonisten herein? Da würde ich mich fragen, ob es nicht auch eine andere Möglichkeit gibt, wie ich Protagonist und Antagonist aufeinandertreffen lassen könnte. Sonst wäre es ja am Ende ein Zufall, der die Geschichte erst beginnen lässt. Und das würde auf mich ein wenig willkürlich wirken - so nach dem Motto: Wenn es den Zufall nicht gegeben hätte, würde es die Geschichte nicht geben. Im Umkehrschluss würde das dann ja, wie du schreibst, bedeuten, dass es keine Geschichte zu erzählen gebe - und das wiederum beraubt einer Geschichte viel von ihrer "Stärke", weil dem Zufall meiner Meinung dann einfach eine viel zu große Stellung eingeräumt wird.

EDIT: Um den letzten Satz vielleicht noch kurz zu erklären: Wenn es ohne Zufall keine Geschichte geben würde, würde das ja implizieren, das ich als Autor nichts zu erzählen hätte. Aber eine Geschichte muss - zumindest für mich - ein übergeordnetes Thema haben, einen Grund, warum es lohnenswert ist, diese Geschichte aufzuschreiben. Und da kann es imho nicht vom Zufall abhängig sein, ob die Geschcihte in Fahrt kommt oder nicht.

HauntingWitch

ZitatEine zufällige Begegnung in einem Roman zieht zwangsweise Konsequenzen nach sich, sonst hätte man sie sich sparen können. [....] Der Zufall in einem Roman hat also eine Bedeutung, er spielt eine Rolle. Und wenn jetzt zu viele (bedeutsame) Zufälle aneinandergereiht werden, dann entsteht dadurch imho eine gewisse Willkürlichkeit á la "Alles ist möglich". Die Probleme und Konflikte lösen/ergeben sich durch den Zufall quasi von selbst.

Genau das ist der springende Punkt. Es braucht ein Ereignis oder eine Begegnung, die eine Konsequenz nach sich zieht. Wo keine Konsequenz kein Konflikt, wo kein Konflikt keine Geschichte. Dass es nicht zu viele auf einmal sein dürfen, sehe ich auch so. Dafür muss man einfach ein Gespür entwickeln. Aber ich bin nicht gegen einen Zufall mit einer gewissen Wichtigkeit.

Z.B. habe ich in einem meiner Skripte eine alte Freundin des Protas zufällig in ihn hineinlaufen lassen, mitten in der Stadt. Was sie in ihm auslöst, bringt ihn dazu, sich von seiner aktuellen Freundin zu trennen (was wiederum für die spätere Handlung wichtig ist). Nun kann man da natürlich von konstruiert reden, andererseits, ist das durchaus möglich, denn so gross ist der Handlungsort nicht, dass man nicht hier und da auf solche Bekannte treffen könnte.  ;)

ZitatDenn wo bleibt hier der Konflikt, wo bleibt die Spannung? Wo bleiben die Schwierigkeiten, die der Protagonist zu überwältigen hat? Er stolpert einfach "zufällig" in den Antagonisten herein?

Das ist es, was ich meine, wenn ich von der Umsetzung spreche. Wer sagt denn, dass der Prota den Anta nun gleich zu fassen bekommt deswegen?  ;D Und ja, ich dachte an den Anfang einer Geschichte, denn am Anfang muss ja etwas stehen, das die Geschichte lostritt. Das sind doch meistens Zufälle.

ZitatWenn es ohne Zufall keine Geschichte geben würde, würde das ja implizieren, das ich als Autor nichts zu erzählen hätte. Aber eine Geschichte muss - zumindest für mich - ein übergeordnetes Thema haben, einen Grund, warum es lohnenswert ist, diese Geschichte aufzuschreiben. Und da kann es imho nicht vom Zufall abhängig sein, ob die Geschcihte in Fahrt kommt oder nicht.

Punkt für dich. ;) Aber auch mit der Botschaft im Hintergrund, brauchst du ja immer noch Ereignisse. Kannst du diese allein durch die Kraft der Botschaft herbeiführen? Ich (noch) nicht.

Joel

ZitatGenau das ist der springende Punkt. Es braucht ein Ereignis oder eine Begegnung, die eine Konsequenz nach sich zieht. Wo keine Konsequenz kein Konflikt, wo kein Konflikt keine Geschichte. Dass es nicht zu viele auf einmal sein dürfen, sehe ich auch so. Dafür muss man einfach ein Gespür entwickeln. Aber ich bin nicht gegen einen Zufall mit einer gewissen Wichtigkeit.
D'accord!  :)

ZitatZ.B. habe ich in einem meiner Skripte eine alte Freundin des Protas zufällig in ihn hineinlaufen lassen, mitten in der Stadt. Was sie in ihm auslöst, bringt ihn dazu, sich von seiner aktuellen Freundin zu trennen (was wiederum für die spätere Handlung wichtig ist). Nun kann man da natürlich von konstruiert reden, andererseits, ist das durchaus möglich, denn so gross ist der Handlungsort nicht, dass man nicht hier und da auf solche Bekannte treffen könnte. 
Auch hier stimmen wir überein!  :) Das ist das, was ich mit Wahrscheinlichkeit meinte! Je nach Setting können Zufälle "wahrscheinlicher" sein oder eben nicht - das ist glaube ich das, was du als Möglichkeit bezeichnen würdest?!
Ich glaube also, wir stimmen in den meisten Punkten überein!  :) Nur im Geschriebenen geht das vielleicht ein wenig zwischen den Zeilen unter.

ZitatAber auch mit der Botschaft im Hintergrund, brauchst du ja immer noch Ereignisse. Kannst du diese allein durch die Kraft der Botschaft herbeiführen? Ich (noch) nicht.
Nein, aber diese Ereignisse müssen ja keine Zufälle sein  :) Jedes Ereignis ergibt sich aus dem vorherigen Ereignis - quasi als Kausalkette: A bedingt B bedingt C. Wenn es B nicht gibt, kann es C nicht geben. Bei diesen Ereignissen muss nicht auf Zufälle zurückgegriffen werden, was imho auch der Dichte eines Romans schadet.
Nach dem Schema A-B-C (dieses Schema muss im Roman natürlich nicht mit dem Holzhammer auf den Leser eingehämmert werden, damit dieser das mögliche Reißbrett hinter der Geschichte sehen könnte) nimmt die Handlung ihren Fortlauf, während ich gleichzeitig mein Thema im Hinterkopf habe.
Wenn das Schema jetzt A-Zufall-B aussehen würde, dann würde das ja bedeuten, dass meine Geschichte eine völlig andere Richtung hätte nehmen können, weil der Zufall das ganze irgendwo - meiner Meinung nach - auch willkürlich machen kann.

HauntingWitch

@Joel: So sieht es aus.  ;D

Zur Kausalkette: Das hat meiner Meinung nach mit persönlicher Weltanschauung und Wertvorstellungen zu tun. Ich beschäftige mich momentan beispielsweise mit dem von C.G. Jung definierten Phänomen der Synchronizität, das für mich beweist, dass nicht alles im Leben einen kausalen Zusammenhang hat. Manche Dinge passieren auch akausal. Deshalb versteife ich mich da auch beim Schreiben nicht darauf.

Aber die Mehrheit der Leser wird sich nicht eigens damit beschäftigt haben und die Kausalkette somit als glaubwürdiger Empfinden. Das ist ein grosses Abwägen als Autor.  ;)

Joel

ZitatManche Dinge passieren auch akausal.
Da widerspreche ich dir nicht!  :) Ich habe mich jetzt auch nur konkret aufs Schreiben bezogen und da macht die Kausalität für mich einfach mehr Sinn.

Judith

Manchmal muss man aber auch aufpassen, dass eine Geschichte nicht überkonstruiert wird. Damit meine ich jetzt nicht, dass Zufälle zwangsläufig sein müssen, aber wenn wirklich alles mit Grund passiert und sich nie etwas auch mal zufällig ergibt, dann kann das durchaus auch mal zu konstruiert wirken.
Mir ist das schon mal beim Lesen so gegangen - ich bilde mir ein, es war bei einem Roman von Guy Gavriel Kay.