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Rückblicke im Roman

Begonnen von Luciel, 13. Oktober 2012, 11:21:44

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Luciel

Ich liebe es, wenn ein Autor geschickt Rückblicke einbaut, die oft einen Teil der Handlung oder eines Charakters enthüllen, bei denen man als Leser noch im Dunkeln getappt hat. Das würde ich wirklich gerne auch in meinem Roman machen, aber wie?

Wie plant man so einen Rückblick? Wo baut man ihn ein?
Natürlich bieten sich immer diese Geschichten aus der Kindheit des Protas an (sofern wichtig), damit der Roman keine Lebensgeschichte wird. Aber das allein finde ich zwar praktisch aber auch recht durchsichtig (von der Motivation des Autors her). Das ist nicht ganz das, was mir vorschwebt.
Manchmal kommt man ganz automatisch an Stellen, wo sich ein Rückblick anbietet (z.B. zwei Protas, die lange getrennt waren, begegnen sich), aber auch das ist ja eher planlos, ergibt sich eben so.
ich hoffe, jemand weiß, was ich meine ....

Ryadne

Wenn ich Rückblicke einbaue, dann meist, wenn es um eine bestimmte Erinnerung geht, die wichtig ist für den Fortlauf der Handlung, die aber
1. in rein erzählter Form langweilig wäre
oder
2. zwar der Leser vollständig mitbekommen soll, von der aber die betroffene Figur anderen Figuren nur Ausschnitte preisgibt.

Ich glaube nicht, dass sich pauschal sagen lässt, wann man die einbaut. Grundsätzlich würde ich so etwas aber nicht im ersten Drittel einer Geschichte machen, da ich solche Erinnerungen nutze, um Handlungslücken zu füllen, über die sich der Leser aber erstmal selbst Gedanken machen und ein wenig rumrätseln soll.

Zit

Also richtig lange Rückblicke, die halt mehr als nur ein Absatz sind, passen, finde ich, dann ganz gut, wenn die eigentliche Geschichte eine Ruhephase hat oder "Zeit" überbrückt werden muss zw. zwei Ereignissen, in dieser Zeit aber halt auch nicht wirklich etwas passiert.
Sonstige Rückblenden sehe ich als Infodump und der passt ja immer da am besten, wo das zugehörige Thema als erstes angesprochen wird.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Luciel

Gute Idee, mit der Überbrückung von "langweiligen Passagen". In meinem Roman wird quer durch die Welt gereist und ich bin gerade an einem Punkt, wo ich mich frage, wie viele Landschafts- / Städtebeschreibungen und Feldzüge gegen Nomaden ich meinem Leser noch zumuten kann. Da könnte ein Rückblick in der Tat für Auflockerung sorgen.

HauntingWitch

Vorweg: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich deine Fragestellung richtig verstanden habe.

Aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man Rückblicke nur dann einbauen sollte wenn sie
a) überhaupt direkt etwas mit der Geschichte oder der Charakterentwicklung zu tun haben
und b) an die entsprechende Stelle im Roman passen.

Wie man sie "plant", weiss ich nicht, bei mir ergibt sich das meistens im Laufe des Schreibens. Plötzlich bin ich an einer Stelle, bei der ich weiss, dass ein Rückblick angebracht ist und da kommt er hin. Die Form - ist es eine Erinnerung, eine Erzählung eines Charakters, ein Traum oder gar ein eigenes Zwischenkapitel - wird auch vom restlichen Inhalt bestimmt, von der Situation, in der sich der jeweilige Charakter gerade befindet.

Bei Christopher Ransoms "Haus der vergessenen Kinder" habe ich die Variante gesehen, den (sehr langen) Rückblick (über das ganze vorherige Leben des Protagonisten), jeweils in eigenen Kapitel zwischen die Kapitel zu packen. Also Kapitel 1 ist die normale Geschichte, die erzählt werden soll, Kapitel 2 der erste Teil des Rückblicks, Kapitel 3 normal, Kapitel 4 wieder Rückblick, usw. Das lockert einerseits auf und lässt ausserdem die Gesamtspielzeit der Hauptgeschichte länger erscheinen. Es ist quasi ein künstliches Dehnen. Würde man die Hauptgeschichte am Stück lesen, würde man denken: "Aber das alles in so wenigen Wochen, das ist doch absurd." Durch die Rückblicke wirkt es, als handle es sich um Monate - obwohl es das nicht tut. Ich hoffe, das ist jetzt nicht allzu wirr erklärt. Langer Rede kurzer Sinn: Wenn du damit etwas anfangen kannst, für mich wäre das zum Beispiel gar nichts.  ;)

Luciel

Ich möchte meinen Roman ziemlich genau durchplotten, daher möchte ich schon vorher entscheiden, wo Rückblicke erscheinen sollen. Das jeweilige Kapitel könnte dadurch um einiges länger werden als geplant und da sich bei mir 2 Erzähler abwechseln, kann ich nicht einfach den Rest eines Kapitels ins nächste schieben ...
soweit zum Hintergrund der Frage  :)

Malinche

Luciel, bei mir sieht es recht ähnlich aus, wenn ich jetzt alles richtig verstanden habe. Ich habe ebenfalls einen Roman mit zwei Perspektivträgern (gut, drei, aber zwei davon sind für die Rückblende wichtig). Da habe ich mir jetzt beim Plotten auch schon überlegt, an welchen Stellen die Rückblenden einsetzen sollen. Bei mir werden es allerdings die klassischen Rückblenden in die (gemeinsame) Kinderzeit sein, weil das notwendig ist, um die Gegenwart der Figuren zu verstehen.

Da habe ich insgesamt drei Stück (maximal) geplant. Die Rückblenden werden aber immer an Stellen kommen, an denen eine der Figuren einen Anstoß zur Reflexion benötigt. Mag sein, dass das nicht super-elegant ist, aber für meien Zwecke langt es, denke ich.

Dann habe ich noch einen zweiten Fall in diesem Projekt, der vielleicht eher in deine Richtung geht. Und zwar habe ich da festgestellt, dass ich Spannung aus den Ereignissen nehmen würde, wenn ich sie strikt chronologisch erzähle. Jetzt werde ich es so machen, dass sich die Perspektivträger zwar abwechseln, dass aber zwei Kapitel quasi "vertauscht" sind: eines, das zeitlich früher als das andere geschehen ist, wird erst danach erzählt, fungiert also auch ein klein wenig als Rückblende.

Insgesamt  habe ich sehr lange geknabbert, um zu wissen, was ich an welche Stelle setzen möchte. Mir hat es geholfen, dass ich mir Karteikärtchen mit den groben Szenen (des ganzen Projekts) gebastelt und dann immer ein "Rückblende"-Kärtchen genommen habe, um zu sehen, wo ich es positioniere. Dann habe ich in Gedanken den Lesefluss durchgespielt, um auszutesten, ob die Blende an diese Stelle passt. Ein Pauschalrezept, wo man sie hinpackt, gibt es sicher nicht, aber ich denke, dass es sich herausfinden lässt, wenn man sich klar macht, was man mit der Rückblende erreichen möchte - beim Leser oder bei den eigenen Figuren -, und dann schaut, an welcher Stelle in der Handlung sich das am besten einfügt. Das ist sehr intuitiv, klar, aber etwas Besseres fällt mir da leider auch nicht ein. :)
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Luciel

Stimmt genau, Malinche. Da muss man leider etwas genauer planen, wenn man mehr als einen Erzähler hat. Bei manchen Szenen ist es mir ganz wichtig, wer von beiden erzählt, auch wenn sie fast immer zusammen sind.
Die Idee mit den Karteikärtchen ist klasse! Ob ich dafür wohl die Diziplin aufbringe? Sobald ich anfange, über meine Kapitel nachzudenken, verwuselt sich alles in meinem Kopf. Ich hatte schon ein paar Szenen "vorab" geschrieben, weil sie mir gerade eingefallen sind - die eigenen sich natürlich prima, sie in einen Rückblick zu stecken. So ein Rückblick muss ja nicht immer über Jahre zurück gehen, sondern kann sich auch auf ein paar Tage oder Stunden beziehen ...

Ich finde eben auch, dass es eine Geschichte auflockert, wenn sie nicht nur geradeaus erzählt wird. Das gibt mir als Leser das Gefühl, der Autor hätte sich wirklich was gedacht beim schreiben  :engel:

Feuertraum

Hallo!

Erst einmal: Ich kann mich an Zeiten (und an diverse Schreibbücher) erinnern, in denen Rückblenden als absolutes No-Go bezeichnet wurden. Es hieß: wer Rückblenden einsetzt, der sollte auf die Finger bekommen.
Im Grunde genommen ist es aber Quatsch: sehr viele Geschichten haben diese Rückblenden, und sie passen auch wunderbar dahin.

Was ich jetzt nicht so ganz verstehe, ist die Frage, WIE man sie plant. Das Wo setzt man sie ein hingegen ist sehr einfach zu beantworten: an die Stelle des Romans, in der der Leser die Information benötigt.
Beispiel:
Der Prota sieht eine rothaarige Frau und rennt schreiend und voller Panik weg.
Natürlich kann man dem Leser nun a la tell, don' t show eine knappe Erklärung liefern (Hat als Kind beobachten müssen, wie eine rothaarige Frau seine Mutter erwürgt hat), kann das ganze jedoch auch ausführlicher erzählen.
Gut, jetzt mag der eine oder andere einwerfen, da eine solche Rückblende so rein gar nichts mit Charakterisierung zu tun hat. Dennoch wage ich einmal zu behaupten, dass man sie dort anwenden darf.
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Malinche

Zitat von: Feuertraum am 16. Oktober 2012, 21:08:41
Was ich jetzt nicht so ganz verstehe, ist die Frage, WIE man sie plant. Das Wo setzt man sie ein hingegen ist sehr einfach zu beantworten: an die Stelle des Romans, in der der Leser die Information benötigt.

Na ja, ich habe das ja gerade durch und würde jetzt einfach einwerfen, dass das Wie und Wo in der Praxis sich auch nicht immer so einfach gestalten, wie man sich das in der Theorie denkt. :)

Bei der Frage nach dem Wie? denke ich an verschiedene Sachen: Welche Szene erzähle ich denn als Rückblende? Nur, weil ich gesagt habe, dass ich eine Kindheitserinnerung meiner Figuren nehme, heißt das ja nicht, dass ich schon genau weiß, welche. Auch bei der Perspektive muss man dann teilweise gucken. Vieles ergibt sich ja, wenn ich mir klar mache, was ich mit der Rückblende erreichen will, d.h. welche Informationen der Leser bekommen soll. Es wäre ja auch denkbar, eine Rückblende aus einer anderen Perspektive als der gewählten Hauptperspektive des Romans zu erzählen, offen zu lassen, um welche Figur es sich hier handelt (das haben wir ja gerade bei Krimis und Thrillern gern einmal, wenn ich mich nicht irre).

Bei der Frage nach dem Wo? hätte ich auch gedacht, dass es einfacher ist. Ich habe aber, um bei meinem Bild mit den Karteikärtchen zu bleiben, ziemlich viel herumgeschoben. Oft gibt es nämlich - behaupte ich mal - nicht nur genau einen Punkt, an dem die Information benötigt wird, bzw. es kann sein, dass der erste Punkt, an dem die Information einzubauen möglich wäre, dramaturgisch nicht der bestmöglichste ist. Das Ganze kann sich also doch als etwas komplizierter gestalten, als man am Anfang meint. :)

Zitat von: Luciel am 16. Oktober 2012, 21:04:50
Stimmt genau, Malinche. Da muss man leider etwas genauer planen, wenn man mehr als einen Erzähler hat. Bei manchen Szenen ist es mir ganz wichtig, wer von beiden erzählt, auch wenn sie fast immer zusammen sind.
Exakt das Problem stellt sich mir auch! Bei den getrennten Szenen ist es ja fast schon einfach, die Perspektive zu wählen, aber ich habe da einige, in denen die beiden zusammen auftreten, an denen ich auch noch knabbere - nicht nur Rückblenden. :)

Zitat von: Luciel am 16. Oktober 2012, 21:04:50
Die Idee mit den Karteikärtchen ist klasse! Ob ich dafür wohl die Diziplin aufbringe? Sobald ich anfange, über meine Kapitel nachzudenken, verwuselt sich alles in meinem Kopf.

Das Gute bei den Karteikärtchen - oh, jetzt gleiten wir fast in ein anderes Thema - ist ja, dass es erst mal wuselig bleiben darf. Ich habe einzelne Szenen und Bruchstücke aufgeschrieben und dann ewig sortiert. Das Schöne daran ist ja auch, dass man die Rückblenden immer wieder anders platzieren kann, bis man das Gefühl hat, dass es passt. :)
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

zDatze

Wobei ich das Wie? nicht unbedingt auf Szenen einschränken würde. Ich kann mich mit Rückblenden viel besser anfreunden, wenn sie in den Text eingewoben werden, als dass sie in eine eigene Szene verpackt werden. Es kommt aber wie immer darauf an, wie es im Gesamten wirkt und welche Wirkung man überhaupt erzielen will.

Mein nächstes Projekt wird in die Richtung ein kleines Experiment. Chronologisch erzählt gibt die Geschichte nicht viel her, aber die Vergangenheit meiner Figuren kann ich auch nicht einfach unter den Tisch fallen lassen, daher komme ich um Rückblenden nicht rum. Anfangs hat mir das nicht sonderlich geschmeckt, weil ich schon genug schlechte (wie immer subjektiv zu verstehen) Rückblenden gelesen habe und selbst soetwas nicht unbedingt produzieren möchte. Deshalb werde ich versuchen sie als kurze Passagen (= ein Satz bis ein paar Absätze) direkt in die Handung einzuflechten.
So sieht zumindest der Plan aus. ;D

Malinche

Zitat von: zDatze am 17. Oktober 2012, 11:00:22
Wobei ich das Wie? nicht unbedingt auf Szenen einschränken würde. Ich kann mich mit Rückblenden viel besser anfreunden, wenn sie in den Text eingewoben werden, als dass sie in eine eigene Szene verpackt werden. Es kommt aber wie immer darauf an, wie es im Gesamten wirkt und welche Wirkung man überhaupt erzielen will.

Stimmt, da hast du recht - die Möglichkeit gibt's ja auch noch, und sie gefällt mir eigentlich ziemlich gut. Also noch was, was man beim Wie? berücksichtigen muss. Jetzt komme ich ins Grübeln, ob das auch bei meinem Projekt eine Option wäre, die Blende direkt in die Handlung einzubauen ... mal gucken.
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Sin

Also Wann ich eine Rückblende einsetze, ist für mich eher Gefühlssache.
Ich weiß vorher, was passieren wird und wenn ich den richtigen Punkt erreicht habe, baue ich sie ein. Denn meistens habe ich die Rückblende vorher geschrieben und passe sie dann an den Erzählfluss an.

Gegen Rückblenden im Allgemeinen habe ich nichts. Wenn aber die Geschichte nur aus Rückblenden besteht oder zu kurz ist, um eine einzubauen, stört mich das dann doch.
Es kommt ja auch darauf an, was man damit erreichen möchte...

Czara Niyaha

*Staub wegpust*

Eigentlich bin ich fertig mit meinem Schmetterlingsmädchen. Eigentlich!  Aber es gibt immer noch die ein oder andere Stelle, mit der ich trotz überarbeiten noch nicht wirklich zufrieden bin. Aktuell überarbeite ich eine Szene in der ein  Gespräch zwischen Tochter und Mutter stattfindet. (Perspektiventrägerin Tochter). Es geht um eine entscheidende Frage, die die Tochter der Mutter stellt. Allerdings muss die Mutter um diese Frage zu beantworten in ihre eigene Vergangenheit zurückgreifen und das ein oder andere bisher wohlbehütete Familiengeheimnis offenlegen. Ich habe das Gefühl, dass diese Szene einfach nur als Gespräch zu schreiben, irgendwann ermüdend wirkt. Daher kam mir jetzt die Idee, aus diesem Gespräch eine Rückblende zu machen, die aus Sicht der Mutter geschrieben ist und der Leser wird mit in die Vergangenheit genommen. Nur das er jetzt wirklich aktiv dabei ist im Geschehen, und er sich nicht über Seiten hinweg durch ein Gespräch "quälen" muss. Allerdings bin ich noch etwas unschlüssig.  ???

Wann nehmt ihr Rückblenden? Und wie setzt ihr sie ein? Wenn ihr längere Gespräche habt, bei der  ein Charakter wesentlich mehr zu sagen hat, als der andere, wie schreibt ihr das, ohne dass es irgendwann langweilig wird? 
Solange es Visionäre und Träumer gibt, die den Funken der Hoffnung in sich tragen und das Licht in den Herzen anderer entzünden, ist diese Welt nicht verloren.

(Eden Chry'Salis)

Zit

Hm, ich weiß nicht, ob in dem konkreten Fall nicht eher allgemein das Info-Management in Schräglage ist. Eine lange Rückblende mit Perpsektivwechsel zur Mutter würde ich nur machen, wenn es das Ende vom Roman ist und die letzten Plotenden aufgelöst werden sollen. Wobei ich selbst da überlegen würde, ob es mit einem knackigen Dialog nicht besser geht. Der Erklärbär ist immer recht anstrengend, egal ob langer Dialog mit großen Redeanteilen oder getarnt als Rückblende mit Bruch in der Perspektive.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt