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Ein Buch bitte - aber frisch soll es sein

Begonnen von Linda, 25. Januar 2020, 01:50:33

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Linda

Wenn Menschen mitbekommen, dass man schreibt, sei es im realen Leben oder der digitalen Welt - das Genre geklärt ist und der Leser in spe interessiert etwas erwerben will, kommt unweigerlich oft die Frage: wie heißt denn das neuste Buchs?
Und zwar genau dieses Kriterium der Auswahl. Nicht - was ist der spannendste, kürzeste, originellste, billigste, bewegendste Roman oder dein Lieblingsprojekt. Es soll immer brandneu und frisch gefertigt sein, als ginge es um eine leicht verderbliche Ware.
  Mich wundert das. Ist das menschlich, ein Phänomen der Zeit, oder denken die Leute tatsächlich, das Neuste sei gleichbedeutend mit »das Beste zu diesem Zeitpunkt«. Ich stelle nicht in Abrede, das es künstlerische Weiterentwicklung gibt, aber die muss ja nicht immer positiv sein (manche Autoren schreiben irgendwann stromlinienförmiger, weil sie die Nackenschläge leid sind).
  Ich finde das persönlich besonders unglücklich, wenn ich die Leute näher kenne, und (nach Fragen zu Lieblingsbüchern etc) einen geeigneten Titel empfehlen könnte. Aber wenn man explizit nach dem ›neuen Buch‹ gefragt wird.
  Den Punkt Marketing klammere ich hier mal bewusst aus. Habt ihr die gleichen Erfahrungen gemacht und findet das ebenso komisch - oder habt ihr gar eine Erklärung dafür?

Alana

Nein. Bei mir ist das ganz anders. Die Leute bitten mich eigentlich immer um maßgeschneiderte Tipps und wollen wissen, welches Buch von mir ich ihnen empfehlen würde. :)
Alhambrana

Maja

Wenn Leute mich nach meinem neusten Buch fragen, dann tun sie das, weil sie in den Buchhandlungen danach Ausschau halten wollen und sich freuen, die Autorin zu kennen von etwas, das in einer richtigen Buchhandlung steht. Oder weil sie wissen wollen, ob sie das vielleicht schon irgendwo gesehen haben.

Sie fragen nach dem Neusten, weil sie verstehen, dass die Chance, mein zweineustes Buch noch irgendwo in freier wildbahn anzutreffen, entsprechend geringer sind. Weil das, was nicht mehr neu ist, remittiert wird, nicht aus böser Absicht, sondern weil immer wieder neue Bücher rauskommen, und die Novis brauchen Platz. Bücher haben keine Halbwertszeit. Aber gerade weil sie nicht radioaktiv zerfallen, nimmt ein drei Jahre altes Buch genau so viel Platz weg wie ein brandneues. Im Idealfall ist es bis dahin verkauft. Aber wenn nicht, geht es zurück. Das ist die Logistik des Buchhandels.

Wir müssen das nicht gut finden - ich war als Buchhändlerin schwer genervt davon, ständig alle Buchempfehlungen wieder zu verlernen und neue Bücher lernen zu müssen, und das war einer der Gründe, warum ich deutlich lieber Bibliothekarin war: Da kann ich auch kackdreist ein zehn oder mehr Jahre altes Buch empfehlen, ohne dass man mich schräg anschaut. Aber so funktioniert der Markt nun mal, und wir, die wir ständig neue Bücher schreiben, sind selbst daran schuld, dass die Alten dann Platz machen müssen.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Coppelia

Dass das "Neuste" aus irgendeinem Grund für andere besonders interessant ist, habe ich, unabhängig von Büchern, auch schon festgestellt. Vielleicht steht dahinter in diesem Fall aber auch die Absicht, den*die Autor*in zu unterstützen, da für die jeweilige Person ja auch meist das aktuelle Projekt das interessanteste ist. Jede*r ist normalerweise besonders interessiert an dem, was im Leben jeweils aktuell ist. Man fragt ja normalerweise auch immer nach aktuellen Lebensumständen, z. B. welchen Job jemand gerade hat, und nicht, welchen Job jemand im Leben bisher am liebsten ausgeübt hat.

Ich finde allerdings, jede*r kann sich glücklich schätzen, wenn sich andere Menschen für die eigene kreative Arbeit interessieren, egal, ob für die neuste oder älteste. Das ist sowas von überhaupt nicht selbstverständlich. Ich wäre froh, wenn jemand mich nach meinem neusten Buch fragen würde. ;)

Zit

Hm, bei für mich neuen Autoren such ich tatsächlich nach dem neusten Buch, weil ich "State of the Art" haben will. Wenn das dummerweise der dritte Band einer Reihe ist, gehe ich zum ersten Band zurück, oder gucke erstmal nach dem letzten Standalone bevor ich mich dazu entscheide, mehr Zeit zu investieren und auch durch die Backlist zu arbeiten (dann gern querbeet). Das ist weder Böswilligkeit noch Hype nach dem Neusten sondern einfach ein guter Startpunkt beim Ende anzufangen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich dann auch (aktuelle) Besprechungen oder Leute finde, die das gleiche Buch lesen und noch frisch in Erinnerung haben, ist bei Novitäten auch höher als bei Romanen, die zehn Jahre alt sind.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Antigone

Als jemand, der sich dermaßen weder Autorennamen noch Buchtitel merkt, bin ich schon deswegen an den "neuesten" Büchern interessiert, weil damit die Chance am größten ist, dass ich sie eben noch nicht gelesen habe. Und das geht wahrscheinlich nicht nur mir so.

Linda

Danke für eure Erfahrungen - da sieht man wieder, wie unterschiedlich das alles sein kann.
  Das Problem, dass Bücher nicht mehr erhältlich sind, und deshalb nach dem neusten gefragt wird, hat sich durch das Internet ja glücklicherweise faktisch erledigt (was war das früher eine Verrenkung mit Antiquariat und so).  Manchmal dauert es, bis ich (etwa durch die Tipps im Zirkel) ein Buch entdecke, aber ich hatte bisher nie ein Problem, dann ein Exemplar (meist sogar druckfrisch) zu ergattern.
Am besten unterstützen im Sinne der Autoren tut man natürlich eine Neuerscheinung.
  Da ich ein wählerischer Schreiber bin, habe ich auch nicht so die Backlist - aber ich als Leser tendiere bei neuen Autoren definitiv eher zu Inhalt als Erscheinungsdatum. Eine befreundete Rezensentin erwähnte, dass sie am liebsten frühe Bücher oder Debüts liest, weil die meist origineller sind (ihre Worte).