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Die Guten und die Bösen

Begonnen von Robin, 22. Dezember 2011, 22:48:36

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Zurvan

ZitatIst übrigens eine interessante Schreibübung eine kurze Geschichte einmal aus der Sicht des Protas und einmal aus der Sicht des Antas zu schreiben...
Beim zweiten Durchgang sieht der strahlende Held oft gar nicht mehr sehr toll aus (und der Anta regt sich zu recht darüber auf dass sich ein Bauernsohn in die Politik des Landes einmischt ohne die geringste Ahnung davon zu haben  ;D)
Habe ich schon über 3 Seiten geschrieben für eine Pen&Paper-Runde. Ich muss sagen es macht Spaß und bisher war es immer so, dass nach der "Bösewichtsicht" alle mit einem "Oh" reagiert haben und ihn plötzlich gar nicht mehr so schlimm fanden.

ZitatIch finde die meisten Bösewichter überhaupt nicht interessant, gerade, weil sie alle alles machen dürfen und Unheil verbreiten, wie es ihnen passt. Fehlt nur noch, dass sie hämisch kichernd in der Ecke stehen, während sie die Welt versklaven.
Das ist der klassische Bösewicht wie er bitte nicht auftauchen sollte. Fehlende Ernsthaftigkeit machen Prota und Anta dauerhaft zunichte.
Trotz allem finde ich es deutlich schwerer den Leser davon zu überzeugen, dass die Ziele eines Helden edel und uneigennützig sind -das ist ja das was einen stylistischen Fantasyguten ausmacht.
Vielleicht ist mein eigener Charakter verdorben genug, um nicht zu verstehen wie man derartiges glaubhaft erscheinen lässt.

Wobei ich sagen muss, dass auch ein Prota ein Bösewicht sein kann und gegen einen anderen arbeitet - und zwar ohne klassisches "Ich krieg die Welt zuerst!"-Gelulle.
Sowieso.
Muss ja nicht immer gleich die ganze Welt sein.
Es reicht erstmal sich selbst zu retten, vielleicht eine Verschwörung aufzudecken um dem Feind eine reinzuwürgen und dabei selbst schmutzige Mittel zu benutzen. Vielleicht einen wirklich guten Freund, vielleicht den Papa, vielleicht auch den Opa oder seinen Hund. Warum nicht seinen Hund? Es gab mal ein Spiel, in dem man seinen Hund retten musste.
Wo wir gerade dabei sind seltsame Fragen zu stellen: Warum hat der Anta niemals eine liebende Familie? Und ist oft ein psychisches Wrack?

Gut zu Böse wechseln zu lassen finde ich schwierig. Für mich ist die "Bösewerdung" ein Prozess, beginnend mit der Frage "Warum... ?". Natürlich ist es möglich, aber ähnlich schwer wie ein überzeugender reiner lichterfüllter Prota... Warum kann ich diese Leute nicht ernst nehmen?

ZitatDieser Autor meinte, wenn "der Böse" direkt von Beginn an seine ganze Macht genutzt hätte, hätte man die Geschichte nicht mehr erzählen können.
Meine Meinung dazu:
Dann hätte er den Anta nicht so mächtig machen dürfen.
In Videospielen darf man dieses System durchaus nutzen, auch wenn es mir dort auch schon gegen den Strich geht. In Büchern und Filmen... nein. Bitte nicht. Bücher und Filme haben die Möglichkeit emotionaler zu sein als jedwedes Spiel.
Während der Held sich entwickelt, entwickelt sich auch der Anta. Wenn der Anta merkt, dass der Prota eine Bedrohung wird entzieht es sich meinem Verständnis, warum der Anta den Prota nicht sofort und ohne Umschweife vernichten sollte - ohne seinen Plan vorher zu erzählen und den Raum zu verlassen, während der Prota durch eine ausgetüftelte Maschinerie gevierteilt werden soll.
Mir fiel grade ein amüsanter Vergleich ein, der zwar nur mäßig passt, aber nur allzu gut verdeutlicht was ich sagen will:

Anta schmiert sich ein Sardinensandwich. Er freut sich drauf. Plötzlich platzt ein Fremder (Prota) in den Raum, reißt das Sardinensandwich auseinender, weil er keine Sardinen mag und verlässt, nachdem es im ganzen Raum verteilt ist und er dem Anta noch eine Backpfeife gegeben hat, den Raum. Nach der Sicht des Antas wollte er nur etwas tun, das ihm zustand.
Kein Mensch würde sich sowas gefallen lassen. Schon gar kein Anta, dem ich definitiv Selbsbewusstsein zusprechen wüde. Warum sollte er, nachdem sein Sandwich das erste mal grausam vernichtet wurde noch einmal zulassen, dass der Prota Gelegenheit dazu bekommt.

Genauso verhält es sich mit Minions. Wobei das Sardinen die Minions sind.

Zitat
Und hänge deshalb genau an der Stelle, weil der Typ muss helfen, aber ich finde keine Motivation.
Warum sollte er?
Leute, die nichts zu verlieren haben sind am gefährlichsten. Gib ihm ein Ziel, beispielsweise eine Antwort auf eine Frage, die er haben will. Aber rechne damit, dass er dieses Ziel dann um jeden Preis erreichen will, es sei denn, du dämpfst es mit etwas, das ihm auf seiner Reise wichtig wird.

Kotzbrocken habe ich oft in Büchern entdeckt und sie ziehen nach meiner Erfahrung die gesamte Leselaune steil nach unten. Beispielsweise fand ich Eragon ganz furchtbar. Ich kam nicht über die ersten 50 Seiten hinaus. Man kann so einen mal kurz einbauen, aber nicht über das gesamte Buch, sonst landets recycelt bei meinen Cousinen.

Ein Anti-Held ist für mich jemand, der kein Held sein will. Der sofort umkehren würde, wenn er die Gelegenheit hätte und einem anderen den Ruhm überlassen würde. Sowas schreibe ich auch ganz gerne.

Wnn man ein Schwarz-Weiß-Schemata benutzt, ist man an Regeln gebunden. Der Leser erwartet etwas, das man zumindest teilweise erfüllen muss. Kein Leser will lesen, dass der Teufel unheimlich gerne unter der Dusche singt, einen Ententeich im blühenden Garten hat und alle Dämonen ihn wegen seiner Gütigkeit verehren. Das taugt für eine Groschenkomödie.

Kennt jemand die 100 Regeln für Bösewichter? Sehr lesenswert und in Film und Literatur übertragbar.

ZitatWarum sollte er nicht?
Wenn jemand keine Freunde hat, schießen mir vorrangig zwei Klischees durch den Kopf:

  • Introvertiert
  • Kein Interesse an Anderen - Lone Wolf
Beides macht keinen Helden. In Dark Fantasy funktioniert das vielleicht. In High Fantasy seh ich da ein ernstes Problem.
Wenn er tatsächlich introvertiert ist, dann trau ich ihm eher zu, dass er zu jemandem watschelt und der Person berichtet was er weiß, um das Handeln eben dieser Person zu überlassen. Oder heulend zusieht wie sein Hund getötet wird.
Als Lone Wolf regiert der Gedanke "Tangiert mich nicht" und solange das so bleibt, hat er keinen Grund auch nur einen Finger krumm zu machen. Es ist der Hund eines Fremden, nicht seiner.

Btw halte ich einen Charakter, der grundlos hilft ebenfalls für ein Opfer des Helfersyndroms.



Zuletzt noch ein Zitat von Kefka aus Final Fantasy VI, dem von mir einst meistgehassten und plötzlich meistrespektierten Bösewichtpsychopathen, der mir jemals in einem Videospiel begenet ist:
"Warum ich nicht aufhöre? Warum ich böse bin? Weil es Spaß macht!"

Grey

#46
Hm. Ich bevorzuge, zu sagen, niemand - zumindest kein Mensch oder menschenähnlicher Charakter "ist" gut oder böse. Was aber nicht heißen soll, dass er nicht die eine oder andere Rolle annehmen kann. Ich gehe immer davon aus, dass in jedem Charakter von Grund auf beide Seiten angelegt sind. Es sind ja immer die Handlungen, die eine Figur auf die eine oder andere Seite stellen. Handlungen generieren sich aus Ansichten und gedanklichen Motiven, wobei die wiederum ja nicht starr sind und wieder von Erfahrungen, weiteren Handlungen und Begegnungen beeinflusst werden. Das Leben ist voller Entscheidungen, und jede einzelne kann den Weg in eine neue Richtung führen. Die Entwicklung eines Charakters, und das gilt für die "Guten" und die "Bösen" gleichermaßen, hört ja nicht an dem Punkt auf, an dem er in die Geschichte eintritt. Im Gegenteil. Das würde doch zu sehr viel Eindimensionalität führen.

Was mich betrifft, so mag ich tatsächlich die Figuren am liebsten, die im tragenden Konflikt noch ein mehr oder weniger unbeschriebenes Blatt sind. Die vielleicht zwischen die Fronten geraten, beide Seiten kennenlernen und erst noch herausfinden müssen, für was sie stehen wollen. Dafür ist aber auf beiden Seiten differenzierte, vielschichtige und nachvollziehbare Motivation und Handlung nötig. Wichtig ist aber vor allem, wie ich finde, dass die Figur in sich stimmig und glaubwürdig denkt und handelt. Und das kann auch mal für einen "Guten" eine "böse" Handlung sein, oder umgekehrt. Tatsächlich finde ich genau solche Twists am aller interessantesten - wenn sie denn glaubwürdig umgesetzt sind.

Schreinhüter

Der Autor soll das wissen? Das kann ich versichern, das ist das Schlimmste. Dann wird man ja direkt gefragt nach seiner Meinung und diese Meinung sickert hinein in das Werk selbst. Unsicherheit beim Schreiben, dieses Stolpern hinein in eine Welt und einen Charakter ist eher mein Fall. Das wirklich Schlechte stellt sich nicht am Scheidemittel des Guten dar. Es muss der Leser selbst zum Urteil kommen, ob in einem System aus Grausamkeiten manche Taten richtig und manche falsch sind. Er muss das Buch schließen und sich tagelang Gedanken machen, warum er auf keiner Seite stehen mag und dennoch zu einem für ihn logischen Schluss kommen. Aber da bewegen wir uns am Rande der Lesegewohnheit und die wollen viele nicht erfahren. Stimulationen auf diesem Gebiet können gänzlich nach hinten losgehen.

canis lupus niger

Zitat von: Grey am 05. September 2012, 18:25:03
Hm. Ich bevorzuge, zu sagen, niemand - zumindest kein Mensch oder menschenähnlicher Charakter "ist" gut oder böse.

Das sehe ich ganz genau so. Nicht die Person ist gut oder böse, sondern das, was die Person tut, wird von anderen Charakteren oder/und dem Leser als gut oder böse angesehen.

Das Ausmaß der "bösen" Handlungen kann dabei von einer lediglich anderen Beurteilung der (sich selbst als die "Guten" sehenden) Gegner bis hin zu einem durchgängigen (von jedem "normal denkenden" Menschen) als böse zu beurteilendenVerhalten reichen. Das wäre dann der echte Psychopath oder auch eine vollständig unsoziale Person, die einfach ein anderes (oder gar kein) Wertesystem haben. Ein "Böser" kann aus seiner eigenen Sicht der "Gute" sein, weil seine Beweggründe für ihn zwingend sind. Es gibt genug Sprichwörter, mit denen auch vermeintlich "Gute" ihr "böses" Handeln zu rechtfertigen versuchen.
Wo gehobelt wird, fallen Späne.
Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.
Das geringere Übel wählen.
Bauernopfer

Und so weiter


Rhiannon

Das allseits beliebte Thema!
Ich kann von mir jetzt nicht behaupten, ganz immun gegenüber den Guten zu sein. Ein Prota, der das Zeug zum Helden hat, aber kein langweiliger Saubermann ist, hat gute Chancen zu einer Figur zu werden, die ich innig liebe!
Gutmenschen sind nett für einen Sidekick, als Prota aber schrecklich langweilig!

Und was die Bösewichter angeht... Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, ich finde sie interessanter, als die Protas. Den absolut bösen Evil Overlord finde ich höchstens in einer Parodie gut. Aber als kleines Mädchen habe ich bei meinen Playmobil-Rittern lieber nach dem bärtigen Schwarzen Ritter mit seiner Streitaxt gegriffen, als nach dem geschniegelten, blondlockigen Prinz mit dem kitschigen goldenen Schwert, den ich so schrecklich puppenartig fand und der in meinen Augen gar nichts gemeinsam hatte, mit dem was ich mir für einen Ritter wünschte.
Und so bin ich auch heute noch. Ein Bösewicht, der vielleicht gar nicht mal unbedingt böse ist, sondern einfach nur dem Prota entgegensteht, ist viel toller, als ein stereotyper Prota!
Auch wenn ich in letzter Zeit gar keinen eigentlichen Anta mehr habe, sondern meine Protas irgendwie auch ihre eigenen Antas sind, sie müssen eher sich selbst retten, bevor sie anderen überhaupt helfen können.
Aber ich liebe auch Antas, die irgendwo noch ihre menschliche Seite haben. Der böse Lord, der doch irgendwo seine Familie liebt, oder auch nur der Anta, der etwas für Musik übrig hat und komponiert, oder selbst singt, hat für mich auf jeden Fall etwas.

Aber es macht mir auch Spaß, die Seiten zu wechseln. Eine GEschichte, an der ich noch bis heute sehr hänge, handelt von einem Ex-Bösewicht sozusagen.
Übersetzt gesagt, wir lernen die Frau kennen, als sie gerade anfängt, an dem Weg, auf den sie abgerutscht ist, zu zweifeln. Die Anta der Geschichte, eine Gräfin, die sehr unter den Überfällen meiner Prota zu leiden hatte und dementsprechend einfach nicht so einfach bereit ist, sie wieder in einem Dorf leben zu lassen, wie sie lustig ist, ist deutlich eher jemand, den man sonst auf Protagonistenseite sehen würde: Stolz, kriegerisch, mutig und ihr Land geht ihr über alles.

Und manchmal ist es mit den Antas dann auch so, wie es eine Kriegerin aus meinem aktuellen Werk ausgedrückt hat, als sie ganz entsetzt gefragt wird, was sie sich denn eigentlich mit ihren Handlungen denke, das seien doch ihre Feinde: "Diese Männer sind nicht meine Feinde, sie haben sich nur entschieden für eine Sache zu kämpfen, gegen die ich mich entschieden habe!"
Sprich man kann auch einen Anta haben, der weder eine Person ist, noch irgendwie persönlich gegen den Prota steht.
Und das finde ich noch viel interessanter, wenn quasi jeder Prota einen anderen Anta hat, einmal meinetwegen die eigenen inneren Dämonen, einmal vielleicht eine andere Religion, und einmal sind es vielleicht sogar schnöde wirtschaftliche Interessen. Wenn so unterschiedliche Protas zusammengeworfen werden, verwischen auch diese typischen Schwarz-Weiß-Grenzen, der eine ist vielleicht bereit etwas zu tun, was dem anderen schon als unsägliches Verbrechen erscheint. Und so etwas liebe ich.