• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Der Spielbuch-Thread

Begonnen von Michael W, 08. Juni 2023, 15:42:10

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Michael W

Der Spielbuch-Thread

Für meinen ersten eigenen Thread möchte ich ein Thema wählen, das mich schon lange fasziniert: Spielbücher. Sie vereinen das Beste aus zwei Welten (die Welt der Spiele und die der Bücher ;)). In einem Text selbst entscheiden zu können, wie es weitergeht, finde ich einfach aufregend.
Spielbücher sind zwar eine Nische, aber besonders im Fantasy-Bereich anzutreffen. Weil sie hier im Forum bisher eher am Rande erwähnt wurden, möchte ich Informationen, Erfahrungen und Tipps dazu an einem Ort sammeln.


Übersicht
A)   Was ist ein Spielbuch?
B)   Welche Spielbücher gibt es?
C)   Besonderheiten
D)   Wie schreibe ich ein Spielbuch?
E)   Umgang mit Regeln
F)   Die Problematik des Schummelns
G)   Digitale Darstellung von Spielbüchern


A)   Was ist ein Spielbuch?
Der Wikipedia-Artikel über Spielbücher bietet ein Beispiel, das die Funktionsweise eines Spielbuches kurz und anschaulich zeigt:

Zitat1
Du bist im Kontrollraum eingesperrt. Wie kommst du hier nur wieder raus? Vor dir befindet sich ein großer roter Knopf und an der Wand darüber ist ein Schild angebracht. In die Nordwand ist eine schwere Stahltür eingelassen. Du kannst
   •   den roten Knopf drücken. Lies weiter bei 3
   •   das Schild lesen. Lies weiter bei 6
   •   versuchen, die Tür zu öffnen. Lies weiter bei 5

2
Abschnitte wie dieser hier existieren in realen Spielbüchern nicht, da er gar nicht erreichbar ist. Er ist hier nur aufgeführt, um den Leser darauf hinzuweisen, dass er gerade dieses Beispiel ,,falsch" liest. Nach Abschnitt 1 liest man nicht direkt bei Abschnitt 2 weiter, sondern bei dem Abschnitt, den man sich in Abschnitt 1 ausgesucht hat.

3
Als du den Knopf drückst, explodiert das gesamte Gebäude und begräbt Dich unter seinen Trümmern. Beginne von vorne.

4
Nachdem Du den Code eingegeben hast, leuchtet eine grüne Lampe auf und die Stahltür öffnet sich mit einem leisen Zischen. Möchtest du
   •   den Raum verlassen, so lies weiter bei 7
doch lieber den roten Knopf drücken, so lies weiter bei 3

5
Die Tür ist verschlossen, doch du entdeckst ein kleines Eingabefeld neben der Tür, auf dessen Display ,,Code eingeben" aufleuchtet. Kennst du den Code, so lies bei dem Abschnitt mit der Nummer 4 weiter. Kennst du ihn nicht, so musst du bei 1 weiterlesen.

6
Auf dem Schild steht: ,,Dies ist ein kleines Beispiel, das den typischen Aufbau eines Spielbuches verdeutlichen soll. Es wurde speziell für die deutschsprachige Wikipedia verfasst. Der Code für die Stahltür lautet '4'. Viel Spaß noch, und drücke lieber nicht auf den roten Knopf!". Um dieses Wissen reicher überlegst du dir, was du wohl als Nächstes machen könntest.
   •   Möchtest du die Warnung in den Wind schlagen und trotzdem auf den roten Knopf drücken, so lies weiter bei 3
   •   Alternativ kannst du auch die Stahltür näher in Augenschein nehmen. Lies weiter bei 5

7
Herzlichen Glückwunsch, du hast es geschafft und bist frei!
Ende

Es ist also ganz einfach: Nach jedem nummerierten Abschnitt wählt man eine der angegebenen Möglichkeiten und liest bei der entsprechenden Sektion weiter. Anders als in einem Roman blättert man also ständig hin und her. Das ist zumindest die grundlegende Funktionsweise, es gibt oft zusätzliche Regeln. Dazu werde ich unter den anderen Punkten noch mehr schreiben. Um es einfach zu halten, werde ich mich mehrmals auf dieses Wikipedia-Beispiel beziehen.

Was es bei Spielbüchern zu unterscheiden gibt, ist das Ausmaß an Interaktivität. Also die Entscheidungsfreiheit, die man beim Lesen hat. Zum Verständnis: In einem klassischen Roman gibt es gar keine Interaktivität, ein Videospiel hat hingegen eine sehr hohe Interaktivität. Weil ein Spielbuch vorwiegend auf Text reduziert ist, wird es nie die Interaktivität eines Videospiels erreichen. Es gibt höchstens sogenannte Textadventures, deren Besonderheit ist, dass man zum Vorankommen selbst Befehle in ein Eingabefeld schreibt. Gedruckte Spielbücher erreichen eine höhere Interaktivität durch ein komplexes Regelwerk, das etwa ein Kampfsystem mit Angriffswerten oder eine Inventarliste für Gegenstände zum Einsammeln beinhaltet.
Spielbücher mit geringer Interaktivität haben genauso ihren Reiz, weil dort der Fokus auf den verschiedenen Handlungssträngen oft größer ist. Die nummerierten Abschnitte sind meistens länger und es gibt kaum zusätzliche Regeln. Genannt wird das manchmal ,,Choose your own Adventure", aber der Begriff wird auch allgemein für Spielbücher verwendet.


B)   Welche Spielbücher gibt es?

Eine der beliebtesten Spielbuchreihen ist ,,Einsamer Wolf" von Joe Dever. Sie besitzt ein komplexes Regelwerk und jedes Buch hat die Erkundung eines anderen Bereiches der Welt zu bieten. Sie können der Reihe nach aber auch einzeln gelesen werden.

,,Die Welt der 1000 Abenteuer" von Jens Schumacher umfasst derzeit 10 Bänder, die alle in meinem Regal stehen. In jedem Buch erkundet man entweder ein ganzes Königreich oder einen kleineren Bereich wie einen Dschungel, eine Zauberschule oder eine Kerkeranlage. Das Regelwerk unterscheidet sich je nach Buch geringfügig, ist aber nicht außergewöhnlich kompliziert. Die Weltkarte ist besonders praktisch im ersten Band, weil man dort gut nachverfolgen kann, wo man gerade ist und was sich in der Nähe befindet. Ein großer Nachteil ist, dass man jedes Mal beim Scheitern von ganz vorne anfangen und alle eingesammelten Gegenstände entfernen muss.

Das erste Spielbuch, auf das ich jemals gestoßen bin, war ,,Der Schatz im Ötscher" von Franz S. Sklenitzka. Neben der abenteuerlichen Höhlenerkundung steckt darin eine Botschaft über Umweltverschmutzung. Der jüngeren Zielgruppe entsprechend gibt es kaum zusätzliche Regeln. Es gibt keine Liste für Objekte, aber man muss sich zumindest eine Entscheidung merken, die man am Anfang getroffen hat. In manchen Situationen muss man den Zufall entschieden lassen, wie es weitergeht.

,,Das Geheimnis am Ende der Treppe" von Thomas Brezina besitzt außer den langen, nummerierten Abschnitten keine zusätzlichen Regeln. Es ist nicht möglich, zu scheitern, aber es gibt Endlosschleifen.

,,Reiter der schwarzen Sonne" von Swen Harder ist bisher das innovativste Spielbuch, das ich gelesen habe. Es ist auch das längste mit über 1350 nummerierten Sektionen. Das klingt zunächst überwältigend, doch man wird nicht sofort ins kalte Wasser geworfen. Es gibt mehrere Kapitel mit jeweils ein paar hundert nummerierten Abschnitten. Im Prolog muss man sich noch nichts notieren und nur Entscheidungen treffen. Die Regeln werden nach jedem Kapitel häppchenweise erweitert.

Obwohl es eine Nische ist, gibt es noch viel mehr Spielbücher und ich finde immer wieder neue. Ich habe selbst noch kein Spielbuch veröffentlicht, aber viele geschrieben und ich experimentiere gerne mit verschiedenen Regeln und Grundstrukturen.

Spielbücher gibt es nicht nur in gedruckter Buchform und als E-Books, auch zum Lesen direkt im Internet findet man sie, etwa hier, hier oder hier. Und es gibt interaktive Spielbuch-Lesungen, bei denen das Publikum abstimmt, welche Entscheidung jeweils getroffen wird.


C)   Besonderheiten

Spielbücher haben im Vergleich zu Romanen viele Besonderheiten, die je nach Geschmack Vor- oder Nachteile sein können. Ich liste jene davon auf, die ich relevant finde:

Immersion und Beteiligung am Geschehen
Weil man beim Lesen die Entscheidungen selbst trifft, sind Spielbücher oft in der Du-Perspektive verfasst. So schlüpft man direkt in die Rolle der Hauptperson und fühlt sich am Geschehen beteiligt. Darauf muss man sich allerdings einlassen. In Romanen ist das sehr ungewöhnlich, dort wird – wenn überhaupt – stattdessen eine distanzierte Du-Perspektive verwendet, und die ist für den gegenteiligen Effekt gedacht.

Möglichkeit eines Schwierigkeitsgrades
Spielbücher besitzen ein Ziel, welches leicht oder schwierig zu erreichen ist. Bei schwierigen Spielbüchern freut man sich umso mehr, wenn man das Ende erreicht hat. Schafft man das nicht, kann es leider frustrierend sein, besonders, wenn man das Ende nie erreicht.

Anderer Fokus
Während der Fokus bei Romanen meistens auf der Handlung oder den Charakteren liegt, können Aspekte wie Erkundung in Spielbüchern vertieft werden. Ich lege beim Schreiben viel Wert auf die verschiedenen Handlungsorte, und in Spielbüchern kann man sie dank der Entscheidungsfreiheit räumlich besser erleben.

Mehrere Handlungswege
Um den idealen Handlungsverlauf eines Romans zu entwerfen, kann man die verschiedenen Wege in einer Mindmap aufskizzieren. Anstatt nur den besten auszuwählen, kann man ein Spielbuch erstellen, welches mehrere davon verwendet. Das betrifft nicht nur die Handlung im herkömmlichen Sinn, sondern auch die Erforschung der Umgebung und Interaktionen mit Charakteren oder Hindernissen.

Komplexerer Aufbau
Das ist der Grund, weshalb Spielbücher schwieriger als Romane zu schreiben sind. Mich reizt die Herausforderung, alle verschiedenen Handlungswege im Kopf zu behalten und miteinander sinnvoll zu verknüpfen. Allerdings muss man auch beim Lesen mehr mitdenken.

Häufiges Herumblättern
Das viele Herumblättern gehört einfach zu Spielbüchern. Einerseits erhöht das die Spannung und die Beteiligung am Geschehen, andererseits kann es auch langweilig oder mühsam werden. Romane sind im Vergleich entspannender zu lesen.

Mehr Verantwortung
Die Verantwortung des Autors besteht darin, klare Spielregeln festzulegen, und die des Lesers darin, diesen Regeln zu folgen. Wenn das nicht klappt, kann das Spielbuch nicht auf die gedachte Art und Weise gelesen werden. Wie man damit umgeht, beschreibe ich unter E) und F).


D)   Wie schreibe ich ein Spielbuch?

Es ist gut, wenn man schon zu Beginn festlegt, welche Struktur das Spielbuch haben soll. Ist es ein großer Irrgarten? Oder gibt es einen zentralen Bereich als Anhaltspunkt, zu dem man immer wieder zurückkehren kann? Das kann ein Stadtzentrum sein, oder der Eingangssaal oder Innenhof einer Villa. In Videospielen wird dieses Konzept oft ,,hub world" genannt. Meistens befinden sich solche Abschnitte in einem Spielbuch unter einer leicht zu merkenden Abschnittszahl, zum Beispiel 100. Für Spielbücher mit eher linearen Handlungsverläufen bieten sich mehrere dieser besonderen Abschnitte an, die aufbauend aufeinander besucht werden.

Sobald man sich für eine Struktur entschieden hat und vielleicht auch schon Umgebungen, Charaktere, Hindernisse und so weiter geplant hat, beginnt man mit dem Verteilen der Abschnitte. Das ist der wichtigste Schritt beim Entwerfen eines Spielbuches, also sollte man wissen, wie man da am besten vorgeht. Es gibt viele Möglichkeiten und ich werde die relevantesten davon auflisten, Vor- und Nachteile nennen und meine eigenen Erfahrungen damit schildern.

Fortlaufend
Bei dieser Methode werden die nummerierten Abschnitte einfach der Reihe nach geschrieben. Unter Abschnitt 1 hat man beispielsweise Abschnitte 2, 3, 4 und 5 zur Auswahl. Bei Abschnitt 2 werden die Auswahlmöglichkeiten ab Nummer 6 verteilt und so weiter. Wenn ein neuer Abschnitt verfasst wird, muss man also immer die niedrigste Nummer wissen, die noch nicht in Verwendung ist.
Ich verwendete diese Methode in meinen Spielbüchern mit mehreren Missionen, die man hintereinander (und in beliebiger Reihenfolge) abschließt. So gelangt man beim Lesen mit fortschreitendem Abenteuer sprunghaft zu immer höheren Abschnittsnummern.
Die Methode eignet sich gut für handschriftlich verfasste Spielbücher und ist einfach anzuwenden. Meine Erfahrung damit ist, dass ich so ein besseres Gefühl für den Aufbau von Spielbüchern entwickelt habe. Eine separate Übersicht der Abschnitte ist nicht notwendig, ich fand es ausreichend, einfach ein Lesezeichen zum Abschnitt mit der niedrigsten reservierten Nummer zu legen.
Ein großer Nachteil ist, dass man mit der Methode eher zu einem linearen Aufbau tendiert und dass man bei größeren Projekten schnell die Übersicht verliert.

Block
Diese Methode setzt voraus, dass man die Anzahl der Abschnitte schon von Anfang an festlegt. Man verteilt die Nummern dann blockweise im ganzen Manuskript, zum Beispiel ein Abschnitt pro Seite. Diese leeren Freiräume füllt man nach und nach aus. Auf einer Tabelle kann man vermerken, welche der Abschnitte reserviert wurden (ein Strich) und schon geschrieben wurden (mit zweitem Strich angekreuzt). Die Farbe der Striche kann für bestimmte Bereiche oder Missionen im Buch stehen.
Ich nutzte diese Methode gerne bei handschriftlichen Spielbüchern, aber auch digital verfassten, weil ich sie sehr übersichtlich fand.
Einer der Vorteile ist, dass man über die Verteilung der Abschnitte volle Kontrolle hat. Es ist jedoch gute Vorausplanung wichtig, wenn am Ende der Platz ideal genutzt werden muss.
Der große Nachteil ist, dass bei handschriftlicher Anwendung die Überlänge eines Abschnittes zu Problemen führt. Und nachträgliche Überarbeitungen sind umständlich.

Platzsparend
Bei dieser Methode werden wie bei der Block-Methode erst alle Abschnitte nummeriert. Die Abstände dazwischen werden jedoch absichtlich großzügig gestaltet, sodass entweder ein langer Abschnitt oder mehrere kurze Abschnitte Platz haben. Beim Schreiben der Abschnitte werden zuerst die Stammnummern genutzt (etwa 12, 13, 14, ...), später kann man bei bereits genutzten Abschnitten einen neuen Abschnitt in den freien Platz darunter schreiben. Unter Abschnitt 12 entsteht 12a, wenn dann noch Platz ist 12b und so weiter, bis die Seite voll ist.

Provisorische Nummerierung
Diese Methode ist die aufwendigste, führt aber zu den besten Ergebnissen. Zuerst werden die Abschnitte fortlaufend geschrieben. Sie tragen provisorische Nummern. Wenn man alles geschrieben hat, ersetzt man sie mit den fertigen Abschnittsnummern. So ergibt sich maximale Freiheit beim Gestalten und eine ideale Durchmischung.
In einem meiner Spielbücher hatte ich 24 Missionen zur Auswahl. Die provisorischen Nummern trugen vorne die Nummer der dazugehörigen Mission (z.B. 24-64), damit ich vor dem Ersetzen mit der fertigen Nummer (z.B. 816) den Überblick bewahren konnte.
Ein Nachteil ist, dass das Ersetzen der Abschnittsnummern aufwendig ist und dabei etwas schief laufen kann.

Es gibt auch eigene Software, die das Erstellen eines Spielbuches unterstützt, etwa das Gamebook Authoring Tool.


E)   Umgang mit Regeln

Welche Regeln ein Spielbuch hat, hängt in erster Linie von der Zielgruppe ab. Spielbücher mit komplexem Regelwerk sind eher für Veteranen, die einen hohen Schwierigkeitsgrad erwarten. Damit ist meistens eine Bestrafung beim Scheitern verbunden: Man verliert bei schwerwiegenden Fehlentscheidungen sämtlichen Fortschritt.
Das muss aber nicht sein, man kann auch Checkpoints einzubauen. Erreicht man einen bestimmten Bereich, erhält man dort eine Abschnittszahl. Zukünftig darf man im Falle des Scheiterns bei dieser Zahl weiterlesen, oder freiwillig von ganz vorne anfangen. In ,,Reiter der schwarzen Sonne" agieren die großen Kapitel zusätzlich als Checkpoints.

Es gibt viele kleine Details, die ein Spielbuch lesbarer machen. Ich werde auf das Wikipedia-Beispiel am Anfang zurückgreifen, um ein paar davon zu veranschaulichen. Den Code für die Stahltür kann man zum Beispiel dann schon einsetzen, wenn man ihn erhält und kann abkürzen, was so nicht gedacht ist. Unter Punkt F) werde ich auf dieses und weitere Beispiele eingehen.

Ein anderes Detail, das auch im Wikipedia-Beispiel vorzufinden ist, sind Endlosschleifen. Sie entstehen, wenn man beliebig oft zwischen Bereichen wechseln kann. Meistens sind sie kein Problem, aber in längeren Werken können sie irritieren. Man kann zu Beginn des Spielbuches während der Erklärung der Regeln darauf hinweisen, dass eine gewisse Eigenverantwortung vorausgesetzt wird.


F)   Die Problematik des Schummelns

Wenn ein Spielbuch kein Vertrauen zur Leserin oder zum Leser herstellt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie zu Schummeln beginnen. Diese Problematik quält Spielbücher schon lange.
In ,,Reiter der schwarzen Sonne" ist der Umgang mit dem Schummeln elegant gelöst. Man darf selbst entscheiden, an welche Regeln man sich hält und variiert damit den Schwierigkeitsgrad selbst. Das Buch thematisiert ganz offen, dass jeder schon mal geschummelt hat und dass man es so lesen darf, wie man möchte.
Wichtig ist natürlich, dass ein Spielbuch funktioniert. Und mit allen Situationen kann man entsprechend umgehen. Im Folgenden werde ich Lösungen auflisten, die ich selbst gerne verwende und oft schon in anderen (oben erwähnten) Spielbüchern entdeckt habe.

Die dazugehörigen Probleme tauchen oft nur in gedruckten Spielbüchern auf und lassen sich auch lösen, indem man das betroffene Regelsystem, welches gebrochen wird, einfach gänzlich rausnimmt. Diese offensichtlichen Lösungen werde ich aber nicht explizit anmerken.

Letzten Abschnitt merken und bei Bedarf zurückkehren
Das ist die häufigste Methode, mit der sich viele Leute durch Spielbücher schummeln. Dazu legt man einfach ein Lesezeichen oder den Finger auf die Seite, die man verlässt, um sie wieder zu finden, wenn der nächste ursprünglich ausgewählte Abschnitt nicht vielversprechend klingt. Der Grund ist dabei oft die eigene Neugier oder die Angst vor dem Scheitern.
Als Autor kann man da nicht viel unternehmen. Ein Lösungsansatz ist das Einbauen von Checkpoints, die dem Leser erlauben, nach dem Scheitern nicht von ganz vorne beginnen zu müssen. Andere Lösungen sind ein leichterer Schwierigkeitsgrad oder ein linearer Aufbau der Handlungswege, aber dadurch verliert man Freiheiten beim Schreiben.

Alles einfach in der Reihenfolge lesen
Das kann man nicht verhindern, bringt dem Leser aber ohnehin nichts. Es hilft bereits, am Anfang des Buches zu erklären, dass das nicht vorgesehen ist. Der einzige Grund, warum man das trotzdem absichtlich machen könnte, ist, um etwaige gut versteckte oder unerreichbare Abschnitte zu finden.

Willkürliche Abschnitte lesen
Einerseits kann man nichts gegen diese Methode machen, andererseits ist sie nicht sehr wirkungsvoll. Nach dem Scheitern kann man einfach einen beliebigen Abschnitt nach dem anderen lesen, bis man auf einen stößt, den man im zuvor gescheiterten Leseabenteuer bereits erreicht hat. Somit spart man sich den langen Weg vom Beginn des Buches bis dorthin. Diese Methode kann man mit beschränkter Anzahl an Versuchen sogar erlauben. Checkpoints helfen auch dagegen.

Text nicht gehorchen, wenn man Schaden nimmt und weiterlesen darf
Manche Spielbücher haben einen Gesundheitsstatus oder ein Kampfsystem. In diesen Fällen wird man im Text aufgefordert, von vorne zu beginnen, falls man zu viel Schaden nimmt. Diese Aufforderung kann man aber problemlos ignorieren und einfach weiterlesen, als wäre nichts geschehen. Die Alternative sind Kämpfe, die auf eine Kampftabelle verzichten und sich wie die anderen Entscheidungen über mehrere Abschnitte erstrecken.

Gegenstände einsetzen, obwohl man sie nicht hat
Es gibt mehrere Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Man kann dem Gegenstand etwa eine Nummer geben, die man braucht, um weiterzulesen. Die Zahl sollte aber nicht genau die Nummer des Abschnittes sein, bei dem man weiterlesen soll – denn das wäre zu offensichtlich, und man könnte den Gegenstand schon frühzeitig einsetzen. In einem meiner Spielbücher findet man etwa auf Abschnitt 570 einen Schlüssel mit der Zahl 570. Diese Zahl ist derzeit noch nutzlos, da man sich schon auf demselben Abschnitt befindet. An der entsprechenden Tür wird man allerdings gebeten, 10 von der Zahl auf dem Schlüssel abzuziehen und dort weiterzulesen. Ohne diese Info und ohne dem Schlüssel weiß man das also nicht.
Für Objekte mit mehrmaliger Einsatzmöglichkeit gibt es eine andere Methode. Sie besitzen beispielsweise die Info ,,+20". Wenn man an einem anderen Abschnitt dazu aufgefordert wird, den Gegenstand zu verwenden, muss man also 20 zum aktuellen Abschnitt addieren und dort weiterlesen.
Dann gibt es noch die Möglichkeit, am jeweiligen Abschnitt gar nicht explizit darauf hinzuweisen, dass man einen Gegenstand einsetzen kann. Der Hinweis ist nur als andersfarbige Abschnittsnummer erkennbar oder sogar im Text versteckt, es wird zum Beispiel ein bestimmtes Tier oder Symbol erwähnt. Es wird nur an der Stelle verraten, wo man den erforderlichen Gegenstand oder Hinweis ursprünglich erhält. Dort steht also beispielsweise ,,addiere 30 zum Abschnitt, wenn im Text ein Höhlenbär erwähnt wird" und der Vermerk, dass man sich das aufschreiben sollte, weil man nicht mehr explizit darauf hingewiesen wird.

Gegenstände aus früheren Lesedurchgängen mitschmuggeln
In fast jedem Spielbuch, in dem man seinen Fortschritt notieren muss, wird man dazu aufgefordert, diese Notizen nach dem Scheitern oder nach dem Erreichen des Ziels zu löschen. Was ist aber, wenn man diese Notizen einfach behält? Dagegen gibt es leider keine Lösung außer den beiden am Anfang genannten.

Glück nicht durch Zufall entscheiden lassen, sondern bewusst auswählen
Wenn man eine Glückssituation in ein Spielbuch einbaut, muss man sicherstellen, dass die Ausgänge der einzelnen Optionen nicht schon am selben Abschnitt ersichtlich sind. In diesem Fall ist es oft irrelevant, ob man wirklich das Glück entscheiden lässt oder eine Option bewusst auswählt.


G)   Digitale Darstellung von Spielbüchern

Mit Hyperlinks lassen sich Spielbücher schnell und einfach navigieren. In Textbearbeitungsprogrammen wie Word kann man die Verlinkungen jeweils einsetzen und sie funktionieren dann auch in einer daraus erstellten PDF.
Auf Websites gibt es mindestens zwei Möglichkeiten. Man kann die nummerierten Abschnitte auf separate Unterseiten verteilen oder man zeigt den ganzen Text auf einer Seite an. Dazu muss man den Überschriften jeweils eine ID verleihen, in der URL erscheint nach dem Anklicken eines der Links zusätzlich ein # mit der Bezeichnung der Abschnittsüberschrift. So funktioniert übrigens auch das Inhaltsverzeichnis auf Wikipedia.


So, jetzt seid ihr gefragt. Welche Spielbücher kennt ihr, was gefällt euch daran? Habt ihr selbst schon welche geschrieben? Ich bin gespannt!

Araluen

ZitatWelche Spielbücher gibt es?
Nicht zu vergessen, die Mutter aller Spielbücher: die Bücher aus der Reihe Fighting Fantasy von ian Livingstone und Steve Jackson. Wenn ich das richtig im Kopf habe, waren das die ersten ihrer Art überhaupt und werden derzeit auch wieder neu aufgelegt. Meine liebsten Abenteuer waren dabei "das Höllenhaus", "die Insel des Echsenkönigs" und ganz weit vorne die Analand-Saga (derzeit neu aufgelegt unter dem Titel Sorcery!), eine vierbändige aufeinander aufbauende Reihe.

Mein Sohn spielt aktuell die Zauberakademie Siebenstern von Hendrik Lambertus. Die Reihe richtet sich vor allem an jüngeres Publikum und kommt mit einem Minimum an Regeln aus, die einem während des Abenteuers erklärt werden. Aber es hat ein paar coole Mechanismen, wie das Zaubersteinorakel, das hin und wieder befragt werden muss.
Außerdem besitzt er noch Wächter der Lüfte, was uns aber nicht ganz so abgeholt hat, weil die Geschichte hier und da etwas unausgegoren wirkt.

Wir haben fast alle Bücher (ich glaub drei oder vier Abenteuer fehlen uns) aus der Fighting Fantasy Reihe, die Analand-Saga und "Reiter der schwarzen Sonne". Vor allem wenn wir im Sommerurlaub sind, kommen die Bücher eigentlich immer mit.

Ich hatte mir immer mal überlegt ein Spielebuch selbst zu schreiben und sogar angefangen. Letztlich scheiterte ich immer am organisatorischen Aufwand. Mit der Nutzung von Scrivener könnte es aber besser möglich sein, die Stationen und Handlungsstränge im Blick zu haben.

Arcor

Zitat von: Araluen am 08. Juni 2023, 16:27:03
ZitatWelche Spielbücher gibt es?
Nicht zu vergessen, die Mutter aller Spielbücher: die Bücher aus der Reihe Fighting Fantasy von ian Livingstone und Steve Jackson. Wenn ich das richtig im Kopf habe, waren das die ersten ihrer Art überhaupt und werden derzeit auch wieder neu aufgelegt. Meine liebsten Abenteuer waren dabei "das Höllenhaus", "die Insel des Echsenkönigs" und ganz weit vorne die Analand-Saga (derzeit neu aufgelegt unter dem Titel Sorcery!), eine vierbändige aufeinander aufbauende Reihe.
Davon hatte mein Bruder auch einige. "Die Insel des Echsenkönigs" habe ich auch gespielt und das erste, was ich kennengelernt habe, war glaube ich "Die Zitadelle des Zauberers". Die ist mir am stärksten in Erinnerung geblieben. Ich glaube, kein anderes habe ich so oft angefangen wie das, und sogar mal geschafft.

Zitat von: Araluen am 08. Juni 2023, 16:27:03Ich hatte mir immer mal überlegt ein Spielebuch selbst zu schreiben und sogar angefangen. Letztlich scheiterte ich immer am organisatorischen Aufwand. Mit der Nutzung von Scrivener könnte es aber besser möglich sein, die Stationen und Handlungsstränge im Blick zu haben.
Mein Bruder hat mal eines begonnen, basierend auf Super Mario 64. Ich glaube, er hat es sogar fertiggestellt, wenn ich mich recht erinnere.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Michael W

@Araluen und @Arcor, danke für eure Ergänzungen!
Zitat von: Araluen am 08. Juni 2023, 16:27:03Ich hatte mir immer mal überlegt ein Spielebuch selbst zu schreiben und sogar angefangen. Letztlich scheiterte ich immer am organisatorischen Aufwand.
Das ist schade. Vielleicht passen Spielbücher einfach besser zu meiner Denkweise, immerhin habe ich sogar mehr davon geschrieben als Romane. Aber ich habe auch einige unvollendete Spielbücher.
Zitat von: Arcor am 08. Juni 2023, 18:06:24Mein Bruder hat mal eines begonnen, basierend auf Super Mario 64. Ich glaube, er hat es sogar fertiggestellt, wenn ich mich recht erinnere.
Lustig, ich habe auch mal ein Spielbuch geschrieben, das an Super Mario 64 angelehnt war. Zumindest habe ich die Struktur geklaut, es gab eine Villa als Hubworld und man konnte 50 Sterne in 15 Bereichen sammeln, die man über Teleportgemälde erreichen konnte.

Topaz

Hallo und danke für den schönen Thread.
Spielbücher kenne ich, auch wenn ich mich nicht mehr an die Titel erinnere.

Zum drüber schreiben habe ich mir einmal twine als Software angeschaut, aber ich bin noch nicht weiter gekommen als es mir anzusehen.

Vielleicht komme ich irgendwann noch dazu.

Willst du deine selbst geschriebenen Spielbücher irgendwann veröffentlichen?

Michael W

Zitat von: Topaz am 08. Juni 2023, 20:19:12Willst du deine selbst geschriebenen Spielbücher irgendwann veröffentlichen?
Danke für dein Interesse. Eine richtige Veröffentlichung habe ich bei meinen Spielbüchern nicht vor, bei den meisten finde ich die Qualität dazu einfach nicht gut genug. Aber ich habe ein paar davon auf meiner alten Jimdo-Website herumliegen, dort kannst du gerne mal stöbern.

Barra

#6
Ich kenn die "Die Welt der 1000 Abenteuer" und Solo-Abenteuer aus dem RPG Bereich.

Bei Zweiterem ist das Mitschreiben und Behalten von EP und Gegenständen, soweit ich das in Erinnerung hab, erlaubt und erwünscht. Ich hab die Solos oft gemacht, um einen Charakter zu einer bestehenden Gruppe hinzuzufügen, die aber schon weiter war. Sei es, weil mein anderer Char verstarb/ oder auch einfach mal abhanden kam oder die neue Rollenspielgruppe eben jemand Neues suchte und sie alle keinen neuen Char basteln wollten spontan.
Ich erinnere mich an meine Nivesin, die am Ende glaub ich mit nem Rudel wilder Hund und Wölfe rumlief, weil ich die irgendwie alle in den Solos aufgegabelt hatte.
Gut, zurück zum Thema.

Das Spielbuch an sich find ich toll. Ich mag so was total. Und ich gebe zu: Ich schummele durchaus mal. Warum? Weil ich nicht von vorne anfangen will manchmal. (Siehe oben: Bestehende Gruppe, die jetzt einfach nicht alle neu auf LvL 1 starten wollen, ohne ihre tollen Items.) Es ist nicht die Angst vorm "Versagen" oder "Falsch auswählen" oder "Sterben". Es ist das: Nee, ich will JETZT nicht zurück zum Anfang und von vorn anfangen, meine Zeit ist mir jetzt grad zu kostbar dafür, dass was ich schon kenne nochmal zu lesen/spielen.
In etwa so: Am Anfang, auf den ersten 12 Abschnitten 3mal zu sterben? Ok. Ist witzig, mach ich mit. Wenn ich jetzt aber schon "gefühlt" halb durch die Geschichte durch bin? Nein. Daher find ich so "Safe Spots" echt eine gute Idee. Denn ansonsten schließe ich das Buch und sage mir: Ja gut, dann versuch ich das ein anderes Mal noch mal. Und das andere Mal ist dann nie, weil ich hab dann anderes zu tun. :ätsch: Ich kenn mich.
Ergo: Ja, ich schummele.

Das ist allerdings eine etwas neuere Einstellung bei mir, weil ich nicht mehr so viel Zeit habe wie früher (vor dem Kind). Davor hätt ich es gnadenlos Re-Reads unterzogen, um jede einzelne mögliche Geschichte zu erfahren.
Früher hab ich aber auch gesagt: Es wird kein Roman abgebrochen! Was ich anfange, ziehe ich auch durch. (Das war zu der Zeit, als ich noch gebloggt habe.) Das seh ich heute auch anders: Ich habe keine Zeit etwas zu lesen, was mich nicht voll mitnimmt.

In dem Sinn: Saucool, dass du so was machst! Und danke für den Thread.

Yamuri

Ich weiß leider die Titel nicht mehr von den Abenteuer-Büchern, die ich als Kind gelesen habe, aber ich mochte sie sehr. Allerdings waren das alles keine Geschichten, wo man etwas auswürfeln musste. Es waren einfach nur Texte mit Reaktionsmöglichkeiten am Ende. Je nachdem, wofür man sich entschied, ging es auf einer anderen Seite im Buch weiter. Manchmal konnte man dadurch in einem Dead End landen oder sogar sterben. Ist das, was ich da gelesen habe, sowas wie eine Art Prototyp der Geschichten, die du meinst? Mir scheint, als ob das, was du hier beschreibst stärker eine Mischung aus Pen&Paper und Buch ist, wohingegen das, was ich gelesen habe schon stärker ein Buch war.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Michael W

Zitat von: Yamuri am 08. Juni 2023, 21:15:26Ist das, was ich da gelesen habe, sowas wie eine Art Prototyp der Geschichten, die du meinst? Mir scheint, als ob das, was du hier beschreibst stärker eine Mischung aus Pen&Paper und Buch ist, wohingegen das, was ich gelesen habe schon stärker ein Buch war.
Es ist ja immer schwierig, so etwas zu definieren, aber ich würde sagen, was du gelesen hast, kann man durchaus Spielbuch oder Choose your own Adventure nennen. Auch, wenn da keine zusätzlichen Regelwerke enthalten sind. Den Thread zu Pen & Paper gibt es hier zum Glück schon.