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Der Umgang mit Macht

Begonnen von Sandschlange, 30. September 2022, 09:45:52

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Mithras

Vermutlich sind Macht und der Umgang damit das zentrale Thema in meinen Geschichten. Zu den interessantesten Charakteren zählen für mich Utilitaristen, für die der Zweck die Mittel heiligt und die dann doch irgendwann in einen moralischen Zwiespalt geraten, wenn sie sich fragen, ob die Ziele es wirklich rechtfertigen, große Opfer zu bringen. Macht in meinen Geschichten hat oft eine magische Komponente, wobei magisch begabte Charaktere meist im Hintergrund bleiben, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und so nicht-magischen Strippenziehern und ihren Ränkespeilchen die Bühne überlassen.

Einige meiner mächtigsten magiebegabten Strippenzieher wollen Macht nicht um ihrer selbst Willen. Strippenzieher Nr. 1 strebt nach religiöser Deutungshoheit, da nur der Glaube seiner Anhänger an ihn seine Existenz aufrecht erhält. Entsprechend will er dafür sorgen, dass möglich viele Menschen an seine Existenz glauben und hat so auch schon Glaubenskriege ausgelöst, weil für ihn die Vorstellung, einfach zu verschwinden und nie existiert zu haben, so beängstigend ist, dass für ihn der Zweck jegliche Mittel heiligt. Jahrhunderte dieser Haltung haben ih  mittlerweile korrumpiert und so hält er an seiner Strategie fest, was auch immer komme. Strippenzieher Nr. 2 hat durch einen dieser Glaubenskriege alles verloren und strebt nach Macht, um dem Urheber dieser Kriege entgegenzutreten und seinem Treiben ein Ende zu bereiten. Er ist besser als sein Gegenspieler darin, sich nicht von der Macht korrumpieren zu lassen, was aber nicht verhindert, dass er seine Macht zuweilen missbraucht und sich dabei einredet, dass der Zweck mal wieder die Mittel heilige. Das Ironische an dieser Motivation ist natürlich, dass Strippenzieher Nr. 2 letztlich genauso utilitaristisch handelt wie derjenige, den er eigentlich bekämpfen will, und er anderen Menschen ähnlich großes Leid bereitet, wie er es selbst erfahren hat. Und so macht er sich im Laufe der Geschichte weitere Feinde, die den ganzen Machtspielen eine weitere dynamische Komponente verleihen.

Charaktere, die nach Macht streben, um die Welt oder gar die Galaxie zu beherrschen, sind mir in der Regel zu eindimanesional, was nicht bedeutet, dass es solche Charaktere bei mir nicht gibt. Aber sie sind in der Regel weitaus weniger interessant als solche, die ganz andere Ziele mit ihrer Macht verfolgen und dadurch in ein moralisches Dilemma geraten.

Sandschlange

Hallo @Mithras,

deine Ansicht zum Utilitarismus teile ich voll und ganz. Ich liebe es, solche Charaktere zu schreiben, genauso sehr wie sie zu lesen. Vorallem, weil man sich oft selbst (ich mich zumindest) dabei ertappt, "darauf reinzufallen". In meinem aktuellen Projekt streben die meisten, der wichtigen Charaktere Macht an, um mit ihr Frieden herzustellen und zu bewahren. Anfangs fallen da natürlich grade die Antagonisten als Negativ-Beispiel auf, später aber auch die Protagonisten nur das geschieht halt schleichend, während man die Antagonisten gleich korrumpiert antrifft.

Zitat von: Mithras am 25. Dezember 2022, 18:10:10Strippenzieher Nr. 1 strebt nach religiöser Deutungshoheit, da nur der Glaube seiner Anhänger an ihn seine Existenz aufrecht erhält.
Zitat von: Mithras am 25. Dezember 2022, 18:10:10Strippenzieher Nr. 2 hat durch einen dieser Glaubenskriege alles verloren und strebt nach Macht, um dem Urheber dieser Kriege entgegenzutreten und seinem Treiben ein Ende zu bereiten. Er ist besser als sein Gegenspieler darin, sich nicht von der Macht korrumpieren zu lassen, was aber nicht verhindert, dass er seine Macht zuweilen missbraucht und sich dabei einredet, dass der Zweck mal wieder die Mittel heilige.

Den Konflikt finde ich sehr interessant - zum einen wegen der Glaube=Existenz-Thematik, zum anderen aber auch, die moralische Frage, die im Hintergrund steht: Wie weit darf ich gehen, um meine eigene Existenz zu sichern, wann wird es verwerflich - wann überschreite ich sie und auf den Charakter bezogen: An welchem Punkt fällt es dem Charakter auf, dass er die Grenze überschritten hat bzw. fällt es ihm überhaupt auf - oder hat er sie überschritten? Ich meine, in dem Fall von Strippenzieher 1 hätte ich hier klar "ja" gesagt - aber ich weiß ja noch nicht alles, wie wichtig seine Existenz für das Leben anderer ist. Auf jeden Fall ein spannendes Konzept. Und auch das des Gegenspielers finde ich sehr gut - auch, weil sich die Frage stellt: Inwieweit handelt er wirklich, um Glaubenskriege in Zukunft zu verhindern und wo wird er von seinen Rachegedanken beeinflusst? Gefällt mir sehr gut!

Zitat von: Mithras am 25. Dezember 2022, 18:10:10Charaktere, die nach Macht streben, um die Welt oder gar die Galaxie zu beherrschen, sind mir in der Regel zu eindimanesional, was nicht bedeutet, dass es solche Charaktere bei mir nicht gibt.

Ja, sehe ich auch so und ich finde es tatsächlich ein bisschen schade, wenn Protagonisten/Antagonisten in Werken so eine Rolle haben. Bei solchen eindimensionalen Figuren, endet es halt meist damit: Joah, die wollen halt die Welt beherrschen. Und warum? Ja weil sie böse sind! Dabei ist das Streben nach Macht dem Jagen nach Geld recht ähnlich - man sucht eigentlich nicht nach Geld/Macht, sondern nach Freiheit. Bei Geld eben die Freiheit, sorglos durchs Leben zu gehen und sich alles leisten zu können, ohne auf den Kontostand zu achten und bei Macht ist es dann eben die Freiheit sich zu rächen, unantastbar zu sein, zu beschützen oder auch die Freiheit mit allem durchzukommen, weil es niemanden gibt, der einen anklagen kann. Eine Figur, die Macht will, nur um die Welt zu kontrollieren, aber keine Ahnung hat, was sie dann macht, scheint mir doch ein wenig planlos. Und es kann ja auch sein, dass eine Figur die Weltkontrolle nur haben will, um mit ihren Grausamkeiten durchzukommen und so eine Figur kann ja super geschrieben sein - wie Ramsey Bolton. Oder sie haben bereits viel Macht, wie Homelander.

Aber insgesamt bin ich bei dir, ich liebe diese moralisch grauen Charaktere. Ramsey und Homelander sind Figuren, die ich mit Schrecken beobachte, abstoßend finde und doch irgendwo fasziniertend, weil ihre Handlungen unvorhersehbar, teilweise wahnsinnig sind. Aber die moralisch grauen Charaktere sind die, die man verstehen kann und mit denen man doch nicht immer übereinstimmt. Man kann mit ihnen mitfühlen und sie gleichzeitig verachten.

Danke auf jeden Fall für deinen Kommentar! :)

LG Sandschlange
Der Frieden kennt keine Opfer.

Masseliwriter

Charaktere, die nach Macht streben, um die Welt oder gar die Galaxie zu beherrschen, sind mir in der Regel zu eindimanesional, was nicht bedeutet, dass es solche Charaktere bei mir nicht gibt. Aber sie sind in der Regel weitaus weniger interessant als solche, die ganz andere Ziele mit ihrer Macht verfolgen und dadurch in ein moralisches Dilemma geraten.
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Ich empfinde das genau so. Antagonisten sind meiner Meinung nach das wichtigste Element bei einer Geschichte. Wenn sich ihr Machtstreben auch nach einem Regelwerk richtet und sie sich damit in ein moralisches Dilemma reiten, bekommt die Geschichte erst eine Tiefe, die einen Selber in die Geschichte rein zieht.

Allgemein sollte die Verflechtung von Macht immer gebunden sein an Regeln, Entwicklungen und Strukturen, an denen sich die Spielfiguren einer Geschichte die Zähne ausbeißen. Game of thrones schafft es meiner Meinung nach sehr gut Macht nur denen zu geben, die das "Spiel" richtig spielen. Damit rutscht die Welt mit ihren Regeln in den Vordergrund (meist ungemerkt). Alle Zuschauer blicken gebannt auf den Charakter der den "coolsten" Trope hat, obwohl er wahrscheinlich durch denselben Regeln bricht und damit sein eigenes Verhängnis besiegelt. Durch diese Logik der Dinge, die die Welt den Zuschauer auftischt, schafft es eine Geschichte tiefe zu erlangen, die einen packt.